Lebensgefahr: Sepsis so rasch wie möglich behandeln

Blutvergiftung sagt der Volksmund. Sepsis sagt die Medizin, und das ist etwas ganz anderes. Wie es zu dieser lebensbedrohlichen Erkrankung kommt und woran man sie erkennen kann.

Wenn Bakterien (grün) in den Blutkreislauf gelangen, kann sich daraus eine gefährliche Sepsis entwickeln. Hier auch zu sehen: Weiße Leukozyten, die der Abwehr von Krankheits­erregern dienen. Rote Blutkörperchen, die ihre Farbe vom Hämoglobin haben. Ihre Haupt-auf­gabe: Sauerstoff von der Lunge ins Gewebe transportieren.

Was allgemein Blutvergiftung genannt wird, sei letztlich der lebens­bedroh­liche Verlauf einer Infektion, so Prof. Dr. Patrick Meybohm, Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhe­siolo­gie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie: „Jede Infektion, die irgendwo im Körper stattfindet, aktiviert unser Immunsystem, das grundsätzlich als kraftvolle Abwehr gegen Bakterien, Pilze, Viren und Parasiten agiert.“ Ganzer Körper reagiert Wird die Infektion jedoch komplexer und geraten die Reaktionen des Immunsystems zu stark – die Medizin spricht von „überschießend“ – schä­digen sie körpereigenes Gewebe und Organe. Eine Kaskade entsteht: die Blutgerinnung wird schlechter, Blut­gefäße werden undicht, der Blutdruck fällt ab, die Nieren funktio­nieren nicht mehr ausreichend, anschließend die Lunge. Dieser septische Schock ist lebensgefährlich und muss umgehend intensivmedizinisch behandelt wer­den. Meybohm: „Organversagen in­fol­ge einer Sepsis ist die dritt­häufig­ste Todesursache hierzulande. Alle sieben Minuten stirbt in Deutsch­land ein Mensch an einer Sepsis. Überlebende erleiden oft schwere Folgeschäden.“

Privatdozent Dr. Dirk Weismann, Leiter der internistischen Intensiv- und Notfallmedizin: „Eine Sepsis sollte gezielt mit einem spezifischen Antibiotikum behandelt werden.“

Symptome kennen Häufige Infektionsquellen einer Sepsis sind Lungenentzündungen, In­fek­tio­nen des Magendarmtrakts und des Urogenitaltrakts, ferner auch In­fek­tio­nen von Haut- und Weichteilgewebe, des zentralen Nervensystems und so­genannte katheterassoziierte In­fek­tio­nen.

Typisch für eine Sepsis ist, dass zwei oder mehr Symptome zugleich auf­treten. Neben Fieber und Atemnot können das Verwirrtheit, Schwin­del­gefühl, niedriger Blutdruck oder Schüt­tel­frost sein. Faustregel von Professor Meybohm: „Wer weiß, dass er eine In­fek­tion hat, darüber hinaus Atemnot sowie Verwirrtheit spürt, sollte um­ge­hend ärztlichen Rat suchen.“

„Alle sieben Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an einer Sepsis.“

Prof. Dr. Patrick Meybohm

Irrglaube: roter Strich Ganz wichtig: Der sogenannte „rote oder blaue Strich“, der von einer Wun­de in Richtung Herz verläuft, ist als Erkennungsmerkmal einer Sepsis ungeeignet. Der Experte: „Ein solcher Strich ist vielmehr ein Symptom einer entzündeten Lymphbahn und entsteht durch die vermehrte Durchblutung. Er kann bei einer Sepsis entstehen, muss aber nicht. Trotzdem ist auch das ein Fall für einen Arztbesuch.“ Was man tun muss Privatdozent Dr. Dirk Weismann, Leiter der internistischen Intensiv- und Notfallmedizin: „Eine Sepsis sollte ge­zielt mit einem spezifischen An­ti­bio­ti­kum behandelt werden. Da es la­bor­technisch aktuell aber noch zwei bis drei Tage dauert, bis die genauen Er­reger einer Infektion identifiziert sind, muss man bei einer Sepsis bzw. einem septischen Schock aufgrund von Er­fah­rungswerten mit einem breit wirk­samen Antibiotikum eingreifen.“ So­bald die Ergebnisse vorliegen, werde das Medikament angepasst. Dabei gehe es auch immer um die Ver­mei­dung von Resistenzen. Früherkennung einer Sepsis Um das lebensgefährliche Organ­ver­sagen zu verhindern, wäre es ein Fortschritt, Frühzeichen für eine sich entwickelnde Sepsis zu finden. Dr. Weismann forscht dazu: „Passend hierzu haben wir am Universitäts­klinikum zeigen können, dass be­stimm­te Signalwege auf Thrombo­zyten bereits Veränderungen aufweisen, bevor ein Multiorganversagen vorliegt. Wir untersuchen nun, ob das helfen kann, eine Sepsis frühzeitig zu er­kennen.“ Die Thrombozyten, auch Blutplättchen genannt, spielen eine Rolle bei der Blutgerinnung. www.ukw.de/anaesthesie www.ukw.de/medizinische-klinik-i www.ukw.de/kinderklinik

Text: Ulrike Streck-Plath, Anke Faust, Fotos: Daniel Peter, Getty Images, Uniklinikum

Frühchen schützen

Kann eine Nahrungsergänzung schwere Infektionen bei Neugeborenen verhindern? Ein Blick in die Forschung. Eine Sepsis ist vor allem auch für Früh­geborene lebensbedrohlich. Innerhalb weniger Stunden können sie daran sterben. Überleben sie, kann es sein, dass sie jahrelang unter einem ge­schwächten Immunsystem leiden. „Leider lässt sich schwer einschätzen, welches Baby eine Sepsis entwickeln könnte“, erläutert die Kinder- und Jugendärztin Prof.Dr. Dorothee Viemann, Leiterin der Abteilung Translationale Pädiatrie in der Kinder­klinik. „Darum erhalten viele Früh­ge­borene bei geringstem Verdacht vor­sorglich Antibiotika.“

Die Expertin für das Immunsystem von Neu- und Frühgeborenen weist darauf hin, dass diese Medikamente zwar Le­ben retten können, aber auch Nach­teile haben. So besteht die Ge­fahr, dass sich Resistenzen gegen Anti­bio­tika entwickeln, dass sie also nicht mehr wirken. Zudem kann es sein, dass die Darmflora gestört wird, was wiederum langfristig das Risiko erhöht, chronisch entzündliche Erkrankungen, Allergien, Fettleibigkeit oder Diabetes zu entwickeln.

Gemeinsam mit Sabine Pirr, einer Kollegin aus Hannover, hatte Dorothee Viemann vor einiger Zeit heraus­ge­fun­den, dass sogenannte Alarmine die Entwicklung der Darmflora und des Immunsystems nach der Geburt po­sitiv beeinflussen. Das sind sind be­stimmte Proteine, die sich in hohen Mengen in der Muttermilch befinden. Gegenwärtig wird erforscht, ob eine Nahrungsergänzung mit Alarminen Frühgeborene vor einer Sepsis schützen kann. Das würde den Einsatz von Antibiotika erheblich senken können.