Covid-19-positiv. Wie eine Diagnose alles veränderte

Die heimtückische Erkrankung wird von Coronaviren verursacht und verbirgt sich hinter einer langen Reihe von unklaren Symptomen. Dr. Gerhard Schwarzmann vom Uniklinikum erzählt, wie es ihm ergangen ist und was er von Coronaleugnern hält.

Jeden Tag erfahren wir in den Nachrichten den neuesten Stand über Neuinfektionen, Tote, Inzidenzwerte zum grassierenden Coronavirus. Das sind einfach Zahlen, die weit weg sind. „Mich wird es schon nicht erwischen“, mag man noch denken. Doch wenn man dann unvermittelt typische, aber auch etliche seinerzeit noch nicht bekannte Symptome bei sich vorfindet, ist alles plötzlich ganz anders. Wie bei Dr. Gerhard Schwarzmann aus dem Uniklinikum Würzburg. Der Leiter des Qualitätsmanagements, von Haus aus Anästhesist und Notfall-/Intensivmediziner, infizierte sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und erkrankte an Covid-19. Welche Symptome haben Sie zu Beginn der Erkrankung bemerkt? Es fing ganz einfach an Karfreitag im vorigen Jahr damit an, dass ich eine Brühe aufgesetzt habe und beim Abschmecken kaum eine Geschmacksempfindung hatte. Auch das Lieblings-Weizenbier schmeckte auf einmal total wässrig. Erst dachte ich, das liegt an der Abfüllung oder Lagerung, aber am nächsten Morgen habe ich die Luft als komplett steril empfunden und selbst unseren Hund nicht mehr gerochen. Da hatte ich dann schon größte Befürchtungen, auf was es hinauslaufen könnte. Schließlich hatte ich die Wochen davor eine ausgeprägte Entzündung der Bronchien. Als ich im Laufe des Vormittags immer matter und schlapper wurde, Schüttelfrost, Fieber und Gliederschmerzen dazukamen, ließ ich noch am selben Tag einen Abstrich machen. Ergebnis: positiver Coronabefund, danach das gleiche auch für meine Frau und für eines unserer vier Kinder. Wie verlief die Krankheit bei Ihnen? Zunächst wurden die Symptome schlimmer: Die Feinmotorik war verschwunden, zeitweise konnte ich Gebrauchsgegenstände nicht mehr richtig gut halten, dann kam es zu Atemaussetzern bei eh schon niedriger Blutsauerstoffsättigung. Als die dann immer wieder unter 90 Prozent lag, begab ich mich dann doch in die Uniklinik, obwohl ich das zunächst vermeiden und anderen keinen Bettenplatz wegnehmen wollte. Etliche weitere Symptome hat man damals nicht gleich mit Covid-19 in Verbindung gebracht. Ich hatte teilweise das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, zu neu war die Krankheit und zu gering die weltweite medizinische Erfahrung. Jetzt ordnet man die Symptomatik wie im meinem Falle der Diagnose „Neuro-Covid“ zu. Als Mediziner haben mich die Befunde einerseits ziemlich beeinträchtigt und beunruhigt, andererseits fand ich sie irgendwie auch spannend. Da kam es z. B. über Tage zu Sehbeeinträchtigungen, dann wiederum stundenweise dazu, dass ich ohne Brille besser als mit sah. Auch plagte mich sehr ein starkes Brummen als Ohrgeräusch: Ich vernahm die ganze Zeit ein Kehrfahrzeug auf der Straße vor unserer Wohnung, das aber in Wirklichkeit gar nicht da war. Ein paar Tage nach der Klinikentlassung bekam ich heftigste Kopfschmerzen, die mich für zwei Tage komplett handlungsunfähig machten. Das ist jetzt länger als ein dreiviertel Jahr her. Sind Sie wieder ganz gesund? Meine Arbeit habe ich Anfang Juni wieder aufgenommen, aber vollständig genesen bin ich noch nicht. Was waren die schlimmsten Erfahrungen? So ziemlich das Brutalste waren die neurologischen Ausfälle: Ganz am Anfang bekam ich nur Dreiwortsätze heraus, erst nach einer Woche konnte ich wieder normal reden. Die Rechtschreibung war weg, Wortfindungsstörungen haben sich eingeschlichen. Ich musste gelegentlich Telefongespräche abbrechen, weil ich einfach den Gedanken komplett verloren hatte. Größere Vorträge möchte ich zurzeit auch noch nicht halten, da mich das längere Konzentrieren deutlich mehr Kraft kostet als vor der Covid-Erkrankung. Auch passiert es gelegentlich, dass alles, was ich sagen will, plötzlich für einen kurzen Moment einfach weg ist und genau so plötzlich wieder da ist. Es passiert immer wieder, dass ich zu Hause in ein Zimmer gehe und bis dorthin vergessen habe, was ich da machen wollte. Man kommt sich vor wie dement, man merkt, dass man aus der Spur läuft. Selbst „Stadt-Land-Fluss“-Spielen mit meinen Kindern war anfangs nicht mehr möglich, da die Assoziation zum Buchstaben nicht mehr funktioniert hat.

Dr. Gerhard Schwarzmann

„Dieses Corona ist ein ganz hinterlistiges Virus. Man weiß nicht, wie und wo im Körper es einen erwischt.“

Unter welchen Spätfolgen leiden Sie noch heute? Der Geruchs- und Geschmacksverlust ist geblieben: Meine Lieblingsgewürze Rosmarin, Thymian, Knoblauch, Oregano und auch Zitrone kann ich nur gelegentlich erkennen. Brandgeruch: Fehlanzeige. Die Wahrnehmung verändert sich, aber man riecht nichts mehr hervor, auch beim Genuss von Wein. Sobald ich ein wenig bergauf gehe oder wenige Treppen steige, empfinde ich Kurzatmigkeit und mein Puls steigt über 140 Schläge pro Minute. Und die zeitliche Einordnung fällt mir schwer: Besprechungen oder ein 4-tägiger Urlaub: Ich muss im Kalender nachschauen, wann das war, vorige Woche oder doch vor zwei Wochen? Für die ersten Monate habe ich überhaupt kein Zeitempfinden. Wie haben die Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung auf Ihre Krankheit reagiert? Wirklich toll: Unsere Nachbarn haben geholfen und uns Einkäufe vor die Tür gestellt. Auch haben sich die Schulfreunde und Schulfreundinnen unserer Kinder rührend gekümmert. Direkten Kontakt gab es natürlich nicht. Das war schon auch für die Vier eine harte Zeit, immerhin vier Wochen Quarantäne für uns alle sechs. Es gibt ja immer noch Coronaleugner. Was sagen Sie denen? Da geht mein Verständnis nicht nur gegen null, sondern gegen minus tausend! Das macht mich wütend und traurig zugleich. Auch die Einstellung, sich nicht impfen lassen zu wollen, macht mich fassungslos. Und wenn ich so etwas erlebe wie in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause, als sich eine Mutter und ihr Kind neben mich setzten und den Mundschutz heruntergezogen ließen mit der Bemerkung, das mit Corona sei alles nur gelogen. Da konnte ich mich verbal nicht mehr zurückhalten. Wie skrupellos, unsozial und unsolidarisch sind solche Leute? Ebenso habe ich überhaupt kein Verständnis für Demonstrationsaufrufe gegen die Coronamaßnahmen. Die Leute wissen einfach nicht, was man bei Covid-19 so alles durchmacht, als selbst Betroffener, aber auch als Angehöriger oder Mitbewohner. Noch schlimmer, sie wollen es gar nicht wissen und hören. Haben Sie eine Botschaft für Gesunde? Dieses Corona ist ein ganz hinterlistiges Virus. Man weiß nicht, wie und wo im Körper es einen erwischt. Es kann alle Organsysteme angreifen, Lungenveränderungen hervorrufen, Schlaganfallsymptome machen. Es werden praktisch alle Sinne gestört: Hören, Sehen, Schmecken, Riechen. Leute, seid solidarisch, haltet die AHA-Regeln unbedingt ein und lasst euch impfen! Ich wünsche dieses Virus keinem, nicht einmal meinem größten Feind!

Text: Dr. Bernhard Rauh, Anke Faust, Fotos: Getty Images, Monika Baumgartl-Schlotter

Covid-19: Zahlen & Fakten

Die Erkrankung Covid-19 hat viele unterschiedliche Verläufe. Die Bandbreite reicht von kompletter Symptomlosigkeit, d. h. man bemerkt die Erkrankung gar nicht, bis hin zum schweren Verlauf mit Todesfolge. Die Wissenschaft arbeitet daher mit Hochdruck an der Erforschung des kompletten Bildes sowie möglicher Therapien. Was man bisher weiß in Zahlen: milder Verlauf: 81 % der Covid-19-Erkrankten schwer: 14 % lebensbedrohlich: 5 % Long oder Post Covid: Die Datenlage ist noch nicht gesichert. Unterschiedliche Studien zeigen Zahlen zwischen 20 und 70 %, Experten gehen zurzeit von rund 20 bis 40 % aus.

Quellen u.a.: RKI/Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 9.2.2021