Aktuelle Pressemitteilungen

Präzisionsmedizin durch Schwarmlernen

Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten und vom Uniklinikum Würzburg koordinierten Projekt SWAG (SWArm learning for Generation and dissemination of high-quality data in oncology) wird das Teilen und Analysieren von Datensätzen mittels kombinierter KI-Methoden entwickelt und erprobt. Die synthetischen Datensätze und trainierten Modelle sollen öffentlich verfügbar gemacht und gemeinsam weiterentwickelt werden, um die Diagnostik und Behandlung von Krebserkrankungen zu verbessern.

Das Logo zeigt den Schwarm, der in diesem Fall aus Servern an verschiedenen Standorten besteht, welche die Algorithmen teilen; einen zentralen Server gibt es nicht.
Im Projekt SWAG wird das Teilen und Analysieren von Datensätzen mittels kombinierter KI-Methoden entwickelt und erprobt. Der Schwarm besteht hier aus Servern an den fünf Standorten Aachen, Dresden, Heidelberg, Mainz und Würzburg, über die die künstlich erzeugten Modelle ausgetauscht werden. Man teilt nur die Algorithmen und das, was sie am jeweiligen Standort dazulernen. © Bettina Baeßler / UKW
Hier sind erste künstlich erzeugte CT-Bilder vom Bauch zu sehen.
Erste Trainingsergebnisse: Aus zahlreichen echten Patientendaten wurden erste synthetische CT-Aufnahmen vom Abdomen erstellt. © Daniel Truhn / Universitätsklinikum Aachen.

Gesundheitsdaten sind überaus sensibel und unterliegen einem besonderen Schutz. Auch wenn man sie noch so sehr anonymisiert, sie dürfen aufgrund des Datenschutzes nicht herausgegeben werden und müssen dortbleiben, wo sie erhoben wurden. Das erschwert jedoch die Präzision in Diagnostik und Behandlung vieler Erkrankungen, vor allem, wenn diese selten sind. So ließe sich zum Beispiel mit einer großen Sammlung an medizinischen Bilddaten aus verschiedenen Zentren die Entwicklung von Tumoren und einer möglichen Metastasierung besser abschätzen und eine optimale Therapie wählen.

Synthetische Daten sind frei von Datenschutzbeschränkungen und Eigentumsansprüchen

Mit dem Projekt SWAG will ein interdisziplinäres Konsortium aus fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die praktischen, ethischen und rechtlichen Hindernisse, die einer Sammlung großer Datensätze im Wege stehen, überwinden. Denn mit KI können klinisch relevante Parameter aus den Röntgenbildern, Computertomografie-Aufnahmen oder histologischen Befunden ausgelesen werden und zu einem KI-Modell zusammengefasst werden. Je mehr Patientendaten das KI-Modell umfasst, umso effizienter lassen sich krankhafte Veränderungen in Zellen und Gewebe vorhersagen. SWAG steht für SWArm learning for Generation and dissemination of high-quality data in oncology. Mit der noch sehr neuen Technologie Schwarmlernen sollen generative Modelle zur Synthese und Nutzbarmachung hochqualitativer Daten in der Krebsmedizin erzeugt werden.

Algorithmen bewegen sich durch Datensätze an verschiedenen Standorten

Der Schwarm besteht in diesem Fall aus Servern an fünf Standorten: der Universitätsmedizin in Aachen, Dresden, Heidelberg, Mainz und Würzburg. Über diese Server werden die gelernten, also künstlich erzeugten Modelle mittels Blockchain-Technologie untereinander ausgetauscht. Das heißt, die Daten bleiben am Standort, man teilt nur die Algorithmen und das, was sie am jeweiligen Standort dazulernen. Einen zentralen Koordinator wie es beim föderierten Lernen der Fall ist, gibt es beim Schwarmlernen nicht, wodurch die Daten zusätzlich gesichert sind. Jeder lokale Server wirkt als zentraler Server, sobald er seinen neuesten Block mit künstlichen Datensätzen mit dem vorhergehenden Block verbindet und somit das KI-Modell mit einer stetig wachsenden Datenmenge trainiert.

„Wir erzeugen synthetische Bilder, die auf ganz vielen Bildern von verschiedenen Patienten basieren, jedoch keinen Patientenbezug mehr haben und daher niemandem gehören“, bringt es Prof. Dr. Bettina Baeßler auf den Punkt. Die Leiterin der Kardiovaskulären Bildgebung und Künstlichen Intelligenz am Uniklinikum Würzburg koordiniert das SWAG-Projekt. Die Radiologin vergleicht es gern mit KI-generierten Kunstwerken: „Die KI lernt wie typische Bilder von van Gogh oder Monet aussehen. Dann sage ich: Generiere mir ein Bild, dass so aussieht, als hätte es van Gogh gemalt. Das Bild sieht dann aus wie ein van Gogh, ist aber keiner.“

Mit Swarm Learning trainierte KI-Modelle können genetische Veränderungen vorhersage

Wie vielversprechend der Einsatz von Schwarmlernen für dezentrale Künstliche Intelligenz in der Onkologie ist, haben die SWAG-Projektpartner, der Dresdner Internist Prof. Dr. Jakob Nikolas Kather, der Physiker und Mediziner Dr. Daniel Truhn aus Aachen und der Mainzer Pathologe Dr. Sebastian Försch bereits im renommierten Journal Nature Medicine publiziert. „Anhand von Daten von mehr als 5.000 Patientinnen und Patienten konnten wir zeigen, dass KI-Modelle, die mit Swarm Learning trainiert wurden, klinisch relevante genetische Veränderungen direkt aus Standardpräparaten von Gewebe aus Tumoren des Dickdarms vorhersagen können“, erläutert Jakob Kather. Weibliche Unterstützung im SWAG-Team bekommt Bettina Baeßler übrigens von der Informatikerin Prof. Dr. Sandy Engelhardt, die am Universitätsklinikum Heidelberg die AG Artificial Intelligence in Cardiovascular Medicine leitet.

Nierenzellkarzinom als Prototyp für viele andere seltene Krebserkrankungen

Mit Schwarmlernen können KI-Modelle für beliebige Bildanalyseaufgaben trainiert werden. Im SWAG-Projekt geht es zunächst um vier Modalitäten. Das heißt, die Modelle lernen mit echten, retrospektiven Patientendaten, wie Röntgen-Thorax-Bilder, CT-Aufnahmen vom Bauch (Abdomen), vom Brustkorb (Thorax) und histologische Aufnahmen, also Gewebeproben aussehen. „Der Computer spuckt dann im Grunde synthetische Bilder aus, die reine Mathematik sind, also eine Riesenformel“, beschreibt Bettina Baeßler. „Und diese vortrainierten Modelle können wir wiederum auf bestimmte Pathologien trainieren. Im SWAG-Projekt konzentrieren wir uns zunächst auf das Nierenzellkarzinom.“ Tumore in Nierenzellen sind sehr selten, sehr unterschiedlich und in vielen Fällen tödlich. Dank moderner Bildgebungsverfahren können sie zwar früh erkannt werden, doch es ist oft schwierig, eine Prognose zur Entwicklung des Tumors zu treffen und eine passende Behandlung zu wählen.

Damit die KI-Modelle auch an anderen Standorten als in Aachen, Dresden, Heidelberg, Mainz und Würzburg funktionieren, wird das Schwarmlernen mit generativem Lernen kombiniert. Ziel ist es, die synthetischen Datensätze und trainierten Modelle mit der Wissensgemeinschaft zu teilen, sie gemeinsam weiterzuentwickeln und somit seltene Tumore besser bewerten und behandeln zu können.

BMBF-Förderung im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs

SWAG wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Richtlinie zur Förderung von interdisziplinären Projekten zur Entwicklung und Erprobung von neuen Ansätzen der Datenanalyse und des Datenteilens in der Krebsforschung in der Nationalen Dekade gegen Krebs mit 1 Millionen Euro über einen Zeitraum von zwei Jahren gefördert. 

Revolutionären Regulationsmechanismus der Blutgerinnung entdeckt

Würzburger Arbeitsgruppe rund um Studienleiter Bernhard Nieswandt entschlüsselt einen von Blutplättchen vermittelten Regulationsmechanismus der Fibrinbildung bei der Blutgerinnung und leitet daraus neue Therapieansätze ab. Die Blutstillung ist lebenswichtig, um übermäßigen Blutverlust zu vermeiden. Bei einer überschießenden Reaktion und einer unkontrollierten Bildung von Fibrin besteht jedoch ein Thrombose-Risiko. In der in Nature Cardiovascular Research publizierten Studie decken die Forschenden das Glykoprotein GPV als Schaltstelle für die Blutstillung und Thrombusbildung auf.

Das Bild zeigt, dass lösliches GPV die Bildung eines Thrombus im Blutgefäß verhindern kann.
Behandlung einer Maus mit löslichem GPV verhindert die Bildung eines gefäßverschließenden Thrombus in einem experimentellen Modell zur Thrombosebildung (rechts). Im Vergleich dazu ist ein gefäßverschließender Thrombus einer unbehandelten Maus gezeigt (links). © Sarah Beck
Die Grafik zeigt, wie geschnittenes GPV an Thrombin bindet und die Fibrinbildung reduziert.
Zusammenfassende Skizze: GPV wird durch Thrombin geschnitten, bleibt an dieses gebunden und lokalisiert zusammen mit Thrombin an Fibrin. Fibrinbildung wird dadurch reduziert. So kontrolliert GPV räumlich-zeitlich die Thrombusbildung. © RVZ

Wenn unsere Blutgefäße durch Schnitt- oder Schürfwunden oder Quetschungen verletzt werden, ist es lebenswichtig, dass die Blutung gestillt und die Wunde verschlossen wird. In der Fachsprache heißt dieser Prozess Hämostase. Diese besteht aus zwei Vorgängen: Der Blutstillung, bei der sich Blutplättchen (Thrombozyten) an die Wundränder heften, einen Pfropf bilden und die Verletzung provisorisch abdichten. Und der Blutgerinnung beziehungsweise Gerinnungskaskade, bei der am Ende lange Fasern aus Fibrin gebildet werden, welche gemeinsam mit den Blutplättchen die Wunde fest abdichten. Wird Fibrin jedoch im Übermaß gebildet, zum Beispiel bei chronischen Wunden, kann es zu Gefäßverschlüssen, so genannten Thrombosen, kommen. Deshalb ist eine strenge Regulierung der Fibrinbildung wichtig. Doch wie die Gerinnung begrenzt wird, war bislang nicht vollständig verstanden. In einem von der Würzburger Universitätsmedizin koordinierten, internationalen Projekt haben Forschende jetzt einen zentralen Regulationsmechanismus der Fibrinbildung entschlüsselt und daraus neue Therapieansätze abgeleitet. Die Ergebnisse wurden im renommierten Magazin Nature Cardiovascular Research veröffentlicht.

GPV kontrolliert die Aktivität von Thrombin und Bildung von Fibrin 

In der Studie gelangt die Arbeitsgruppe rund um Studienleiter Prof. Dr. Bernhard Nieswandt zu grundlegend neuen Erkenntnissen: „Wir konnten erstmals eine neue Schaltstelle aufdecken, die sowohl die Blutstillung als auch die Bildung von Thrombosen reguliert. Diese Schaltstelle ist das Glykoprotein V, kurz GPV, das sich auf der Oberfläche von Blutplättchen befindet. GPV kontrolliert die Aktivität des Enzyms Thrombin, das für die Bildung von Fibrin verantwortlich ist“, erläutert Bernhard Nieswandt, Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin I und Vorstand des Rudolf-Virchow-Zentrum - Center for Integrative and Translational Bioimaging (RVZ) der Universität Würzburg.

Thrombin ist ein entscheidendes Enzym in der Blutgerinnung und seine Aktivität muss daher zeitlich-räumlich sehr genau kontrolliert sein. Bisher war bekannt, dass der Oberflächenrezeptor GPV während der Aktivierung der Blutplättchen durch Thrombin geschnitten wird. Dadurch wird GPV als lösliche Rezeptorform freigesetzt. Die physiologische Funktion dieses Rezeptors war jedoch weitestgehend unbekannt. Mit genetischen und pharmakologischen Ansätzen haben die Forschenden gezeigt, dass eine Thrombin-vermittelte Abspaltung von GPV die Bildung von Fibrin begrenzt. Indem das lösliche GPV an Thrombin gebunden bleibt, verändert es die Aktivität von Thrombin, sodass dieses weniger Fibrin bilden kann.

„Erkenntnisse werden Lehrbuchwissen verändern“

In einer Reihe von Versuchen an experimentellen Thrombosemodellen konnte gezeigt werden, dass lösliches GPV unter anderem die Bildung von gefäßverschließenden Thromben verhindert und einen deutlichen Schutz vor experimentellem Schlaganfall und damit verbundener Hirnschädigung vermittelt. Bernhard Nieswandt ist davon überzeugt, dass diese neuen Erkenntnisse das Lehrbuchwissen erweitern werden, und dankt den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des RVZ und des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), die von Kolleginnen und Kollegen aus Mainz, Maastricht und den USA unterstützt wurden.

Antikörper gegen GPV bieten großes klinisches Potential bei Behandlung einer gestörten Hämostase

In einem weiteren Ansatz hat die Forschungsgruppe Antikörper gegen GPV generiert, die das Thrombin-vermittelte Abschneiden von GPV verhindern. „In unseren Studien konnten wir zeigen, dass diese Antikörper die Thrombin-Aktivität erhöhen und es dadurch zu einer vermehrten Fibrinbildung kommt. Unsere Idee war es deshalb, diese Antikörper im Zusammenhang mit einer gestörten Hämostase zu nutzen, um die Fibrinbildung zu erhöhen“, führt Prof. Dr. David Stegner, Leiter der Arbeitsgruppe Vaskuläre Bildgebung am RVZ und einer der Letztautoren der Studie, weiter aus. Neben genetischen Ursachen kann eine gestörte Hämostase auch auf pharmakologisch-bedingte Beeinträchtigungen der Thrombozytenanzahl oder -funktion zurückgeführt werden. Dies ist zum Beispiel nach Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern wie etwa Clopidogrel der Fall, die zur Vorbeugung eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls und zur Behandlung von Durchblutungsstörungen eingesetzt werden.

„In einem experimentellen Modell zur Blutstillung konnte unser neuer Antikörper tatsächlich die Hämostase unter Bedingungen wiederherstellen, unter denen ansonsten keine Blutstillung möglich ist. Dies weist auf eine Unterstützung der Hämostase durch Verbesserung der Thrombin-abhängigen Fibrinbildung hin.“ ergänzt Dr. Sarah Beck, Wissenschaftlerin am Würzburger Institut für Experimentelle Biomedizin und Erstautorin der Studie. „Eine Anti-GPV-Behandlung könnte großes klinisches Potential haben und ist ein Ansatzpunkt, den wir in Zukunft näher verfolgen werden.“ 

Publikation

Sarah Beck, Patricia Öftering, Renhao Li, Katherina Hemmen, Magdolna Nagy, Yingchun Wang, Alessandro Zarpellon, Michael K. Schuhmann, Guido Stoll, Zaverio M. Ruggeri, Katrin G. Heinze, Johan W.M. Heemskerk, Wolfram Ruf, David Stegner, Bernhard Nieswandt: Platelet glycoprotein V spatio-temporally controls fibrin formation. Nature Cardiovascular Research (April 2023) DOI: 10.1038/s44161-023-00254-6; URL: https://www.nature.com/articles/s44161-023-00254-6

Kontakt

Prof. Dr. Bernhard Nieswandt (Rudolf-Virchow-Zentrum, Universität Würzburg)Tel.: + 49 931 31-80405, bernhard.nieswandt@virchow.uni-wuerzburg.de

Würzburg. Am 4. März 2023 besuchte Judith Gerlach, die Bayerische Staatsministerin für Digitales, die Würzburger Universitäts-Kinderklinik. Privatdozent Dr. Oliver Andres, Oberarzt der Kinderklinik, und Prof. Dr. Tilmann Schweitzer, Spezialist für Kinderneurochirurgie, begleiteten die Politikerin bei ihrem Rundgang durch die Klinik. In ihren Ausführungen verdeutlichten die Ärzte die überregionale Bedeutung der Einrichtung. So erstreckt sich die an der Kinderklinik tagtäglich geleistete Betreuung von Aschaffenburg bis nach Nürnberg und von Fulda bis nach Heilbronn. Durch die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem mit der Geburtshilfe, der Kinderneurochirurgie, der Kinderchirurgie, der Augenheilkunde und der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde verfügt die Kinderklinik über eine Fachkompetenz, die auch bundesweit wahrgenommen wird. Wichtig sind dabei auch Netzwerkstrukturen mit anderen Kliniken, die mit digitaler Unterstützung ausgebaut werden. 

Anschaffung eines neuen Transport-Inkubators geplant

Beim Besuch der Ministerin kam auch die zeitnah geplante Anschaffung eines neuen Transport-Inkubators zur Sprache, mit dem schwerkranke Neugeborene sowohl im Krankenwagen als auch im Helikopter transportiert werden können. Finanziert werden soll der Spezial-Inkubator zu erheblichen Teilen von der Elterninitiative KIWI e.V. Bei der Klinikbesichtigung stellte die 1. Vorsitzende von KIWI e.V., Ina Schmolke, die ehrenamtliche Arbeit des Vereins vor. Diese besteht darin, Spendengelder für die Ziele der Elterninitiative einzuwerben und die Projekte des Vereins durchzuführen. Der Besuch der Staatsministerin ging auf eine Kontaktinitiative von Ina Schmolke zurück.

Besichtigung der Frühgeborenen-Intensivstation

Zum Abschluss konnte Judith Gerlach die Frühgeborenen-Intensivstation besichtigen und im Gespräch mehr über die Arbeit in der Kinderklinik sowie die täglichen Herausforderungen erfahren. Sie erhielt einen Einblick in die Versorgungssituation der Neugeborenen im Brutkasten und traf Eltern, die ihren frühgeborenen Kindern möglichst kontinuierlich zur Seite stehen.

Würzburger Universitäts-HNO-Klinik: Neues Mediennetzwerk ermöglicht OP-Live-Übertragungen auf Spitzenniveau

In 3D und mit 4K: Nach umfangreichen Entwicklungs- und Installationsarbeiten verfügt die HNO-Klinik des Uniklinikums Würzburg jetzt über ein neues Mediennetzwerk, mit dem Operationen zu Schulungszwecken nach höchsten Standards übertragen werden können – innerhalb der Klinik und weltweit. Seine erfolgreiche Feuertaufe erlebte das System beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs.

 

Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden.
Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden. Bild: UKW / Johannes Völker
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik.
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik. Bild: UKW / Stephanie Wolz
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten.
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten. Bild: UKW / S. Hagen
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K.
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K. Bild: UKW / Johannes Völker
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können.
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können. Bild: UKW / Johannes Völker

Würzburg. Die Video-Übertragung vom Operationssaal in den Hörsaal hat an der HNO-Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) eine lange Tradition: Mit Unterstützung der Dr.-Herbert-Brause-Stiftung Würzburg können schon seit dem Jahr 2006 Studierende und Kursteilnehmende in dreidimensionalen Live-Bildern am OP-Geschehen teilnehmen und mit dem Operateur kommunizieren. Was zunächst nur vor Ort möglich war, wurde zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 durch ein aufwändiges Live-Broadcast- und -Streaming-System zu einem Online-Angebot erweitert. 

Konzept für neues Audio-Video-Netzwerk erarbeitet

„Parallel zu dieser letzten Entwicklung fassten wir den Plan, das gesamte System technologisch auf den heute bestmöglichen Stand zu heben, der zudem Raum für zukünftige Weiterentwicklungen gibt“, schildert Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen. Deshalb gründete er im Jahr 2020 ein Team zur Modernisierung der Anlage. Die Projektleitung übernahmen der stellvertretende Klinikdirektor Prof. Dr. Kristen Rak und der Oberarzt Dr. Johannes Völker. Das in der Folge erarbeitete Konzept für ein neues Audio-Video-Netzwerk wurde von der Dr.-Herbert-Brause-Stiftung erneut gefördert, diesmal mit 130.000 Euro. 

„Unsere Ziele dabei waren vielfältig“, beschreibt Dr. Völker und fährt fort: „Während bisher nur Bilder von einzelnen wenigen OP-Mikroskopen übertragen werden konnten, sollte das neue Netzwerk alle fünf regulären sowie den experimentellen OP-Saal der HNO-Klinik, deren Felsenbein-Labor und Konferenzräume, das klinikeigene Videolabor und das Direktorat einbinden – und zwar bidirektional.“ Außerdem sollte die Bildauflösung auf 4K erhöht werden. Die damit mögliche detail- und kontrastreiche sowie besonders dynamische Darstellung ist zum Beispiel von modernen Heimkinoanlagen bekannt.

25 km Glasfaserleitungen als Infrastruktur-Voraussetzung

Eine zentrale Voraussetzung für die Neukonzeption war die Installation eines Mehrfaser-Glasfaser-Netzwerks – 25 Kilometer der leistungsfähigen Datenleitungen wurden in den letzten Monaten in der HNO-Klinik an der Josef-Schneider-Straße verlegt und mit bislang 150 Endgeräten an 20 Endpunkten verbunden. Zu diesen zählen zwei spezielle Projektoren, die für eine brillante 4K/3D-Projektion im Hörsaal angebracht und hochpräzise ausgerichtet wurden. „Unser Wunsch war es ferner, in die 3D-Projektion auch zweidimensionale Bilder – wie Audiogramme, Grafiken oder Röntgenbilder – einklinken zu können“, berichtet Prof. Hagen. Allerdings bot der Markt hierfür keine fertigen Lösungen, so dass die HNO-Klinik in der Konzeptionierungsphase eigene Experimente durchführen musste. „Glücklicherweise standen uns bei der technologischen Entwicklung und Umsetzung neben unseren hauseigenen Technikern die Expertinnen und Experten des Servicezentrums Medizin-Informatik des UKW sowie der Rottendorfer Firma Soulution zur Seite“, betont der Klinikdirektor. 

Erfolgreicher Praxistest beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs

Die Modernisierung des Mediensystems war rechtzeitig abgeschlossen, um beim 35. Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs vom 13. bis 15. Februar 2023 seine erfolgreiche Feuertaufe zu durchlaufen. So hatten im Hörsaal die mit Polarisationsbrillen ausgestatteten, rund 56 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 12 Ländern zum Beispiel pixelgenau die gleiche dreidimensionale Sicht auf das Operationsfeld, wie es sich dem Operateur mit dem digitalen Operationsmikroskop Arriscope bietet. Und das in riesenhafter Vergrößerung: Mittelohrstrukturen, die in der Realität nur wenige Millimeter groß sind, füllten im Hörsaal eine Projektionsfläche mit einer Diagonalen von sieben Metern. „Das Auditorium wie auch unsere externen Referenten waren schlichtweg begeistert“, freut sich Prof. Hagen. Neben den Zuschauerinnen und Zuschauern vor Ort nutzen 42 Personen aus elf Nationen die Möglichkeit zur Online-Teilnahme über das interaktive Broadcast-System. „Im Moment sehen diese die Bildinhalte auf ihren heimischen Computerbildschirmen noch in 2D, aber es zeichnet sich ab, dass zukünftig auch dort eine dreidimensionale Wiedergabe technisch möglich sein wird“, kündigt Prof. Hagen an. Er resümiert: „Mit dem Mediennetzwerk haben wir die Voraussetzungen für hochwertige Fachfortbildungen ohne Reiseaufwendungen sowie eine moderne Online-Lehre geschaffen, die auch kommende Technologien flexibel integrieren kann.“

Operationstraining jetzt auch online möglich

Zu den seit über drei Jahrzehnten von der HNO-Klinik des UKW veranstalteten Mikrochirurgischen Mittelohr-Kursen gehören neben Live-OPs und Vorträgen traditionsgemäß auch Trainingssitzungen im Felsenbein-Labor. Das Felsenbein ist der Teil des Schädels, der das Mittel- und Innenohr enthält. Im Labor der HNO-Klinik konnten auch in diesem Jahr wieder 24 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer an Präparaten dieses Knochenabschnitts diverse mikrochirurgische Techniken mit Originalgeräten selbst erproben. Als Innovation wurde dieses Angebot heuer erstmals auch als Fernkurs angeboten. Dazu sandte die Klinik zehn interessierten Ärztinnen und Ärzten aus aller Welt vorab ein Set von Übungsmaterialien zu. Dazu gehörten ein in allen Details naturgetreu nachgebildetes Felsenbein aus Kunststoff, die für die Operationen notwendigen Spezialinstrumente sowie eine Endoskop-Kamera. Jedem Teilnehmenden stand ein Teammitglied der HNO-Klinik als Betreuer online zur Seite. Diese konnten über eine Internetverbindung die Aufnahmen der Endoskop-Kamera beim jeweiligen „Schüler“ in Echtzeit sehen und dessen Vorgehen anleiten. „Der Piloteinsatz des wegweisenden Fortbildungsformats hat hervorragend funktioniert. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Lösung die internationale Nachfrage nach unserem Kursangebot in Zukunft noch deutlich erhöhen wird“, kommentiert Prof. Hagen. 

Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden.
Im Hörsaal: Mit Hilfe einer Polarisationsbrille können kleinste anatomische Strukturen leinwandfüllend dreidimensional und in brillanter Qualität erlebt werden. Bild: UKW / Johannes Völker
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik.
Im Broadcast-Studie des neuen Mediennetzwerks (von links): Dr. Johannes Völker, Sebastian Heimbeck, Geschäftsführer der Soulution GmbH, und Michael Grünewald, Informationselektroniker der HNO-Klinik. Bild: UKW / Stephanie Wolz
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten.
Beim diesjährigen Mikrochirurgischen Mittelohr-Kurs konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Hörsaal auch wieder den Klinikdirektor Prof. Dr. Rudolf Hagen bei der Durchführung einer OP live beobachten. Bild: UKW / S. Hagen
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K.
Zwei neue Projektoren ermöglichen eine Live-Video-Darstellung in 3D und mit 4K. Bild: UKW / Johannes Völker
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können.
Prof. Dr. Kristen Rak, der stellvertretende Direktor der Würzburger Universitäts-HNO-Klinik, demonstriert, wie an einem Kunststoff-Felsenbein und mit Hilfe einer Endoskop-Kamera Mittelohr-Operationen auch online erlernt werden können. Bild: UKW / Johannes Völker

Auslöser für eine Typisierungsaktion für Stammzellenspenderinnen und –spender im Landratsamt Würzburg war die lebensgefährliche Knochenmarkserkrankung der siebenjährigen Mara. Ihr Onkel, Markus Feser, ist Mitarbeiter des Landratsamtes und fiebert mit Maras Familie mit, ob ein passender Stammzellenspender gefunden werden kann, um das Leben von Mara zu retten.

Auf Fesers Initiative hin organisierte das Landratsamt Würzburg eine Typisierungsaktion, um möglichst viele neue Spenderinnen und Spender in die Stammzellenspenderdatei des „Netzwerks Hoffnung“ der Universitätsklinik aufnehmen zu können. Insgesamt nahmen 39 Personen die Möglichkeit wahr, mit ihrer Speichelprobe beizutragen, dass eventuell Mara – oder den zahlreichen Patienten, die weltweit auf eine passende Stammzellenspende warten – geholfen werden kann. 

Hoffnung spenden und Leben retten

Dr. med. Sabine Kuhn stand fünf Stunden lang mit dem Team des „Netzwerks Hoffnung“ der Uniklinik Würzburg im Landratsamt bereit, um Speichelproben von Spendenwilligen zu nehmen und zu dokumentieren. Als Unterstützung hatte sie Lilli Adelmann und Klaudia Paluchowska mitgebracht, die sich seit Jahren unter dem Motto „Hoffnung spenden und Leben retten. Für Franken. Für Bayern. Für die ganze Welt.“ einsetzen. 

Landrat Thomas Eberth bedauerte, dass er das erste Mal in seinem Leben für etwas Gutes zu alt sei – denn neu aufgenommene Spendende dürfen nicht älter als 45 Jahre sein. Eberth ist jedoch ohnehin schon seit vielen Jahren in der Spenderdatei registriert und begrüßte das Engagement der Kolleginnen und Kollegen, um nach der Zwangspause durch die Corona-Pandemie wieder auf diese Möglichkeit, Leben zu retten, aufmerksam zu machen. Auch das Gesundheitsamt Würzburg unterstützte mit den Mitarbeiterinnen Iris Bodach und Jeannine Müller-Heppes die Typisierungsaktion.

Dr. Kuhn erklärte: „Viele Patienten mit Leukämie oder ähnlichen Erkrankungen sind wie Mara für ihre Heilung auf eine Stammzelltransplantation angewiesen. Für eine solche Transplantation müssen die Gewebemerkmale zwischen Patient und Spender nahezu vollständig übereinstimmen. Da es jedoch sehr viele unterschiedliche Merkmalskombinationen gibt, ist es oft unglaublich schwierig, einen geeigneten Spender zu finden. Deshalb ist eine Aktion wie heute im Landratsamt unglaublich wertvoll, um möglichst viele Spender in der weltweiten Datenbank zu haben.“

Stammzellenspende fast so einfach wie eine Blutspende

Landrat Eberth informierte sich über den Ablauf, wenn ein Match gefunden wurde, also die Stammzellen von Patient und einem Spender passen. „Es muss schon seit längerem keine Knochenmarksentnahme mehr beim Spender vorgenommen werden“, erklärte Dr. Kuhn. Der Eingriff erfolge ähnlich wie bei einer Blutspende und sei für den Spender nahezu schmerzfrei und in rund fünf Stunden erledigt. Durch Vermehrung der Stammzellen mit einem Medikament können diese fast so einfach wie eine Blutspende gewonnen werden.  „Wir hoffen, dass wir mit der Aktion im Landratsamt dazu beitragen konnten, einem Patienten neue Hoffnung zu schenken“, betonte Landrat Eberth. „Und wir wünschen der kleinen Mara und allen, die auf eine Stammzellenspende warten, alles Gute und hoffentlich rechtzeitig eine passende Spende.“ 

Registrierung auch individuell möglich

Wer sich mit einer Speichelprobe registrieren lassen will, dem sendet das Netzwerk Hoffnung auch ein Typisierungsset nach Hause. Dieses kann kostenlos unter Telefon 0931 201-31325 oder per Mail netzwerk-hoffnung@ ukw.de angefordert werden. 

Die Kosten der Ersttypisierung betragen 40 Euro und werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Diese werden ausschließlich aus privaten Spenden finanziert. Das Netzwerk Hoffnung ist für jede Unterstützung dankbar. Spendenkonto: Netzwerk Hoffnung, HypoVereinsbank Würzburg, IBAN: DE12 7902 0076 0304 5555 05, BIC: HYVEDEMM455

Weitere Informationen gibt es unter www.ukw.de/netzwerke/netzwerk-hoffnung 

 

Pressemitteilung vom Landratsamt Würzburg vom 15. März 2023

 

Hausärztliche Praxisteams und Bürger als Co-Forscher

Das Bayerische Forschungsnetz in der Allgemeinmedizin (BayFoNet) zieht beim Beiratstreffen in Würzburg Zwischenbilanz und wagt den Blick nach vorn

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Die Forschung in der Allgemeinmedizin durch Kooperationen von hausärztlichen Praxen und der universitären Allgemeinmedizin in Bayern zu fördern, das ist das große Ziel des Bayerischen Forschungsnetzes in der Allgemeinmedizin, kurz BayFoNet. „Das heißt, wir wollen Forschungsfragen aus der ambulanten Versorgung zusammen mit den Praxen untersuchen, die Forschungserkenntnisse zeitnah und zielgruppenspezifisch in die Regelversorgung transferieren, den hausärztlichen Nachwuchs in die Forschung integrieren und dazu befähigen, eigene Forschungsideen zu entwickeln und umzusetzen und schließlich die Bürgerinnen und Bürger am Forschungsprozess beteiligen“, erklärt die Projektleiterin und Sprecherin Prof. Dr. Ildikó Gágyor vom Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg.

BayFoNet wird seit dem Jahr 2020 für insgesamt fünf Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Neben den Universitätskliniken Erlangen und Würzburg, dem Klinikum der Universität München und dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München gehört seit November 2022 auch das Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Augsburg zum BayFoNet. Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.

Mehr als 100 Mitgliedspraxen zertifiziert

Inzwischen haben mehr als 200 hausärztliche Praxen ihr Interesse an einer Teilnahme am BayFoNet angemeldet. 118 Praxen von ihnen haben bereits alle Akkreditierungskriterien erfüllt und ein BayFoNet-Mitglieds-Zertifikat erhalten. In zwölf regionalen Ideenwerkstätten brachten knapp 40 Hausärztinnen und Hausärzte ihre Expertise bei der Entwicklung und Durchführung von Studien ein. Eine erste, von Hausarztpraxen selbst initiierte und entwickelte Studie steht kurz vor dem Start. Aktuell werden zwei Pilotstudien zur Mikroskopie beim unkomplizierten Harnwegsinfekt sowie zur Implementierung eines Online-Schulungsprogramms für Menschen mit Asthma durchgeführt, die zur Prüfung der Funktionalität des Netzwerkes dienen sollen. Daneben werden an den fünf Standorten 14 weitere Studien durchgeführt, welche auf die Infrastruktur zurückgreifen. Daraus sind jeweils 16 wissenschaftliche Publikationen und Tagungsbeiträge entstanden

Bürgerinnen und Bürger werden am Forschungsprozess beteiligt

Ein besonderes Augenmerkt wird im BayFoNet auf die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und hausärztlichen Praxisteams gelegt. Knapp 50 Personen aus der Bevölkerung konnten bisher gewonnen werden, sich in einer der 18 stattgefundenen Bürgerforen und Bürgerbeiräten einzubringen. Wer an der Forschung Interesse hat und mithelfen möchte, wissenschaftliche Untersuchungen so zu gestalten, dass diese auch nachvollziehbar sind, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Informationen liefert die Webseite bayfonet.de 

„Patienten finden es toll, wenn sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert“

Des Weiteren möchten sich die Netzwerkpartner in den nächsten zwei Jahren dem Thema der Datenverarbeitung widmen. Wie innerhalb des Netzwerkes gilt auch hier, dass ohne Vertrauen kein Austausch erfolgen kann. Dabei gilt es zu klären, welche Daten auf bayerischer, aber auch nationaler Ebene zu welchen Zwecken standardisiert erhoben und geteilt werden sollen und wie eine technische Umsetzung konkret aussehen kann.

Erste Ergebnisse der Prozessevaluation weisen darauf hin, dass die hausärztlichen Praxisteams durch ihre Mitgliedschaft im BayFoNet, ihre aktive Mitwirkung und Vernetzung eine Stärkung der Allgemeinmedizin erleben. Zudem sehen sie es als berufliche Entwicklung sowie Fortbildungsmöglichkeit für das Praxispersonal an. „Die Patienten finden es toll, wenn sie merken, dass sich die Praxis für die Wissenschaft interessiert. Das wertet meine Praxis auf", so eine Rückmeldung eines Hausarztes.

„Wir sind auf einem sehr guten Weg“, freut sich Ildikó Gágyor und dankt allen Beteiligten für ihren Einsatz, generell im BayFoNet und konkret beim zweitätigen Beiratstreffen. Wichtige Impulse und Rückmeldungen beim Treffen in der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg kamen von den Beiratsmitgliedern Prof. Frank Sullivan von der University St. Andrews, Prof. Alena Buyx von der TU München sowie Prof. Klaus Berger von der Universität Münster. Die Prodekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg, Prof. Katrin Heinze, sowie Prof. Dr. Thomas Ewert vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) stimmten die Anwesenden mit Grußworten auf die Veranstaltung ein.

Kontakt

Für interessierte Hausarztpraxen, die Teil des BayFoNet werden möchten, steht Christian Kretzschmann als Ansprechpartner zur Verfügung unter E-Mail: Kretzschma_C@ukw.de oder Tel: 0931 201 47808. Weitere Informationen finden Sie unter www.bayfonet.de 

Beim Beiratstreffen in der vergangenen Woche in Würzburg zogen die Vertreterinnen und Vertreter der fünf beteiligten bayerischen Institute für Allgemeinmedizin Zwischenbilanz.
Das BayFoNet Team mit den Beiratsmitgliedern zu Gast in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW

Demenz vom Stigma befreien

Am Uniklinikum Würzburg hat Alexandra Wuttke die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. Sie möchte vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Demenzforschung in die Praxis bringen, Interventionen zur Stressreduktion für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entwickeln und im Alltag erproben.

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

Würzburg. Sie ist mit 34 Jahren eine der jüngsten Professorinnen in der Würzburger Universitätsmedizin. Und sie kümmert sich um die Älteren unserer Gesellschaft - um Menschen mit Demenz. „Seit meinem Psychologie-Studium finde ich ältere Menschen spannend und faszinierend“, erläutert Prof. Dr. Alexandra Wuttke ihren Arbeitsschwerpunkt. „Ich erlebe tagtäglich, welche Ressourcen in ihnen schlummern. Ihre Kräfte und Energien wären so wichtig für einen intergenerationalen Austausch. Schade, dass die Gesellschaft oft eine negative Sicht auf die älteren Menschen hat.“

„Was wir aus der Forschung wissen, müssen wir in den Alltag bringen!“

Ebenso bedauerlich findet sie, dass die Demenz immer noch stigmatisiert wird. Das Wort Demenz verbinden viele mit der Oma im Pflegeheim, die einen nicht mehr erkannt hat, oder dem Opa, der nicht mehr reden konnte. Alle hätten das letzte Stadium im Kopf und dass man gegen eine Demenz machtlos sei. Aber dass es einen jahrzehntelangen Vorlauf gibt, sich die Demenz schleichend entwickelt und sich viele Weichen stellen lassen, um das Fortschreiten zu verlangsamen und die Selbstständigkeit für einen sehr langen Zeitraum zu erhalten, das sei leider nicht in den Köpfen. Und das möchte Alexandra Wuttke ändern: Das Wissen aus der Forschung in die Bevölkerung bringen! Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der frühen Begleitung und Intervention, die sich sowohl an die Menschen mit Demenz als auch ihre Angehörige richtet, damit beide gesund bleiben können. Denn die Diagnose Demenz sei ein Stressor für alle Beteiligten, und in den unterschiedlichen Stadien der Demenz müsse es spezifische Angebote für Menschen mit Demenz und ihr Angehörigen geben, um Stress zu reduzieren und Resilienz zu stärken.

Stiftungsprofessur von Würzburger Universitätsmedizin, Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist

Seit Februar hat die Mutter eines Sohnes eine an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) angesiedelte W1-Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen - zunächst in Teilzeit, da sie derzeit noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz leitet. Die neue Stiftungsprofessur in Würzburg wurde vom Uniklinikum Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist im vergangenen Jahr eingerichtet, um an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Anwendung das gesellschaftlich so wichtige Thema der Demenz voranzubringen. Alexandra Wuttke ist von den ersten Arbeitstagen in Würzburg begeistert: „Ich wurde so herzlich begrüßt. Die Infrastruktur zur Demenzforschung ist in Würzburg hervorragend, und es gibt bereits tolle Initiativen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.“

Würzburg bietet immensen Wissensschatz durch Studien und hervorragende Infrastruktur

Die Stiftung Bürgerspital zum hl. Geist bietet seit ihrer Gründung in ihren Senioreneinrichtungen alten Menschen mit all ihren Erkrankungen eine bestmögliche Versorgung unter Wahrung von Autonomie und Würde. Und in ihrem Geriatriezentrum und der dort angesiedelten GesundheitsAkademie50Plus wird schon seit fast 20 Jahren die Therapie und Prävention typischer Alterserkrankungen intensiv verfolgt. Wuttke sieht hier zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten.

Einen immensen Datenschatz für die Frühdiagnose und Prävention bieten zudem die Forschungsergebnisse aus der von der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp finanzierten Kohorten-Studie, in der mehr als 600 Würzburgerinnen und Würzburger ab 75 Jahren innerhalb von zwölf Jahren mehrfach am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des UKW untersucht wurden. Nach der Querschnittsauswertung zu den Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung steht jetzt die Längsschnittauswertung aus: Was kann eine Demenzentwicklung vorhersagen?

Auch das Uniklinikum nimmt die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, an und hat die Themen Alterung und Multimorbidität als eines von vier Strategiefeldern definiert. Die Professur von Alexandra Wuttke ist Teil dieser Strategie. „Demenzsensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten erfordert vor allem Empathie“, lehrt sie ihre Studierenden. „Es geht darum, die Bedürfnisse zu verstehen. Menschen mit Demenz sind zum Beispiel nicht aggressiv, weil sie böse sind, sondern weil ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Vielleicht hat eine geschlossene Tür Erinnerungen an Kriegszeiten hervorgerufen und man kann Ängste nehmen, indem man die Tür offenlässt. Natürlich sind Gespräche zeitintensiver als die Gabe einer Pille, aber ein gutes Gespräch spart oft weitere Krisen und Wiederaufnahmen.“

„Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken“

Die interdisziplinäre Verortung ihrer Professur ist der Mannheimerin ganz wichtig. „Wir dürfen nicht in der eigenen Disziplin stecken bleiben. Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken. Wir müssen die Pflege, die Medizin und die Psychologie zusammenbringen. Demenz und Depression sind die beiden größten Herausforderungen, wenn es um die psychische Gesundheit im Alter geht. Beides beeinflusst sich gegenseitig.“ Ihre geplante Studie, in der sie zusammen mit einem Konsortium aus Versorgung, Wissenschaft und Politik den Übergang von stationärer zur ambulanten Behandlung untersuchen möchte, setzt genau auf diese interdisziplinäre Denkweise.

Wer schlecht hört aber kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Demenzrisiko

Doch woran erkenne ich eine Demenz? Und wie kann ich vorbeugen oder ein Fortschreiten verlangsamen. „Wir wissen heute, dass 40 Prozent des Risikos, an einer Demenz zu erkranken, auf einen veränderbaren Lebensstil zurückgeht“, erklärt Alexandra Wuttke. Eine Rolle spielen zum Beispiel die Bewegung, soziale Kontakte und psychische Gesundheit. „Aber kaum jemand kennt den Faktor, der den größten Einfluss hat: die Hörfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Wer schlecht hört und kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln.“ Das Tragen eines Hörgerätes könne dieses Risiko ausgleichen. Ein Grund mehr, das Thema Schwerhörigkeit nicht mehr zu tabuisieren. Man sollte sich trauen, Hörgeräte zu tragen, ebenso wie man sich trauen sollte, über Demenz offen zu sprechen.

Nicht korrigieren sondern auf Augenhöhe kommunizieren – das reduziert Stress

Wenn jemand den Verdacht hat, eine Demenz zu haben oder die Angehörigen kognitive Störungen bemerken, ist es ratsam, dieses umgehend in einer Gedächtnisambulanz abklären lassen. Je früher man die Demenz erkennt und behandelt, desto besser kann man die Weichen für die weitere Versorgung stellen. Neben Medikamenten, die den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen können, gibt es vor allem eine große Bandbreite an evidenz-basierten und wirksamen psychosozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen, Interventionen und Ansätze, die die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen helfen, die demenzbedingten Veränderungen des Alltags zu bewältigen und Stress zu reduzieren. Wichtig sei es, die Angehörigen mit einzubeziehen, betont Alexandra Wuttke, die sich sehr für die dyadischen Aspekte der Stressregulation interessiert, was verändert sich in den Zweierbeziehungen bei einer Demenz. „Ich empfehle allen, auf Augenhöhe zu bleiben und die Menschen mit Demenz nicht wie ein Kind zu behandeln.“ Die Situation zuhause entspanne sich oft schon durch eine Änderung der Kommunikation. Wer als Mensch mit Demenz ständig korrigiert und verbessert wird, nach dem Motto „das habe ich doch schon dreimal erklärt“, „du hast schon wieder das Falsche geholt“, fühlt sich ertappt und gestresst und zieht sich zurück. „Wir dürfen den älteren Menschen durchaus mehr zutrauen. Eine gut eingestellte Smartwatch oder Aufkleber auf Schränken und Schubladen könnten zum Beispiel bei der Orientierung im Alltag helfen. Menschen mit einer demenziellen Entwicklung und ihre Angehörigen können lernen, trotz der Demenz möglichst lange gut zusammen zu leben. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“

Zur Person:

Alexandra Wuttke hat an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der University of Western Australia in Perth und an der Central Queensland University im australischen Rockhampton Psychologie studiert, ihre Promotion zum Thema Psychobiological mechanisms underlying the stress-reducing effects of music listening in daily life hat sie in Marburg mit summa cum laude abgeschlossen und anschließend eine Postgraduierte Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Fachkunde Verhaltenstherapie) absolviert. In der Universitätsmedizin in Mainz hat sie zunächst in der AG „Gesundes Altern und Neurodegeneration, Demenz“ als Post Doc gearbeitet und später die Leitung des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz übernommen. Das ZpGA ist ein interdisziplinäres Netzwerk für Präventionsforschung und innovative Versorgungsmodelle des Landeskrankenhauses (AöR). Im Jahr 2022 hat sie den Irmela-Florin Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation (DGVM) für ihre Arbeit zu aufsuchenden, dyadischen Interventionen für Menschen mit beginnender Demenz und ihre Angehörigen erhalten. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. 

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke