PD Dr. med. Anna Frey

Medizinische Klinik und Poliklinik I

Ich wurde vor 39 Jahren in der Ukraine geboren. Im Alter von 14 Jahren bin ich ausgewandert oder durfte genauer gesagt als Kontingentflüchtling nach Deutschland übersiedeln. Hannover wurde meine neue Heimat, wo ich auch studiert habe. Inzwischen ist Würzburg unser Lebensmittelpunkt. Uns umschließt meinen Mann und unsere beiden Kinder. 

Das wollte ich mal werden

Ich wollte schon immer Ärztin werden. Meine Oma war Ärztin in der Ukraine und hatte die stellvertretende Klinikleitung in einem städtischen Krankenhaus. Meine Mama war ebenfalls Ärztin mit jahrzehntelanger Notarzt-Erfahrung. Ich habe quasi mit der Muttermilch das Interesse an der Medizin aufgesaugt und habe auch als Kind einige Abendstunden im Rettungswagen verbracht. Glücklicherweise hatte ich also schon in meiner Familie Frauen als „role models“. Da hat sich niemand Gedanken gemacht, ob man „wie ein Mann“ arbeitet oder nicht.

Das hat mich geprägt

Generell hat mich die Erziehung meiner Eltern sehr geprägt. Sie war sehr ehrlich aber auch mit gewissem Druck und Ansporn behaftet. Sicherlich hat mich auch mein kultureller Hintergrund geprägt. Durch die Auswanderung habe ich gemerkt, dass ich mich schnell anpassen kann und keine Angst vor unbekannten Situationen und neuen Herausforderungen habe.

Forscherinnengeist

Schon während des Studiums erwachte bei mir der Wunsch nach mehr. Ich wollte „hinter die Kulissen“ schauen, am Puls der Zeit sein und Neues entdecken. Somit bin ich direkt nach dem Staatsexamen am 1. Januar 2008 am Universitätsklinikum Würzburg gelandet, wo ich Behandlung, Forschung und Lehre wunderbar vereinen konnte und kann. Inzwischen bin ich Oberärztin in der Kardiologie und stellvertretende Leiterin der internistischen Intensiv- und Notfallmedizin. Nebenbei erforsche ich die Interaktion von Herz und Hirn und die Inflammationsvorgänge am Herzen nach dem Myokardinfarkt. Mein Weg ins aktuelle Forschungsgebiet war eher zufällig und getriggert durch meine Mentoren sowie durch die äußeren Einflüsse.

Zu meiner Anfangszeit am Uniklinikum Würzburg entstand gerade das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) – ein interdisziplinäres Forschungs- und Behandlungszentrum, in dem die Volkskrankheit Herzschwäche mitsamt ihren zahlreichen Komorbiditäten untersucht wird. Mir wurde direkt die Verantwortung für mehrere Projekte übertragen. Herausragend war hier unsere Studie Cognition.Matters-HF. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass viele Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz die umfassenden Therapieempfehlungen nicht einhalten können – nicht, weil sie es nicht wollen oder nachlässig sind, sondern weil sie es nicht können. Denn ein schwaches Herz beeinflusst auch die Hirnfunktion. Umso wichtiger ist die engmaschige und die interprofessionelle Betreuung dieser Patientinnen und Patienten.
 

Was mich motiviert

Mich motiviert jeden Tag aufs Neue, Ursachen von Krankheiten zu verstehen, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln und frühzeitig anzuwenden und mein Wissen sowohl an Studierende als auch an junge Kolleginnen und Kollegen weiterzugeben. Ich möchte die Medizin voranbringen. Beflügelt wird diese intrinsische Motivation durch mein kollegiales Umfeld.

Wer mich unterstützt

Neben Förderprogrammen wie die der Studienstiftung des Deutschen Volkes und ein Habilitationsstipendium haben mich meine Mentoren sehr unterstützt: die Professoren Georg Ertl, Stefan Frantz, Stefan Störk und Guido Stoll. Im DZHI wurde ich zum Beispiel zum für uns als Familie optimalsten Zeitpunkt für die Forschung freigestellt - zwischen den Geburten meiner Kinder. So war ich an keine Schichten in der Klinik und Ambulanz gebunden und konnte frei arbeiten. Darüber hinaus erfahre ich sehr viel Wertschätzung und Unterstützung durch meinen Mann, obwohl wir beide berufstätig sind.

Stolpersteine

Es gab allerdings auch einige Stolpersteine. Meine Promotion war ein steinerner Weg. Eine medizinisch-technische Assistentin hat mir regelhaft „das Leben zur Hölle gemacht“. Ich wollte mehrfach abbrechen, habe es aber schlussendlich durchgezogen. Der holprige Weg zur Promotion hat mir insgesamt eher geholfen stärker zu werden als mich eingeschüchtert.

Anreize für mehr Frauen in der Wissenschaft

Es gibt zwar mittlerweile diverse Programme, die speziell Frauen in der Wissenschaft unterstützen, aber trotzdem sind Frauen in leitenden Positionen definitiv eine Minderheit. Offensichtlich geht es nicht nur um die Finanzierung. Es müssen nachhaltige strukturelle Veränderungen stattfinden. Damit meine ich keine 24-Stunden-KiTas, das würde ich für meine Kinder auch nicht wollen. Viel wichtiger als weitere monetäre Anreize ist meiner Meinung nach die Wertschätzung. Wenn man tolle Arbeit macht, muss sie wertgeschätzt werden. Menschen, die gewohnt sind, ihren komplexen Alltag zu strukturieren, und das sind vor allem berufstätige Mütter, sind auch im Beruf strukturiert. Ein Halbtagsjob heißt daher nicht halbe Leistung. Durch fokussiertes Arbeiten wird die „fehlende“ Zeit mit Leichtigkeit kompensiert.

Es muss ein Umdenken stattfinden. Männer müssen umdenken und ihre Frauen stärker unterstützen. Aber auch Frauen müssen umdenken: Sie dürfen keine Angst vor alternativen Wegen haben, sollten dem Druck von außen widerstehen, sich anzupassen und den Spagat akzeptieren, den man als Frau eben oft machen muss. Man müsste aber auch gewisse Abstriche als Mutter hinnehmen können. Meine Tochter zum Beispiel hat ihre ersten freien Schritte in der KiTa und nicht unter meiner Aufsicht gemacht – bin ich deswegen eine schlechtere Mutter als andere?!

Mein Tipp an Frauen und Männer

Man sollte das tun, was einem vom ganzen Herzen Spaß macht. Und man muss die Arbeit so gut und so korrekt ausführen, dass man jeden Tag unbeschwert in den Spiegel schauen kann. Mit diesem Gefühl behandle ich jeden Tag Patientinnen und Patienten, kommuniziere mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit Kooperationspartnerinnen und -partnern und mache Unterricht mit Studierenden.

Mein Wunsch für die Zukunft

Ich wünsche vor allem unserer Kinder- und Jugendgeneration eine baldige Rückkehr zur Normalität. Die Pandemie hinterlässt überall ihre Spuren. So sieht man gerade in der aktuellen Zeit, wie sehr in der Gesellschaft das eigene Interesse im Vordergrund vor dem Gemeinschaftsgefühl steht. Es wäre schön, wenn wir Menschen wieder mehr zu unserer Menschlichkeit zurückfinden könnten.