Der Würzburger Pflanzenphysiologe Professor Georg Nagel hat, zusammen mit drei weiteren Wissenschaftlern, den Zülch-Preis 2012 erhalten. Die Vier gelten als die Begründer der Optogenetik und werden für ihre Pionierleistung auf diesem Gebiet ausgezeichnet.
Nervenzellen, die sich gezielt mit Licht steuern lassen und die der Wissenschaft damit völlig neue Wege eröffnen: Das ist das Ergebnis einer Reihe von Forschungsarbeiten, deren Ursprung in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts liegt und die ein völlig neues Forschungsgebiet eröffneten: die sogenannte Optogenetik.
Ernst Bamberg, Karl Deisseroth, Peter Hegemann und Georg Nagel waren die Pioniere auf diesem Gebiet. Für ihre bahnbrechenden Arbeiten haben sie jetzt von der Gertrud-Reemtsma-Stiftung den K. J. Zülch-Preis 2012 verliehen bekommen. Der mit insgesamt 50.000 Euro dotierte Preis wird am 7. September offiziell in Köln überreicht.
Ein Lichtschalter für Zellen
Eine Süßwasseralge und ein Salzsee-Archaebakterium standen am Anfang der Arbeiten. Beide besitzen Lichtsinnesproteine zur Orientierung und Energiegewinnung, sogenannte Rhodopsine. Nagel, Hegemann und Bamberg konnten im Jahr 2002 als Erste zeigen, dass es Rhodopsine gibt, die direkt durch Licht gesteuerte Ionenkänale sind, und bezeichneten sie deshalb als Channelrhodopsine.
Durch Ionenkanäle leiten Zellen elektrische geladene Teilchen durch ihre Zellmembran ins Zellinnere hinein oder in den extrazellulären Raum hinaus. Nervenzellen nutzen diesen Mechanismus beispielsweise für die Signalweiterleitung von Sinnesempfindungen ans Gehirn und zur Steuerung der Muskeln.
Algen-Gen in Tierzellen
Was die Wissenschaftler nun machten: Sie injizierten die Erbinformation für Rhodopsine in die Zellen verschiedener Tierarten und stellten fest, dass die Zellen anschließend deutlich und schnell auf Belichtung reagierten. Das Membranpotenzial dieser Zellen änderte sich; elektrisch geladene Teilchen waren durch die Channelrhodopsine gewandert. Beispielsweise aktivierten die drei zusammen mit Alexander Gottschalk (Universität Frankfurt) Channelrhodopsine in den Nervenzellen des Fadenwurms Caenorhabditis elegans und gemeinsam mit Stefan Herlitze von der Universität Bochum in Hühnerembryos und Mäusen.
„Wir haben frühzeitig das Potenzial der Channelrhodopsine als Werkzeuge für die Neurobiologie und eventuelle biomedizinische Anwendungen erkannt“, erinnert sich Georg Nagel heute. Die Wissenschaftler dokumentierten deshalb noch im Jahr 2002 ihre Ideen in einem Patent, das erst vor Kurzem an eine große pharmazeutische Firma für einen gentherapeutischen Ansatz zur Behandlung von neurodegenerativen Augenkrankheiten auslizensiert wurde.
Ein neues Werkzeug für die Wissenschaft
„Mit den Channelrhodopsinen haben Neurobiologen ein neues Werkzeug erhalten, das unser Ver-ständnis des Nervensystems bereits weiter vorangebracht hat und das hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft auch zu neuen Therapien führt“, sagt Nagel. Wissenschaftler können mit dieser Technik heute beispielsweise Nervenzellen mit lichtempfindlichen Proteinkanälen und Ionenpumpen versehen und dadurch mit Licht gezielt steuern.
Auf diese Weise können sie die Grundlagen neurologischer Erkrankungen wie Epilepsie, Parkinson, Depression oder Altersblindheit erforschen. Mit verschiedenfarbigem Licht können sie Nerven- und Muskelzellen an- und abschalten und so im Detail untersuchen, wie Nervenzellen Verhaltensweisen wie Bewegung, Furcht oder soziales Verhalten erzeugen und wie Lern- und Gedächtnisvorgänge ablaufen.
Die Optogenetik habe in den Neurowissenschaften eine Revolution ausgelöst, heißt es in der Be-gründung der Gertrud-Reemtsma-Stiftung zur Preisverleihung an die vier Wissenschaftler. Optogenetische Methoden eröffneten völlig neue Untersuchungsmöglichkeiten in der neu-rowissenschaftlichen Grundlagenforschung bis hin zu biomedizinischen Anwendungen. Dies habe innerhalb kurzer Zeit weltweit zu einer Fülle von herausragenden Forschungsergebnissen geführt.
Die Arbeiten der vier Preisträger
Peter Hegemann hatte bereits 1985 am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried mit der Forschung über die Lichtwahrnehmung von Algen begonnen. Von 1995 an gelang es Georg Nagel und Ernst Bamberg am Max-Planck-Institut für Biophysik, verschiedene bakterielle Rhodopsine auf Froscheier und menschliche Nierenzellen zu übertragen und ihre elektrophysiologischen Eigenschaften zu beschreiben. In den Jahren 2002 und 2003 konnten Peter Hegemann, Georg Nagel und Ernst Bamberg die außergewöhnliche Funktion der Algen-Rhodopsine beweisen.
Karl Deisseroth von der Universität Stanford erkannte ebenfalls frühzeitig das enorme Potenzial der Channelrhodopsine für die Neurowissenschaften. 2005 übertrug er zusammen mit Georg Nagel und Ernst Bamberg Channelrhodopsin-2 in Nervenzellen des Gehirns von Ratten und konnte so erstmals mithilfe der Optogenetik Aktionspotenziale auslösen. Darüber hinaus gelang es ihm, Channelrhodopsine im Gehirn sich frei bewegender Ratten zu aktivieren.
Die von der Gertrud-Reemtsma-Stiftung ausgezeichneten Forscher arbeiten darüber hinaus daran, die Channelrhodopsine für die Optogenetik zu verbessern. Dazu sind biophysikalische und biochemische Untersuchungen zum genaueren Verständnis des molekularen Mechanismus der Kanäle notwendig. So gibt es inzwischen Varianten, die mit weniger Licht auskommen, schneller reagieren und für verschiedene Lichtwellenlängen empfindlich sind.