„Leistung zählte

– und sonst nichts…“

In Einzel- und Gruppentherapien, sozialen Kompetenztrainings sowie mit Hilfe kreativer und achtsamer Methoden vermitteln die Mitarbeiter der Psychoso­ma­tischen Tagesklinik ihren Patienten neue Handlungs­strategien für den Alltag.

Dr. Bodo Warrings im Gespräch mit einer Patientin.

Ende 2019 ist die Tagesklinik in ihr neues Zuhause in das renovierte Gebäude D12 am Klinikturm umgezogen. Komplett neu ausgestattet bietet sie nun auch ­äußerlich ideale Therapiebedingungen für Patienten und Mitarbeiter. Eine Depression kann jeden treffen Schleichend fing alles an. Sven, 45 Jahre, Abteilungsleiter in der Verwaltung eines großen Industrieunternehmens*, hatte sich in seiner Firma nach oben gearbeitet. Der Beruf war sein Lebensinhalt, aus seinen Erfolgen zog er Selbstvertrauen und den Ansporn für neue, höhere Ziele. Zu seinen Kollegen hatte er einen engen Draht, solange alles gut lief. Dass seine Ehefrau und sein erwachsener Sohn bei seinem Lebensstil manchmal zu kurz kamen, beeinträchtigte ihn nicht weiter. „Work-Life-Balance“ war ein Fremdwort für ihn. Rückblickend erinnert sich Sven: „Lange hinterfragte ich mein Leben nicht. Schlafstörungen und der Blick zu tief ins Weinglas nahm ich als normale Begleiterscheinungen hin. Ich ignorierte, dass ich mich immer erschöpfter fühlte, auch im Urlaub fand ich keine Erholung mehr.“ Sein Körper machte die ständige Anspannung nicht länger mit. Herzrhythmusstörungen traten auf, für ihn fatal: Die Kollegen überflügelten ihn, erhielten bessere Aufträge. Aus Scham zog er sich immer weiter zurück. Sein Selbstwert sank. Dann kam ein deutliches Alarmsignal – ein Herz­infarkt. Er musste ins Zentrum für Innere Medizin der Uniklinik eingeliefert werden. Von dort kam er über den Konsildienst in die Psychosomatische Tagesklinik am UKW. Diagnose: Depression. Hilfe zur Selbsthilfe bieten Hier fand er die Unterstützung und Begleitung, die er in dieser kritischen ­Lebenssituation benötigte. Oberarzt Dr. Bodo Warrings erklärt das Konzept: „In der Tagesklinik vertreten wir ein integratives Behandlungskonzept aus Tiefenpsychologie und kognitiver Verhaltenstherapie. Das therapeutische Konzept kombinieren wir je nach Diagnose mit flexiblen Angeboten wie beispielsweise Ernährungsberatung, Physiotherapie oder Entspannungsmethoden. Für jeden Patienten stellen wir also einen individuellen Therapieplan zusammen. Ziel ist es, Strategien und Lösungsansätze zu vermitteln, die die Patienten befähigen, ihre Probleme im Alltag wahrzunehmen, neu zu bewerten und anders mit ihnen umzugehen. Das Erlernen und Erproben neuer, alternativer Handlungsstrategien macht einen großen Teil der Therapie aus. Wir bieten unseren Patienten also schlicht Hilfe zur Selbsthilfe.“

Die Psychotherapie findet auch im Gruppen­setting statt, diese bildet einen wesentlichen Pfeiler der Behandlung.

Entspannen im Ruheraum.

Individuelles Therapiekonzept Basis der Behandlung ist eine Psychotherapie (Einzeltherapie) mit verhaltenstherapeutischen und tiefenpsycho­logischen Elementen, die um eine individuelle Pharmakotherapie (= medikamentöse Behandlung) ergänzt wird. Während seines Aufenthaltes erarbeitete Sven mit seiner Bezugstherapeutin die Ursachen für seine Depression. Dabei wurde auch seine Biografie in die Analyse einbezogen. Welche Ereignisse in seinem Leben haben dazu geführt, dass er seinem Beruf so viel Raum gibt? Sven erkennt: „Der ursprüngliche Auslöser war mein Vater. Leistung zählte – und sonst nichts. Er lobte mich nur bei guten Noten oder einem Sieg mit der Fußballmannschaft. Für Zuneigung musste ich immer eine Gegenleistung bringen. Ich durfte nicht einfach so sein wie ich bin. Diesen Anspruch habe ich verinnerlicht.“ Seine Therapeutin entwickelte dann ein Konzept mit Sven, wie er sich aus diesen überholten Verhaltensmustern seiner Kindheit befreien kann – mit den folgenden Bausteinen: Sich abgrenzen lernen, Aktivitäten außerhalb des Berufs aufbauen, Sport treiben und frühzeitig auf Signale des Körpers ­hören. Die praktische Übung entsprechender Situationen stärkte Sven. In der Gruppen­therapie lernte er, sich nach und nach anderen gegenüber zu öffnen, Gefühle früher wahrzunehmen und darüber zu reden. Neue Wege beschritt er auch in der Kunsttherapie. Er entdeckte sein schöpferisches Talent beim Malen, lernte, Gefühle auch ohne Worte auszudrücken. Ergänzend trugen Yoga, Chigong, Meditation und Nordic Walking dazu bei, dass er Abstand zum Beruf bekam und sich besser entspannen konnte. Mit einer Sozialpädagogin erarbeitete er zudem ein Konzept zur beruflichen Wiedereingliederung im Anschluss an die Behandlung in der Tagesklinik. „Im Alltag warten viele Herausforderungen auf mich“, so Sven an seinem letzten Tag. „Aber ich habe nun Strategien und Werkzeuge an der Hand, wie ich mich in kritischen Situationen verhalten und besser abgrenzen kann. Dadurch, dass die Behandlung teilstationär war und ich abends und am Wochenende in meinem gewohnten Umfeld sein konnte, fällt mir der Wechsel von dem geschützten Raum der Tagesklinik in die reale Welt leichter. Ich fühle mich gut gerüstet.“

*Mit Rücksicht auf die Anonymität des Patienten wurde der Name geändert und die Berufsbezeichnung verfremdet.

Kontakt:Psychosomatische Tagesklinik Haus D12, Josef-Schneider-Str. 2, Sekretariat: 0931 / 201-40300, www.ukw.de/psychiatrie/tagesklinik/psychosomatische-tagesklinik/

Die Psychosomatische Tagesklinik befindet sich im Klinikgelände nahe des weithin sichtbaren Klinikturms.

Beitrag: Rita Börste | Bilder: D. Peter

In der Psychosomatischen Tages­klinik am UKW werden erwachsene Patienten behandelt, die unter psychosomatischen Erkrankungen leiden. Dazu gehören Depressionen, Angst- und Zwangserkrankungen, Traumafolgestörungen, Essstörungen vor allem Adipositas, im Zusammen­hang mit somatischen Erkrankungen (z. B. Krebs, Herzerkrankungen) und peripartale (= um die Geburt in der Schwangerschaft oder nach Entbindung auftretende) psychische Erkrankungen. Die Klinik bietet 18 teilstationäre Behandlungsplätze. Die Behandlung, die ein interdisziplinäres Team mit etwa 10 Vollzeitstellen anbietet, dauert 4 bis 8 Wochen. Zur Anmeldung für eine Behandlung ist eine ärztliche Überweisung erforderlich. Neu ist, dass alleinerziehende Mütter (oder Väter) ihren Nachwuchs (Säuglinge und Kleinkinder jünger als ein Jahr) mit in die Klinik bringen können. Für diese gibt es ein eigenes Mutter-Kind-Zimmer.