
Dystonie im Mausmodell: Wenn Wiederholung krank macht
Professionelle Musikerinnen und Musiker, die jahrelang feinmotorische Bewegungen wiederholen, können an einer fokalen Dystonie erkranken – eine neurologische Bewegungsstörung, die zu anhaltenden, unwillkürlichen Verkrampfungen und Fehlhaltungen führt. Auch Patientinnen und Patienten mit einer genetischen Mutation im TOR1A Gen können eine Dystonie entwickeln – oder ihr Leben lang asymptomatisch bleiben. Wie Umweltfaktoren und Genetik in die Entwicklung der Dystonie eingreifen, erforscht Dr. Lisa Harder, Neurowissenschaftlerin und Projektleiterin im DFG-Sonderforschungsbereich ReTune am Uniklinikum Würzburg (Projekt A07: Untersuchung der kortikal-striatalen Plastizität und ihrer Auswirkung auf die Entwicklung des Phänotyps bei Dystonie). Ihr Team nutzt ein genetisch prädisponiertes Mausmodell, das durch repetitive Bewegungsabläufe dystone Symptome entwickelt. Damit lässt sich erstmals systematisch untersuchen, wie Umweltfaktoren und genetische Anlagen zusammenspielen.
Ein besonderer Fokus liegt auf einer neuen Technik: der sogenannten temporalen Interferenzstimulation (TIS), welche zusammen mit Dr. Maximilian Wessel im Mausmodell etabliert werden soll. Dabei werden zwei schwache elektrische Felder über die Schädeloberfläche appliziert, um tiefer liegende Hirnareale wie das Striatum zu stimulieren – ohne operativen Eingriff. „Wir wollen wissen, ob sich die dystonen Symptome bei Mäusen dadurch lindern lassen. Und was sich dabei im Gehirn verändert“, sagt Harder. Verhalten und neuronale Aktivität werden dabei gleichzeitig gemessen.
Bewegung im Blick: Neuropixels-Sonden liefern neue Einsichten
Auch das Projekt A04 (Modulation von projektionsspezifischer neuronaler Populationsdynamiken bei Bewegungsinitiierung) an der Charité in Berlin verfolgt einen neuartigen Ansatz. Neurowissenschaftler und ReTune-Projektleiter Dr. Yangfan Peng analysiert in einem Mausmodell, wie das Gehirn Bewegungen vorbereitet und ausführt sowie, was bei Erkrankungen wie Parkinson aus dem Gleichgewicht gerät. Zum Einsatz kommen sogenannte Neuropixels-Sonden: hauchdünne Elektroden mit bis zu 1.000 Messpunkten. Sie ermöglichen es, die Aktivität hunderter einzelner Neuronen gleichzeitig aus mehreren Hirnregionen aufzuzeichnen.
„Wir können beobachten, wie sich die neuronale Aktivität im Motorcortex, Thalamus und Striatum bei einer gezielten Bewegung verändert – und was passiert, wenn wir zusätzlich eine tiefe Hirnstimulation einsetzen“, erklärt Peng. Das Ziel: Ein umfassenderes Bild der Netzwerkdynamik bei Bewegungsstörungen. Die Kombination von tiefer Hirnstimulation mit paralleler Multi-Regionen-Messung in einem Parkinson-Tiermodell ist technisch anspruchsvoll und innovativ.
Grundlagenarbeit mit Weitblick
Der Sonderforschungsbereich TRR 295 „ReTune – Behandlung motorischer Netzwerkstörungen mittels Neuromodulation“ ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Ziel ist es, gestörte motorische Netzwerke bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Dystonie, Tremor oder Gangstörungen besser zu verstehen und gezielt therapeutisch zu beeinflussen.
Die beiden neuen Projekte sind Teil der Forschungssektion Area A im SFB ReTune: Hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, die molekularen und zellulären Grundlagen gestörter Bewegungen zu entschlüsseln. Ihre Erkenntnisse fließen direkt in die Weiterentwicklung von Bildgebung, Modellierung und klinischen Interventionen ein.
„Wir wollen netzwerkspezifische aber minimal-invasive Neuromodulationsverfahren für die klinische Praxis entwickeln, um in der Behandlung komplexer neurologischer Bewegungsstörungen neue Standards zu setzen“, sagt Prof. Andrea Kühn, Sprecherin des TRR 295 ReTune und Direktorin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Dazu braucht es Forschung, die von der Zelle bis zum Verhalten reicht.
Neuer Podcast „ReTuneIn“ gibt Einblicke hinter die Kulissen
Zum Start der zweiten DFG-Förderperiode ist auch der neue, englischsprachige Wissenschafts-Podcast ReTuneIn erschienen. In der ersten Folge sprechen Lisa Harder und Yangfan Peng über ihre Forschung, die täglichen Herausforderungen im Labor und darüber, wie wissenschaftliche Neugier zum Antrieb wird. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen abrufbar: Spotify, Apple Podcasts, Deezer und Amazon Podcast.
Der Sonderforschungsbereich TRR 295 „ReTune – Behandlung motorischer Netzwerkstörungen mittels Neuromodulation“ ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Ziel ist es, gestörte motorische Netzwerke bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Dystonie, Tremor oder Gangstörungen besser zu verstehen und gezielt therapeutisch zu beeinflussen.
ReTune vereint Expertinnen und Experten aus Klinik, Neurowissenschaften, Ingenieurwesen, Mathematik und Informatik. Beteiligt sind unter anderem die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Julius-Maximilians-Universität Würzburg, das Universitätsklinikum Würzburg, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie die Hebrew University of Jerusalem.
Im Fokus stehen innovative Neuromodulationsverfahren – sowohl invasiv als auch nicht-invasiv –, die gezielt auf spezifische Netzwerkstörungen abgestimmt und bedarfsgerecht aktiviert werden sollen. Der SFB befindet sich seit 2025 in seiner zweiten Förderphase. www.sfb-retune.de
