Andrea Reiter hat die neugeschaffene Juniorprofessur für Lernprozesse in der Entwicklungs­psychiatrie, Psychotherapie und Prävention an der Uni Würzburg inne.

Forschen

zu Lern- und Entscheidungs­prozessen

Als Juniorprofessorin für Lernprozesse in der Entwicklungspsychiatrie, Psychotherapie und Prävention ergänzt Andrea Reiter das Forschungsspektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Würzburger Universitätsmedizin.

„Mit Drogen experimentieren, betrunken Auto fahren oder ungeschützten Geschlechtsverkehr haben – viele Gesundheitsgefahren von Jugendlichen beruhen auf schlechten Entscheidungen. Unter anderem deshalb ist es so wichtig, die dahinterstehenden Lern- und Entscheidungsprozesse noch besser zu verstehen“, sagt Andrea Reiter und umreißt damit eines ihrer Forschungsgebiete an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Seit Februar 2021 hat sie hier die neugeschaffene Juniorprofessur für Lernprozesse in der Entwicklungspsychiatrie, Psychotherapie und Prävention inne.

Damit kehrte die gebürtige Augsburgerin (Jahrgang 1986) zum Ausgangsort ihrer Karriere zurück: Im Jahr 2006 startete sie an der JMU mit ihrem Psychologie-Studium. Promotion zu Sucht und Kontrollverlust Nach dem Diplom im Jahr 2012 wechselte Andrea Reiter mit einem kompetitiven Promotions­stipendium an das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. An der dortigen International Max Planck Research School on Neuroscience of ­Communication und an der Uni Leipzig promovierte sie an der Schnittstelle von kognitiven Neurowissenschaften und klinischer Psychologie. Thema waren die kognitiv-neuro­wissenschaftlichen Hintergründe von Suchterkrankungen und anderen psychischen Problemen, die mit Kontrollverlust einhergehen, wie der von Ess­attacken geprägten Binge-­Eating-Störung.

„Im Lauf der Zeit interessierte ich mich immer stärker für Entwicklungsaspekte von psychischen Erkrankungen, aber auch für Veränderungen im Lernen und Entscheidungs­verhalten, die im typischen Entwicklungsverlauf eines ­Menschen auftreten“, schildert die Wissenschaftlerin. Dies führte sie nach ihrer Doktorarbeit im Jahr 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Bereich „Entwicklungs­psychologie und Neurowissenschaft der Lebensspanne“ an der TU Dresden. Ihre letzte Karriereetappe vor Würzburg war von 2018 bis 2020 das University College in London. Dort widmete sie sich als Postdoktorandin am Max Planck – UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research und am Wellcome Trust Centre for Human Imaging der ­jugendlichen Entwicklung und Psychopathologie. „Dabei hatte ich Gelegenheit, meine Kenntnisse in Hirnbildgebung und Computationaler Modellierung zu vertiefen und an einer großangelegten Längsschnittstudie zur jugendlichen Entwicklung mitzuwirken“, erläutert Reiter. Entscheidungen von Jugendlichen besser verstehen Mit diesem Werdegang steht der Psychologin ein umfangreiches Methodenportfolio für ihre breit angelegten Forschungsinteressen zur Verfügung, die sie nun an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP) des Uniklinikums Würzburg (UKW) weiterverfolgt. „Schwerpunktmäßig beschäftige ich mich aus einer grundlagenwissenschaftlichen Perspektive damit, wie vor allem junge Menschen Entscheidungen treffen, wie basale Lernprozesse ablaufen und wo es hierbei mögliche Zusammenhänge zu psychischen Erkrankungen gibt“, schildert die Wissenschaftlerin. Die dafür nötigen Daten werden in psychologischen Experimenten gewonnen, bei denen ­neben Verhaltensmaßen u. a. die besonders involvierten Hirn­areale mittels Magnetresonanztomografie oder Elektroenzephalografie ermittelt werden. Anschließend helfen Computeralgorithmen, die gewonnenen Informationen auszuwerten.

Die oben genannten Bildgebungsverfahren spielen auch eine zentrale Rolle, wenn es um die strukturelle Entwicklung des Gehirns geht. Andrea Reiter: „Wir wissen schon seit ­langem, dass sich das menschliche Gehirn in der Kindheit massiv verändert. Im Gegensatz dazu sind weitere solche Umbauprozesse im Teenager-Alter erst in den letzten beiden Jahrzehnten in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt. Eine Hypothese dabei ist, dass abweichende Umbauprozesse auch damit zusammenhängen können, dass ­Jugendliche psychische Probleme entwickeln.“

„Schwerpunktmäßig beschäftige ich mich aus einer grundlagen­wissenschaftlichen Perspektive damit, wie vor allem junge ­Menschen Entscheidungen treffen, wie basale Lernprozesse ablaufen und wo es hierbei mögliche Zusammenhänge zu psychischen Erkrankungen gibt.“

Prof. Dr. Andrea Reiter

Verhalten ist ansteckend Ein weiterer Schwerpunkt in der Forschungsarbeit der Junior­professorin sind soziale Aspekte von Verhalten. Sie verdeutlicht: „Wir alle lassen uns in unserem Verhalten von anderen anstecken. Im Jugendalter wirkt dieser Effekt allerdings deutlich stärker.“ Aus Studien ist bekannt, dass Jugendliche mit bestimmten psychischen Störungen soziale Reize anders verarbeiten als gesunde. Ein Ziel ihrer Arbeitsgruppe ist es, die Rolle von sozialer Information und Interaktion sowie von sozialem Lernen bei verschiedenen psychiatrischen ­Erkrankungen, aber auch in Therapieprozessen zu unter­suchen. „Eine interessante Frage für die zukünftige Therapieplanung ist in diesem Zusammenhang, ob sich durch kognitive Marker die Jugendlichen, die zum Beispiel von ­einer Gruppentherapie profitieren könnten, von denjenigen unterscheiden lassen, für die das nicht der richtige Behandlungsweg ist“, sagt Andrea Reiter.

„Wir sind hochzufrieden, dass wir die neue Juniorprofessur mit einer so vielseitigen und anerkannten Wissenschaftlerin besetzen konnten“, freut sich Prof. Dr. Marcel Romanos, der Direktor der KJPPP. Deutlich wird die Relevanz der wissenschaftlichen Themen des Neuzugangs u. a. durch die von ihr bislang eingeworbenen Forschungsmittel. Neben der mehrfachen Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde Andrea Reiter auch international durch den 2020 NARSAD Young Investigator Award der Brain & Behavior Research Foundation ausgezeichnet. Diese Förderung ist eine renommierte Auszeichnung für NachwuchswissenschaftlerInnen im Bereich Biologische Psychiatrie. Auch in Klinik und Lehre engagiert Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist Andrea Reiter auch klinisch als Psychotherapeutin tätig – sie hat 2019 die Approbation für psychologische Psychotherapie erworben. Außerdem engagiert sie sich in der Lehre – sowohl in der Ausbildung von Medizinstudierenden, als auch in der Betreuung von Medizin- und Psychologie-Doktorarbeiten.

In Summe ist die Professur für Andrea Reiter nach eigenen Worten wie maßgeschneidert. Sie erläutert: „Mein Interesse für die Wissenschaft ist durch mein Psychologiestudium in Würzburg geweckt worden. Eine Besonderheit war schon damals die hier gepflegte enge Zusammenarbeit, auch über Fakultäten hinweg. Auch jetzt freue ich mich auf die sich abzeichnenden, vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten – sei es mit der Erwachsenenpsychiatrie, der Neuroradiologie und Neurobiologie, der Psychologie oder der Pädagogik.“ Außerdem bestehe in Würzburg schon seit langem ein starker wissenschaftlicher Fokus auf Lernprozesse. „Last but not least kann ich mich hier im neuen Deutschen Zentrum für Präventionsforschung und Psychische Gesundheit engagieren. Das ist für mich sehr attraktiv, da ich es für essentiell halte, psychische Krankheiten nicht nur effektiv zu behandeln, sondern diesen auch evidenzbasiert vorzubeugen“, betont die Professorin. Als lebenspraktischer Pluspunkt erwies sich in den vergangenen Monaten, dass sie ihren 1,5 Jahre alten Sohn bei der vom UKW angebotenen Kinderbetreuung bei den „Grombühlzwergen“ sehr gut versorgt weiß.

Ihre Stelle wurde von der JMU im Tenure-Track-Verfahren eingerichtet. Das bedeutet, dass in drei Jahren eine Evaluation stattfindet, nach der eine Verstetigung der Professur in Aussicht steht.