Neues Zentrum für

Stimm- und Schluck­störungen

Seit Februar dieses Jahres betreibt das Uniklinikum Würzburg ein Interdisziplinäres Zentrum für Stimme und Schlucken. Die an der HNO-Klinik angesiedelte Einrichtung sorgt für eine systematische, multiprofessionelle Diagnostik und Behandlung bei Störungen dieser wichtigen Körperfunktionen.

Die Diagnostik, Therapie und Erforschung von Stimm- und Schluckstörungen sind schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen des Uni­klinikums Würzburg (UKW). An der von Prof. Dr. Dr. h.c. Rudolf Hagen geleiteten Klinik widmen sich vor allem die Be­reiche Phoniatrie, Pädaudiologie und Phonochirurgie diesem Themenkreis. „Allerdings gibt es je nach Ursache der Störung viele Berührungspunkte zu anderen Disziplinen, wie zum Beispiel zur Neurologie, der Inneren Medizin, der Chirurgie, der Zahn-Mund-Kieferchirurgie oder zur Kinderheilkunde“, sagt Prof. Hagen und fährt fort: „Um die hier bestehenden Kooperationen zwischen den jeweiligen Expertinnen und Experten zu systematisieren sowie ihr Fachwissen im Sinne einer noch besseren Patientenversorgung zu bündeln, haben wir jetzt das Interdisziplinäre Zentrum für Stimme und Schlucken gestartet.“ Neu ausgestattete ­Untersuchungsräume Geschäftsführend geleitet wird das mit „IZSS“ abgekürzte Zentrum von Dr. Fabian Kraus, Oberarzt der HNO-Klinik. Als „Basis“ dienen ihm und seinem Team neu eingerichtete Untersuchungsräume im ersten Obergeschoss der Kopfklinik an der Josef-Schneider-Straße 11. Hier arbeiten mindestens eine Phoniaterin oder ein Phoniater, also ein/e ärztliche/r Spezialist/in für Störungen bei Sprache, Stimme und Schlucken, eine Logopädin und eine Psychologin zusammen. „Für die Diagnostik stehen uns, neben dem Patientengespräch und der direkten Beobachtung, hochmoderne Geräte zur Verfügung. Beispielsweise können wir mit einem speziellen, durch die Nase einzuführenden Endoskop – kombiniert mit durch Lebensmittelfarbe eingefärbte Speisen – sehen, was beim Schluckvorgang schiefläuft“, schildert Dr. Kraus. Auch für die Stimmanalyse stehen ­modernste Messgeräte mit zum Teil 3 D-Technologie bereit.

Stimme und Schlucken haben einen gemeinsamen Dreh- und Angelpunkt: den Kehlkopf. Er verschließt zum einen beim Schlucken den Eingang zur Luftröhre. Zum anderen ist er als eigentlicher Tonerzeuger wesentlich an der Stimmbildung beteiligt. „Hier liegt ein Großteil der Ursachen für Stimm- und Schluckstörungen – und damit im Arbeitsbereich der Phoniatrie“, sagt Dr. Kraus. Zu denken sei dabei beispielsweise an Polypen und Zysten an den Stimmlippen, Tumore und Stimmlippenlähmungen des Kehlkopfes oder auch einfach nur nachlassende Spannkräfte des Gewebes im Alter.

Dr. Fabian Kraus bei einer endoskopischen Untersuchung im IZSS.

Allerdings ist der Kehlkopf nur ein Teil einer ganzen „Schluckstraße“. Sitzt das Problem „tiefer“, also im Bereich Speise­röhre und Magen, kommt man laut Dr. Kraus in die Fachdisziplinen der Chirurgie oder der Inneren Medizin. Auch in Richtung Gehirn und Nervensystem – und damit zur Neurologie – gibt es kausale Verbindungen. „Viele Schluckstörungen sind auch neurogen, also eine Folge von Krankheiten wie Demenz, Parkinson oder Schlaganfall“, weiß der Zentrumsleiter. Stimmstörungen können nach seinen Worten zudem das Ergebnis ­einer falschen Sprechtechnik oder ein Symptom für psychische Belastung sein. Beratung und Weitervermittlung systematisiert „Mit der Zentrumsstruktur haben wir jetzt feste Ansprechpartner in den im Einzelfall zusätzlich relevanten Disziplinen, die wir zurate ziehen oder an die wir weitervermitteln können“, erläutert Dr. Kraus. Außerdem findet alle vier bis sechs Wochen ein Dysphagie- und ­Dysphonie-Board statt. Darunter versteht man ein klinikumsinternes Treffen von multidisziplinären Fachleuten, bei dem in schwierigen, fachübergreifenden Fällen das weitere Vorgehen besprochen wird. Aus dem innerklinischen Bereich bearbeiten Dr. Kraus und sein Team im IZSS pro Woche 15 bis 20 Beratungs-, Diagnose- oder Therapieanfragen, hinzu kommen 30 bis 40 ambulante Patienten.

Sprechstunde für Berufssprecher/innen Eine besondere Zielgruppe des Zentrums sind Berufssprecher/innen und Sänger/innen. „Für diese bieten wir eine Spezial­sprechstunde an, bei der es vielfach um Prävention geht“, berichtet Prof. Dr. Wafaa Shehata-Dieler. Die Leitende Ärztin für Pädaudiologie und Phoniatrie unterstützt Dr. Kraus bei der Führung des IZSS. Sie fährt fort: „Es gibt viele Menschen, die schon am Anfang ihrer Karriere in einem Beruf wie Lehrer/innen oder Erzieher/innen erste Probleme mit ihrer Stimme haben. Hier können wir beraten und zum Beispiel durch die Schulung der richtigen Techniken im Rahmen eine ­logopädischen Therapie massiveren Störungen vorbeugen.“ Vom Ablauf her werden stationäre ­Patienten des UKW vom IZSS konsiliarisch untersucht, beraten und behandelt. Ambulante Patienten vereinbaren einen Untersuchungstermin im Zentrum, wo in der Regel eine Therapieempfehlung entwickelt wird. Die Arbeit des IZSS strahlt auch in die Patientenernährung am UKW aus. „So ist das Zentrum Teil und Motor des Arbeitskreises Dysphagiekost" (siehe hier). Um das aktuelle Wissen zu den ­Herausforderungen und Erkenntnissen rund um Stimm- und Schluckstörungen unter Interessensgruppen wie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten sowie ­Pflegenden zu verbreiten, bietet das Zentrum ferner die Fortbildungsreihe „Im Focus“ an. Die interdisziplinäre Arbeit in den Bereichen Stimme und Schlucken eröffnet eine Vielzahl an Forschungsthemen. So sind zum Beispiel Studien für die Weiterentwicklung der Endoskopie, der bildgebenden Diagnostik, der Stimmprävention bei Sprechberufen wie auch die Fortsetzung der Arbeiten zum Kehlkopfschrittmacher im IZSS angesiedelt. Aktuell (Stand Anfang Mai 2020) sind vor dem Hintergrund der Infektionsschutzmaßnahmen der Corona-Pandemie die Leistungen des Zentrums bei re­duzierten freien Terminen zum größten Teil verfügbar. Weitere Details erfahren Interessierte bei einer Anfrage über die unter genannten Kontaktmöglichkeiten. Kontakt und Anmeldung: Tel: 0931 / 201-21888 oder E-Mail: izss@ukw.de

Folgenreiche Schluck- und Stimm­stör­ungen

Störungen und Erkrankungen von Stimme und Schlucken sind häufig und können gravierende Folgen haben. So leidet mindestens ein Fünftel aller Menschen über 65 Jahren an einer Stimmstörung (Dysphonie). Außerdem arbeiten 13 Millionen Frauen und Männer in Deutschland in Sprechberufen. Von diesen entwickeln laut der Krankenkasse AOK etwa 20 Prozent eine Dysphonie und sind dadurch im Jahr durchschnittlich zehn Tage nicht arbeitsfähig. Der dadurch hervorgerufene Arbeitsausfall verursacht jährlich Kosten von 2,6 Milliarden Euro. 16 bis 22 Prozent der Deutschen über 55 Jahre sind von einer Schluckstörung betroffen. Diese mindert nicht nur die Lebensqualität, sondern kann sich auch negativ auf den allgemeinen Gesundheitszustand aus­wirken, zum Beispiel über eine Mangelernährung oder das stark erhöhte Risiko einer durch aspirierte Nahrung hervorgerufenen Lungenentzündung.