Inkontinenz: Lan­ger Lei­dens­weg muss nicht sein

Gründe für eine Inkontinenz oder Blasen­ent­leerungs­störung gibt es viele. In der speziellen neuro-urologischen Sprech­stun­de werden Therapiekonzepte dagegen ent­wickelt.

Katharina V. (Name geändert) war immer gerne unter Menschen. Das änderte sich durch eine schwere Bla­senerkrankung. Plötzlich traute sich die 68-Jährige nicht mehr aus dem Haus. In regelrechter Unter­gangs­stimmung kam die Unterfränkin vor wenigen Monaten in die neuro-uro­lo­gische Sprechstunde von Dr. Christine Höfling-Streitenfeld in der Uni­versi­tätsklinik für Urologie. „Schon als die Patientin mein Sprechzimmer betrat, sah ich ihr an, wie unglaublich schlecht es ihr ging“, schildert die Oberärztin.

Katharina V. musste zu diesem Zeit­punkt zwei- bis dreimal in der Stunde auf Toilette. Selbst nachts stand sie häufig auf, um Wasser zu lassen. Was mit quälenden Schmerzen verbunden war. Obwohl sie derart häufig das „stille Örtchen“ besuchte, verlor sie auch dazwischen unwillkürlich Urin. Psyche leidet mit Mit ihrem körperlichen Leiden waren große psychische Probleme ver­bun­den. Katharina V. traute sich nicht ein­mal mehr, ihre Tochter und ihre Enkel zu besuchen. „Auch wollte sie so gerne mal wieder in ein Konzert gehen“, berichtet Christine Höfling-Strei­ten­feld. Ist Katharina V. doch ein aus­ge­spro­chener Klassik-Fan. Die Neuro-Urologin nahm sich viel Zeit, um die Patientin zu untersuchen: „Schließlich starteten wir einen individuellen Ver­such, das Leiden zu lindern.“ Der bestand aus einer örtlichen Be­hand­lung der Scheide mit Östrogen, Ent­span­nungsverfahren, einer anti­ent­zündl­ichen Ernährung mit viel Ge­mü­se, Beckenbodentraining, Phyto­thera­peutika sowie Medikamenten für die Blase. Endlich wieder Mozart Die Schmerzen ließen daraufhin zwar nach, doch eine echte Besserung des Leidens war noch nicht in Sicht. Nach wie vor musste Katharina V. ständig auf Toilette. Nach wie vor verlor sie Urin. Die Ärztin schlug der Seniorin daraufhin Injektionen von Botulin­um­toxin A vor. Die Spritzen werden in den Muskel gesetzt, der für die Kontrak­tion, also das Zusammenziehen und damit für das Auf-Toilette-gehen-Müs­sen ver­ant­wort­lich ist. Das Ner­ven­gift lähmt den Muskel gezielt und er­mög­licht, dass die Harnblase wieder ein größeres Urinvolumen speichern kann. Die Toilettengänge werden so weniger. Die Patientin willigte ein. Und von da an ging es endlich aufwärts.

Katharina V. erschien zwei Wochen später freudestrahlend in der neuro­logischen Sprechstunde.

Durchschlafen klappte wieder und kein Urinverlust passierte mehr. End­lich wagte sich Katharina V. auch wie­der aus dem Haus: Ein Mozart-Konzert wollte sie mit ihrer Tochter besuchen. Vermeintliches Tabu hindert am Arztbesuch Eine Krankheit zu akzeptieren, ist nie einfach. Besonders schwierig ist dies bei Problemen mit der Blasen­ent­leerung. „Da diesem Thema ein Tabu anhaftet, haben die Patienten, die in unsere neuro-urologische Sprech­stun­de kommen, häufig auch einen langen Leidensweg hinter sich“, sagt Christine Höfling-Streitenfeld.

Rund 40 Patientinnen und Patienten im Umkreis von 150 Kilometern um Würzburg kommen pro Monat im Durchschnitt in die von ihr seit Juli 2020 geleitete Sprechstunde. Die häufigsten Gründe sind Harn­in­konti­nenz sowie Blasen­ent­leerungs­stör­ungen. Letztere sind laut der Ärztin häufig „neurogen“, also durch eine Störung des Nervensystems bedingt.

Dr. Christine Höfling-Streitenfeld unterhält sich in der Sprechstunde mit einem Patienten. Zur Diagnostik verwendet die Urologin Ultraschall (kleines Foto) und die sogenannte urodynamische Messkurve.

Ursachen sind vielfältig Je nachdem, welche Form von Inkonti­nenz- oder Blasen­ent­leerungs­störung ein Patient aufweist, findet die Exper­tin unterschiedliche Ursachen. „Ur­säch­­lich für eine Harninkontinenz kann eine Störung der Blasenfunktion sein, allerdings können auch Ge­bur­ten, Übergewicht sowie Operationen im Urogenitaltrakt inkontinent ma­chen“, berichtet sie. Ein chirur­gischer Eingriff im Bauchraum könne ebenfalls eine Blasen­ent­leerungs­störung her­vor­rufen: „Leider sehe ich auch immer mehr Frauen, die dieses Leiden auf­grund eines sexuellen Missbrauchs entwickelt haben.“

Multimodales Therapiekonzept In der Regel gibt es nicht den einen Weg, die Patienten von ihrem Leiden zu befreien. „Bei einer komplexen Blasenentleerungsstörung braucht es ein multimodales Therapiekonzept“, betont Christine Höfling-Streitenfeld. Entscheidend sei, dass der Patient mitarbeitet. Häufig müssten die Le­bens­umstände und das Trink­verhalten verändert werden. Als hilf­reich erweist sich oft auch ein individuell auf den Patienten ab­ge­stim­mtes Becken­bo­den­training. Ist die Speicher- und Ent­leerungs­funktion der Blase extrem ge­stört, rät sie mitunter zum Einsatz ei­nes „Blasenschrittmachers“. Nicht zu lange warten Christine Höfling-Streitenfelds Pa­tien­ten sind zutiefst dankbar, dass die Ur­sache ihres Leidens, das lange in mys­teri­öses Dunkel gehüllt war, mit einem Mal einen klaren Namen hat und therapierbar wird. „Im Schnitt fin­den unsere Patienten erst nach zwei Jahren Leiden den Weg zu uns“, be­dau­ert die Fachärztin. Überwiesen werden sie von Urologen, vom Haus­arzt, Neuro­logen oder Gynä­kologen. Damit die Neuro-Urologin schnell zu einer Diag­nose kommen kann, helfen ihr Vor­befunde, Informationen zu allen bis­herigen Operationen, Medi­ka­menten­plan sowie ein Miktionstagebuch (= Aufstellung über die tägliche Häu­fig­keit der Blasenentleerung sowie die Inkontinenzepisoden). Kontaktdaten: Neurourologische Sprechstunde und Inkontinenz-Sprechstunde Freitags nach Vereinbarung Termine: Schwester Angelika Telefon: 0931 201-32034 www.ukw.de/urologie/ambulante-behandlung

Text: Pat Christ, Fotos: Daniel Peter