Winter­depression: Mehr als nur ein Mythos?

Was Depressionen mit den Jahreszeiten zu tun haben und wann aus dem „Winterblues“ eine behandlungsbedürftige Erkrankung wird.

Winter­depression: Mehr als nur ein Mythos?

Was Depressionen mit den Jahreszeiten zu tun haben und wann aus dem „Winterblues“ eine behandlungsbedürftige Erkrankung wird.

Die Tage werden kürzer, die Sonne lässt sich kaum blicken. Rausgehen kostet Überwindung und am liebsten will man es sich eigentlich auf der Couch mit einer Tüte Gummibärchen gemütlich machen. Viele kennen das Gefühl, dass der Winter einem die Stimmung trübt und den Antrieb nimmt. Die pandemie-bedingt notwendige soziale Distanz dürfte das in diesem Jahr nicht gerade besser machen. Doch wann wird aus einer jahreszeitlichen Stimmungsschwankung eine Depression? Und stimmt es überhaupt, dass Depressionen im Winter ein größeres Problem sind als im Sommer?

„Die Jahreszeiten spielen bei Depressionen schon eine gewisse Rolle“, weiß Professorin Sarah Kittel-Schneider, stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (PPP). Allerdings treffe das nur für einen Teil der Patienten zu. Und typisch sei gar nicht unbedingt eine Verschlechterung im Winter: „Öfter sieht man, dass Depressionen im Frühling schlimmer werden. Auch die Zahl der Suizide ist in dieser Jahreszeit erhöht. Für andere Patienten wiederum ist der Herbst eine schwierige Zeit, während es im Winter dann sogar wieder besser wird. Und es gibt auch Patienten mit einer manisch-depressiven Erkrankung, die im Winter zu manischen Episoden neigen“, so Kittel-Schneider.

Professorin Sarah Kittel-Schneider

Tageslichtlampe, Vitamin D oder Spaziergang? Ist die Winterdepression also nur ein Mythos? „Zumindest kann man sagen, dass das Phänomen in der öffentlichen Wahrnehmung eher überbewertet wird“, so die Psychiaterin. „Wir sehen die saisonale Depression nicht als eigenständiges Krankheitsbild an. Vielmehr ist es so, dass eine bestimmte Jahreszeit für manche Patienten ein Trigger für eine depressive Episode sein kann, wobei in der Regel mehrere Faktoren zusammenkommen.“ Dementsprechend werden Depressionen, die im Herbst oder Winter bevorzugt auftreten oder sich verschlechtern, auch nicht anders behandelt als andere Depressionen: nämlich in erster Linie mit Medikamenten und Psychotherapie.

Auch Lichttherapie mit speziellen Lampen wird hin und wieder eingesetzt, zum Beispiel wenn die Arbeitszeit es nicht zulässt, sich im Winter natürlichem Licht auszusetzen. Man muss sich aber bewusst machen, dass man bei einem Spaziergang, selbst bei bewölktem Himmel, deutlich mehr Licht „tankt“ als durch jede Tageslichtlampe. Außerdem hat die Bewegung an der frischen Luft noch andere wichtige Effekte: Sport wirkt nämlich nachweisbar antidepressiv und hat deshalb sowohl bei der Behandlung als auch bei der Vorbeugung von Depressionen einen hohen Stellenwert. Dass ein Vitamin-D-Mangel bei der Depressionsentstehung eine Rolle spielt, ist wissenschaftlich hingegen nicht gut belegt. „Nur wenn ein nachgewiesener Mangel besteht, solle man ein Präparat einnehmen, ansonsten gibt es dafür keinen Grund“, so Kittel-Schneider.

Behandlungs­be­darf?

Sie sind sich nicht sicher, ob Sie unter einer behandlungsbedürftigen Depression leiden? Einen anonymen Selbsttest und ein Beratungstelefon bietet die Stiftung Deutsche Depressionshilfe an: www.deutsche-depressionshilfe.de. In akuten Fällen, vor allem wenn Sie Suizidgedanken haben, sollten Sie sich am besten direkt in einer Klinik vorstellen, z. B. in der Poliklinik der PPP, Telefon: 0931 201-77800.

Wann Sie sich Hilfe suchen sollten Doch was ist mit all jenen, die im Winter bei sich leichte depressive Schwankungen wahrnehmen und sich nicht sicher sind, ob es sich um eine behandlungsbedürftige Depression handelt? „Das sollte man keinesfalls verharmlosen“, warnt Kittel-Schneider. Depressionen können in verschiedenen Schweregraden auftreten. Von einer klinisch relevanten Depression spricht man, wenn typische Symptome wie gedrückte Stimmung, Interessen-, Motivations- und Antriebsverlust über mindestens zwei Wochen an fast jedem Tag und für die meiste Zeit des Tages auftreten.

Bei einer leichten Depression rät Kittel-Schneider dazu, sich zunächst an den Hausarzt zu wenden: „In dieser Situation kann man auch abwarten und versuchen, der Depression mit mehr Sport, am besten an der frischen Luft, und anderen positiven Aktivitäten entgegenzutreten. Wenn das nicht hilft, sollte man sich jedoch einen Psychotherapeuten suchen.“

Sind Alltagsbewältigung, Schlaf und Appetit beeinträchtigt, spricht das für eine mittelschwere Depression. Dann helfen Verhaltenstherapie, Medikamente oder eine Kombination aus beidem. Bei einer schweren Depression, wenn grundlegende Dinge wie Essen, Putzen oder Körperhygiene nicht mehr gut funktionieren oder wenn Suizidgedanken vorhanden sind, ist häufig eine stationäre Behandlung notwendig. „Medikamente sind dann zwingend notwendig, ergänzt durch eine Psychotherapie“, so Kittel-Schneider. Egal zu welcher Jahreszeit eine Depression auftritt: Wichtig ist immer, sich zügig Hilfe zu suchen. Denn je früher man mit der Behandlung beginnt, desto besser ist auch die Prognose. Immer noch ein Tabuthema Dass „Winterblues“ und „Winterdepression“ immer wieder für Gesprächsstoff sorgen, obwohl sie in der Psychiatrie eigentlich keine große Rolle spielen, erklärt sich Kittel-Schneider übrigens so: „Stimmungstiefs im Winter kann jeder nachvollziehen. Es ist auch sozial relativ gut akzeptiert, wenn man sich in dieser Jahreszeit schlecht fühlt. Was wir bei unserer täglichen Arbeit in der Klinik sehen, sind aber vorwiegend Menschen mit schweren Depressionen, die nichts oder wenig mit der Jahreszeit zu tun haben. Über diese Depressionen wird trotz ihrer Häufigkeit immer noch zu wenig gesprochen. Dieses Tabu müssen wir abbauen.“

Text: Martina Häring, Fotos: Getty Images, Uniklinik, Daniel Peter

Patienten­­beirat etabliert

Das Gremium wird den Vorstand des Zentrums für Psychische Gesundheit aus der Perspektive der Patienten und deren Angehörigen beraten. „Während meiner langjährigen Tätigkeit wurde mir immer deutlicher, dass bei psychischen Erkrankungen die Betroffenen wesentlich zum Behandlungserfolg ihrer Erkrankungen beitragen können und auch müssen“, schildert Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Würzburg (UKW). „Patienten und Angehörige sind letztlich ein Teil des behandelnden Teams, und wir als professionelle Therapeutinnen und Therapeuten sind auf kontinuierliche Rückmeldungen angewiesen.“ Um diesen Informationsfluss zu systematisieren und zu verbreitern, rief der Vorstand des Zentrums für Psychische Gesundheit (ZEP) des UKW, dem neben Prof. Deckert auch Prof. Dr. Marcel Romanos, der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, angehört, im September einen Patientenbeirat ins Leben.

Die Zusammensetzung des Beirats Die 13 Mitglieder des Patientenbeirates kommen zum großen Teil aus Selbsthilfegruppen. Dabei handelt es sich einerseits um die Betroffenen selbst, andererseits um deren Angehörige, in der Regel die Eltern. Eine dritte Gruppe sind Mitarbeiter/innen von sozialpsychiatrischen Einrichtungen, die sehr engen Kontakt zu Patientinnen und Patienten haben. „Der Beirat ist ein Abbild aller Patientengruppen, die wir am ZEP schwerpunktmäßig behandeln, also Menschen mit Psychoseerkrankungen, affektiven Erkrankungen, Suchterkrankungen, dementiellen Erkrankungen, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom sowie Angsterkrankungen“, beschreibt Prof. Deckert. Der Patientenbeirat wird sich einmal im Jahr zu einem Austausch mit den Klinik- und Bereichsleitungen des ZEP treffen. Bei diesem Treffen stellen die Ärztinnen und Ärzte neue Entwicklungen vor. Die Beiratsmitglieder haben die Möglichkeit, Kritik und Anregungen einzubringen.