Kunstlunge rettet Leben

Wenn die Lunge versagt, geht es um Leben und Tod. Die Anästhesie hält für solche Fälle ein Spezialverfahren vor, das notfalls auch mobil vor Ort eingesetzt werden kann.

Eine 51-jährige Patientin wird vom Notarzt ins Kreiskrankenhaus eingewiesen, weil sich ihr Zustand mit Fieber und Atemnot plötzlich rapide verschlechtert hat. Dort fällt die schnelle Atmung auf, im Röntgenbild sind beide Lungenflügel verschattet. Weil das Blut gefährlich wenig Sauerstoff enthält, muss die Frau künstlich beatmet werden. Weiterhin ist die Sauerstoffversorgung kritisch niedrig, und ihr Kreislauf versagt.

Die Ärzte erkennen, dass die Patientin unter einem akuten Lungenversagen leidet, englisch abgekürzt ARDS. Sie greifen zum Telefon und erreichen über die Hotline der Anästhesie am UKW das dortige ARDS-/ECMO-Team, das auf dieses gefährliche Krankheitsbild spezialisiert ist. „In besonders schweren Fällen hilft nur eine extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO“, sagt Professor Dr. Norbert Roewer, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie. Dieses High-Tech-Verfahren wird auch als künstliche Lunge bezeichnet.

Bei dem Telefonat mit den Kollegen kommen die Würzburger Ärzte zu dem Schluss, dass ein Transport im Rettungswagen oder Hubschrauber für die Frau zu gefährlich ist. Sie fliegen daher mit dem Hubschrauber voraus, um die Patientin vor Ort zu versorgen. Im Gepäck haben sie ein mobiles ECMO-Gerät. Ein Intensivtransportwagen, der die Patientin später nach Würzburg bringen soll, folgt ihnen auf dem Landweg.

Derweil wird die Patientin an die künstliche Lunge angeschlossen: Durch einen großen Venenkatheter wird Blut in die Maschine gepumpt, über eine Membran mit Sauerstoff versorgt und gleichzeitig vom Kohlendioxid befreit. Durch einen zweiten Katheter fließt das aufbereitete Blut zurück in den Körper der Patientin, die im Dämmerschlaf liegt und von der Behandlung nichts mitbekommt.

Nachdem die Blutwerte sich etwas normalisiert haben, ist die Verlegung nach Würzburg möglich. Im UKW angekommen, wird zunächst ein CT-Bild von der Lunge gemacht, anschließend kommt die Patientin auf die anästhesiologische Intensivstation. Eine lungenschonende Beatmung und eine Lagerung auf dem Bauch tragen dazu bei, dass sich die Lunge langsam wieder öffnet.

Die künstliche Lunge im Einsatz beim Patienten.

Computertomografie der Lunge (s.u.) bei einem Patienten mit sehr schwerem akuten Lungenversagen. Es sind nur noch sehr wenige belüftete, hell dargestellte Lungenanteile erhalten.

Grippeviren waren schuld

Inzwischen ist klar, dass eine Influenza-Infektion das Lungenversagen verursacht hat. Eine zusätzliche Bakterieninfektion wird mit Antibiotika behandelt. Alle Maßnahmen führen in Kombination dazu, dass die Lungen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Unterstützung durch die Kunstlunge wird über einige Tage hinweg reduziert, und schließlich kann auch die Beatmungsmaschine entfernt werden. Zunächst geht es zurück ins Heimatkrankenhaus, dann in eine Rehabilitationsklinik. Nach einigen Monaten ist die Patientin so fit, dass sie wieder arbeiten kann.

„Ein schweres akutes Lungenversagen ist ein lebensbedrohlicher Zustand“, sagt PD Dr. Markus Kredel, der die anästhesiologische Intensivstation mit der ARDS-/ECMO-Einheit leitet. 50 Prozent der Patienten überleben ihn nicht, die Behandlung in einem spezialisierten Zentrum verbessert die Prognose jedoch deutlich. Oft steckt eine Lungenentzündung dahinter, die dazu führt, dass sich Wasser und Entzündungszellen im Lungengewebe ansammeln. Aber auch Lungenquetschungen, Blutvergiftungen und schwere Schockzustände können dazu führen, dass größere Anteile der Lunge in sich zusammenfallen und das Organ den Gasaustausch nicht mehr bewerkstelligen kann. Manchmal reicht eine künstliche Beatmung aus, um die Lunge wieder zu öffnen. Ansonsten muss so schnell wie möglich eine ECMO-Behandlung eingeleitet werden. Das ECMO-Team der Würzburger Anästhesie ist deshalb rund um die Uhr einsatzbereit.

Etwa 40 Patienten werden so pro Jahr im Würzburger ARDS-/ECMO-Zentrum behandelt. Deutschlandweit bieten dieses hochspezialisierte Verfahren nur einzelne Kliniken mit einem mobilen Team an, dementsprechend groß ist das Einzugsgebiet: „Die Patienten kommen nicht nur aus Unterfranken, sondern auch aus Hessen, Thüringen und Baden-Württemberg zu uns“, so der Anästhesist. Außer bei akutem Lungenversagen kann die ECMO auch unterstützend bei Herzversagen eingesetzt werden.

Prof. Dr. Norbert Roewer

Das Leistungsspektrum der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie

Wer Anästhesie hört, denkt meist an Narkosemedizin. Die Ausschaltung von Bewusstsein und Schmerzempfinden ist mit 32 000 begleiteten Eingriffen pro Jahr zwar ein Schwerpunkt der von Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Roewer geleiteten Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie am Uniklinikum Würzburg, aber nicht der einzige. So werden im Schwerpunkt Intensivmedizin vor allem Patienten betreut, bei denen nach einer ausgedehnten Operation oder schwerwiegenden Verletzung Organfunktionen unterstützt werden müssen. Die Abteilung für Notfall- und Katastrophenmedizin steht zusammen mit anderen Fachdisziplinen für Notfalleinsätze innerhalb und außerhalb des Klinikums zur Verfügung. Für die Behandlung akuter und chronischer Schmerzen wurde ein interdisziplinäres Schmerzzentrum eingerichtet. Ein weiterer Schwerpunkt der Klinik liegt in der Behandlung der Malignen Hyperthermie, einer seltenen aber lebensbedrohlichen Komplikation bei Narkosen, für die eine eigene Ambulanz zur Verfügung steht.

Text: Martina Häring, Fotos: Daniel Peter, Uniklinik