Nicht nur für den Notfall da

Was passiert in einer Universitätsklinik? Zunächst denken wir an die Diagnose von Krankheiten und Heilung von Patienten. Aber natürlich gibt es noch mehr zu tun: ein Blick hinter die Kulissen der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie.

Einer großen Libelle gleich, nähert sich der Rettungshubschrauber in einer langgezogenen Kurve dem Landeplatz auf dem Dach der Universitätsklinik in Würzburg. Bereits aus großer Entfernung ist das pulsierende Geräusch seiner Rotoren zu vernehmen. An Bord befindet sich ein verunglückter Mensch, seine Verletzungen sind schwerwiegend. Der Notarzt und das Rettungsteam haben bereits mit der Narkose begonnen, der Patient ist künstlich beatmet. Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal machen sich bereit, um die verletzte Person im Schockraum zu versorgen.

„Fast 1000 Mal im letzten Jahr trafen verunglückte oder schwer erkrankte Menschen mit dem Hubschrauber bei uns ein“, erläutert Professor Dr. Rainer Meffert, der am UKW die Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie leitet. „Rund 800 von ihnen müssen wir nach ihrer Ankunft im Schockraum behandeln, wo die Erstversorgung Schwerstverletzter stattfindet“, fährt er fort und berichtet anschließend über die Entwicklung der vergangenen Jahre: „Der Wandel in der medizinischen Versorgungsstruktur in unserer Region hat dazu geführt, dass das Uniklinikum in Würzburg bei Notfällen und bei der Versorgung von Schwerstverletzten eine hervorgehobene Rolle einnimmt. Das bindet eine große Zahl unserer Kolleginnen und Kollegen und erfordert zusätzlich zu unseren weiteren Aufgaben enorme organisatorische und logistische Anpassungsprozesse.“

Denn die „Chirurgie II“, wie die Klinik kurz genannt wird, kümmert sich nicht nur um Notfälle. Zu ihren Aufgaben gehört die grundlegende Versorgung von Verletzungen des Bewegungs- und Stützapparates, der Hand und der Weichteile. Pro Jahr werden hier rund 3000 stationäre Operationen durchgeführt. Das umfasst die Behandlung kleinerer Blessuren ebenso wie höchst komplexe Eingriffe, zum Beispiel die Replantation abgetrennter Körperteile oder die Versorgung von Becken- und Wirbelsäulenverletzungen. Dazu kommen wissenschaftliche Forschung, die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses sowie 34 000 notfallmäßige und geplante Behandlungen in der Poliklinik, die in ihren Spezialsprechstunden alle angebotenen Fachgebiete abdeckt.

„Fast 1000 Mal im letzten Jahr trafen verunglückte oder schwer erkrankte Menschen mit dem Hubschrauber bei uns ein.“

Professoren (v. li.): Thorsten Bley, Thomas Wurmb, Norbert Roewer und Rainer Meffert.

Seit 2018 hat das UKW einen neuen Schockraum: Sein „doppeltes“ Konzept ist zukunftsweisend.

Gemeinsam zur besten Versorgung

Um den Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung anbieten zu können, arbeitet die Chirurgie II eng mit weiteren Fachbereichen zusammen. Gemeinsam mit der Anästhesiologie, der Allgemein-, Viszeral-, Gefäß-, Transplantations- und Kinderchirurgie und der Radiologie am UKW sowie 16 Kliniken aus der Region wurde im Jahr 2008 ein Traumanetzwerk geschaffen. Voraussetzung für die Teilnahme sind besonders hohe Qualitätsstandards sowie bestimmte technische Ausstattungsmerkmale.

Hier kann die Uniklinik auf modernste Geräte zurückgreifen: Im neu ausgestatteten Schockraum arbeitet ein voll beweglicher Computertomograf. Auf Schienen kann er dort innerhalb kürzester Zeit zu den Patientinnen und Patienten bewegt werden.

Verschraubung der Halswirbelsäule bei instabiler Fraktur (Knochenbruch) unter Nutzung einer hoch präzisen Navigation.

Komplexe Beckenringverletzung mit Zerstörung des Hüftgelenkes. Operative Stabilisierung des Beckenring durch Platten und Schrauben mit primärem Gelenkersatz durch Hüftprothese.

Prof. Meffert: „Seit der Einweihung des ZOM waren wir nicht einen einzigen Tag von der Notfallversorgung abgemeldet.“

Dabei schwebt das Gerät berührungsfrei über den Körpern der Verletzten, diese müssen für eine Ganzkörperaufnahme nicht bewegt werden.

Neben diesen großen Apparaten, die den Patientinnen und Patienten sofort ins Auge fallen, setzt die Chirurgie II auch in weniger sichtbaren Bereichen auf hochmoderne Technik, zum Beispiel bei der Ablösung bisher papiergestützter Verfahren mittels digitaler Eingabegeräte. Methoden der künstlichen Intelligenz kommen heutzutage ebenfalls zum Einsatz, vor allem zur automatisierten Auswertung großer Datenmengen, der Erkennung von Krankheitsmustern und dem Abgleich von Symptomen.

Auch scheinbar routinemäßige Abläufe innerhalb der Klinik werden nach den neuesten Erkenntnissen von Forschung und Entwicklung gestaltet. „Viele unserer Patientinnen und Patienten weisen großflächige Wunden auf, die krankmachenden Erregern als mögliche Einfallstore in den menschlichen Körper dienen können“, erläutert Rainer Meffert. „Es werden alle Maßnahmen ergriffen, um multiresistente Keime zu vermeiden; Infektionsvorsorge und -behandlung sowie Hygiene sind daher für uns von zentraler Bedeutung. Transparente Verfahren und stetige Weiterentwicklung unserer Arbeitsabläufe und Therapieformen nach modernsten Standards garantieren sowohl unseren Patientinnen und Patienten als auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größtmögliche Sicherheit auf diesem Gebiet.“

Neue Behandlungsmöglichkeiten dank Forschung und Entwicklung

Weitere zentrale Schwerpunkte der Chirurgie II liegen in der Grundlagenforschung und der Hinführung von Forschungsergebnissen an das Patientenbett.

So entwickelt die Abteilung für Unfallchirurgische Forschung Ansätze für neue Therapien in den Bereichen regenerative Medizin und „Tissue Engineering“. „Ziel ist es, lebendes Gewebe zu züchten, das anschließend ein geschädigtes Gewebe ersetzen kann“, erläutert Professor Torsten Blunk, der an der Chirurgie II die Abteilung für Unfallchirurgische Forschung leitet. „Wir untersuchen neue Biomaterialien, die zur Reparatur von Knorpelschäden eingesetzt werden können. Dazu bilden wir komplexe dreidimensionale Zellkulturen, die den Bedingungen im menschlichen Organismus besonders nahekommen.“ Dabei wird auch untersucht, inwieweit modernste Technologien, wie das Bioprinting, d. h. der 3-D-Druck von Biomaterialien und Zellen, hierbei helfen können.

Auch auf dem Gebiet der Knochenheilung forscht die Klinik erfolgreich: Im Labor werden Modelle von Knochenbrüchen biomechanisch analysiert. Dabei werden Implantate sowie neue Knochenersatzmaterialien verglichen und auf Stabilität getestet. Aus den Ergebnissen werden wichtige Rückschlüsse für zukünftige Operationstechniken und die optimale klinische Versorgung von Knochenbrüchen gezogen.

Moderne Behandlungsmethoden finden auch im Bereich der Plastischen und Wiederherstellungschirurgie Anwendung. Dort liegen die Schwerpunkte auf der Wiederherstellung des Weichgewebes, etwa im Anschluss an die Entfernungen von Tumoren der Extremitäten und Brust, bei Unfallfolgen oder chronischen Wunden. „Ziele neuartiger Behandlungsansätze, wie beispielsweise bei der sogenannten Perforatorchirurgie, sind neben der ästhetisch bestmöglichen Wiederherstellung auch eine möglichst unauffällige Entnahmestelle des Gewebes zu hinterlassen“, erläutert Professor Rafael Jakubietz, der an der Chirurgie II die Sektion Plastische und Ästhetische Chirurgie leitet. „Auch Straffungsoperationen nach Gewichtsverlust profitieren von den neuartigen Behandlungsformen.“

Notfallversorgung: Stets präsent

Welche wichtige Rolle die Chirurgie II für die Notfallversorgung spielt und wie sehr sich durchdachte Organisation, ausgefeilte logistische Prozesse und die große Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Patientenversorgung auszahlen, spiegelt sich nicht nur in der großen Zahl erfolgreich behandelter Patientinnen und Patienten wider: „Seit der Einweihung des ZOM waren wir nicht einen einzigen Tag von der Notfallversorgung abgemeldet“, resümiert Professor Meffert, und blickt über die Anlage der Uniklinik hinweg auf Würzburg. Und über den Dächern der Stadt nähert sich aus dem strahlend blauen Himmel erneut der Rettungshubschrauber.

Prof. Dr. Rainer Meffert

Tag der offenen Tür: 22. Juni

Am 22. Juni öffnen ZOM und ZIM von 9 bis 13 Uhr ihre Türen. Interessierte Besucherinnen und Besucher können sich an diesem Tage aus erster Hand über die Arbeit der beiden Häuser am Uniklinikum Würzburg informieren. Dazu finden Führungen durch die Gebäude statt, Behandlungsformen werden präsentiert, und die Expertinnen und Experten verschiedener Kliniken stehen für Informationen und Fragen rund um medizinische Themen zur Verfügung. Das neue Studio zur Rehabilitation und Physiotherapie wird genauso zugänglich sein wie der Rettungsbereich mit Schockraum. Auch zahlreiche Partnerinstitute und Kooperationspartner von ZIM und ZOM stellen sich mit Informationsangeboten der Öffentlichkeit vor.

Text: Jörg Fuchs, Fotos: Uniklinik