Paper des Monats

Im Rahmen der klinischen Forschungsgruppe 5001 ResolvePain stellen wir regelmäßig aktuelle Publikationen unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, welche unserer Meinung nach den komplexen Bereich der Schmerzforschung entscheidend bereichern. Erklärtes Ziel dabei ist es, die Ergebnisse im translationalen Ansatz unmittelbar in die praktische Schmerztherapie einzubinden und neue Wege zur Schmerzauflösung zu finden.

März 2023

Appeltshauser L, Junghof H, Messinger J, Linke J, Haarmann A, Ayzenberg I, Baka P, Dorst J, Fisse AL, Grüter T, Hauschildt V, Jörk A, Leypoldt F, Mäurer M,  Meinl E, Michels S, Motte J, Pitarokoili K, Stettner M,  Villmann C,  Weihrauch M, Welte GS,  Zerr I, Heinze KG,  Sommer C, Doppler K 

Anti-pan-neurofascin antibodies induce subclass-related complement activation and nodo-paranodal damage

Brain. Published online Nov 8 2022

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Begründung

In dieser klinisch-experimentellen Arbeit wurden mit Hilfe eines Zellkultur-basierten Modelles erstmals direkte Effekte sogenannter Pan-Neurofascin-Antikörper auf die Bildung und Integrität der Ranvier’schen Schnürringe beschrieben. Diese Einkerbungen in der Myelinscheide eines Axons sind entscheidend für eine schnelle Erregungsleitung. Bei Patientinnen und Patienten mit entzündlichen Polyneuropathien zerstören Neurofascin-Antikörper die Schnürring-Architektur und führen dadurch zu Nervenleitungsstörungen. Die Arbeit beinhaltet die detaillierte Beschreibung der klinischen Folgen: Betroffene leiden an einer akuten und fulminanten Polyneuropathie mit vollständiger Lähmung der gesamten Muskulatur, inklusive der Atemmuskulatur, und müssen teils über Monate beatmet werden. Unter immunmodulatorischer und B-Zell-gerichteter Therapie ist die Erkrankung jedoch reversibel und heilt nach der akuten Phase meist aus. 

Bedeutung und Ausblick

Die genaue Beschreibung des klinischen Bildes der Erkrankung hilft im klinischen Alltag, die schwer betroffenen Patientinnen und Patienten zu identifizieren und richtig zu therapieren. Das Verständnis des genauen Pathomechanismus ermöglicht den Einsatz und die zukünftige Entwicklung spezifischer Therapien. Außerdem kann das in dieser Arbeit etablierte Zellkulturmodell zur Erforschung weiterer antikörpervermittelter Polyneuropathien verwendet werden. 

Neue Biomarker: Antikörper und Neurofilament-Leichtketten

Die Autorinnen identifizierten außerdem im Langzeit-Verlauf neben dem Antikörper-Titer auch Neurofilament-Leichtketten als neuen Biomarker für die Schwere der Erkrankung und das Therapieansprechen. Dies hilft, die Erkrankung in Zukunft über Monate hin zu überwachen, Therapien unmittelbar anzupassen und mögliche Rückfälle frühzeitig zu erkennen.

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PD Dr. med. Kathrin Doppler ist Leiterin des KFO-Projekts 3, das neuropathischen Schmerz infolge von Anti-Caspr2-Autoantikörpere zum Inhalt hat. 

Dr. med. Luise Appeltshauser forscht als Clinician Scientist in der Arbeitsgruppe (AG) von PD Dr. med. Kathrin Doppler und Prof. Dr. med. Claudia Sommer an Autoantikörper-vermittelten Neuropathien.

Frühere Paper des Monats

Januar 2023

Schulte A, Lohner H, Degenbeck J, Segebarth D, Rittner H, Blum R, Aue A

Unbiased analysis of the dorsal root ganglion after peripheral nerve injury: no neuronal loss, no gliosis, but satellite glial cell plasticity

Pain. Published online Aug 15 2022

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Begründung

Diese Arbeit beschreibt die zelluläre Zusammensetzung von Spinalganglien in einem Tiermodell für schmerzhafte Nervenschädigung. Im Unterschied zu früheren Untersuchungen wurde hier erstmals eine Deep Learning (KI)-basierte Bildanalysemethode auf einen großen Datensatz an Mikroskopie-Bildern angewendet. Damit konnten über 2500 immunhistochemische Bilder von Spinalganglien nach Nervenverletzung automatisch ausgewertet werden – eine Anzahl, die mit bisherigen Methoden der Auszählung am Mikroskop unmöglich gewesen wäre. Diese objektive Untersuchungsmethode zeigt, dass die Nervenverletzungen nicht, wie bisher vermutet, zu einem Verlust von Neuronen oder unkontrolliertem Wachstum von glialen Zellen führt, sondern ausschließlich zelluläre Plastizität von Gliazellen aktiviert. 

Ausblick

Das Paper setzt neue Standards für die objektive Untersuchung von Mikroskopie-Bildern, hier repräsentativ im Forschungsgebiet „Molekulare Schmerzforschung“. Daten und Methodik sind die Basis, um multizelluläre Prozesse der Schmerzrückbildung im Detail beschreiben zu können.

Weitere Informationen

Multizelluläre Prozesse der Schmerzrückbildung sind Inhalt des Projekts P9 ABC-Transporter bei Schmerzlinderung der KFO 5001 ResolvePain. Gegenwärtig werden sogar zelluläre Prozesse in menschlichen Spinalganglien mit der Deep-Learning Methodik untersucht.

November 2022

Weiner S, Strinitz M, Herfurth J, Hessenauer F, Nauroth-Kreß C, Kampf T, Homola GA, Üçeyler N, Sommer C, Pham M, Schindehütte M.

Dorsal Root Ganglion Volumetry by MR Gangliography

American Journal of Neuroradiology, Vol 43, No 5 (Mai), 2022: pp 769-775. Epub 2022 Apr 21.

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Begründung

Verschiedene Schmerzerkrankungen gehen mit Volumenänderungen der Spinalganglien einher, jenen paarigen Organen entlang der Wirbelsäule, welche die Zellkörper aller sensiblen peripheren Nervenzellen enthalten. Sie sind maßgeblich an Schmerzempfindung und -verarbeitung beteiligt. In diesem Paper wurde eine verfeinerte Methode zur präziseren Bestimmung des Volumens der lumbosakralen Spinalganglien bewertet, die mittels einer speziellen Magnetresonanztomographie (MRT) erhoben wurden.Mit der sogenannten Ground-Truth-Segmentierung ließen sich die Volumenverhältnisse in den einzelnen Segmenten signifikant besser berechnen und die bildhafte Darstellung entsprechend präzisieren. Parallel wurde das neue Verfahren in einem Kollektiv von 64 gesunden Probandinnen und Probanden validiert, um die gesunden Normwerte der Spinalganglien zu bestimmen.

Ausblick

Die Untersuchung der Spinalganglien mittels MR-Gangliographie ermöglicht es, Einblicke in den Zustand und Funktionsweise des Nervensystems im lebenden Menschen zu erhalten. Eine verbesserte Volumenberechnung erlaubt, bereits frühzeitig Veränderungen der Spinalganglien zu entdecken. Somit kann das Verfahren einerseits eine zunehmend wichtige Rolle bei der Erforschung von schmerzhaften Zuständen spielen, andererseits aber auch zur Diagnostik und Therapieplanung bei der Versorgung von Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten herangezogen werden.

Weitere Informationen

Die MRT-Bildgebung von Nerven ist Teil des Z-Projekts.

Juli 2022

Reinhold AK, Salvador E, Förster CY, Birklein F, Rittner HL.

Microvascular Barrier Protection by microRNA-183 via FoxO1 Repression: A Pathway Disturbed in Neuropathy and Complex Regional Pain Syndrom

The Journal of Pain, Vol 23, No 6 (June), 2022: pp 967−980. Epub 2021 Dec 31.

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Begründung

In diesem Paper wird zum ersten Mal der Zusammenhang von Biomarkern und Störungen in der Blut-Nerven-Schranke bei Patientinnen und Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) belegt. Im Serum ließen sich Faktoren identifizieren, die zu einer Öffnung der Blut-Nerven-Schranke führen. Mit der Barrierestörung geht ein Signalweg einher, der über die microRNA-183 (mRNA-183) und das Transkriptionsprotein FoxO1 läuft und schließlich zu einer Herunterregulation des Membranproteins Claudin-5 (CLDN5) führt. Claudine sind wichtige Bestandteile der Tight Junction-Stränge, den physikalischen Zellbarrieren, die verhindern, dass Wasser und gelöste Substanzen ungehindert im Interzellularraum passieren.

Ausblick

Dieser Signalweg könnte schmerzfördernde Barrierestörungen bei CRPS und neuropathischen Schmerzen erklären. Anhand der Forschung soll der Frage nachgegangen werden, wie man einerseits die Produktion von mRNA-Mimics anregen und andererseits das Transkriptionsprotein FoxO1 hemmen kann. Damit ließe sich Claudin 5 stabilisieren und so die schmerzauflösende Wirkung beschleunigen.

Weitere Informationen

Barrierestörungen und deren Regulation im Rahmen der Schmerzrückbildung werden in Projekt 7 Netrin und Nervenbarriere weiter untersucht.

Kontakt

Portraitfoto: Univ.-Prof. Dr. med. Heike Rittner

Univ.-Prof. Dr. med.
Heike Rittner

Wissenschaftliche Leitung

+49 931 201-30251

Portraitfoto: Prof. Dr. med. Claudia Sommer

Univ.-Prof. Dr. med.
Claudia Sommer

Sprecherin der Forschergruppe

+49 931 201-23763

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