Sonderausgabe zum Muttertag

Prof. Dr. med. Brenda Gerull

Leiterin des Departments Kardiovaskuläre Genetik am DZHI

Ich habe in Berlin Medizin studiert, 1999 an der Charité promoviert und danach meine Facharztausbildung zur Kardiologin gemacht. Im Februar 2016 folgte ich dem Ruf des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg auf die Forschungsprofessur für Kardiovaskuläre Genetik und verlegte meine Wirkungsstätte vom kanadischen Calgary nach Unterfranken. Am Uniklinikum Würzburg konnte ich meinen Traum verwirklichen, sowohl als Ärztin als auch als Wissenschaftlerin zu arbeiten, und gründete das Zentrum für Genetische Herz- und Gefäßerkrankungen. Gemeinsam mit meinem hochmotivierten Team forsche ich an den genetischen Ursachen und Folgen verschiedener Formen der Herzschwäche.

Das wollte ich mal werden und das bin ich geworden

Biologie, Chemie und Musik waren meine Lieblingsfächer in der Schule, eine genaue Vorstellung von Berufen in diesen Bereichen hatte ich nicht. Der Wunsch Medizin zu studieren kam erst mit dem Abitur.

Das hat mich geprägt

Schon als Doktorandin war ich gewissermaßen den genetischen Veränderungen auf der Spur, die hinter erblichen Herzerkrankungen stecken. Am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin entdeckte ich zum Beispiel, dass Mutationen im sogenannten Titin-Gen zu einer Form der chronischen Herzschwäche, der dilatativen Kardiomyopathie, führen können. Seitdem bin ich fasziniert davon, welch große Auswirkungen ein einzelner veränderter Buchstabe im "Code des Lebens" haben kann. 

Forscherinnengeist

Derzeit sind nur etwa die Hälfte der genetischen Ursachen von Kardiomyopathien, also Herzmuskelerkrankungen, bekannt und viele der molekularen Zusammenhänge immer noch unklar. Mein erklärtes Ziel ist eine personalisierte Medizin: Die Vision, eines Tages jedem Patienten nach einem DNA-Test und der Vernetzung aller wissenschaftlichen und klinischen relevanten Daten ein individuelles und wirksames Konzept für Prävention, Diagnose und Behandlung anbieten zu können, motiviert mich Tag für Tag. Im Fokus meiner Forschung stehen die molekularen Mechanismen, die die Genmutationen nach sich ziehen. Wie kommt es zu den Fehlfunktionen? Und wie kann man entgegenwirken.

Mit DNA-Analysemethoden wie dem Next-Generation-Sequencing können wir schnell und treffsicher bekannte Genvarianten diagnostizieren, aber auch neue entdecken. Für die zellbiologischen und molekularen Untersuchungen werden die Mutationen mittels genverändernder Technologien wie zum Beispiel CRISPR-Cas9 ins Erbgut von Modellsystemen eingebracht. Als Modelle dienen Zebrafische oder Mäuse sowie humane induzierbare pluripotente Stammzellen.

Die Rolle einer Doktormutter

Anlässlich des Muttertags haben wir Brenda Gerull zur Rolle einer Doktormutter befragt. Sie betreut Promovierende "gefühlt eine Ewigkeit". Bereits in ihrer eigenen Postdoc-Zeit hat sie Promotionen begleitet. Zur Zeit des Muttertags 2022 betreut Brenda Gerull drei naturwissenschaftliche Doktorandinnen (Dr. rer. nat. beziehungsweise PhD) und acht medizinische Doktorandinnen und Doktoranden (Dr. med.). Darüber hinaus ist sie in vielen Betreuungskomitees aktiv.

Was mich als Doktormutter fasziniert

Der Enthusiasmus und die Begeisterung, die meine jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihr Forschungsgebiet aufbringen und ihre Zielstrebigkeit begeistern mich immer wieder aufs Neue. Ich finde es beeindruckend, wie sie um die Ecke denken und ungewöhnliche Ideen und Wege ausprobieren. Die Entwicklung der jungen Leute zu begleiten und zu sehen, wie sie von Studierenden zu eigenständigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder Medizinerinnen und Medizinern werden, ist absolut großartig.
 

Welche Herausforderungen es gibt

Geduld ist das A und O in der Wissenschaft. Doch diese aufzubringen, fällt vor allem jungen Menschen schwer. Es ist schwierig, zu akzeptieren, dass nicht alles sofort klappt. Dabei bringen gerade die Umwege manchmal mehr Erkenntnisse als der geradlinige Weg.
Meine Herausforderung und die aller Kolleginnen und Kollegen in Führungspositionen ist es, den Nachwuchs langfristig in der Wissenschaft zu halten. Vor allem die Frauen tun sich oft schwer und sehen in der Wissenschaft keine weitere Perspektive.

Besondere Erlebnisse als Doktormutter

Die gemeinsamen Ausflüge bleiben natürlich immer im Gedächtnis, aber auch unsere Yogastunden im Innenhof während unserer Mittagspause. Bewegend in jeglicher Hinsicht sind zudem die gemeinsamen Besuche von Konferenzen. Gerade erst waren wir beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Wir hatten sieben Präsentationen, und alle haben es toll gemacht. Ich fiebere bei jeder Präsentation mit und bin wahrscheinlich aufgeregter als die Vortragenden. Bei Fragen muss ich mich immer zusammenreißen, nicht gleich selbst zu antworten, sondern meinen "Schützlingen" vertrauen, dass sie es mindestens genauso gut können wie ich.

Was mich stolz macht

Preise, Veröffentlichungen und letztlich der erfolgreiche Abschluss der Arbeit erfüllen mich mit einem gewissen Stolz auf meine "Zöglinge". Aber auch über kleinere Dinge wie gute Präsentationen und ein unerwartetes Ergebnis eines zielführenden Experiments kann ich mich riesig freuen.

Man sagt, Mütter kämpfen für ihren Nachwuchs wie Löwinnnen. Tun das Doktormütter ebenso?

Es gibt immer Momente der Enttäuschungen. Gerade in der Wissenschaft ist es ein auf und ab, und Stellen hängen von erfolgreich eingeworbenen Drittmitteln ab. Das ist nicht selten ein Kampf, von dem die betroffenen Doktorandinnen und Doktoranden – zum Glück – nicht viel mitbekommen, der mich aber schlaflose Nächte kostet. Selbiges gilt für Projekte, die "hängen" und nicht vorankommen. Da muss man dann kreativ sein und mit neuen Ideen das Ruder wieder rumreißen. Die direkte Verantwortung für die Karrieren zu haben, ist nicht immer leicht.

Wenn Doktorandinnen und Doktoranden flügge werden und das Nest verlassen

Wenn man mehrere Jahre zusammenarbeitet und die Entwicklungen und Potentiale der jungen Leute sieht, fällt es schon schwer loszulassen und auch manche Entscheidungen, die man selbst anders treffen würde, zu akzeptieren und zu begleiten. Am Ende bin ich stolz, wenn ich nicht nur zum beruflichen Lebensweg, sondern auch zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen konnte und jeder seinen Weg findet.