Prof. Dr. med. Stefanie Hahner

Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie

Ich bin 1974 in Kassel geboren, habe in Würzburg Humanmedizin studiert und in der Endokrinologie promoviert, die ich heute stellvertretend leite. Außerdem kümmere ich mich als Prodekanin der Medizinischen Fakultät um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich bin Mitglied der Ethikkommission, der Studienkommission, der Gleichstellungskommission sowie der Kommission für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Mit meinem Mann und unseren beiden Kindern lebe ich in Würzburg.

Was ich als Kind werden wollte

Ich habe damals zwischen Biologielehrerin und Ärztin geschwankt. Da ich aus einer Lehrerfamilie stamme, lag das Lehramt nahe, aber die Medizin schien mir interessanter zu sein, und schließlich bin ich dann Ärztin und Hochschullehrerin geworden. Ich habe meine Entscheidung jedenfalls nie bereut. Schon das Medizinstudium in Würzburg war extrem spannend.

Wie ich zur Endokrinologie kam

Die Endokrinologie fand ich schon früh interessant. In der Vorklinik, also zu Beginn meines Studiums, hat der damalige Leiter der Endokrinologie, Professor Bruno Allolio, eine beeindruckende Vorlesung gehalten, die mich absolut begeistert hat. Später habe ich mich für eine Doktorarbeit beworben, die in der Endokrinologie ausgeschrieben war, und so bin ich dort quasi aufgewachsen. 

Das Spannende an der Endokrinologie

Da jedes Organ durch Hormone mitgesteuert wird, betrifft die Endokrinologie, also die Lehre von den Hormonen, den gesamten Körper, seine Funktionsfähigkeit und die Psyche. Die Arbeit in der Endokrinologie hat etwas Systemisches und Kriminologisches. Man begibt sich auf Spurensuche, erforscht Dinge, die eigentlich unsichtbar sind. Es ist schon spannend, dass so winzige Moleküle eine so immense Wirkung auf das komplexe Zusammenspiel im gesamten Körper haben.

Was Forschung für mich bedeutet 

Forschung ist für mich ein Teil ärztlichen Handelns, wir wollen Diagnostik und Therapie für unsere Patientinnen und Patienten verbessern. Wenn man an diesem Entwicklungsprozess teilhaben darf und eigene Ergebnisse zur Verbesserung beitragen, ist das besonders schön. Forschung ist für mich Spannung, Freude und Privileg zugleich. Forschung kann aber auch ein gutes Training in Frustrationstoleranz sein. 

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Ich habe meine Kinder erst spät mit über Vierzig bekommen und war bereits berufene Professorin. Wer zusätzlich zur Facharztweiterbildung wissenschaftlich tätig sein möchte, sich habilitieren und an der Uni bleiben will, muss vollen Einsatz zeigen. Hätte ich während meiner Facharztausbildung Kinder bekommen, wäre ich wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Heute sind die Bedingungen in der Klinik zwar etwas besser, aber noch lange nicht gut. 
Und: Tagsüber kümmert sich mein Mann um die Kinder, während ich in der Klinik bin. Als unsere Tochter ein halbes Jahr alt war, hat er seinen Job als Wirtschaftsingenieur zugunsten der Familie erst einmal hintenangestellt. 

 

Der beste Zeitpunkt für Kinder? 

Heute denke ich, dass es zumindest keinen falschen Zeitpunkt für Kinder gibt. Jedes Kind ist eine persönliche Bereicherung, kräftezehrend und inspirierend. Eine späte Schwangerschaft ist rein medizinisch betrachtet zumindest Risiko-behafteter, und ich sehe mich mit meiner späten Mutterschaft nicht als Vorbild. 

Aus Gesprächen mit Nachwuchswissenschaftlerinnen weiß ich, dass das Thema Familiengründung mitunter Druck ausübt und Zweifel aufkommen lässt, ob die Energieressourcen ausreichen, Familie, Klinik, Forschung und Lehre auf hohem Niveau parallel zu bewältigen. Manche beschäftigen sich mit dem Thema Social Freezing, um selbstbestimmter entscheiden zu können. Andere wissenschaftsaffine Frauen, die ich kenne, haben sich dafür entschieden, die Wissenschaft zugunsten der Familie aufzugeben. Ich würde Frauen gerne ermutigen, alles zu wagen, sofern sie es sich wünschen.

Appell an die Männer 

Ein pauschaler Appell ist wohl schwierig. Wer Chancengleichheit leben möchte, und das wäre meine Erwartung an alle, muss das einfach aktiv tun, zuhören, sich ins Gegenüber hineinversetzen und sich immer wieder reflektieren, als Partner, als Kollege oder als Führungskraft. 

Empfehlung an den wissenschaftlichen Nachwuchs

Meine Erfahrung ist, dass viele Dinge in positivem Sinne auf einen zu kommen, wenn man das tut was man gerne tut und wofür man sich begeistert. Ansonsten braucht man wie überall eine gewisse Portion Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, die Dinge auch mal „sportlich“ zu nehmen. Seit ich Kinder habe, denke ich öfters an den Spruch „gut ist besser als perfekt“. Und: Vernetzt euch, es tut immer gut, Menschen kennenzulernen, die die eigenen Interessen, zum Beispiel die Begeisterung an der Forschung teilen. 

Meine Arbeit als Betreuerin und Mentorin – Empowerment 

Ich habe Mentorenschaft als etwas sehr Wertvolles erfahren. Bislang habe ich gut 20 abgeschlossene medizinische Doktorarbeiten primärbetreut, fünf der betreuten Doktoranden haben bei uns eine akademische Laufbahn als wissenschaftlich tätige Ärztinnen/Ärzte, Clinician Scientists, eingeschlagen, eine davon wurde kürzlich zur W1-Professorin ernannt. Das freut mich natürlich besonders. Darüber hinaus bin ich mit vielen Clinician Scientists und anderen Wissenschaftlerinnen im Rahmen verschiedener Förderprogramme im Austausch. 
Meine überwiegend weiblichen Mentees ermutige ich einzufordern, sich zu involvieren und eigene unterstützende Netzwerke zu schaffen. Manche sind wahnsinnig fleißig und gut, werden aber mitunter nicht so eingebunden wie sie es sein sollten. Bestärkung hilft und bringt eine gewisse Selbstwirksamkeit mit sich. 

Das Nachwuchsproblem 

Der Alltag für forschende Medizinerinnen und Mediziner ist „kurzweilig“ – das bedeutet Vielseitigkeit, aber auch Zerreißproben, die der Spagat zwischen Klinik, Lehre, Forschung und sonstigem mit sich bringt. Viele schreckt ab, dass Forschung weitgehend in der bereits durch klinische Überstunden reduzierten Freizeit erfolgt. Forschung braucht aber Zeit und auch Muße. Es bedarf attraktiver Perspektiven für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und Vorbilder, die dem Nachwuchs frühzeitig vermitteln, wie bereichernd und vielseitig der Beruf des Clinician Scientists ist. Somit sind auch die Vorbilder etwas Schützenswertes. Ich hoffe, dass die in den letzten Jahren bei uns etablierten Förderprogramme bereits eine Erleichterung darstellen. Entscheidend ist aber auch die Begeisterung für die Tätigkeit, und die kommt von innen. Man kann sie ein Stück weit einpflanzen oder herauslocken und man muss ihr Raum geben. Bedenklich finde ich, dass der Frauenanteil bei Habilitierten und Professuren hartnäckig niedrig bleibt, obwohl schon seit vielen Jahren deutlich mehr Frauen als Männer Medizin studieren. Ganz offensichtlich müssen wir weiter an einer Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten. 

Umfeld mit flachen Hierarchien und einer guten Kommunikationskultur 

Ich bin in der Würzburger Endokrinologie quasi groß geworden und höre immer wieder von Kollegen anderer Zentren, dass wir in Würzburg auf der Insel der Glücklichen leben. Tatsächlich sind wir ein tolles Team und haben ein gutes Arbeitsklima. Das liegt vermutlich auch an den flachen Hierarchien, und manchmal muss man einfach mal plaudern können. Schon zu meinen Anfangszeiten in der Klinik noch im alten Gebäude haben Assistenten und Schwerpunktleiter sich nachmittags oft im Vorraum des Büros getroffen und über dies und das, Privates und Berufliches, interessante Patientinnen und Patienten und mehr oder weniger verrückte wissenschaftliche Ideen ausgetauscht. So etwas ist unglaublich stimulierend.
 

Meine Forschungshighlights…

... in der direkten Patientenversorgung: Vor einigen Jahren habe ich gemeinsam mit Doktorandinnen einfache Befragungen und Verlaufsbeobachtungen durchgeführt an Patientinnen und Patienten, die an einer Unterfunktion der Nebennieren, also einer Hormonmangelerkrankung leiden. Damals hieß es, dass sie mit einer Hormonersatztherapie keine Einschränkungen in ihrer Lebensqualität und Leistungsfähigkeit hätten. Die Beobachtung im klinischen Alltag deutete aber anderes an. Unsere Untersuchungen zeigten, dass bei vielen die Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit im Vergleich zur gleichaltrigen Allgemeinbevölkerung deutlich eingeschränkt waren und die Gefahr lebensbedrohlicher Nebennierenkrisen relativ hoch ist. Wir haben viele positive Rückmeldungen von den Patienten erhalten, die sich dafür bedankt haben, dass wir uns dieses Themas annehmen.  Die publizierten Ergebnisse  haben aber auch zu einer breiteren Diskussion und Reflexion der bisherigen Therapiekonzepte mit beigetragen. Mittlerweile gibt es verbesserte Medikamente und auch das Notfallmanagement wurde, auch durch unsere Beiträge, für diese Patienten verbessert.

…in der Nebennierenbildgebung: Wir haben gemeinsam mit der Nuklearmedizin verschiedene Radiotracer für die molekulare Bildgebung und auch die Therapie von Nebennierentumoren entwickelt, die unsere Diagnostik und Therapie zwar nicht revolutioniert haben, aber von denen einige Patientinnen und Patienten bereits profitiert haben. Das war ein absolutes Highlight als wir 2006 die erste Patientin mit unserem selbst entwickelten Tracer untersucht haben. Und dann wurde immer weiter optimiert im translationalen Stil– von der Laborbank zum Patientenbett und zurück. Letztes Jahr hatten wir den dritten von uns entwickelten Radiotracer erstmalig im Patienteneinsatz und ich hoffe, der vierte zu einer neuen Fragestellung kommt in diesem Jahr noch hinzu.

…bei einem weiteren Thema, das letztendlich wieder zur Nebennierenbildgebung führt, geht es um Chemokinrezeptoren. Vor etwa 20 Jahren bin ich beim Durchblättern einer Abstract-Sammlung des US-Krebskongresses auf das Thema Chemokine und Chemokinrezeptoren gestoßen sowie die Frage, warum bestimmte Tumore eher in die Lunge, Leber, Knochen oder ins Gehirn metastasieren. Eine Hypothese war, dass sie mit bestimmten Rezeptoren ausgestattet sind und in den Zielgeweben die passenden Liganden sind. Dann habe ich mir das mal bei Nebennierentumoren angeschaut. Tatsächlich war CXCR4 im Nebennierenkarzinom hoch exprimiert und in der normalen Nebenniere war der Chemokinrezeptor auch vorhanden, dort bemerkenswerterweise vor allem in der Aldosteron-produzierenden Schicht nachweisbar. Jahre später entstand die Idee, dass sich dies bildgebend bei der Diagnostik des primären Hyperaldosteronismus nutzen lässt, anstelle der invasiven Blutentnahme aus beiden Nebennierenvenen. Das Thema wurde von anderen Arbeitsgruppen aufgegriffen: Gerade läuft eine große Studie in den Niederlanden und es gibt mehrere Publikationen aus anderen Ländern zum CXCR4-Imaging beim Hyperaldosteronismus. Natürlich hätte ich selbst gern eine Studie dazu gemacht. Das ist vielleicht ein Beispiel dafür, dass man hin und wieder auch mal loslassen muss, wenn anderes ins Leben dazu kommt, wie in meinem Fall die Kinder oder auch das Prodekanat, und ich freue mich darüber, dass andere dieses Thema aufgegriffen haben und die Translation für die Patienten voranbringen.