Schmerzen frühzeitig begegnen

Task Force gegen Schmerzen: Das Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZIS) entwickelt Konzepte für die Behandlung und Vorbeugung chronischer Schmerzen.

30 Jahre ist es her, dass Ludwig Stauder sich bei einem Arbeitsunfall den Fuß einquetschte. Knochen, Bänder und Weichgewebe wurden massiv verletzt, nach einer großen Operation lag er drei Monate im Krankenhaus. Ein paar Jahre nach der Genesung traten erneut Beschwerden auf: „Die Schmerzen zogen das ganze linke Bein hoch“, erinnert sich der heute 61-Jährige. Der behandelnde Arzt diagnostizierte Arthrose und verschrieb ihm Schmerztabletten, die er bei Bedarf einnahm. 28 Jahre schlug er sich damit durch. „Irgendwann hat mir dann ein Arzt geraten, mich in der Schmerzambulanz der Uniklinik vorzustellen.“ Hier hört Ludwig Stauder nach fast drei Jahrzehnten zum ersten Mal, dass er ein chronischer Schmerzpatient ist.

Ludwig Stauders Geschichte ist leider kein Einzelfall. 23 Millionen Deutsche leiden unter chronischen Schmerzen – also Schmerzen, die länger als drei Monate anhalten. Bei ihnen ist oft der Schmerz selbst zum Problem geworden. Vielen von ihnen geht es ähnlich wie Ludwig Stauder: Es dauert sehr lange, bis ihr Problem erkannt und angemessen behandelt wird.

Chili-Pflaster und Genussmomente statt Spritzen

In der Schmerzambulanz des ZIS am UKW klebt man ihm ein Pflaster mit einem Chili-Extrakt auf, das die Schmerzfasern an Ort und Stelle betäubt und die Schmerzen bereits deutlich lindert. Danach entscheidet er sich für eine sogenannte interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie in der Schmerztagesklinik des Zentrums. „Chronischer Schmerz hat nicht eine, sondern viele Ursachen“, sagt Prof. Dr. Heike Rittner, die die Tagesklinik leitet. „Deshalb muss auch die Behandlung an mehreren Stellen ansetzen.“

„Chronischer Schmerz hat nicht eine, sondern viele Ursachen.“

„Ich hatte erwartet, dass man mir ein paar Spritzen gibt“, so Ludwig Stauder. Statt dessen erklären und zeigen ihm Ärzte, Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten sowie Pflegekräfte, wie Schmerz entsteht und chronisch wird – und vor allem, was man dagegen tun kann. In Gruppen- und Einzelgesprächen, mit Sport- und Entspannungsangeboten, Medikamenten und Physiotherapie. „Ich habe zum Beispiel gelernt, bewusster zu sehen, zu riechen und zu schmecken und so Genussmomente zu schaffen, die mich von den Schmerzen ablenken“, so Stauder. Außerdem treibt er jetzt regelmäßig Sport. Seine Schmerzen hat er seit der vierwöchigen Therapie gut im Griff. Von den Tabletten, die er vorher fast schon gewohnheitsmäßig einnahm, ist er weg. Gerade hat er eine „Boosterwoche“ hinter sich, um das in der Therapie Gelernte aufzufrischen. In die Ambulanz kommt er weiterhin alle paar Monate, um sich ein neues Chili-Pflaster aufkleben zu lassen. Die Pflaster enthalten den Wirkstoff Capsaicin, der über die Aktivierung eines bestimmten Rezeptors die Schmerzen lindert. „Wie genau diese und andere Therapien im Gewebe wirken, erforschen wir in unserem Labor für Molekulare Schmerzforschung“, so Rittner.

Warum fallen Schmerzpatienten durchs Raster?

„Die Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen hat sich in den letzten Jahren, insbesondere in Bayern, bereits deutlich verbessert“, sagt Prof. Dr. Norbert Roewer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie. Trotzdem rutschen immer noch Patienten durchs Raster. „Je später man Schmerzen behandelt, desto schlechter sind die Behandlungsaussichten“, weiß PD Dr. Elmar-Marc Brede, Leiter der Schmerzambulanz und des Akutschmerzdienstes. Deshalb konzentriert sich das Würzburger Schmerzzentrum, eines der größten in Deutschland, auch immer mehr auf die klinische Forschung: „Wir wollen in einem gemeinsamen Projekt mit der Deutschen Schmerzgesellschaft (pain2020), gefördert vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses, herausfinden, wie man den Weg frühzeitig bahnen kann“, so Konrad Rammelt, der als Funktionsoberarzt die Studie leitet. Das interdisziplinäre multimodale Modell hat sich besonders bewährt und könnte in Zukunft auf den ambulanten Bereich ausgedehnt werden. Auch mit niedergelassenen Ärzten und Therapeuten wollen die Experten künftig noch intensiver zusammenarbeiten. Denn gerade der Übergang von der teilstationären in die ambulante Betreuung ist ein Knackpunkt.

„Für den langfristigen Therapieerfolg ist dann entscheidend, ob der Patient es schafft, das Erlernte im Alltag langfristig umzusetzen“, so Brede. Dass viele wieder in ihren „alten Trott“ zurückfallen, sei ein großes Problem. Bei Ludwig Stauder hat das bisher gut geklappt. Sein Erfolgsrezept: „Man muss sich auf die Behandlung einlassen, sonst hat es keinen Sinn.“

Das ZIS behandelt alle Arten von chronischen Schmerzen, zum Beispiel Muskelskelett-, Kopf- und Gesichtsschmerzen, Nervenschmerzen, Phantomschmerzen, Fibromyalgie, Schmerzmittelübergebrauch und Tumorschmerzen. Für Senioren wurde ein spezielles Programm etabliert. Besondere Expertise in Diagnostik, Therapie und angewandter Forschung besteht außerdem für das seltene komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS). Am Zentrum sind neben der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie auch die Neurologische und die Neurochirurgische Klinik und Poliklinik sowie die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie sowie die Strahlentherapie beteiligt.

Wenn Sie einen Termin vereinbaren möchten, wenden Sie sich am besten an die Schmerzambulanz:

Telefon: +49 931 201-3 02 00, schmerzambulanz@ukw.de

Informationen zur Anmeldung und Kontaktdaten der Schmerztagesklinik:

Damit akuter Schmerz nicht chronisch wird: Akutschmerzdienst am ZOM

Wer Anästhesie hört, denkt meist an Narkosemedizin. Die Ausschaltung von Bewusstsein und Schmerzempfinden ist mit 32 000 begleiteten Eingriffen pro Jahr zwar ein Schwerpunkt der von Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Roewer geleiteten Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am Uniklinikum Würzburg, aber nicht der einzige. So werden im Schwerpunkt Intensivmedizin vor allem Patienten betreut, bei denen nach einer ausgedehnten Operation oder schwerwiegenden Verletzung Organfunktionen unterstützt werden müssen. Die Abteilung für Notfall- und Katastrophenmedizin steht zusammen mit anderen Fachdisziplinen für Notfalleinsätze innerhalb und außerhalb des Klinikums zur Verfügung. Für die Behandlung akuter und chronischer Schmerzen wurde ein interdisziplinäres Schmerzzentrum eingerichtet. Ein weiterer Schwerpunkt der Klinik liegt in der Behandlung der Malignen Hyperthermie, einer seltenen aber lebensbedrohlichen Komplikation bei Narkosen, für die eine eigene Ambulanz zur Verfügung steht.

Dr. Christian Markus und Dr. Thomas Wobbe

Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter