Der Schall macht den Weg frei

Rund fünf Millionen Menschen leiden hierzulande an verengten Blutgefäßen im Beckenbereich oder in den Beinen – häufig aufgrund von Ablagerungen im Rahmen einer Arteriosklerose. Die schmerzlose Stoßwellentherapie kann bei schweren Gefäßverkalkungen schonend Abhilfe schaffen.

Der Schall macht den Weg frei

Rund fünf Millionen Menschen leiden hierzulande an verengten Blutgefäßen im Beckenbereich oder in den Beinen – häufig aufgrund von Ablagerungen im Rahmen einer Arteriosklerose. Die schmerzlose Stoßwellentherapie kann bei schweren Gefäßverkalkungen schonend Abhilfe schaffen.

Arterielle Verengungen sind im Laufe der Zeit u. a. auf schwere Gefäßwandverkalkungen zurückzuführen“, erklärt Professor Ralph Kickuth, Professor für Interventionelle Radiologie am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Würzburg. „Es besteht die Gefahr, dass Gefäße verstopfen und Extremitäten nicht ausreichend mit Blut versorgt werden.“ Um den Blutfluss durch die Beine zu gewährleisten, werden verengte Stellen oft mittels Ballonkatheter mechanisch geweitet oder mit Stützen aus Metall offengehalten. Diese Methoden führen im ungünstigsten Fall zu Schäden an den verhärteten Blutgefäßen. Zudem weisen solch behandelte verkalkte Gefäße oft deutliche Restverengungen auf, sodass sich der Blutstrom nur kurzzeitig verbessert. Daher bietet das Universitätsklinikum seit rund einem Jahr die „Intravaskuläre Lithotripsie“ an: Sie macht verengte, verkalkte und damit ausgehärtete Blutgefäße durch Ultraschallwellen wieder elastisch. „Wir führen einen Katheter durch das Blutgefäß an die verengte Gefäßstelle. Daran befindet sich ein mit Kochsalz- und Kontrastmittellösung gefüllter Ballon“, erläutert der Radiologe. „An diesen legen wir von außen eine elektrische Spannung an, sein Inhalt erzeugt Gasbläschen. Ihre Ausdehnung und ihr anschließendes plötzliches Zusammenfallen erzeugen Ultraschall-Druckwellen. Sie brechen den verhärteten Panzer auf und machen das Gefäß elastisch. Dabei werden weder Blutgefäße noch umliegendes Gewebe in Mitleidenschaft gezogen.“ Ein bekanntes Verfahren neu eingesetzt Die Lithotripsie ist kein ganz neues Verfahren. Mit ihrer Hilfe werden Nieren-, Harn- und Gallensteine zertrümmert. Ihre Nutzung bei Gefäßverengungen hat mehrere Vorteile: Sie belastet Patienten wenig. Durch winzige Hautschnitte wird der Katheter in ein Blutgefäß eingeführt. Das ist schmerzfrei und benötigt keine Narkose. Auch für den Arzt ist der Eingriff, der im Katheterlabor des Klinikums durchgeführt wird, unaufwendig. Die Ergebnisse haben voll überzeugt, neue Einsatzmöglichkeiten werden bereits geprüft. „Wir wollen die Stoßwellentherapie nicht auf Blutgefäße im Becken- und Beinbereich beschränken“, erläutert der Mediziner. Seit Mai laufen am Klinikum Studien, auch Adern im Darmbereich zu behandeln. Verengte und verschlossene Darmgefäße führen zu starken Schmerzen, Verdauungsstörungen und rapider Gewichtsabnahme. Sie gehen mit einem massiven Verlust an Lebensqualität einher. Hier setzt der Radiologe mit den Ultraschallwellen an. Bisherige Methoden, diese Gefäße mechanisch zu weiten und stützende „Stents“ einzusetzen, erzielen oft nur kurzfristige Wirkung. Zusätzlich kann das Fremdmaterial in den Gefäßen zu überschießenden Vernarbungen im Gefäß beitragen. Der Mediziner ist optimistisch, den Betroffenen mittels Stoßwellentherapie längerfristige Lebensqualität zurückzugeben.

Bei dem mit einem Kochsalz-Kontrastmittel-Gemisch aufgepumpten Ballonkatheter sind die Impulsgeber (= Erzeuger elektrischer Entladung) als hell schimmernde Abschnitte zu erkennen.

Und die Interventionelle Radiologie hat weitere Aufgaben: „Dazu zählen minimal-invasive Therapien von Blutungen sowie Tumorbehandlungen im Leber- und Gallengangsystem mit bildgebenden Verfahren wie Röntgen, Ultraschall, und Computer- oder Magnetresonanztomographie“, unterstreicht Professor Ralph Kickuth. Und bei der Notfallversorgung Schwerverletzter im Schockraum ist die Interventionelle Radiologie zur Stelle.

„Auch Covid-19-Patienten könnten von ihr profitieren“, prognostiziert er. „Die außerkörperliche Sauerstoffanreicherung des Bluts bei der ECMO-Methode kann in seltenen Fällen zu Komplikationen in den Gefäßen führen. Zudem könnten durch schwere Lungengerüstveränderungen im Zuge einer Lungenentzündung durch Covid-19 Lungengefäße kurz-, mittel- und auch langfristig einbluten. Moderne Medizin ist interdisziplinär „Technische Entwicklungen und neue medizinische Fragestellungen haben unser Fach enorm erweitert“, unterstreicht der Arzt. Moderne Medizin ist für ihn vor allem durch interdisziplinäre (fachübergreifende) Verknüpfung gekennzeichnet. „Im Vordergrund steht die Aufgabe, unseren Patientinnen und Patienten die bestmögliche Therapie anzubieten. Dazu arbeiten wir eng und vertrauensvoll mit den Fachbereichen Viszeral-, Unfall- und Herz-Thorax-Chirurgie, der Onkologie und Kardiologie sowie der Hepatologie und Urologie zusammen.“ Die Verzahnung der medizinischen Disziplinen führte zu neuen Behandlungswegen und Therapieverfahren. „Als ich vor rund 25 Jahren begonnen habe, gab es kaum gemeinsame Strategien zur Tumorbehandlung der Leber“, erinnert sich der Professor. „Durch fachübergreifende Zusammenarbeit sind fundierte Leitlinien entstanden. Nun wird in gemeinsamen Gremien über den ‚Tellerrand‘ der eigenen Disziplin hinaus geprüft, ob sich radiologische Verfahren, chirurgische Eingriffe oder eine Chemotherapie am besten eignen.“ Die Fortschritte der letzten Jahre haben ihn überzeugt, dass feste Fachgrenzen zukünftig weiter schwinden werden. „Die Bildung interdisziplinärer Zentren, wie wir sie in Würzburg anhand herausragender Beispiele heute schon sehen, nimmt zu“, ist der Experte sicher. „Das führt zu einem stärkeren fachlichen Austausch. Wir werden noch mehr voneinander lernen! Und vielleicht“, so der Radiologe, „gibt es dadurch eines Tages weitere erfolgversprechende Einsatzmöglichkeiten für unsere Ultraschallwellen.“

Links: Die Angiographie dokumentiert einen kurzstreckigen Verschluss der Kniearterie (Pfeile) vor der Lithotripsie. Bei dem Bild in der Mitte ist der Katheter während des Eingriffs zu sehen. Rechts: Die Abschlussangiographie zeigt eine vollständig offene Kniearterie.

Text: Jörg Fuchs, Fotos: Daniel Peter, Uniklinik