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Computer Vision-Technologien: Revolution für Diagnose und Verlaufsbeurteilung der Parkinson-Krankheit?

Dr. Maximilian U. Friedrich, Assistenzarzt und Wissenschaftler an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Uniklinikums Würzburg (UKW), erhält auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin den mit 50.000 Euro dotierten „NeuroTech-Innovationspreis“ der Manfred und Ursula Müller-Stiftung und der DGN. Ausgezeichnet werden seine Forschungsarbeiten zur KI-basierten Videoanalyse in der Neurologie, insbesondere bei Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit.

Maximilian Friedrich posiert vor blauer Wand mit DGN-Logos und hält seine Urkunde in die Kamera.
Dr. Maximilian U. Friedrich, Assistenzarzt und Wissenschaftler an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW, erhielt auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin den mit 50.000 Euro dotierten „NeuroTech-Innovationspreis“ der Manfred und Ursula Müller-Stiftung und der DGN. © DGN/Claudius Pflug
Preisträger und Verleihende posieren vor DGN-Werbewand
Verleihung des NeuroTech-Innovationspreises, v.l.n.r. DGN-Präsident Prof. Dr. Lars Timmermann, Kuratoriumsmitglied Katja Engelbert, Preisträger Dr. Maximilian Friedrich, Stifterin Ursula Müller und Dr. Laura Hausmann vom Deutschen Stiftungszentrum. © DGN/Claudius Pflug
Maximilian Friedrich hält den Daumen hoch, auf der Hand leuchten zahlreiche Analysemarker in grün, die mit roten Strichen verbunden sind.d
Dr. Maximilian U. Friedrich hat seine Hand mit Computer Vision Analysemarkern überlagert, wie er sie auch in dem Projekt nutzt, für das er den NeuroTech-Innovationspreis erhalten hat. Foto: Helen Friedrich

Würzburg. Sie ermöglicht autonomes Fahren und die automatische Gesichtserkennung beim Entsperren des Smartphones, sie erleichtert industrielle Inspektionen wie die Qualitätskontrolle, aber auch die medizinische Bildanalyse. Die Rede ist von der Computer Vision Algorithmik - einer Sammlung von Algorithmen, die es Computern ermöglicht „zu sehen“ und visuelle Informationen zu verstehen. Ein Team um Dr. Maximilian Friedrich von der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) hat sich die Technologien des maschinellen Sehens zu eigen gemacht, um die Diagnose und Verlaufsbeurteilung der Parkinson-Krankheit zu revolutionieren, an der weltweit mehr als elf Millionen Menschen leiden.

Für sein Forschungsprojekt mit dem Titel „Nutzung von Computer Vision Algorithmik zur präzisen Charakterisierung der Schwere der Parkinsonerkrankung sowie ihres Ansprechens auf die medikamentöse und Hirnstimulationstherapie“ wurde Maximilian Friedrich beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft (DGN) im November 2024 in Berlin mit dem „NeuroTech-Innovationspreis“ ausgezeichnet. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wurde erstmals von der Manfred und Ursula Müller-Stiftung gemeinsam mit der DGN vergeben und soll künftig alle zwei Jahre junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszeichnen, die an der Entwicklung unkonventioneller, innovativer und kollaborativer KI-Technologien für klinische und translationale Anwendungen arbeiten.

Smartphone-basierter Symptomtracker und videogestütztes System zur schnellen und präzisen Feineinstellung der Tiefen Hirnstimulation

„Bisher basierte die Beurteilung von Parkinson-Symptomen wie Zittern und verlangsamten Bewegungen vor allem auf subjektiven und bestenfalls semi-quantitativen Beobachtungen von Neurologinnen und Neurologen“, berichtet Maximilian Friedrich. „Durch den Einsatz von KI-Algorithmen zur Videoanalyse können wir nun die motorischen Symptome unserer Patientinnen und Patienten deutlich präziser und objektiver erfassen.“ 

Zur Erfassung der motorischen Bewegungen werden lediglich handelsübliche Geräte wie Smartphones benötigt. Die Technologie erlaubt es, automatisch Bewegungsmuster in Videoaufnahmen zu erkennen, die sich manchmal auch der gewöhnlichen Beobachtung durch Expertinnen und Experten entziehen können. Durch die genauere Zustandsbeschreibung lässt sich nicht nur der Schweregrad der Erkrankung besser messen, sondern auch der Erfolg von medikamentösen Therapien und der Tiefen Hirnstimulation genauer beurteilen, was insbesondere für personalisierte Behandlungsansätze wegweisend sein könnte. „Ein KI-gestütztes System hat das Potenzial, die klinische Praxis zu verbessern, Diagnosen zu präzisieren und die Erforschung neurologischer Erkrankungen entscheidend voranzubringen“, resümiert Friedrich, der die Methode in den nächsten Schritten bis zur Erprobung im klinischen Alltag weiterentwickeln will. Das Preisgeld soll ihm dabei helfen, eine eigene Arbeitsgruppe zu den Themen KI und digitale Anwendungen in der Neurologie zu etablieren.

Internationale multidisziplinäre Kollaborationsstruktur

Das multidisziplinäre Projekt wird eng eingebettet in das rasch wachsende Forschungsumfeld der Neurologischen Klinik des UKW unter der Leitung von Professor Dr. Jens Volkmann und vereint lokale Partner aus der Würzburger Universitätsmedizin (u. a. die Arbeitsgruppen von Dr. Robert Peach, Prof. Dr. Daniel Zeller, Prof. Dr. Rüdiger Pryss) mit internationalen Kollaborationen. Zu diesen zählen Experten aus der angewandten Mathematik und Computerwissenschaft (Profs. David Wong und Samuel Relton, University of Leeds), der klinischen Softwareentwicklung (u. a. Prof. Dr. Jane Alty, University of Tasmania, Australien, und Prof. Ryan Roemmich, Johns Hopkins University, USA) sowie der Neurodegenerationsforschung (u. a. Prof. Vikram Khurana, Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA).

Links:

Pressemitteilung zu vorhergehenden Publikationen

Publikation im Journal of Neurology: Smartphone video nystagmography using vonvolutional neural networks: ConVNG

Publikationen im npj Digital Medicine: Validation and application of computer vision algorithms for video-based tremor analysis und Head movement dynamics in dystonia: a multi-centre retrospective study using visual perceptive deep learning

Text: Kirstin Linkamp / UKW
 

EASi-KIDNEY testet vielversprechenden Meilenstein bei chronischer Nierenerkrankung

INTERNATIONALE STUDIE MIT ALDOSTERON-SYNTHASE-HEMMER (ASI) ALS ERGÄNZUNG ZUM SGLT2-INHIBITOR EMPAGLIFLOZIN

EASi-KIDNEY ist eine neue internationale, multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie, die untersucht, ob ein Aldosteron-Synthase-Hemmer in Kombination mit dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin das Fortschreiten einer chronischen Niereninsuffizienz verlangsamen und das Risiko einer Krankenhauseinweisung aufgrund von Herzinsuffizienz oder Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit chronischer Nierenerkrankung verringern kann. Weltweit sollen 11.000 Patientinnen und Patienten mit und ohne Typ-2-Diabetes in 450 Kliniken rekrutiert werden. Die deutsche Studienzentrale ist am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) angesiedelt.

Das Studienteam in Würzburg stellt sich vor.
Das Studienteam von EASi-KIDNEY in Würzburg v.l.n.r.: Franziska Scheidemantel (Monitoring), Dr. Marcela Fajardo-Moser (Projektleiterin), Dr. Mirjam von Lucadou (Monitoring), Dr. Tereza Cairns (Prüfärztin), Prof. Dr. Christoph Wanner (Hauptprüfer), Dr. Sharang Ghavampour (Monitoring), Dr. Vladimir Cejka (Prüfarzt), Anja Knoppe (Study-Nurse), Isabell Endrich (Projektkoordinatorin) © Anja Knoppe / UKW

Würzburg. Weltweit leben mehr als 850 Millionen Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung. Die unaufhaltsame Krankheit ist nicht heilbar. Doch dank der Forschung und neuer medikamentöser Therapien kann das Fortschreiten der Erkrankung in vielen Fällen verzögert werden. Ein wichtiger Therapiebaustein, der noch mehr Patientinnen und Patienten noch länger vor der Dialyse und dem endgültigen Versagen von Herz und Nieren bewahren könnte, wird jetzt in der neuen klinischen Studie EASi-KIDNEY geprüft. 

Aldosteron-Synthase-Inhibitor (ASi) zur Senkung des Blutdrucks und Entlastung von Herz und Niere

Im Fokus der internationalen Phase-III-Studie steht ein Aldosteron-Synthase-Inhibitor (ASi) Vicadrostat. Der von Boehringer Ingelheim entwickelte Wirkstoff blockiert die Aktivität eines Enzyms, das für die Produktion des Hormons Aldosteron verantwortlich ist. Durch die Hemmung der Aldosteron-Synthase wird weniger Aldosteron produziert, was dazu führt, dass der Körper weniger Natrium und Wasser speichert und mehr Kalium behält. „Das kann helfen, den Blutdruck zu senken und das Herz sowie die Nieren zu entlasten“, erklärt Prof. Dr. Christoph Wanner, stellvertretender Vorsitzender des EASi-KIDNEY Trial Steering Committee. Christoph Wanner ist Senior Professor sowohl am Department für Klinische Forschung und Epidemiologie des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) als auch am Nuffield Department of Population Health (NDPH) der Clinical Trial Service Unit (CTSU) der Universität Oxford.

Empagliflozin kann Nierenkranke jahrelang vor der Dialyse bewahren und ist Teil von EASi-Kidney

Seit fast 20 Jahren führt Christoph Wanner zusammen mit der Universität Oxford große Studien wie SHARP, REVEAL und EMPA-Kidney durch. In der multizentrischen EMPA-Kidney-Studie bewies das Studienteam bereits eindrucksvoll die Wirksamkeit des SGLT2-Inhibitors Empagliflozin. Die tägliche Einnahme einer Tablette Empagliflozin senkt nicht nur den Blutzucker, sondern kann bei Nierenpatientinnen und -patienten auch eine Verschlechterung der Nierenfunktion oder den Tod durch Herzerkrankungen verhindern, unabhängig davon, ob sie an Diabetes Typ 2 leiden oder nicht. 

Empagliflozin ist deshalb auch Teil der EASi-KIDNEY-Studie. Alle Studienteilnehmenden nehmen einmal täglich 10 mg Empagliflozin ein. Die Hälfte der Teilnehmenden erhält zusätzlich 10 mg des Aldosteron-Synthase-Inhibitor (ASi), die andere Hälfte ein Scheinmedikament (Plazebo). Da es sich um eine doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studie handelt, wissen weder die Teilnehmenden noch die Behandelnden, wer Vicadrostat erhält.

11.000 Patientinnen und Patienten aus 450 Kliniken weltweit – 50 Kliniken in Deutschland – Studienzentrale ist in Würzburg

450 Kliniken in 18 Ländern sollen insgesamt 11.000 Patientinnen und Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz rekrutieren. Die deutsche Studienzentrale ist am DZHI Würzburg angesiedelt und wird von Dr. Marcela Fajardo-Moser geleitet. Für die Organisation, Koordination und das Monitoring der Investigator-initiierten Studie erhält das Clinical Trial Office am DZHI rund 8 Millionen Euro aus Oxford. „Wir konnten bereits 47 Zentren in Deutschland für die Studie gewinnen, 50 Zentren sind unser Ziel“, sagt Tereza Cairns, Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie am UKW und verantwortlich für das Prüfzentrum in Würzburg. „Voraussetzung für die Teilnahme ist ein gültiges Good Clinical Practice Certificate des medizinischen Personals sowie eine Study Nurse und eine Stellvertretung. Insgesamt wollen wir 1.250 Patientinnen und Patienten mit etablierter chronischer Niereninsuffizienz in Deutschland rekrutieren.“ 

ASi als Ergänzung zu Empagliflozin lieferte vielversprechende Ergebnisse in Phase-II-Studie

Die Ergebnisse der Phase-II-Studie für Vicadrostat, die auf der Kidney Week 2023 der American Society of Nephrology (ASN) vorgestellt wurden, waren vielversprechend. Nach 14-wöchiger Einnahme von Vicadrostat zusätzlich zu Empagliflozin zeigte sich bereits ein signifikanter Rückgang der Albuminurie um bis zu 40 Prozent im Vergleich zum Placebo - das Vorhandensein von Albumin im Urin gilt als Marker für Nierenschäden.

Für Christoph Wanner ist der Aldosteron-Synthase-Inhibitor eine Weiterentwicklung der dritten Therapiesäule zur Stabilisierung der Nierenerkrankung. Während der Aldosteron-Rezeptor-Blocker Finerenon die Wirkung von Aldosteron verhindert, indem er das Hormon an seine Rezeptoren bindet, setzt der Aldosteron-Synthase-Inhibitor früher an, indem er die Produktion von Aldosteron verhindert und das dafür notwendige Enzym blockiert. ASi könnte diese Lücke noch etwas besser schließen.  

Verschiedene Säulen um die Nierenerkrankung eines Tages vollständig zu stoppen

Welche Säulen gibt es bereits? „Wir haben als erste Säule die RAS-Blocker wie etwa die ACE-Hemmer, die das Renin-Angiotensin-System (RAS) hemmen, und dabei helfen, den Blutdruck zu senken, die Herzbelastung zu reduzieren und die Nierenfunktion zu schützen. Die zweite Säule bilden die SGLT-2-Hemmer.“ Die dritte Säule bilden wie oben beschrieben der Aldosteron-Rezeptor-Blocker beziehungsweise der Aldosteron-Synthase-Inhibitor. Als vierte Säule sieht Wanner den Schlankmacher Semaglutid, auch als Abnehmspritze bekannt. Der GLP-1-Rezeptoragonist ahmt die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 nach, das eine wichtige Rolle bei der Blutzucker- und Appetitregulation spielt. Das ursprünglich als Antidiabetikum entwickelte Medikament hat neben der Gewichtsabnahme, der Verbesserung der Blutzuckerwerte und der Blutdrucksenkung auch positive Auswirkungen auf Herz und Nieren, wie Studien gezeigt haben. Derzeit ist der Wirkstoff nur für Diabetiker zugelassen, eine Zulassung für Niereninsuffizienz erwartet Wanner im kommenden Jahr. „Wir haben in kurzer Zeit vier Säulen, mit denen wir das Fortschreiten der Krankheit deutlich verzögern können“, sagt Christoph Wanner. Leider sterben immer noch zu viele Patientinnen und Patienten an Komplikationen, Komorbiditäten oder erreichen das Dialysestadium. Es brauche eine Früherkennung und weitere Säulen. Die fünfte könnte Wanner zufolge ein endokriner Rezeptor-Antagonist sein, die sechste ein löslicher Guanylatzyklase-Aktivator. „Wir arbeiten an dem Konzept, um diese Nierenerkrankung eines Tages hoffentlich komplett zum Stillstand zu bringen“, sagt Wanner. Denn es wird wohl nicht bei den 850 Millionen Betroffenen weltweit bleiben. Es wird erwartet, dass die chronische Nierenerkrankung parallel zu Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas im Alter weiter zunimmt.

Internationale Studienwebseite: https://www.easikidney.org/

Kontakt zum EASi-KIDNEY-Studienteam: 
Clinical Trial Office am
Universitätsklinikum Würzburg
Am Schwarzenberg 15, Haus A15
97078 Würzburg
Telefon: 0931 201-46343
E-Mail: ClinicalTrialOffice@ukw.de

Text: Kirstin Linkamp / UKW 

Hentschel-Preis 2024 an zwei Würzburger Schlaganfallforscher vergeben

Mit Dr. Felipe A. Montellano und Dr. Christoph Vollmuth wurden zwei Wissenschaftler aus der Würzburger Universitätsmedizin für ihre Beiträge zur Schlaganfallforschung mit dem diesjährigen Hentschel-Preis ausgezeichnet.

Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung.
Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: Michael Schuhmann / UKW

Würzburg. Der bundesweit ausgeschriebene und in Summe mit 5.000 Euro dotierte Hentschel-Preis ging in diesem Jahr zu gleichen Teilen an Dr. Felipe A. Montellano und Dr. Christoph Vollmuth für ihre Arbeiten zur prognostischen Wertigkeit von blutbasierten Biomarkern nach akutem Schlaganfall. Beide Preisträger sind Mitarbeiter der von Prof. Dr. Jens Volkmann geleiteten Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Dr. Montellano ist zudem am von Prof. Dr. Peter U. Heuschmann geleiteten Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätig.

Hinter dem Award steht die Würzburger Hentschel-Stiftung, die seit dem Jahr 2011 jährlich wissenschaftliche Erkenntnisse zur Prävention, Diagnostik oder Therapie des Schlaganfalls auszeichnet. Die Preisverleihung fand am 23. Oktober 2024 im Rahmen des 9. Würzburger Schlaganfallsymposiums statt, einer interdisziplinären Fortbildungsveranstaltung der Neurologischen Klinik des UKW. Gemeinsam mit dem Stiftungsgründer Dipl.-Ing. Günter Hentschel und Prof. Dr. Michael Schuhmann, dem Inhaber der Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung am UKW, gratulierte Prof. Dr. Karl Georg Häusler, Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW sowie Organisator des Schlaganfallsymposiums, den Preisträgern sehr herzlich.

Um auch künftig Projekte zum Thema Schlaganfall unterstützen zu können, freut sich die Hentschel-Stiftung Würzburg über Spenden auf das folgende Konto: Kampf dem Schlaganfall, HypoVereinsbank Würzburg, BIC: HYVEDEMM455, IBAN: DE45790200760347390402. Die Stiftung ist vom Finanzamt Würzburg unter der Steuernummer 257/147/00343 als gemeinnützig anerkannt. Zustiftungen und Spenden sind daher steuerlich absetzbar.

 

Text: Pressestelle / UKW

Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung.
Die Hentschel-Preisträger 2024 Dr. Felipe A. Montellano (links) und Dr. Christoph Vollmuth (rechts), zusammen mit Günter Hentschel, dem Gründer der gleichnamigen Stiftung. Bild: Michael Schuhmann / UKW

Preiswürdige Forschung für eine klimafreundlichere Gastroenterologie

Für ihre Forschung zu den Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck der gastroenterologischen Endoskopie zu senken, wurde Dr. Dorothea Henniger vom Uniklinikum Würzburg mit dem Martin-Gülzow-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauung und Stoffwechselerkrankungen ausgezeichnet.

Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.
Martin-Gülzow-Preis 2024.jpg, © DGVS Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.

Würzburg. Der von Prof. Dr. Alexander Meining geleitete Bereich Gastroenterologie an der Medizinischen Klinik II des Uniklinikums Würzburg (UKW) strebt danach, die Kohlendioxid-Emissionen rund um seine endoskopischen Untersuchungen und Eingriffe zu reduzieren. Für ihre Forschung zu diesem Thema erhielt Dr. Dorothea Henniger Anfang Oktober dieses Jahres den Martin-Gülzow-Preis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauung und Stoffwechselerkrankungen (DGVS). Der Award wird an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler für grundlegende oder richtungsweisende Arbeiten im Bereich der klinischen Gastroenterologie vergeben und ist mit 5.000 Euro dotiert.
Das wissenschaftliche Projekt für eine „Grüne Endoskopie“ am UKW gliederte sich in zwei Phasen. „Zunächst ging es darum, die Menge der in Zusammenhang mit unserer Endoskopie freigesetzten Treibhausgase zu quantifizieren“, beschreibt Dr. Henniger und fährt fort: „Mangels entsprechender Herstellerdaten berechneten wir selbst den CO2-Fußabdruck der eingesetzten Instrumente und sonstigen Ausrüstung – nach unserem Wissen als weltweit erste Einrichtung.“ Dabei wurde deutlich, dass Plastik-Einwegmaterialien, wie Kittel oder Mundstücke, auf ihrem Lebensweg die meisten Treibhausgas-Emissionen verursachen. 

Maßnahmenbündel reduziert Emissionen um über 18 Prozent

Aufgrund der erhobenen Untersuchungsergebnisse tauschte die Gastroenterologie des UKW in einer zweiten Projektphase 224 Endoskopieprodukte gegen klimafreundlichere Erzeugnisse aus – vor allem durch die Wahl von Produkten mit geringeren Transportwegen. „Allerdings zeigte sich auch, dass es für 70 Prozent der Produkte zum Zeitpunkt unserer Studie keine ‚grüneren‘ Alternativen gab“, berichtet die Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie.
Darüber hinaus wurde in der Endoskopie des UKW – begleitet von einer entsprechenden Schulung der Mitarbeitenden – ein Recyclingsystem eingeführt. Laut der Preisträgerin konnte dadurch das Restmüllaufkommen um 20 Prozent verringert werden. „Außerdem haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen für einen bewussteren Umgang mit Instrumenten sensibilisiert, wodurch wir die Anzahl der benutzen Instrumente ebenfalls reduzieren konnten“, schildert Dr. Henniger und fasst zusammen: „Alle genannten Maßnahmen führten in Summe dazu, dass wir unsere CO2-Emisssionen um über 18 Prozent gesenkt haben.“ 
Die der Vergabe des Martin-Gülzow-Preises zugrundeliegende Studie erschien im Februar 2024 in der gastroenterologischen Fachzeitschrift Gut unter dem Titel „Reducing scope 3 carbon emissions in gastrointestinal endoscopy: results of the prospective study of the 'Green Endoscopy Project Würzburg'“.

Text: Pressestelle / UKW
 

Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.
Martin-Gülzow-Preis 2024.jpg, © DGVS Dr. Dorothea Henniger nahm den Martin-Gülzow-Preis von DGVS-Präsident Prof. Dr. Heiner Wedemeyer entgegen.

Das Gesundheitssystem hat ein Problem. Die Lösung ist eine starke Primärmedizin

„Neue Wege in die Allgemeinmedizin – Nachwuchs für Versorgung und Forschung begeistern“ – unter diesem Titel fand in diesem Jahr vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg der 58. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM statt. Rund 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte, Studierende, Medizinische Fachangestellte, Studienassistenz und Beschäftigte aus der Sozialarbeit, dem Gesundheitswesen, der Politik und allen Bereichen, die mit der hausärztlichen Versorgung zu tun haben, folgten der Einladung der beiden Kongresspräsidentinnen Prof. Dr. Anne Simmenroth und Prof. Dr. Ildikó Gágyor zu einem regen Austausch. Die beiden Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) ziehen Bilanz.

Die beiden Kongresspräsidentinnen posieren beim DEGAM-Kongress vor der Kamera
Prof. Dr. Ildikó Gágyor und Prof. Dr. Anne Simmenroth, Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) waren in diesem Jahr die Präsidentinnen des 58. Kongresses für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, der vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg stattfand. © DEGAM / Antje Boysen
Das gesamte Team des Instituts für Allgemeinmedizin hat sich für ein Grupppenfoto aufgestellt, vorn die beiden Kongresspräsidentinnen.
Das gesamte Team des Würzburger Instituts für Allgemeinmedizin war aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung des DEGAM-Kongresses beteiligt. © DEGAM / Antje Boysen
Mehrere Kongressausgaben liegen übereinander, rechts im Bild ein Kongressausweis
Die Ärzte Zeitung war Medienpartner des DEGAM-Kongresses und gab eine Kongress-Ausgabe aus. © DEGAM / Antje Boysen

Fast 400 eingereichte Abstracts, über 350 Kongressbeiträge, rund 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie hunderte Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis. Schon im Vorfeld war von Rekorden die Rede. Sind Sie mit dem DEGAM-Kongress in Würzburg zufrieden?

Anne Simmenroth: Ja, wir sind sehr zufrieden. Nicht nur wegen der hohen Zahl an Teilnehmenden. Es waren tatsächlich 978 Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland, aus allen Berufen und Altersgruppen. Auch die Stimmung war sehr gut. Wir haben schon während des Kongresses und danach sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, dass es ein besonderer und auch ein anderer Kongress war.

Was war das Besondere an dem Kongress?

Ildikó Gágyor: Unser gesamtes Team war sichtbar, nicht nur wir als Kongresspräsidentinnen. Alle Teammitglieder waren aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung beteiligt, so dass der Kongress einen schönen Stempel von unserem Institut erhielt. Man hat sicherlich auch unsere Handschrift beim Programm gemerkt. Wir haben darauf geachtet, dass die Frauen sichtbarer waren, sie zu Vorträgen und Key Lectures eingeladen. Zudem hatte der Kongress ein tolles Lokalkolorit: vom Veranstaltungsort, der Neuen Universität am Sanderring, über das Essen mit regionalen Spezialitäten und Würzburger Wein bis hin zu den fränkischen Sprüchen in Lautschrift, mit denen jeder Morgen begann. 

Anne Simmenroth: Außerdem haben das „atmosfair-Siegel“ für die Klimafreundlichkeit erhalten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer brachten zum Beispiel ihre eigenen Trinkflaschen mit, die sie an eigens aufgestellten Wassertanks auffüllen konnten. Wir hatten kein verpacktes Essen. Und es gab keine Kongresstaschen, die mit vielen unnötigen Dingen gefüllt waren. 

Einen weiteren regionalen Bezug haben Sie mit dem Seminar „Reflective Practitioner“ im Rahmen des Projekts „Das Leere Sprechzimmer“ geschaffen, welches seit einigen Jahren Bestandteil jedes DEGAM-Kongresses ist und an die ärztlichen Opfer der NS-Diktatur erinnert.

Ildikó Gágyor: Die Studierenden haben sich intensiv mit historischen Biografien beschäftigt und sich emotional damit auseinandergesetzt. Diese ethische Reflexion hinterlässt natürlich Spuren und wirft neue Fragen für die Zukunft auf, vor allem für das ärztliche Selbstverständnis.

Anne Simmenroth: Unsere Studierenden waren sehr angetan und haben regelrecht eine Fortsetzung gefordert, also das Thema noch weiteren Studierenden zugänglich zu machen. 

Hinweis der Redaktion: Weitere Informationen zum Leeren Sprechzimmer finden Sie auf der Webseite der DEGAM.

Für die Eröffnung des diesjährigen DEGAM-Kongresses haben Sie bewusst ein diskursives Format gewählt. Statt verschiedener Grußworte gab es eine Podiumsdiskussion. Hat dieses Format Ihren Wunsch nach einem knackigen Einstieg in das wissenschaftliche Programm erfüllt?

Anne Simmenroth: Auf jeden Fall. Wir haben sehr kontrovers diskutiert. Zum Beispiel über das Weiterbildungssystem in Deutschland. Wir haben noch eine zu niedrige Weiterbildungsquote in der Allgemeinmedizin, trotz langjähriger finanzieller und struktureller Förderung. Es gibt in Deutschland einen wirklich großen Reformbedarf. Den müssen wir angehen. Dabei hilft der internationale Blick, denn viele Länder sind wesentlich besser aufgestellt als wir.

Ildikó Gágyor: Eine Studie des IGES Instituts für den GKV-Spitzenverband hat gezeigt, dass wir von den Erfahrungen unserer Nachbarländer lernen könnten. Die Niederlande, Belgien, Frankreich, Österreich und die Schweiz haben vergleichbare Gesundheitssysteme und stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir: Viele Hausärztinnen und Hausärzte kurz vor dem Ruhestand und beim hausärztlichen Nachwuchs ein ausgeprägter Trend zur Teilzeitanstellung.

Frau Simmenroth, als Mitglied der European Academy of Teachers in General Practice and Family Medicine (EURACT) haben Sie einen noch tieferen, praktischen Einblick in die Weiterbildungssysteme anderer europäischer Länder. Was machen die anders?

Anne Simmenroth: Die meisten europäischen Länder kontingentieren zum Beispiel die Facharztausbildungen, man muss sich für die Fachgebiete bewerben und wird auf Listen gesetzt. Diese Steuerung ist hier ein „rotes Tuch“. Aber wir müssen planen. Sonst gibt es eines Tages unendlich viele Neurochirurginnen und Neurochirurgen, aber keine Geriaterinnen und Geriater. Schon heute gibt es viele Praxen mit angestellten Ärztinnen und Ärzten, die zu viele individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) anbieten, aber in der Primärversorgung fehlen. Dieses System muss besser ausbalanciert werden.

Eine Keynote Lecture befasste sich mit dem Thema „Gesundheitssystem im Wandel - Chancen und Herausforderungen für die Allgemeinmedizin“. Welche sind das? 

Anne Simmenroth: Unsere Kollegin Prof. Dr. med. Stefanie Joos aus Tübingen hat einen tollen „Blick von oben geliefert“ und auch ihr Fazit lautete: Das System stößt an seine Grenzen. Wir brauchen einen Systemwechsel, nicht nur in der Allgemeinmedizin. Wir brauchen zum Beispiel dringend die elektronische Patientenakte und definierte Schnittstellen. Denn die Patientenströme sind völlig ungesteuert und verursachen permanent Kosten. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen ständig. Dabei wissen wir aus internationalen Studien, dass Primärarztsysteme die Kosten dämpft. Die Kosten sinken, aber die Versorgung wird nicht schlechter, sondern sogar besser. Es gibt zum Beispiel weniger Doppel- und Fehldiagnostik beziehungsweise Therapie, und alle Informationen werden an einer Stelle zusammengeführt.

Ildikó Gágyor: Die Lösung ist eine starke Primärversorgung. Die Allgemeinmedizin und die Pädiatrie müssen gestärkt werden. Das funktioniert anderswo, und deshalb würde es sicher auch hier funktionieren.

Was sollte sich aus Sicht des medizinischen Nachwuchses ändern? Durch die Fishbowl-Methode kamen bei der Podiumsdiskussion immer wieder neue Stimmen zu Wort, auch von Studierenden.

Ildikó Gágyor: Das Bedürfnis, über die Reform zu sprechen, war groß. Wir hatten vor der Bühne sogar eine Riesenschlange, weil immer mehr Leute, vor allem junge Leute, aufs Podium wollten. Laura Lunden, eine Ärztin in Weiterbildung, die die Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) auf dem Podium vertrat, fasste die Wünsche zusammen: Work-Life-Balance und Zeit für die Familiengründung. Sie sind gegen Zwang und wollen ihre Fachrichtung weiterhin selbst wählen können.
 
Anne Simmenroth: Sie kennen es auch nicht anders. Genauso wie Patientinnen und Patienten sich ihre Ärztinnen und Ärzte in Deutschland frei aussuchen. Das ist in 90 Prozent der europäischen Länder indiskutabel. Hierzulande denkt man immer gleich an Fremdbestimmung und Freiheitsberaubung. Umgekehrt muss man aber sehen, dass die Behandlung von Husten, Schnupfen, Heiserkeit in Deutschland ein Vielfaches an Zeit und finanziellen Ressourcen verbraucht wie in anderen Ländern.

Die Allgemeinmedizin ist eigentlich sehr attraktiv, vor allem im Hinblick auf die Work-Life-Balance. Warum hat sie trotzdem ein Nachwuchsproblem?

Ildikó Gágyor: Wir haben zwar immer mehr junge Leute, vor allem Frauen, die sich für die Allgemeinmedizin entscheiden, aber es sind nicht genug. Hinzu kommt, dass viele in Teilzeit arbeiten und lieber angestellt bleiben, als das unternehmerische Risiko einer Niederlassung einzugehen. Auf dem Land kommen weitere Gründe hinzu, wie eine schwächere Infrastruktur und mangelnde Kinderbetreuung.

Anne Simmenroth: Die Einzelpraxis stirbt in allen Fächern aus, auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten. Das ist kein Zukunftsmodell mehr.

Wie sieht für Sie die allgemeinmedizinische Praxis der Zukunft aus?

Ildikó Gágyor: Sie wird auf jeden Fall größer sein. Es wird mehr Kompetenz gebündelt. Verschiedene Schwerpunkte wie zum Beispiel Geriatrie, Diabetologie und Palliativmedizin aber auch andere Berufe wie Pflege, Psychotherapie, Physiotherapie, Sozialarbeit unter einem Dach wären sicher von Vorteil.

Anne Simmenroth: Ich war gerade mit EURACT in Montenegro. Ein winziges Land mit einem tollen Primärarztsystem. In einem Gesundheitszentrum in einer Kleinstadt gab es neben dem Hausarzt noch eine Hebamme und einen Zahnarzt, ein Labor, eine Physiotherapie und eine Sozialarbeiterin! 

In anderen Ländern haben aber auch Nurses und Medizinische Fachangestellte einen größeren Handlungsspielraum. 

Anne Simmenroth: Das wäre auch noch ein wichtiger Aspekt für die Praxis der Zukunft. Wir müssen die Pflegekräfte noch mehr qualifizieren, als das jetzt schon der Fall ist. Im übrigen Europa sind Konsultationen durch Nurses ganz normal, hierzulande ist das ebenfalls ein rotes Tuch. Aber mal ehrlich, wir müssen als Ärztinnen doch nicht von unseren fünf Stunden Vormittagspraxis zwei Stunden mit Krankschreibungen wegen Schnupfen verbringen. Das ist wirklich eine Verschwendung von Ressourcen. 

Neben der Forschung und Lehre arbeiten Sie beide einen Vormittag pro Woche in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Würzburg.

Ildikó Gágyor: Ja, und unsere Ressourcen sind für kompliziertere Fälle gedacht, bei denen zum Beispiel mehrere gesundheitliche Probleme behandelt werden müssen, das Fieber nicht sinkt, die aufgrund einer Depression verzweifelt sind oder ein komplexer Fall mit einer schweren Erkrankung oder nach einem großen Eingriff aus dem Krankenhaus entlassen wird und zu Hause versorgt werden muss. Diese Patientinnen und Patienten benötigen mehr Aufmerksamkeit.

Was kann der Kongress hinsichtlich der notwendigen Systemänderungen bewirken? 

Anne Simmenroth: Solche Kongresse, unser Kongress jedenfalls, sind immer ein Beschleuniger für solche Ideen, die in Podiumsdiskussionen, Key Lectures, Workshops und Pausengesprächen evidenzbasiert thematisiert werden. Sie sollen ins Land diffundieren, und das tun sie auch.

Ildikó Gágyor: Wir sind sozusagen Vorreiter. 

 

Das Interview führte Kirstin Linkamp / UKW 
 

Die beiden Kongresspräsidentinnen posieren beim DEGAM-Kongress vor der Kamera
Prof. Dr. Ildikó Gágyor und Prof. Dr. Anne Simmenroth, Direktorinnen des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) waren in diesem Jahr die Präsidentinnen des 58. Kongresses für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, der vom 26. bis 28. September 2024 in der Julius-Maximilians-Universität Würzburg stattfand. © DEGAM / Antje Boysen
Das gesamte Team des Instituts für Allgemeinmedizin hat sich für ein Grupppenfoto aufgestellt, vorn die beiden Kongresspräsidentinnen.
Das gesamte Team des Würzburger Instituts für Allgemeinmedizin war aktiv an der Gestaltung des Programms und der Durchführung des DEGAM-Kongresses beteiligt. © DEGAM / Antje Boysen
Mehrere Kongressausgaben liegen übereinander, rechts im Bild ein Kongressausweis
Die Ärzte Zeitung war Medienpartner des DEGAM-Kongresses und gab eine Kongress-Ausgabe aus. © DEGAM / Antje Boysen

Corazón en acción - Herz in Aktion

Das Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW) geht in Kooperation mit der Abteilung Infektiologie des UKW und der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin eine Klinikpartnerschaft mit dem Hospital Dermatológico in Monteagudo (HDM) in Bolivien ein. Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert und hat zum Ziel, die Prävention und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Chagas-Hochlandgebiet Monteagudo zu verbessern.

Collage von zwei Porträts, die Janina Zirkel und Sandra Parisi vor Bäumen zeigen.
Dr. Janina Zirkel (links) und Prof. Dr. Sandra Parisi haben das deutsch-bolivianische Projekt Corazón en acción im Rahmen des globalen Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingeworben. © Angie Wolf / UKW
Außenaufname des Krankenhauses in Bolivien, einige Menschen stehen vor der Anmeldung unter einem Vordach.
Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten in Bolivien und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. © Hospital Dermatológico Monteagudo
Collage mit Bildern eines Präventionsstandes in Bolivien, eines einfachen Hauses im Hinterland, einer Wanze in einer Schachtel und einer simplen Kochgelegenheit.
Sandra Parisi untersuchte vor sechs Jahren, wie die Chagas-Krankheit vor Ort wahrgenommen wird und besuchte auch Haushalte in abgelegenen Gebieten Monteagudos. Die Krankheit wird durch Raubwanzen übertragen, die in den Ritzen und Dächern einfacher Häuser leben. Ihre Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases veröffentlicht wurde, zeigt, dass trotz guter Aufklärung über Präventionsmaßnahmen Misstrauen gegenüber der derzeitigen Therapie der Wahl besteht. Alternative Heilmethoden werden oft bevorzugt, was auf Missverständnisse und kulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer partizipativen und ganzheitlichen Gesundheitsversorgung. © Sandra Parisi

Würzburg. Die Chagas-Krankheit ist eine der größten Gesundheitsgefahren in Bolivien. Unbehandelt kann die endemische Krankheit zu lebensbedrohlichen Schäden an Herz, Darm und Nervensystem führen. Verursacht wird die Chagas-Krankheit durch den Parasiten Trypanosoma cruzi, der hauptsächlich durch den Biss der Raubwanze “Vinchuca“ übertragen wird. In der Region Monteagudo im südbolivianischen Chaco ist jeder zweite Erwachsene mit Trypanosoma cruzi infiziert. Eine nicht minder große Gefahr stellen Bluthochdruck, Herzinfarkt, Diabetes und Adipositas dar: „Krankheiten, die für uns hausärztliche Routine sind. Doch vor Ort gibt es kaum eine nachhaltige Behandlung. Chagas verschlimmert diese Krankheiten zusätzlich. Durch diesen Teufelskreis werden bereits junge Menschen mit einer eigentlich behandelbaren Herzschwäche arbeitsunfähig“, sagt Dr. Janina Zirkel von der Abteilung für Infektiologie und dem Institut für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Würzburg (UKW). Gemeinsam mit ihrer Kollegin, Prof. Dr. Sandra Parisi will sie das mit dem Projekt „Corazón en acción - Herz in Aktion“ im Rahmen einer Klinikpartnerschaft mit dem Hospital Dermatológico in Monteagudo (HDM) in Bolivien ändern.

Herzerkrankungen stehen im Fokus der Klinikpartnerschaft

Das Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. Ziel der Klinikpartnerschaft ist es, die Versorgungskapazitäten zu stärken und partizipativ neue Strukturen zu entwickeln. Dadurch soll die Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert und die durch Chagas verursachte Krankheitslast in der hochendemischen Region reduziert werden.

In einem ersten Schritt sollen gemeinsam Daten erhoben werden. „Es fehlen die für eine Verbesserung der Situation notwendigen Daten zur physischen und psychischen Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich der durch Chagas verursachten Herzprobleme, sowie zur aktuellen Versorgungssituation, sagt Parisi, die bereits mehrere Monate in dem südamerikanischen Andenstaat geforscht hat. „Auf Basis dieser Daten werden wir dann gemeinsam lokale Prioritäten und Lösungsansätze erarbeiten um auf eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen hinzuwirken.“ 

Einbeziehung der Bevölkerung in Präventions- und Behandlungsstrategien

Im Projekt „Corazón en acción“ werden sowohl die Bevölkerung, die Betroffenen und ihre Angehörigen als auch alle an der Versorgung Beteiligten - von der Medizin und traditionellen Heilkunde über Pflege, Pharmazie und Veterinärmedizin bis hin zum Gesundheitssystem und der Politik - einbezogen. Sie sollen motiviert und befähigt werden, sich aktiv an der Verbesserung der Versorgung zu beteiligen. Darüber hinaus ist das Ziel, Forschungskompetenzen an lokales Personal und Studierende zu vermitteln.

Das Institut für Allgemeinmedizin verfügt über langjährige Erfahrung in der Versorgungsforschung zu übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten. Prof. Dr. Sandra Parisi und ihre Kollegin Dr. Janina Zirkel haben das Projekt im Rahmen des weltweiten Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) eingeworben. Neben der Würzburger Infektiologie ist auch die Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité - Universitätsmedizin Berlin beteiligt, die ein Teilprojekt zur KI-Echokardiographie leitet. Auch deutsche und bolivianische Studierende sind im Rahmen von Master- und Doktorarbeiten in das Projekt eingebunden. 

Text: Kirstin Linkamp / UKW
 

Collage von zwei Porträts, die Janina Zirkel und Sandra Parisi vor Bäumen zeigen.
Dr. Janina Zirkel (links) und Prof. Dr. Sandra Parisi haben das deutsch-bolivianische Projekt Corazón en acción im Rahmen des globalen Förderprogramms Klinikpartnerschaften der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingeworben. © Angie Wolf / UKW
Außenaufname des Krankenhauses in Bolivien, einige Menschen stehen vor der Anmeldung unter einem Vordach.
Hospital Dermatológico in Monteagudo ist ein ländliches Referenzzentrum für Tropenkrankheiten in Bolivien und stellt die Primärversorgung der Bevölkerung sicher. © Hospital Dermatológico Monteagudo
Collage mit Bildern eines Präventionsstandes in Bolivien, eines einfachen Hauses im Hinterland, einer Wanze in einer Schachtel und einer simplen Kochgelegenheit.
Sandra Parisi untersuchte vor sechs Jahren, wie die Chagas-Krankheit vor Ort wahrgenommen wird und besuchte auch Haushalte in abgelegenen Gebieten Monteagudos. Die Krankheit wird durch Raubwanzen übertragen, die in den Ritzen und Dächern einfacher Häuser leben. Ihre Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases veröffentlicht wurde, zeigt, dass trotz guter Aufklärung über Präventionsmaßnahmen Misstrauen gegenüber der derzeitigen Therapie der Wahl besteht. Alternative Heilmethoden werden oft bevorzugt, was auf Missverständnisse und kulturelle Faktoren zurückzuführen ist. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer partizipativen und ganzheitlichen Gesundheitsversorgung. © Sandra Parisi

Ausgezeichneter Biomarker zur Vorhersage schwerer Schlaganfallverläufe

Dr. Alexander Kollikowski aus dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) wurde im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) der Kurt-Decker-Preis für den Konzeptnachweis frühester lokaler Biomarker im ischämischen Schlaganfall verliehen.

 

Alexander Kollikowski steht am Pult, über ihm leuchtet eine Folie seines Vortrags, links auf der Bühne sitzen Musiker mit Streichinstrumenten.
Auf der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) hielt Dr. Alexander Kollikowski vom UKW einen Vortrag über den Konzeptnachweis frühester lokaler Biomarker im ischämischen Schlaganfall, für den er mit dem Kurt-Decker-Preis ausgezeichnet wurde. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende
DGNR-Präsident gratuliert Alexander Kollikowski auf der Bühne.
Prof. Dr. Peter Schramm, der neue Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR), verlieh den Kurt-Decker-Preis an Dr. Alexander Kollikowski vom Würzburger Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie während der Jahrestagung der DGNR. © DGNR Benjamin Klingebiel, Offenblende

Würzburg. Beim ischämischen Schlaganfall, der vier von fünf Schlaganfällen ausmacht, muss schnell gehandelt werden, um die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen und bleibende Hirnschäden zu verhindern. Das Blutgerinnsel, das die Blutzufuhr zu einem Teil des Gehirns unterbrochen hat, kann durch eine katheterbasierte mechanische Thrombektomie, das wirksamste Verfahren in der akuten Gefäßmedizin, entfernt werden, um den physiologischen Blutfluss wiederherzustellen und ein Fortschreiten des Infarkts zu verhindern. Einige Patientinnen und Patienten profitieren jedoch selbst bei schneller und effizienter Behandlung nicht ausreichend von dieser Therapie und haben auch nach einer erfolgreichen Gefäßrekanalisation weiterhin neurologische Defizite. Während die Wirksamkeit der Behandlung stark vom Zeitpunkt der Intervention und dem Ausmaß der bereits eingetretenen Gewebsschädigung abhängt, wurden auch bestimmte Enzyme, insbesondere Matrix-Metalloproteinasen (MMP), vor allem nach der Gefäßrekanalisation mit anhaltenden neurologischen Störungen und Blutungskomplikationen in Verbindung gebracht.

Kurt-Decker-Preis für die Entdeckung eines prätherapeutischen Prädiktors für schwere Verläufe

Dr. Alexander Kollikowski vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) hat erstmals die früheste Freisetzung dieser Enzyme direkt in den vom Schlaganfall betroffenen Hirnregionen und ihre prognostische Bedeutung im therapeutischen Kontext vor einer Gefäßrekanalisation untersucht. Für die hierbei gewonnen wegweisenden Erkenntnisse erhielt er im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) in Kassel den renommierten Kurt-Decker-Preis.

Zum Projekt, das vom Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) Würzburg und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Clinician Scientist programms UNION CVD und des Sonderforschungsbereichs SFB/TR 240 finanziert und im Fachjournal eBioMedicine (The Lancet Discovery Science) veröffentlicht wurde: Gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Schuhmann, Leiter des Klinischen Labors der Neurologie und der interdisziplinären neurovaskulären Arbeitsgruppe, hat Alexander Kollikowski 264 Flüssigbiopsien von 132 Schlaganfallpatientinnen und -patienten mit einem Großgefäßverschluss untersucht, die im Rahmen der mechanischen Thrombektomie mittels Mikrokatheterverfahren vor Wiedereröffnung aus dem betroffenen Gefäßsegment des Gehirns gewonnen wurden. Hierbei konnten die Matrixmetallproteinasen in einem Zustand analysiert werden, noch bevor das nach der Gerinnselentfernung wieder einströmende Blut die Situation vor Ort massiv verändert hätte. Die Forschenden fanden einerseits heraus, dass Neutrophile, eine Art intravaskulärer weißer Blutkörperchen, direkt während des Schlaganfalls in das betroffene Gefäßgebiet einwandern und enzymatisch aktive Matrix-Metalloproteinase-9 (MMP-9) freisetzen, und zeigten andererseits, dass sich dieser Prozess als bedeutend für den Krankheitsverlauf erwies.

MMP-9 in Flüssigkeitsbiopsien aus Kollateralgefäßen ermöglicht präzise Prognoseabschätzung nach Gefäßrekanalisation

„Unsere Analysen haben gezeigt, dass lokale, prätherapeutische Konzentrationen von MMP-9 ein unabhängiger Prädiktor für schwere Hirnblutungen und einen ungünstigen klinischen Verlauf einschließlich schwerer Behinderung oder Tod nach Rekanalisation sind“, sagt Alexander Kollikowski. Die Ergebnisse positionieren MMP-9 in Kollateralgefäßen als ersten lokalen Biomarker zur Identifizierung von Hochrisikogruppen unter Thrombektomie-Kandidatinnen und -Kanditaten und liefern damit den Konzeptnachweis für früheste lokale Biomarker im ischämischen Schlaganfall.

Was bedeutet das konkret für die Therapie? „Die Bestimmung der Freisetzung von MMP-9 in Flüssigkeitsbiopsien aus Kollateralgefäßen vor der Gefäßrekanalisation ermöglicht eine präzise Prognoseabschätzung für verschiedene klinische Endpunkte nach der Gefäßrekanalisation“, so Kollikowski. „Diese Methode könnte den Weg für maßgeschneiderte Behandlungsstrategien für diejenigen Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für einen ungünstigen Verlauf ebnen, die bisher nicht frühzeitig identifiziert und behandelt werden konnten und damit ein erhebliches Potenzial für klinische Verbesserungen aufweisen.“

Validierung, Point-of-Care-Testing und revers-translationale Studien

Wie geht es weiter? Der Fokus liegt zunächst auf der Validierung der Ergebnisse in größeren Kohorten, um die Robustheit und Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu bestätigen. Parallel dazu werden wir die Möglichkeiten untersuchen, diese Ergebnisse in eine patientennahe Labordiagnostik (engl. Point-of-Care-Testing) direkt in der Angio-OP während einer mechanischen Rekanalisation als Methode zur Echtzeit-Risikoabschätzung zu überführen. Zudem sind revers-translationale Studien geplant, um die im Menschen beobachteten Prozesse in Tiermodellen mechanistisch zu untersuchen. Mit diesem Ansatz soll eine Brücke zwischen klinischen Beobachtungen und experimentell adressierbaren pathophysiologischen Prozessen geschlagen werden, um die Entwicklung spezifischer, zeitlich und pathophysiologisch abgestimmter Therapiekonzepte für die klinische Erprobung voranzutreiben.

Weitere Informationen zur Studie liefert die Pressemitteilung, die am 22. April 2024 anlässlich der Publikation veröffentlicht wurde.