Aktuelle Pressemitteilungen

Migränetrigger: Konfrontation statt Vermeidung

Universitätsmedizin Würzburg sucht Menschen mit und ohne Migräne für Neurofeedback-Studie im Bereich Migränetrigger

Collage der freigestellten Porträts von Sebastian Evers und Morgane Paternoster
Doktorand Sebastian Evers leitet gemeinsam mit Doktorandin Morgane Paternoster die Neurofeedback-Studie in der Neurologie des Uniklinikums Würzburg und am Institut für Psychologie der Universität Würzburg, an der Personen mit und ohne Migräne teilnehmen können. © UKW
Bild vom Monitor, davor ist ein Kopfmodel mit EEG-Haube und ein Maßband
Beim Neurofeedback wird mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) die Gehirnaktivität auf dem Bildschirm gezeigt. Durch gezieltes Training können die Gehirnströme beeinflusst und reguliert werden. © Sebastian Evers / UKW
Ein Proband sitzt vor einem Monitor und hat eine Haube für das Elektroenzephalogramm auf dem Kopf
EEG-Messung eines Probanden während einer Verhaltensentscheidung. Foto: Sebastian Evers / UKW
Die beiden Wissenschaftlerinnen sitzen mit weißen Kitteln im Labor und pipettieren.
Salomea Löffl (links) und Morgane Paternoster bei der Probenanalyse im Labor. Foto: Sonja Gommersbach / UKW

Würzburg. Migräne ist nicht nur schmerzhaft, sondern beeinträchtigt auch das familiäre, soziale und berufliche Leben. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt der halbseitige Kopfschmerz, der mit vielfältigen Begleitsymptomen einhergeht, zu den zehn häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. Weltweit ist etwa jeder siebte Mensch von regelmäßigen Migräneattacken betroffen. Die meisten leiden jedoch leise. Schätzungsweise jeder Zweite behandelt seine Migräne selbst, anstatt professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Viele kennen die Faktoren oder Situationen, die möglicherweise die Migräneattacke auslösen und versuchen diese so genannten Trigger zu vermeiden. Solche Vermeidungsstrategien können jedoch langfristig zu einer zunehmenden Sensibilisierung des Gehirns und einer erhöhten Empfindlichkeit führen, was stärkere und häufigere Migräneattacken zur Folge hat. 

„Statt Trigger komplett zu vermeiden, was im Alltag oft auch gar nicht möglich ist, empfiehlt sich daher eine Triggerbewältigung, bei dem sich die Betroffenen den Triggern von Zeit zu Zeit bewusst aussetzen“, sagt Prof. Dr. Claudia Sommer. Die Oberärztin an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Andrea Kübler im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Graduiertenkollegs 2660 das Projekt „Approach and avoidance behaviour in pain management“ – Konfrontations- und Vermeidungsverhalten zur Bewältigung von chronischen Schmerzen. 

Gehirnwellen gezielt steuern für bessern Umgang mit Migränetriggern

In der Migränetrigger-Interventionsstudie untersucht Claudia Sommer derzeit mit ihrem Team, ob eine Intervention mit Neurofeedback den Betroffenen helfen kann, besser mit ihren persönlichen Migräne-Triggern umzugehen. „Neurofeedback ist ein Verfahren, das auf dem Prinzip der Neuroplastizität basiert, also der Fähigkeit des Gehirns, sich durch Training zu verändern und anzupassen“, erklärt Morgane Paternoster. Die Doktorandin der Neurologie leitet die Neurofeedback-Studie gemeinsam mit dem Doktoranden Sebastian Evers. „Mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) werden die Gehirnströme in Echtzeit auf einem Bildschirm sichtbar gemacht. Das heißt, wir bekommen ein direktes Feedback zur Gehirnaktivität, die durch gezieltes Training beeinflusst und reguliert werden kann“, so Paternoster. 
Die an Migräne erkrankten Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer kommen für insgesamt sechs bis acht Neurofeedback-Sitzungen innerhalb von drei Wochen in das Psychologiegebäude der Universität Würzburg in der Nähe des Hauptbahnhofs. Vor und nach der Interventionsphase findet eine so genannte Baseline-Untersuchung in der Kopfklinik des UKW mit neurologischen, neurobiologischen und Verhaltenstests sowie einer Blutentnahme und einer EEG-Analyse statt.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit und ohne Migräne gesucht

„Wer unsere Forschung unterstützen und dazu beitragen möchte, Migräne besser zu verstehen und in Zukunft besser behandeln zu können, ist herzlich eingeladen, an unserer Studie teilzunehmen. Wir suchen noch Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Migräne, aber auch ohne Migräne oder Kopfschmerzerkrankung, um unsere Messungen vergleichen zu können“, teilt Sebastian Evers mit. Für die so genannte Kontrollgruppe ist lediglich ein zwei- bis dreistündiger Termin mit Blutentnahme und EEG-Messungen in Ruhe und während Verhaltenstests erforderlich. Für den Zeitaufwand erhalten alle Studienteilnehmenden eine Aufwandsentschädigung: gesunde Personen ohne Migräne oder Kopfschmerzerkrankung in der Kontrollgruppe 25 Euro, Personen mit Migräne in der Interventionsgruppe bis zu 200 Euro.

Kriterien für den Studieneinschluss, Anmeldung und Kontakt

Ob gesund oder krank: Die Probandinnen und Probanden sollten mindestens 18 Jahre alt sein, nicht schwanger und weder farbenblind noch schwerhörig sein, nicht unter weiteren neurologischen Erkrankungen und unter Bluthochdruck leiden und derzeit keine Psychostimulanzien oder Antidepressiva einnehmen. 

Anmeldung: https://patientenportal.ukw.de – Fachbereich „Neurologie-Studien“ – Sektion wählen und bei Termintyp Fallgruppe oder Kontrollgruppe auswählen. 

Kontakt:
Morgane Paternoster, paternoste_m@ukw.de, Telefon: 0931 / 201 23741
Sebastian Evers, Evers_S@ukw.de, Telefon: 0931 / 3189618
 

Collage der freigestellten Porträts von Sebastian Evers und Morgane Paternoster
Doktorand Sebastian Evers leitet gemeinsam mit Doktorandin Morgane Paternoster die Neurofeedback-Studie in der Neurologie des Uniklinikums Würzburg und am Institut für Psychologie der Universität Würzburg, an der Personen mit und ohne Migräne teilnehmen können. © UKW
Bild vom Monitor, davor ist ein Kopfmodel mit EEG-Haube und ein Maßband
Beim Neurofeedback wird mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) die Gehirnaktivität auf dem Bildschirm gezeigt. Durch gezieltes Training können die Gehirnströme beeinflusst und reguliert werden. © Sebastian Evers / UKW
Ein Proband sitzt vor einem Monitor und hat eine Haube für das Elektroenzephalogramm auf dem Kopf
EEG-Messung eines Probanden während einer Verhaltensentscheidung. Foto: Sebastian Evers / UKW
Die beiden Wissenschaftlerinnen sitzen mit weißen Kitteln im Labor und pipettieren.
Salomea Löffl (links) und Morgane Paternoster bei der Probenanalyse im Labor. Foto: Sonja Gommersbach / UKW

Martin Fassnacht als „Visiting Professor“ ausgezeichnet

Auf Einladung der Society for Endocrinology (SfE) besuchte der Leiter der Endokrinologie des Uniklinikums Würzburg (UKW) Anfang März fünf Zentren im Vereinigten Königreich und hielt auf dem Jahreskongress der British Endocrine Society einen preisgekrönten Plenarvortrag.

Martin Fassnacht hält auf der Bühne die goldene Medaille in der einen Hand und schüttelt mit der anderen Hand die Hand von Neil Hanley
Prof. Neil Hanley aus Birmignham, Chair der Jury, überreicht Prof. Martin Fassnacht (rechts) den mit 8.000 Euro dotierten „Clinical Endocrinology Journal Foundation Visiting Professor Award“. © SfEBES2025
Porträtfoto von Martin Fassnacht im weißen Kittel
Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), besuchte als „Visiting Professor“ im März fünf endokrinologische Zentren in Großbritannien und hielt abschließend einen Plenarvortrag auf dem Kongress der British Endocrine Society (SfE BES 2025) in Harrogate. © Daniel Peter / UKW

Würzburg. „Es war eine sehr intensive Zeit, aber auch eine ganz besondere Erfahrung“, sagt Prof. Dr. Martin Fassnacht über seine Tour als „Visiting Professor“ durch das Vereinigte Königreich (UK) vom 1. bis 11. März. Die Society for Endocrinology (SfE) hatte den Leiter des Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) eingeladen, fünf endokrinologische Zentren in Großbritannien - Glasgow, Manchester, Birmingham, Oxford und London - zu besuchen und abschließend einen Plenarvortrag auf dem Kongress der British Endocrine Society (SfE BES 2025) in Harrogate zu halten. Diese Auszeichnung ist zugleich der Hauptpreis der endokrinologischen Fachgesellschaft. Der mit 8.000 Euro dotierte „Clinical Endocrinology Journal Foundation Visiting Professor Award“ wird einmal im Jahr an einen herausragenden ausländischen Endokrinologen verliehen. Eine aktive Bewerbung ist nicht möglich, eine Jury wählt aus.

Kontakte und Kollaborationen 

Neben dem Preisgeld gewann Martin Fassnacht auf seiner Reise viele Kontakte. „Ich habe sehr viele interessante Forscherinnen und Forscher, darunter auch zahlreiche Nachwuchskräfte, neu oder besser kennen gelernt und die Kontakte zu den jeweiligen Zentren ausgebaut“. berichtet Martin Fassnacht. Er ist überzeugt, dass sich aus seinem Besuch das eine oder andere gemeinsame Forschungsprojekt entwickeln wird. An jedem Standort gab es jeweils ein wissenschaftliches Symposium, bei dem Martin Fassnacht einen seiner Vorträge zu unterschiedlichen Aspekten von Nebennierentumoren hielt, den sich die Zentren jeweils auswählen durften. „Zusätzlich gab es Beiträge der lokalen Wissenschaftler und Kliniker sowie anschließend immer auch Gelegenheit zu Gruppen- und Einzelgesprächen, in denen es entweder um die Beratung von Nachwuchswissenschaftlern oder um die Diskussion von Forschungsprojekten ging“, so Fassnacht. 
Der Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie wurde Anfang 2014 zum Professor an der Universität Würzburg ernannt. Seine Forschungsschwerpunkte sind endokrine Tumoren, Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen sowie Adipositas. Er leitete mehrere nationale und internationale Leitliniengremien, war Hauptprüfer mehrerer Phase II und III Studien zu Nebennierentumoren und ist Autor von mehr als 300 Publikationen. 

Plenarvortrag zum Management des Phäochromozytoms und Paraganglioms

In seinem Plenarvortrag beim SfE BES 2025 am 10. März gab Martin Fassnacht ein Update zur Behandlung des Phäochromozytoms und des Paraganglioms. Paragangliome sind Stresshormon-produzierende Tumoren, die im Bauch-, Brust- und Kopf-Hals-Bereich auftreten können. Wenn sie in der Nebenniere entstehen, werden sie Phäochromozytome genannt. Diese Tumoren sind selten, meist gutartig und gut behandelbar. Die bösartigen Tumorvarianten sind dagegen sehr aggressiv. Die mittlere 5-Jahres-Überlebensrate der Patientinnen und Patienten liegt bei 45 Prozent. Eine wirksame Standardtherapie gab es bisher nicht. Doch die FIRST-MAPP-Studie (First International Randomised Study in MAlignant Progressive Phaeochromocytoma and Paraganglioma), die vom Institut Gustave Roussy in Paris und vom UKW organisiert worden war und die im vergangenen Jahr in The Lancet veröffentlicht wurde, lieferte erstmals den Nachweis, dass der Multityrosinkinasehemmer Sunitinib eine wichtige neue Therapieoption darstellt (Pressemeldung vom 23.02.2024). Diese aber auch andere bisher unpublizierte Daten, unter anderem zu Temozolomid, präsentierte Martin Fassnacht vor dem vollen Auditorium in Harrogate. 
 

Martin Fassnacht hält auf der Bühne die goldene Medaille in der einen Hand und schüttelt mit der anderen Hand die Hand von Neil Hanley
Prof. Neil Hanley aus Birmignham, Chair der Jury, überreicht Prof. Martin Fassnacht (rechts) den mit 8.000 Euro dotierten „Clinical Endocrinology Journal Foundation Visiting Professor Award“. © SfEBES2025
Porträtfoto von Martin Fassnacht im weißen Kittel
Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), besuchte als „Visiting Professor“ im März fünf endokrinologische Zentren in Großbritannien und hielt abschließend einen Plenarvortrag auf dem Kongress der British Endocrine Society (SfE BES 2025) in Harrogate. © Daniel Peter / UKW

Großer Fortschritt bei der Entwicklung neuer Medikamente gegen gefährliche Pilzinfektionen

NANOMEDIZIN MIT siRNA ZEIGT ERSTMALS WIRKUNG GEGEN DEN HUMANPATHOGENEN PILZ ASPERGILLUS FUMIGATUS

Einem Würzburger Forschungsteam ist es erstmals gelungen, kleine interferierende RNAs (siRNAs) mit Amphotericin B (AmB) in anionische Liposomen zu verpacken, um den gefährlichen Schimmelpilz Aspergillus fumigatus gezielt anzugreifen. Die in der Fachzeitschrift Nanoscale veröffentlichte und auf dem Cover hervorgehobene Studie zeigt, dass dieser RNAi-Ansatz lebenswichtige Pilzgene ausschaltet und so das Wachstum des Erregers hemmt – ein bahnbrechender Schritt in der Entwicklung neuer antimykotischer Therapien.

 

Die Illustration zeigt Pilze in der Lunge
Digitale Cover Illustration für die Fachzeitschrift Nanoscale (2025, Band 17, Seite 7002) von Andreas Beilhack, erstellt mit der Software Procreate von Savage Interactive. Das Bild zeigt eine mit Aspergillus fumigatus infizierte menschliche Lunge. Der Hyphen bildende, invasiv wachsende Pilz mit Pilzsporen in Blautönen ist links im Bild zu sehen. Die helfenden Nanopartikel sind in Gold- und Brauntönen dargestellt.
Eine grafische Zusammenfassung wie das Wachstum des Schimmelpilzes vorübergehend gehemmt wird
Grafische Zusammenfassung, wie anionische Liposomen mit kleinen interferierenden RNAs (siRNAs) und niedrig dosiertem Amphotericin B beladen in die Pilzzelle eindringen und dort gezielt drei wichtige Gene hemmen, die für das Wachstum des Pilzes notwendig wären.

Würzburg. Pilzinfektionen sind weltweit auf dem Vormarsch. Laut einer Studie der Manchester Fungal Infection Group infizierten sich im Jahr 2022 rund 6,5 Millionen Menschen mit einem krankheitserregenden Pilz, rund 3,8 Millionen starben an den Folgen - fast doppelt so viele wie noch 2012. Selbst mit Medikamenten, so genannten Antimykotika, liegt die Sterblichkeit bei einer invasiven Infektion mit dem Schimmelpilz Aspergillus fumigatus bei bis zu 85 Prozent. Da resistente Pilzstämme zunehmen, wird die Behandlung immer schwieriger und neue Therapien werden dringend benötigt. Ein Team der Universitätsmedizin Würzburg fand jetzt eine vielversprechende Strategie gegen Pilzinfektionen. 

RNAi in Kombination mit optimierter Verabreichungstechnologie 

Um den Schimmelpilz Aspergillus fumigatus gezielt anzugreifen kombinierten die Forschenden einen so genannten RNAi-Ansatz mit einer optimierten Verabreichungstechnologie aus der Nanomedizin. Ribonukleinsäure (RNA) spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der genetischen Information. Die RNA-Interferenz (RNAi) ist eine Art Genschalter, bei dem RNA-Moleküle wie small interfering RNA (siRNA) oder microRNA (miRNA) gezielt bestimmte Gene ausschalten. 

„Unsere Studie knüpft an die Entdeckung der RNA-Interferenz an, für die 2006 der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde. Während siRNA-Therapien bereits gegen genetische Erkrankungen eingesetzt werden, ist unsere Arbeit die erste erfolgreiche Anwendung dieser Technologie gegen einen humanpathogenen Pilz in Infektionsmodellen. Die genetischen Unterschiede zwischen Pilz und Mensch bieten hier einzigartige therapeutische Möglichkeiten“, erklärt Erstautorin Dr. Yidong Yu vom Zentrum für Experimentelle Molekulare Medizin (ZEMM) und der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). 

Technologischer Durchbruch in der Pilzbekämpfung

Eine der größten Herausforderungen war es, die siRNA so zu verpacken, dass sie die dicke Zellwand des Pilzes durchdringt. „Der Trick bestand darin, anionische Liposomen mit geringen Mengen des Antipilzmittels Amphotericin B zu kombinieren“, berichtet Ko-Erstautorin Theresa Vogel über ihre Doktorarbeit. Anionische Liposomen sind winzige Fettbläschen mit einer negativen Ladung. Amphotericin ist ein bewährtes Medikament gegen Pilzinfektionen, das die Zellwände des Pilzes durchlässiger macht, so dass die siRNA besser in die Pilzzellen eindringen kann, um gezielt drei wichtige Gene zu hemmen, die für das Wachstum des Pilzes notwendig sind. Das Konzept entwickelten die Wissenschaftlerinnen in enger Zusammenarbeit mit Dr. Krystyna Albrecht und Prof. Jürgen Groll vom Institut für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilheilkunde (FMZ) am UKW, die verschiedene Nanopartikel-Strategien testeten, bis der Durchbruch gelang. 

Neue Wege in der Forschung: Insektenlarven statt Mäuse

Ein weiterer innovativer Aspekt der Studie ist der Einsatz von Insektenlarven anstelle von Mäusen als Infektionsmodell, um Tierversuche in Säugetieren zu reduzieren. „Diese Arbeit zeigt, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit innovative Lösungsansätze in der Nanomedizin ermöglicht“, betont Ko-Seniorautorin Krystyna Albrecht. Yidong Yu wurde übrigens für ihre herausragende Forschung mit einem renommierten zweijährigen Stipendium der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) ausgezeichnet, das über die Alexander von Humboldt-Stiftung vermittelt wird, um ihre Arbeit in einer weltweit führenden Forschungsgruppe zu Seidenraupen fortzusetzen.

Pilzinfektionen und Resistenzen gegen gängige Antimykotika nehmen zu

„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass diese Methode das Pilzwachstum stark reduziert und belegen erstmals die Wirksamkeit von siRNA als Mittel gegen Pilzinfektionen beim Menschen“, fasst Seniorautor Prof. Andreas Beilhack von der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des UKW zusammen. „Die Studie ist von besonderer Bedeutung, da Infektionen mit Aspergillus fumigatus weltweit zunehmen und Resistenzen gegen gängige Antimykotika immer häufiger auftreten. Die siRNA-Strategie könnte nicht nur gegen Aspergillus fumigatus, sondern auch gegen andere gefährliche Pilzerreger eingesetzt werden.“

Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Forschungskonsortien „FungiNet“ (SFB/TRR 124) und „Biofabrikation“ (SFB/TRR 255) gefördert und in der Fachzeitschrift Nanoscale veröffentlicht. In der Printausgabe wird die wegweisende Forschung auf dem Einband hervorgehoben – ein Beleg für die wissenschaftliche Relevanz der Studie und ihr Potenzial, die Behandlung lebensbedrohlicher Pilzinfektionen nachhaltig zu verändern.

Publikation:
Yu Y, Vogel T, Hirsch S, Groll J, Albrecht K, Beilhack A. Enhanced antifungal activity of siRNA-loaded anionic liposomes against the human pathogenic fungus Aspergillus fumigatus. Nanoscale. 2025 Mar 24;17(12):7002-7007. doi: 10.1039/d4nr03225j. PMID: 39508295.

PDF der Publikation mit Back-Cover. 

Text: Andreas Beilhack und Kirstin Linkamp
 

Die Illustration zeigt Pilze in der Lunge
Digitale Cover Illustration für die Fachzeitschrift Nanoscale (2025, Band 17, Seite 7002) von Andreas Beilhack, erstellt mit der Software Procreate von Savage Interactive. Das Bild zeigt eine mit Aspergillus fumigatus infizierte menschliche Lunge. Der Hyphen bildende, invasiv wachsende Pilz mit Pilzsporen in Blautönen ist links im Bild zu sehen. Die helfenden Nanopartikel sind in Gold- und Brauntönen dargestellt.
Eine grafische Zusammenfassung wie das Wachstum des Schimmelpilzes vorübergehend gehemmt wird
Grafische Zusammenfassung, wie anionische Liposomen mit kleinen interferierenden RNAs (siRNAs) und niedrig dosiertem Amphotericin B beladen in die Pilzzelle eindringen und dort gezielt drei wichtige Gene hemmen, die für das Wachstum des Pilzes notwendig wären.

Wenn in Motoneuronen die Müllabfuhr streikt

Dr. Patrick Lüningschrör vom Institut für Klinische Neurobiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) erhält den 1. Platz beim Felix-Jerusalem-Preis der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) für die Entdeckung eines unkonventionellen Mechanismus, mit dem mutierte Proteine aus Nervenzellen geschleust werden.

Patrick Lüningschrör steht mit Trophäe und Urkunde vor einem Roll-up der DGM, links neben ihm die drei in der Bildunterschrift erwähnten Damen.
Verleihung des Felix-Jerusalem-Preises, v.l.n.r.: Prof. Dr. Anne Schänzer (Laudatorin), Linda Weise (Sponsorenvertreterin), Silke Schlüter (2. Vorsitzende im Bundesvorstand der DGM), Dr. Dr. Patrick Lüningschrör. © DGM
die Collage zeigt oben mikroskopische Bilder von Rückenmarksschnitten und unten eine farblich markierte Rekonstruktion eines Fortsatz einer Nervenzelle
A.) Sod1 Akkumulationen in Rückenmarksschnitten von Plekhg5-defizienten Mäuse. B.) 3D Rekonstruktion eines Axons im Rückenmark einer Plekhg5-defizienten Maus (türkis) mit Anreicherung des mutierten Sod1-Proteins (gelb). Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).

Würzburg. Mehr als 100.000 Menschen in Deutschland sind von einer Muskelkrankheit betroffen. Im Volksmund spricht man oft von Muskelschwund, denn die Abnahme der Muskelmasse ist ein wesentliches Symptom der neuromusklären Erkrankungen, von denen es etwa 800 verschiedene Formen gibt. Da diese oft progressiv verlaufen, schwerwiegend und derzeit nicht heilbar sind, kommt der Forschung im neuromuskulären Bereich eine enorme Bedeutung zu. 
Die Förderung der Forschung war daher vor 60 Jahren der Auslöser für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM). Mit dem Felix-Jerusalem-Preis zeichnet die DGM beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Verdienste bei der Erforschung von Pathomechanismen und für objektiv nachvollziehbare Therapieerfolge bei allen Formen neuromuskulärer Erkrankungen aus.
Auf dem diesjährigen DGM-Kongress in Gießen erhielt der Naturwissenschaftler Dr. Patrick Lüningschrör vom Institut für Klinische Neurobiologie am Uniklinikum Würzburg (UKW) am 20. März 2025 den ersten mit 7.500 Euro dotierten Felix-Jerusalem-Preis.

In seiner Studie „Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy“, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, konnte Patrick Lüningschrör zusammen mit einem internationalen Team einen unerwarteten pathophysiologischen Mechanismus aufklären, der Nervenzellen vor Schäden schützt. „Wir konnten zeigen, dass der Guanin-Austauschfaktor PLEHG5 die unkonventionelle Sekretion von SOD1 vermittelt. Dieser Mechanismus verhindert, dass sich SOD1 intrazellulär anreichert und zu einer neuronalen Dysfunktion führt“, erklärt Patrick Lüningschrör.

Unerwartete Zusammenarbeit von zwei Proteinen bei Erkrankungen des Motoneurons

Das Überraschende und Interessante an dieser von der DFG und dem BMBF geförderten Studie sei das Zusammenspiel zweier Proteine – SOD1 und PLEKGHG5 - die mit unterschiedlichen Erkrankungen des Motoneurons in Verbindung gebracht werden.

Fehlgefaltete Proteine wie die mutierte Form des Enzyms Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) spielen zum Beispiel eine zentrale Rolle bei der familiären Form der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Und Mutationen in PLEKHG5 sind die Ursache für verschiedene Formen von Motoneuronerkrankungen, die das untere, spinale Motoneuron betreffen. Motoneurone sind die Nerven, deren Impulse die Muskeln in Aktion versetzen.

Ohne PLEKGH5 häuft sich SOD1 in den Nervenzellen an, was zur ALS beitragen kann

Normalerweise werden Proteine von speziellen Zellstrukturen, den Lysosomen, abgebaut. Da SOD1 jedoch sehr stabil ist und dazu neigt toxische Aggregate zu bilden, ist es sehr wichtig, dieses Protein effizient aus den Axonfortsätzen, den langen Ausläufern der Nervenzellen, zu entfernen. „Fehlt das Protein PLEKHG5, bleibt SOD1 in der Zelle stecken und sammelt sich an - ähnlich wie Müll, der nicht entsorgt werden kann und sich stapelt“, beschreibt Patrick Lüningschrör die Entdeckung. Das bedeutet: Eine gestörte Entsorgung von SOD1 kann zur ALS beitragen. „Deshalb ist das Zusammentreffen dieser beiden Proteine in einem gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismus klinisch hoch relevant und eröffnet neue therapeutische Ansatzpunkte“, sagt Patrick Lüningschrör.

Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten für größere Patientengruppe

„Kürzlich wurde zum Beispiel mit Toferesen eine effektive Therapie für ALS-Patienten mit SOD1 Mutationen entwickelt. Aufgrund der Erkenntnisse von Lüningschrör und seinem Team gibt es erste Überlegungen, dieses Medikament unter Umständen auch für betroffene Patienten mit PLEKHG5 Mutationen einzusetzen.

In den nächsten Schritten will das Team die gewonnenen Erkenntnisse transnational weiterverfolgen und in präklinischen Studien untersuchen, ob die Akkumulationen von SOD1 tatsächlich die Ursache der PLEKHG5-assozierten Erkrankungen sind. Aus zellbiologischer Perspektive wäre es Lüningschrör zufolge sehr spannend weiter aufzuschlüsseln, wie SOD1 erkannt wird, um aus der Zelle ausgeschleust zu werden.


Publikation: Hutchings AJ, Hambrecht B, Veh A, Giridhar NJ, Zare A, Angerer C, Ohnesorge T, Schenke M, Selvaraj BT, Chandran S, Sterneckert J, Petri S, Seeger B, Briese M, Stigloher C, Bischler T, Hermann A, Damme M, Sendtner M, Lüningschrör P. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun. 2024 Oct 4;15(1):8622. doi: 10.1038/s41467-024-52875-5. PMID: 39366938; PMCID: PMC11452647.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation
 

Patrick Lüningschrör steht mit Trophäe und Urkunde vor einem Roll-up der DGM, links neben ihm die drei in der Bildunterschrift erwähnten Damen.
Verleihung des Felix-Jerusalem-Preises, v.l.n.r.: Prof. Dr. Anne Schänzer (Laudatorin), Linda Weise (Sponsorenvertreterin), Silke Schlüter (2. Vorsitzende im Bundesvorstand der DGM), Dr. Dr. Patrick Lüningschrör. © DGM
die Collage zeigt oben mikroskopische Bilder von Rückenmarksschnitten und unten eine farblich markierte Rekonstruktion eines Fortsatz einer Nervenzelle
A.) Sod1 Akkumulationen in Rückenmarksschnitten von Plekhg5-defizienten Mäuse. B.) 3D Rekonstruktion eines Axons im Rückenmark einer Plekhg5-defizienten Maus (türkis) mit Anreicherung des mutierten Sod1-Proteins (gelb). Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).

Stampfend und springend zu mehr Lebensqualität

Impact-Training ist beim Multiplen Myelom machbar / neue Studie soll Wirksamkeit auf Knochengesundheit prüfen

Anne Kollikowski und Franziska Jundt stehen auf einer Treppe im ZIM, im Hintergrund ist ein Fahrstuhl mit einem Röntgenbild eines Skeletts.
Sportwissenschaftlerin Anne Kollikowski (links) und Onkologin Franziska Jundt prüften am Uniklinikum Würzburg, ob ein Impact-Training beim Multiplen Myelom sicher und machbar ist. In einer Folgestudie wollen sie die Wirksamkeit des Stampf- und Sprungtrainings auf die Knochengesundheit prüfen. © UKW / Kirstin Linkamp
Von der Seite fotografiert, wie Patienten in die Hocke gehen und zum Sprung ansetzen.
Zwölf Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom nahmen in der Physiotherapie am Uniklinikum Würzburg im Rahmen einer Machbarkeitsstudie am Stampf- und Sprungtraining teil. © UKW / Daniel Peter
Patienten, Doktoranden und Franziska Jundt springen gemeinsam  im Flur der Physiotherapie in die Höhe.
Die Patientinnen und Patienten waren hochmotiviert, das Training trotz der hohen und anstrengenden Belastung durchzuhalten und wurden am Ende mit einer Verbesserung der körperlichen Fitness und Lebensqualität belohnt. © UKW / Daniel Peter

Würzburg. Zahlreiche Studien haben bereits belegt, dass körperliche Aktivität in verschiedenen Phasen einer Krebserkrankung positive Effekte haben und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessern kann. Regelmäßiges Training steigert die körperliche Leistungsfähigkeit und reduziert Ängste und Depressivität sowie die krebsassoziierte Müdigkeit, die so genannte Fatigue. Präklinische Studien zeigen zudem, dass sich spezifische Belastungsübungen positiv auf die Knochenfestigkeit auswirken können. Davon könnten vor allem Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom profitieren. Bei dieser Krebserkrankung des Knochenmarks infiltrieren die Tumorzellen das Skelett und zersetzen die Knochen. „80 Prozent der Myelom-Patientinnen und Patienten leiden unter Knochenabbau und teilweise Knochenschmerzen und -frakturen“, berichtet Franziska Jundt. Die Professorin für Hämatologie und Internistische Onkologie am Uniklinikum Würzburg (UKW) hat gemeinsam mit Freerk T. Baumann, Professor für Onkologische Bewegungswissenschaften an der Uniklinik Köln, der Sportwissenschaftlerin Anne Kollikowski vom Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCC MF) und weiteren Kolleginnen und Kollegen untersucht, ob ein Sprung- und Stampftraining, in der Fachsprache Impact-Training genannt, den Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom überhaupt zugemutet werden kann. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Supportive Care in Cancer“ veröffentlicht.

Impact-Training ist für ausgewählte Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom sicher und durchführbar

In der Machbarkeitsstudie wurden insgesamt zwanzig Patientinnen und Patienten in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe absolvierte sechs Monate lang ein zweimal wöchentliches, intensives Sprung- und Stampftraining, die andere Gruppe ein sanftes Dehnprogramm. In der Impact-Gruppe trainierten neun von zwölf Personen während des gesamten Studienzeitraums, in der Dehngruppe sieben von acht. Nach etwa einem Drittel der Belastungseinheiten traten Schmerzen auf, jedoch ohne schwerwiegende Nebenwirkungen. Nach sechs Monaten verbesserten sich in beiden Gruppen sowohl die Gehstrecke im Sechs-Minuten-Gehtest als auch die allgemeine Fitness, wobei die Lebensqualität in der Impact-Gruppe um fast 25 % Prozent stieg.

„Eine kontrollierte Bewegungstherapie ist also auch bei Krebspatientinnen und -patienten machbar, die körperlich stark eingeschränkt sind“, fasst Erstautorin Anne Kollikowski zusammen. Wichtig sei, dass vor einem solchen kontrollierten Training immer die Stabilität der Wirbelsäule und des gesamten Skelettsystems von einer Spezialistin oder einem Spezialisten aus der Orthopädie oder Unfallchirurgie geprüft wird. Bemerkenswert fand Anne Kollikowski vor allem das Engagement und Durchhaltevermögen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Unsere Patientinnen und Patienten waren hochmotiviert, das Training trotz der hohen und anstrengenden Belastung durchzuhalten. Umso mehr freut es mich, dass die Teilnahme zu einer erheblichen Verbesserung der körperlichen Fitness und der Lebensqualität führte.“

Die Wirksamkeit von Bewegungstherapien auf die Knochengesundheit bei Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom soll nun in einer multizentrischen, randomisierten Bewegungstherapiestudie untersucht werden.

Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) vor, während und nach der medizinischen Therapie

Aktuell laufen am Uniklinikum Würzburg unter dem Dach des CCC MF verschiedene Supportiv-Studien vor, während und nach der medizinischen Krebstherapie. In der Studie EMpower wird beispielsweise die Machbarkeit der elektrischen Muskelstimulation nach Stammzelltransplantation untersucht, und in PräViC wird der präventive Einsatz von Vibrationstraining oder Dehnungs- und Entspannungstraining zur Vorbeugung einer Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie erforscht.

Losgelöst von Studien berät das Team der Abteilung „Komplementäre Onkologie Integrativ“ die Patientinnen und Patienten zu körperlicher Aktivität und bietet in den Räumen der Physiotherapie des UKW eine Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) an, die unabhängig von einem stationären Aufenthalt ist.

KL/Wissenschaftskommunikation


Publikation: 
Anne Kollikowski, Marei Schallock, Ruben Ringeisen, Dirk Hasenclever, Lothar Seefried, Jan-Peter Grunz, Damir Zubac, Claudia Löffler, Freerk T- Baumann & Franziska Jundt. Feasibility and safety of impact-loading exercise in patients with multiple myeloma—a pilot study. Support Care Cancer 33, 235 (2025). doi.org/10.1007/s00520-025-09287-y
 

Anne Kollikowski und Franziska Jundt stehen auf einer Treppe im ZIM, im Hintergrund ist ein Fahrstuhl mit einem Röntgenbild eines Skeletts.
Sportwissenschaftlerin Anne Kollikowski (links) und Onkologin Franziska Jundt prüften am Uniklinikum Würzburg, ob ein Impact-Training beim Multiplen Myelom sicher und machbar ist. In einer Folgestudie wollen sie die Wirksamkeit des Stampf- und Sprungtrainings auf die Knochengesundheit prüfen. © UKW / Kirstin Linkamp
Von der Seite fotografiert, wie Patienten in die Hocke gehen und zum Sprung ansetzen.
Zwölf Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom nahmen in der Physiotherapie am Uniklinikum Würzburg im Rahmen einer Machbarkeitsstudie am Stampf- und Sprungtraining teil. © UKW / Daniel Peter
Patienten, Doktoranden und Franziska Jundt springen gemeinsam  im Flur der Physiotherapie in die Höhe.
Die Patientinnen und Patienten waren hochmotiviert, das Training trotz der hohen und anstrengenden Belastung durchzuhalten und wurden am Ende mit einer Verbesserung der körperlichen Fitness und Lebensqualität belohnt. © UKW / Daniel Peter

Wer hat welches Tumormodell?

WISSENSCHAFTLER IM DIREKTEN AUSTAUSCH: DER BZKF-LEUCHTTURM „PRÄKLINISCHE MODELLE“

Der BZKF-Leuchtturm „Präklinische Modelle“ unter der Leitung des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) hat bereits zwei standortübergreifende Datenbanken aufgebaut: die Organoid-Datenbank und die Datenbank für onkologische Tierversuchsmodelle. Die Plattformen geben einen Überblick über die Verfügbarkeit von Organoid-Modellen verschiedener Tumorentitäten und von Tiermodellen. Insgesamt soll das Projekt eine effizientere Forschung, verbesserte Genehmigungsprozesse und die Optimierung präklinischer Modelle im Sinne des 3R-Prinzips (Replace, Reduce, Refine) ermöglichen.

 

Nicolas Schlegel, Anne Rech, Mahasen Saati und Christoph Otto stehen in weißen Kittel in einer Reihe an einem Geländer
Das Team des BZKF-Leuchtturms Präklinische Modelle am UKW v.l.n.r. Prof. Dr. Nicolas Schlegel (Sprecher), Anne Rech (Organoid-Datenbank), Dr. Mahasen Saati (Präklinische Tiermodelle), Prof. Dr. Christoph Otto (stellvertretender Sprecher). © Ulrich Bender
Collage aus drei mikroskopischen Bildern von Organoiden.
Organoid aus gesundem Gewebe (links), aus einem Darmpolypen (Mitte) sowie rechts ein Tumor-Organoid aus dem Gewebe eines Patienten mit kolorektalem Karzinom. © UKW

Würzburg. Präklinische Modelle sind für die medizinische Forschung unverzichtbar: Sie helfen, Krankheitsmechanismen zu verstehen, Therapieansätze zu testen, die Sicherheit zu bewerten und Hinweise für eine mögliche Dosierung neuer Therapeutika zu erhalten. Um die Lücke zwischen Grundlagenforschung und früher klinischer Anwendung zu verkleinern und die translationale Forschung einschließlich Proof-of-Concept-Studien zu beschleunigen, fördert das Bayerische Zentrum für Krebsforschung (BZKF) seit dem 1. Januar 2024 für den Leuchtturm „Präklinische Modelle“. 

Prof. Dr. Nicolas Schlegel, Sprecher des Leuchtturms und Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Viszeralchirurgie am Uniklinikum Würzburg (UKW), zieht mit seinem Team – Prof. Dr. Christoph Otto, Anne Rech und Dr. Mahasen Saati – Zwischenbilanz: „Wir haben inzwischen zwei standortübergreifende Datenbanken als interaktive Informations-, Dokumentations- und Austauschplattform für die präklinische Forschung realisiert. Eine Plattform für die Target-Validierung ist im Aufbau“, informiert Nicolas Schlegel. 

Plattform für Target-Validierungen

Mit der zentralen Einheit für Target-Validierungen sollen Ansatzpunkte für neue Arzneimittel erforscht werden. „Hier etablieren wir gerade mit dem Auxin-System ein präklinisches Modell, das uns hilft, bestimmte, bisher unzugängliche Zielstrukturen in Tumorzellen zu charakterisieren. Dies ist eine Validierungsmöglichkeit für die Entwicklung von PROTACs, eine neue Klasse von Arzneistoffen, die krankmachende Proteine im Körper gezielt abbauen kann“, berichtet Prof. Dr. Gabriele Büchel. Die Molekularbiologin im Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist ebenfalls Teil des Leuchtturms. Die Etablierung läuft derzeit im Tiermodell und in humanen Organoiden.

Datenbank mit derzeit 100 humanen Tumor-Organoiden

Die Organoid-Technologie ist ein großer Schwerpunkt der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Kinderchirurgie am UKW. Aus Gewebespenden von Patientinnen und Patienten baut das Team Organoid-Modelle. „Wir züchten Organoide aus Tumoren, aus entzündlichem Gewebe, aber auch aus gesundem Gewebe“, schildert Anne Rech. Die Wissenschaftlerin ist im Leuchtturm für die Organoid-Datenbank zuständig, welche bereits 100 patientenabgeleitete Organoide (PDO für Patient-Derived Organoids) aus den bayerischen BZKF-Standorten umfasst. Zusätzlich sind Protokolle zur Kultivierung und zum Austausch der PDOs hinterlegt.“ Kooperationen mit anderen BZKF-Translationsgruppen wie CaR-EpiSafe, Pädiatrische Hirntumoren und Omis/Genomics sollen die Implementierung weiterer PDOs ermöglichen. Die Erweiterung der Datenbank um Informationen zu Maus-Organoiden ist ebenfalls geplant.

Datenbank mit aktuell 13 Tiermodellen

Die Datenbank „Onkologische Tiermodelle“ sammelt Informationen über Tiermodelle, die an den BZKF-Standorten durchgeführten werden. Derzeit sind die Beschreibungen von 13 Tiermodellen aus den BZKF-Standorten hinterlegt. Die Eingabe weiterer etablierter Modelle ist in Vorbereitung. Darüber hinaus soll die Datenbank auch um Modelle für tumorfördernde Erkrankungen wie Adipositas oder chronische Entzündungen erweitert werden. „Unsere Datenbank für onkologische Tiermodelle dient dazu, relevante Angaben zum Versuchsvorhaben zu standardisieren und damit den Weg zum Erkenntnisgewinn zu beschleunigen Außerdem sind Schulungsvideos für diese Modelle geplant“, erläutert Dr. Mahasen Saati, die für die onkologischen Tiermodelle zuständig ist. „Insgesamt wollen wir mit unserem Projekt den Informationsaustausch zwischen Genehmigungsbehörde, Tierschutzbeauftragen und Antragstellern informativer und transparenter machen.“ Eine Optimierung und der Austausch, die letztlich die Reduktion solcher Versuche ermöglichen ist hierbei ein wichtiges Ziel.

Verknüpfung der Datenbanken, um mit umfangreichem Repertoire an humanen und murinen Organoiden in Verbindung mit Tiermodellen ein optimales Vorgehen im Sinne des 3R-Prinzips zu ermöglichen

Langfristiges Ziel ist die inhaltliche Verknüpfung beider Datenbanken, die auf der webbasierten Plattform REDCap (Research Electronic Data Capture) entwickelt wurden. Die Kombination von humanen und murinen Organoiden in Verbindung mit Tiermodellen soll eine optimale Strategie für die präklinische Krebsforschung ermöglichen. „Mit diesen Maßnahmen leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung innovativer Krebsforschung und zur Umsetzung des 3R-Prinzips: Vermeiden von Tierversuchen, Replace, Minimieren der Anzahl von Versuchen und Versuchstieren, Reduce, und die Vermeidung der Belastung, Refine“, kommentiert Christoph Otto, stellvertretender Sprecher des Leuchtturms. 

Zur Veranschaulichung führt Nicolas Schlegel ein Beispiel an: In Modell- oder Zellkulturexperimenten wurde eine potenziell interessante Zielstruktur für eine neue oder ergänzende Therapie in einem bestimmten Tumor entdeckt. Diese kann ex vivo in einem Tumor-Organoid auf ihre Wirksamkeit getestet und gegebenenfalls im nächsten Schritt im lebenden Organismus im Tiermodell validiert werden. Damit nicht alles neu etabliert werden muss, informiert die Datenbank, wo welche Modelle vorgehalten werden und wer für die Durchführung der Experimente kontaktiert werden kann.

„Je mehr sich registrieren, desto besser wird das Netzwerk“

Die Daten und Modelle kommen bislang von den BZKF-Standorten in Augsburg, Erlangen, München, Regensburg und Würzburg. „In erster Linie ist die Datenbank für alle Kooperationspartner des BZKF gedacht, aber natürlich können sich auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen registrieren, die translational forschen und sich einen standortübergreifenden Überblick über die Verfügbarkeit humaner Organoid-Modelle verschiedener Tumorentitäten und Tiermodelle verschaffen möchten“, sagt Nicolas Schlegel. „Je mehr sich registrieren, desto besser wird das Netzwerk“

Ein Kontaktformular für die Registrierung gibt es auf der Webseite des Lehrstuhls für Experimentelle Viszeralchirurgie.
 

Nicolas Schlegel, Anne Rech, Mahasen Saati und Christoph Otto stehen in weißen Kittel in einer Reihe an einem Geländer
Das Team des BZKF-Leuchtturms Präklinische Modelle am UKW v.l.n.r. Prof. Dr. Nicolas Schlegel (Sprecher), Anne Rech (Organoid-Datenbank), Dr. Mahasen Saati (Präklinische Tiermodelle), Prof. Dr. Christoph Otto (stellvertretender Sprecher). © Ulrich Bender
Collage aus drei mikroskopischen Bildern von Organoiden.
Organoid aus gesundem Gewebe (links), aus einem Darmpolypen (Mitte) sowie rechts ein Tumor-Organoid aus dem Gewebe eines Patienten mit kolorektalem Karzinom. © UKW

In der Dosis liegt die Wirkung

HEISENBERG-PROFESSUR „MULTIMODALE BILDGEBUNG UND THERANOSTIK“ FÜR DEN PHYSIKER JOHANNES TRAN-GIA

Johannes Tran-Gia, Physiker in der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW), ist zum Universitätsprofessor für „Multimodale Bildgebung und Theranostik“ an der Universität Würzburg ernannt worden. Seine Professur wird in den ersten fünf Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Heisenberg-Programms gefördert. Im Heisenberg-Projekt beschäftigt sich der 40-jährige Physiker mit der „Bildgebungsbasierten Individualisierung der Knochenmarkdosimetrie für Radionuklidtherapien“. Mit neuen bildgebenden Verfahren will er die Strahlenexposition im Knochenmark genauer bestimmen und so die Radionuklidtherapie personalisieren - für maximale Wirkung bei minimalen Nebenwirkungen.

 

Porträt von Johannes Tran-Gia in der Nuklearmedizin
Johannes Tran-Gia, Physiker in der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW), erhält von der DFG geförderte Heisenberg-Professur für „Multimodale Bildgebung und Theranostik“. © Daniel Peter / UKW
Johannes Tran-Gia hält in der Hand ein 3D-gedrucktes Modell der Lendenwirbelsäule, zeigt mit der anderen Hand darauf und schaut seine Kollegin links im Bild an.
Durch Messungen an 3D-Modellen wie hier der Lendenwirbelsäule, die Johannes Tran-Gia mit seinem Team im 3D-Drucklabor selbst herstellt, werden die speziellen multimodalen Bildgebungsverfahren validiert. Dazu wird das so genannte Phantom mit radioaktiver Lösung befüllt. © Daniel Peter / UKW
Arbeitsgruppe von Johannes Tran-Gia posiert im Flur des UKW - alle bis auf Tran-Gia tragen weiße Kittel
AG Tran-Gia, v.l.n.r.: Maikol Salas Ramirez, Amelie Gehring, Samira Kamrani, Junnan Bao, Anna-Lena Theisen, Lenka Vávrová, Johannes Tran-Gia. © Daniel Peter / UKW
Johannes Tran-Gia zwischen seinen Kolleginnen vor einem 3D-Druckgerät.
Johannes Tran-Gia mit seinen Mitarbeiterinnen Amelie Gehring (links) und Anna-Lena Theisen im 3D-Drucklabor. © Daniel Peter / UKW
3D-gedruckter Lendenwirbel im Formlabs Cure
In der UV-Kammer härtet der 3D-gedruckte Lendenwirbelkörpers aus. © Daniel Peter / UKW
Hier wird an vier Figuren beschrieben, wie die Radionuklidtherapie funktioniert. Injektion eines Radiopharmakons, Verteilung im Körper, Ausscheidung über Niere und Blase und spezifischer Uptake im Tumor, sowie therapeutische Strahlenexposition (nur der Tumor leuchtet im Körper).

Würzburg. In der Schule fielen ihm vor allem Fächer wie Mathematik und Physik leicht. Auch Journalismus hätte ihn interessiert. Aber da brauche man Ellenbogen, um sich durchzusetzen, wurde er gewarnt. Also studierte Johannes Tran-Gia Physik. „Physiker denken analytisch wie Mathematiker, aber sie sind etwas praktischer und flexibler in der Anwendung. Und in der Physik gehen die Leute insgesamt sehr nett miteinander um“, begründet Johannes Tran-Gia seine Studienwahl. Rund 20 Jahre später hat der Würzburger neben einer eigenen Familie mit zwei Kindern einen Master und ein Diplom in Physik, ist promoviert und Privatdozent und seit kurzem Professor. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für fünf Jahre geförderte Heisenberg-Professur trägt den Titel „Multimodale Bildgebung und Theranostik“ und soll den Weg zu einer Lebenszeitprofessur ebnen, sehr zur Freude der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW). Denn der Bereich der Theranostik, der durch diese Professur gestärkt wird, hat das Potenzial, die Nuklearmedizin zu revolutionieren und eine präzisere und personalisierte Behandlung von Krebs zu ermöglichen. 

Theranostik – Therapie und Diagnostik: Der Unterschied liegt in der Art der verwendeten Radionuklide und der Dosis 

Unter Theranostik (siehe auch Info-Kasten) versteht man die Kombination diagnostischer und therapeutischer Verfahren. In der Nuklearmedizin werden dazu radioaktiv markierte Arzneimittel sowohl zur Bildgebung als auch zur gezielten Therapie derselben Erkrankung beziehungsweise Pathologie eingesetzt. Der Unterschied liegt in der Art der verwendeten Radionuklide und der Dosis. In der Diagnostik werden kurzlebige Radionuklide genutzt, die eine schwache Strahlung aussenden. Diese Strahlung kann mit speziellen Kameras sichtbar gemacht werden, um damit Stoffwechselvorgänge und Funktionsstörungen im Körper zu visualisieren. In der Therapie hingegen werden langlebigere Radionuklide verwendet, die eine hochenergetische Strahlung aussenden. Diese Strahlung zerstört gezielt erkranktes Gewebe wie Tumorzellen, während das umliegende Gewebe weitgehend geschont wird.

Dosimetrie: Bestimmung und Bewertung der Energiedosis, um Wirksamkeit zu maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren

Doch welche Dosierung des radioaktiven Arzneimittels ist die richtige, um eine maximale therapeutische Wirkung bei minimalen Nebenwirkungen zu erzielen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Dosimetrie, ein wesentlicher Bestandteil bei der Einführung neuer Radionuklidtherapien und ein Forschungsschwerpunkt der Würzburger Nuklearmedizin. „Wie hoch kann ich mit der therapeutischen Aktivität gehen? Nachdem zuvor die Radiochemie die Hauptarbeit in der Entwicklung eines Radiopharmakons hatte, kommt hier die Physik ins Spiel“, so Johannes Tran-Gia, der auch im entsprechenden Ausschuss (Dosimetry Committee) der europäischen Fachgesellschaft für Nuklearmedizin (European Association of Nuclear Medicine, EANM) aktiv ist. Er setzt damit das fort, was Prof. Dr. Michael Laßmann während seiner langjährigen Tätigkeit als Leiter der Medizinischen Physik der Würzburger Nuklearmedizin begonnen hat. In seinem Heisenberg-Projekt geht es denn auch konkret um die „bildgebungsbasierte Individualisierung der Knochenmarkdosimetrie für Radionuklidtherapien“. Durch den Einsatz bildgebender Verfahren soll die Energiedosis für jede Patientin und jeden Patienten individuell bestimmt werden. Dadurch soll künftig die Therapieaktivität personalisiert und somit die Therapie noch wirksamer und schonender gestaltet werden. 

Mit neuen bildgebenden Verfahren die Energiedosis im roten Knochenmark genauer bestimmen

Das rote Knochenmark ist eines der Hauptrisikoorgane vieler Radionuklidtherapien, da es aufgrund der hohen Zellteilungsrate besonders strahlenempfindlich ist. Seine Schädigung kann zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen, zum Beispiel Blutarmut durch Mangel an roten Blutkörperchen, Immunschwäche durch Mangel an weißen Blutkörperchen und Blutungsneigung durch Mangel an Blutplättchen. Die Messung der Energiedosis auf das rote Knochenmark ist laut Tran-Gia jedoch besonders schwierig, da nicht die Aktivität im gesamten Knochenmark, sondern gezielt im blutbildenden roten Knochenmark bestimmt werden muss. „Deshalb haben wir spezielle multimodale Bildgebungsverfahren wie dedizierte Magnetresonanztomographie- oder CT-Techniken entwickelt, um den Fett-, Wasser und Knochenanteil im Knochenmark zu bestimmen und so die für die Berechnung der Energiedosis relevante Masse des roten Knochenmarks zu quantifizieren“, sagt Tran-Gia. Validiert werden die Verfahren durch Messungen an 3D-Modellen, die er mit seinem Team im 3D-Drucklabor selbst herstellt. „Mit unseren neuen bildgebenden Verfahren können wir die Verteilung der radioaktiven Substanzen im Körper genauer verfolgen und so die Dosis auf das rote Knochenmark präziser bestimmen“, ergänzt Tran-Gia. Parallel dazu arbeitet er daran, die Bildgebung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu beschleunigen, um diese in der klinischen Routine effizienter einsetzen zu können. Die Verbesserung dieser Bildgebung war auch das Thema seiner Habilitation. In Zusammenarbeit mit dem National Physics Laboratory in Großbritannien und führenden europäischen Kliniken hat er zudem ein Standardisierungsverfahren für die quantitative Bildgebung in der Dosimetrie entwickelt, um sowohl europaweit als auch weltweit vergleichbare Messergebnisse zu gewährleisten (publiziert in EJNMMI Physics DOI: 10.1186/s40658-021-00397-0).

Prätherapeutische Dosimetrie: Der erste Schritt zur personalisierten Radionuklidtherapie

Auch die Nieren spielen eine wichtige Rolle bei der Dosimetrie, da die meisten radioaktiven Arzneimittel über die Niere ausgeschieden werden und diese daher besonders belastet sind. Derzeit werden die meisten Radionuklidtherapien jedoch mit einer Standarddosierung verabreicht, ohne Rücksicht auf individuelle Unterschiede. „Das bedeutet, dass ein 150 Kilo schwerer Holzfäller die gleiche Therapieaktivität erhält wie eine 50 Kilo leichte zierliche ältere Dame, obwohl ihre Stoffwechsel ganz unterschiedlich sind“, erläutert Johannes Tran-Gia. Das habe zur Konsequenz, dass man das Risiko in Kauf nimmt, neun von zehn Patientinnen und Patienten zu unterdosieren, um eine Person mit einem niedrigeren Stoffwechsel zu schützen. Prätherapeutische Dosimetrie könnte hier Abhilfe schaffen: Durch eine Voruntersuchung ließe sich bestimmen, welcher Strahlenexposition die Nieren des einzelnen Patienten tatsächlich ausgesetzt wären. So könnte die therapeutische Aktivität oder die Anzahl der Therapiezyklen individuell angepasst werden. Diese Voruntersuchungen, die ein erster Schritt auf dem Weg zur personalisierten Radionuklidtherapie wären, werden derzeit jedoch nicht von den Krankenkassen finanziert. 

„Es findet gerade ein großer Umbruch statt, den ich mitgestalten kann“

Die individualisierte Radionuklidtherapie gewinnt zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt angesichts der weltweit steigenden Zahl diagnostizierter Krebserkrankungen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen. „Hier werden wir in den nächsten Jahren große Fortschritte sehen“, ist sich Johannes Tran-Gia sicher. Ein besonders relevantes Anwendungsfeld ist das Prostatakarzinom, an dem jeder vierte Mann im Laufe seines Lebens erkrankt. In Deutschland ist es nach Lungenkrebs die zweithäufigste zum Tode führende Krebserkrankung bei Männern. „Das Krankheitsbild hat daher eine enorme Relevanz und einen riesigen Markt“, erklärt Tran-Gia. 

Deutschland nimmt bei der Dosimetrie der Radionuklidtherapie eine führende Rolle ein, da Patientinnen und Patienten aus strahlenschutzrechtlichen Gründen während der Behandlung mindestens zwei Tage stationär bleiben müssen. „In dieser Zeit können wir viele der für die Dosimetrie wichtigen Messungen durchführen. Unser Ziel ist es, die Energiedosis in Risikoorganen wie den Nieren künftig im Arztbrief zu dokumentieren. Dadurch könnten retrospektiv Korrelationen zwischen Energiedosis und Nebenwirkungen hergestellt werden. Im Idealfall kommen dann noch weitere Parameter wie Geschlecht, Lebensstil und klinische Daten hinzu, so dass man eines Tages vielleicht sogar vorhersagen kann, wie empfindlich Menschen mit einer bestimmten Vorgeschichte auf die Strahlung reagieren, beispielsweise ob sie Raucher waren oder übergewichtig,“ erklärt Tran-Gia. Positiv für sein Forschungsfeld bewertet Johannes Tran-Gia auch, dass Deutschland durch das Medizinforschungsbeschleunigungsgesetz die Zulassung von Radionuklidtherapien erleichtern und bürokratische Hürden abbauen will. 

„Es findet gerade ein großer Umbruch statt, den ich mitgestalten kann“, freut sich Tran-Gia. Die Professur in Würzburg sei für ihn wie ein Sechser im Lotto. Er brenne für diese Forschung, die viel Potenzial habe, sehr interdisziplinär sei und zudem sehr nah am Patienten.

Werdegang von Johannes Tran-Gia

Johannes Tran-Gia wurde 1984 in Stuttgart geboren. Nach einer Zwischenstation in Zürich zog seine Familie noch im Kindergartenalter nach Würzburg, wo sein Vater, der 2023 verstorbene Phuoc Tran-Gia, einen Ruf auf den Lehrstuhl für Informatik III „Kommunikationsnetze“ annahm. Phuoc Tran-Gia war ein herausragender, international renommierter Wissenschaftler, der zwei Jahre Dekan der Fakultät für Mathematik und Informatik und drei Jahre Vizepräsident der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gewesen war und 2020 zum Ehrenbürger ernannt wurde. Durch dessen Forschungs- und Lehrtätigkeit und zahlreiche Auslandsaufenthalte lernte Johannes Tran-Gia schon früh den Wissenschaftsbetrieb kennen. Er studierte Physik in Würzburg und Edinburgh, machte seinen Master in Schottland und später sein Diplom in Würzburg. Nach einer zehnmonatigen Weltreise promovierte er am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des UKW mit einem durch die Exzellenzinitiative geförderten Stipendium der Graduate School of Life Sciences (GSLS) zum Thema „Modellbasierte Rekonstruktionsmethoden für die MR-Relaxometrie“. Besonders gefielen ihm die medizinischen und praktischen Aspekte seiner Arbeit. Während seiner Promotionszeit und darüber hinaus baute er am UKW sowie auf zahlreichen Dienstreisen ein breites Netzwerk an Kooperationen auf und forschte unter anderem ein halbes Jahr lang als Postdoc an der Case Western Reserve University in Cleveland, USA. Zurück in Würzburg spezialisierte sich Johannes Tran-Gia als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Nuklearmedizin und schloss die Weiterbildung zum Medizinphysik-Experten (MPE) ab. Anschließend habilitierte er sich in der Arbeitsgruppe „Medizinische Physik“. Mit Wirkung zum 20.12.2024 wurde Johannes Tran-Gia zum W2-Universitätsprofessor für „Multimodale Bildgebung und Theranostik“ an der Universität Würzburg ernannt – zunächst für die Dauer von fünf Jahren.

Was ist Theranostik
Theranostik setzt sich aus den Wörtern Therapie und Diagnostik zusammen. Sie kombiniert die Spezifität der molekularen Zielerkennung mit der therapeutischen Wirksamkeit von Strahlung. Der Unterschied zwischen Diagnostik und Therapie mit radioaktiven Substanzen liegt in der Art der verwendeten Radionuklide. Um festzustellen, wo und wie sich Krebszellen im Körper verteilen, wird ein radioaktives Arzneimittel mit einem Isotop schwach ionisierender Strahlung injiziert. Dieses gibt so genannte Gammastrahlung ab, die den Körper nahezu ungehindert durchdringt und mit bildgebenden Verfahren wie SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography) oder PET (Positronen-Emissions-Tomographie) von außen nachgewiesen werden kann. Die radioaktive Substanz wird an ein spezifisches Trägermolekül (Pharmakon) gebunden, das gezielt Krebszellen anhand ihrer charakteristischen Zielstrukturen wie Rezeptoren, Proteinen oder Antigenen erkennt und dort bindet. Nach der Verabreichung des so genannten Tracers verteilt sich das Radiopharmakon im Körper und reichert sich im Tumorgewebe an. Sobald der Tracer zerfällt und ausgeschieden wird, bleibt nur noch der so genannte spezifische Uptake in den Krebszellen sichtbar. Bei der Diagnostik ist die Strahlenexposition sehr gering und laut Johannes Tran-Gia vergleichbar mit der eines Vielfliegers. Bei der Radionuklidtherapie werden die Trägermoleküle mit Radionukliden markiert, die Beta- oder Alphateilchen abgeben. Diese Teilchenstrahlung hat eine sehr geringe Reichweite und induziert lokal Strahlenschäden, wodurch Tumorgewebe gezielt zerstört werden kann, während das umliegende Gewebe weitgehend geschont wird.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation 
 

Porträt von Johannes Tran-Gia in der Nuklearmedizin
Johannes Tran-Gia, Physiker in der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW), erhält von der DFG geförderte Heisenberg-Professur für „Multimodale Bildgebung und Theranostik“. © Daniel Peter / UKW
Johannes Tran-Gia hält in der Hand ein 3D-gedrucktes Modell der Lendenwirbelsäule, zeigt mit der anderen Hand darauf und schaut seine Kollegin links im Bild an.
Durch Messungen an 3D-Modellen wie hier der Lendenwirbelsäule, die Johannes Tran-Gia mit seinem Team im 3D-Drucklabor selbst herstellt, werden die speziellen multimodalen Bildgebungsverfahren validiert. Dazu wird das so genannte Phantom mit radioaktiver Lösung befüllt. © Daniel Peter / UKW
Arbeitsgruppe von Johannes Tran-Gia posiert im Flur des UKW - alle bis auf Tran-Gia tragen weiße Kittel
AG Tran-Gia, v.l.n.r.: Maikol Salas Ramirez, Amelie Gehring, Samira Kamrani, Junnan Bao, Anna-Lena Theisen, Lenka Vávrová, Johannes Tran-Gia. © Daniel Peter / UKW
Johannes Tran-Gia zwischen seinen Kolleginnen vor einem 3D-Druckgerät.
Johannes Tran-Gia mit seinen Mitarbeiterinnen Amelie Gehring (links) und Anna-Lena Theisen im 3D-Drucklabor. © Daniel Peter / UKW
3D-gedruckter Lendenwirbel im Formlabs Cure
In der UV-Kammer härtet der 3D-gedruckte Lendenwirbelkörpers aus. © Daniel Peter / UKW
Hier wird an vier Figuren beschrieben, wie die Radionuklidtherapie funktioniert. Injektion eines Radiopharmakons, Verteilung im Körper, Ausscheidung über Niere und Blase und spezifischer Uptake im Tumor, sowie therapeutische Strahlenexposition (nur der Tumor leuchtet im Körper).