Wenn die Welt sich dreht und schwankt

Schwindel ist eine Begleiterscheinung vieler Erkrankungen. Am Universität­sklinikum Würzburg rückt die „Schwindel- und Gleich­ge­wichts­ambulanz“ das Thema in den Fokus.

Schwindelbeschwerden kennen wir alle: Wenn wir nach dem Liegen zu schnell aufstehen, oder wenn uns auf dem Jahrmarkt das Kettenkarussell herumgewirbelt hat, zieht es uns sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Diese Formen des Schwindels klingen meist schnell wieder ab und belasten uns nur kurz. Aber Schwindel kann auch über längere Zeit anhalten und die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinflussen. Schwindel kann vor allem bei älteren Menschen zu folgenreichen Stürzen führen.

Wie Schwindelbeschwerden entstehen

„Schwindel stellt keine eigenständige Diagnose dar, sondern ist meist der Ausdruck eines anderen Problems“, beschreibt Oberärztin Dr. Miriam Bürklein aus der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten sowie plastische und ästhetische Operationen am UKW. „Für viele Betroffene stellen Schwindelbeschwerden eine große Beeinträchtigung dar, jedes Jahr behandeln wir rund 1.300 Menschen, die Probleme mit Schwindelbeschwerden haben.“

Schwindel wird aufgrund von widersprüchlichen Sinnesinformationen des Körpers erzeugt. „Grundlegend für unser Gleichgewicht und die Raumorientierung ist das Zusammenspiel verschiedener Sinnesorgane. Dazu zählen das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, die Augen und die Wahrnehmung der Stellung der Gelenke.“ Gerät eines dieser Systeme aus dem Tritt, kann es zu Schwindel kommen. „Auch Halswirbelsäulenbeschwerden oder Nebenwirkungen von Medikamenten können Schwindel auslösen“, erläutert Miriam Bürklein.

Dr. Miriam Bürklein

Mehr als eine Begleiterscheinung

Die Ursachen von Schwindelbeschwerden zu kennen, ist wichtig für die weitere Therapie. Daher steht am Beginn einer Behandlung die genaue Befragung des Patienten zu Auslösern und Art des Schwindels (Anamnese). Die „Gleich­gewichts­ambulanz“ der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten sowie plastische und ästhetische Operationen stellt eine Anlaufstation für Betroffene dar. Miriam Bürklein, die diese Ambulanz leitet, beschreibt deren Aufgabe: „Schwindel wird von vielen medizinischen Disziplinen als Begleiterscheinung betrachtet. In der Gleichgewichtsambulanz steht dieses Phänomen im Mittelpunkt von Diagnose und Therapie.“

Zusätzlich werden einmal monatlich besondere Fälle in einem fach­über­greifenden medizinischen „Schwindel-Board“ besprochen. „Hier werden Fälle aus der fachlichen Perspektive von HNO und Neurologie diskutiert“, erklärt Miriam Bürklein. „In Zukunft möchten wir das Board auch für andere Fachbereiche öffnen, um weitere interdisziplinäre Expertisen einzubinden und den Schwindel ganzheitlich in den Blick nehmen zu können.“

Wie Schwindel entstehen kann

Störungen des Gleichgewichtsorgans und/oder Gleichgewichtsnerven (vestibuläre Ursachen)

Symptome: meist akuter Drehschwindel, Übelkeit und Erbrechen

z.B. akuter Gleich­ge­wichts­organ­ausfall, gutartiger Lagerungs­schwindel, Morbus Menière, Tumor am Gleichgewichtsnerven (selten)

Störungen am Hirnstamm oder Kleinhirn (zentrales vestibuläres System)

Symptome: Dreh- oder Schwank­schwindel, häufig begleitet von Lähmungserscheinungen, seltener Übelkeit und Erbrechen

z.B. Schlaganfall, Multiple Sklerose

Psychische Ursachen (Funktioneller Schwindel)

Symptome: z.B. Benommenheit beim Betreten großer Plätze oder eines Fahrstuhles

z.B. Depressionen, Psychosen, Angst-Störungen, Panikattacken

Andere Ursachen

Symptome: z.B. Schwindel nach schnellem Aufstehen

z.B. Blutdruckregulationsstörung, Medikamentennebenwirkung, Halswirbelsäulenbeschwerden

Die Dauer von Schwindel

Kurzzeitige Schwindelerkrankungen

dauert Sekunden bis wenige Minuten; zum Beispiel gutartiger Lagerungs­schwindel

Therapie: spezielle Übungen, die rasch helfen

Mittelfristige Schwindelerkrankungen

viele Minuten bis Stunden, zum Beispiel Morbus Menière

Therapie: Medikamente und Gleichgewichtstraining

Lang anhaltende Schwindelerkrankungen

Art: Tage bis Monate; zum Beispiel Ausfall eines Gleichgewichtsorgans

Therapie: anfangs Medikamente und zeitnahes intensives Gleichgewichtstraining

Schwindelbeschwerden aktiv begegnen

Dass das Thema „Schwindel“ immer stärker in den Fokus der medizinischen Behandlungen rückt, liegt auch an besseren Diagnosemöglichkeiten. Diese haben zu neuen Erkenntnissen rund um die Behandlung geführt: „Früher standen bei Schwindelerkrankungen Ruhe und Vermeidung von auslösenden Ereignissen im Vordergrund“, erklärt die Ärztin. „Heute wissen wir, dass aktive Behandlungsformen vor allem in den ersten vier Wochen nach Auftreten von Schwindel wichtig für einen erfolgreichen Heilungsverlauf sind. Es gilt, dem Schwindel aktiv zu begegnen – auch in der Phase nach einer Heilbehandlung im Krankenhaus.“

Das Thema Schwindel beschäftigt die medizinische Forschung auch in Zukunft. Momentan werden in den USA erste Implantate angewendet, die den Schwindel positiv beeinflussen können. Bis solche Techniken im größeren Rahmen eingesetzt werden, wird es wahrscheinlich noch einige Zeit dauern. „Der Schwindel entwickelt sich von einem medizinischen Begleit­phänomen zu einem zentralen Thema für Diagnose und Therapie“, ist sich Dr. Bürklein sicher. „Mit unserer Gleich­gewichtsambulanz bieten wir unseren Patientinnen und Patienten dafür eine feste Anlaufstelle.“

Text: Jörg Fuchs, Fotos: Jörg Fuchs, Uniklinik