Ignoranz gefährdet Frauen­­her­zen

Frauen werden anders krank und reagieren anders auf Medikamente. Trotzdem waren sie bislang in klinischen Studien traditionell in der Unterzahl. Warum sich das jetzt dringend ändern muss.

Die Herzspezialistin Professorin Christiane Angermann forscht seit mehr als zwanzig Jahren zum Thema Entstehung, Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz und ihrer Komplikationen.

Frauen sind keine Männer. Was hier so wenig neu klingt, war von der medizinischen Forschung noch bis ins 21. Jahrhundert regelrecht ignoriert worden. Man übertrug Behandlungsempfehlungen aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse, die überwiegend bei Männern gewonnen worden waren, ohne weiteres auf Frauen. Auch wenn manche Arzneien bei Frauen stärker, schwächer oder anders wirkten. Die Hälfte der Menschheit war in diesen Studien nicht ausreichend abgebildet.

Doch wie kam es zu diesem Ungleichgewicht? Ein Unterschied zwischen Frau und Mann sind die hormonellen Schwankungen im Monatszyklus und Schwangerschaften. Das macht Studien-Designs komplizierter und wirft nicht nur ethische Fragen auf, ob oder wann Föten durch Medikamenten-Studien geschädigt werden könnten. Darüber hinaus sind manche Krankheiten, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei Frauen seltener als bei Männern, während andere, z. B. Autoimmunerkrankungen oder Depression, bei Frauen viel häufiger sind. Geschlechtersensible Medizin Inzwischen weiß man, dass Stoffwechsel, Immunsystem und Herz-Kreislauf-Regulation bei Frauen anders arbeiten. In den letzten Jahren hat sich daher eine neue Fachrichtung, die Gendermedizin oder geschlechtsspezifische Medizin, etabliert. Sie will Krankheiten geschlechtsspezifisch erforschen und behandeln. Also keine Bevorzugung von Frauenthemen, sondern die Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Biologie und Lebenssituationen. Frauen: Andere Symptome beim Herzinfarkt Dass all das dringend notwendig ist, zeigt das Beispiel Herzinfarkt: Während ein Herzinfarkt sich bei Männern meist durch Druck auf der Brust und einen ausstrahlenden Schmerz in den linken Arm bemerkbar macht, sind typische Symptome bei Frauen eher Atemnot, Erbrechen und Oberbauchschmerzen. Seit diese geschlechtsspezifische Symptomatik Betroffenen und Medizinern besser bekannt ist, sinkt auch die Sterberate von Frauen aufgrund eines Herzinfarktes. Maßgeschneiderte Therapieangebote Am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) an der Uniklinik Würzburg wird die Systemerkrankung Herzinsuffizienz, die mit Begleit- und Folgeerkrankungen, wie etwa Diabetes, Nierenversagen und Depressionen einhergeht, interdisziplinär (fächerübergreifend) erforscht.

Die Herzspezialistin Prof. Dr. Christiane Angermann gehört zum Gründungsteam des DZHI. Die Kardiologin forscht seit mehr als zwanzig Jahren zum Thema Entstehung, Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz und ihrer Komplikationen. Nehmen an Ihren Herz-Studien gleich viele Frauen und Männer teil? Nein. Allerdings kommt es auf den Studientyp an. Herzinsuffizienz mit eingeschränkter Pumpfunktion betrifft mehr Männer als Frauen. Für Therapiestudien kommen hier also viel weniger Frauen infrage. Weltweit werden daher mehr Männer eingeschlossen. Dagegen ist bei Frauen Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion häufiger. Leider gibt es bisher keine spezifischen Medikamente, die gegen diese Form wirksam sind, also auch weniger Studien. In epidemiologischen Erhebungen, wie unserer großen Würzburger STAAB-Studie, sind dagegen Männer und Frauen gleich häufig vertreten. Welcher Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Herz hat sie am meisten überrascht? Wechselwirkungen zwischen Herz, Hirn und Psyche spielen bei manchen Herzerkrankungen eine große Rolle, die fast nur bei Frauen vorkommen. Ein Beispiel ist die Stress-Kardiomyopathie (Takotsubo-Syndrom). Seelische Vorerkrankungen, wie z. B. Depression, erhöhen das Risiko dafür deutlich.

Ein anderes Beispiel ist die Schwangerschafts-Kardiomyopathie, die ihrerseits Depression und Angst auslöst. Die mit denen der Herzkrankheit überlappenden psychischen Symptome verschleiern und erschweren die Diagnose. Welche besonderen Risikofaktoren hat das weibliche Herz? Frauenherzen sind besonders durch Ignoranz gefährdet. Frauen bekommen zwar erst nach der Menopause häufiger Herzinfarkte, weil dann die Östrogenspiegel fallen, doch werden die Symptome häufig von den Patientinnen selbst und den Medizinern fehlgedeutet. Die lebensgefährliche Diagnose wird daher oft zu spät oder gar nicht gestellt. Die Sterblichkeit bei Frauen ist deshalb unverhältnismäßig hoch.

Zudem haben heute soziostrukturelle Veränderungen die Stressquellen für Frauen vermehrt, z. B. Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und Kindererziehung, Veränderung der Familienstrukturen – die meisten Alleinerziehenden sind Frauen – und Überalterung der Gesellschaft mit den Konsequenzen Isolation, Armut und Multimorbidität (Mehrfacherkrankung). Unterscheiden sich die Symptome einer Herzinsuffizienz bei Frauen und Männern? Frauen leiden anders. Obwohl die Kardinalsymptome der Herzinsuffizienz: Atemnot, Leistungsminderung und Wassereinlagerungen im Körper, bei Frauen und Männern ähnlich sind, gibt es große Unterschiede in der Krankheitswahrnehmung und Bewältigung. Bemühungen, frauenspezifische Bedürfnisse zu identifizieren und dem unterschiedlichen Unterstützungsbedarf Rechnung zu tragen, der sich daraus ergibt, stecken leider noch in den Kinderschuhen. Behandeln Sie herzkranke Frauen und Männer unterschiedlich? Leider gibt es auch in der Medikamentenforschung Defizite. Getrennte Wirksamkeitsanalysen von Herzmedikamenten bei Frauen und Männer sind noch die Ausnahme. Für beide Geschlechter werden dieselben Dosierungen empfohlen, obwohl die Effekte vom Körpergewicht und vom oft hormonabhängigen individuellen Stoffwechsel abhängen.

Ich persönlich versuche, Frauen und Männern ‚maßgeschneiderte‘, also individualisierte Therapieangebote zu machen: Erst einmal zuhören. Bedürfnisse und Präferenzen ergründen, Ängste erkennen und berücksichtigen, Medikamente gemäß den Empfehlungen der Leitlinien, aber behutsam aufdosieren. Mut machen, Selbstfürsorge aktivieren und einen Pakt schließen, dass wir mit vereinten Kräften der Krankheit die Stirn bieten werden.

Text: Anke Faust, Fotos: Daniel Peter, Getty Images

Tipps der Herzspezialistin

So stärken Frau und Mann ihr Herz:

  1. Achten Sie auf Gewicht und Blutdruck
  2. Bleiben Sie in Bewegung
  3. Ernähren Sie sich gesund
  4. Meiden Sie Nikotin und Drogen
  5. Sorgen Sie für weniger Stress und mehr Entspannung
  6. Gehen Sie zu Vorsorgeuntersuchungen