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Virtuelle Begleiter gegen reale Ängste

ANWESENHEIT VIRTUELLER CHARAKTERE MIT BESTIMMTEN EIGENSCHAFTEN KANN KÖRPERLICHE ANGSTREAKTIONEN ABMINDERN

Eine aktuelle Kooperationsstudie der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und dem Lehrstuhl für Mensch-Computer Interaktion der Universität Würzburg zeigt, dass virtuelle Charaktere Angstreaktionen deutlich abmildern können, vorausgesetzt sie haben eine soziale Relevanz. Neben einer gleichgeschlechtlichen virtuellen Figur entfaltete auch eine einfache Holzpuppe eine beruhigende Wirkung, wenn sie als empathischer Partner wahrgenommen wurde. Die im Fachjournal Computers in Human Behavior veröffentlichten Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für den gezielten Einsatz virtueller Charaktere in digitalen Gesundheitsanwendungen.

 

die Collabe zeigt oben zwei Bilder vom virtuellen Labor, links Vogelperspektive, rechts zwei leere Stühle, unten sind vier Bilder von einzelnen Charakteren, die mit dem Rücken zum Betrachter gewandt sind.
Die Verkörperungen der im Experiment verwendeten virtuellen Figur. Oben Ansichten vom leeren Raum, unten v.l.n.r.: Wolke, Holzfigur, weiblich, männlich. Im ersten Versuch wurden die Probandinnen mit einem neutralen Klang konfrontiert, im zweiten Versuch mit einem aversiven Geräusch. © Weiß, Krop et al., Computers in Human Behavior, 2025.
Zwei Bildausschnitte aus dem VR-Labor nebeneinander, VR-Frau und Holzfigur Woody sitzen mit dem Rücken dem Betrachter zugewandt in der schallisolierten VR-Kabine.
Als die Holzfigur Woody eine soziale Bedeutung erhielt, hatte sie einen ähnlich signifikanten Social Buffering Effekt auf die Probandinnen wie die virtuelle Frau und wirkte beruhigend. © Weiß, Krop et al., Computers in Human Behavior, 2025.

Würzburg. Du bist nicht allein. Ob bei Menschen oder Tieren - die Nähe zu Artgenossen kann in Angstsituationen beruhigend wirken. Dieser als Social Buffering bezeichnete Mechanismus wurde ursprünglich in der Tierforschung entdeckt. Selbst Zebrafische zeigen in Gegenwart von Artgenossen weniger Angstverhalten (Faustino et al., Scientific Reports, 2017). Dabei spielt die Größe des sichtbaren Schwarms keine Rolle. Schon der Sichtkontakt zu einzelnen Artgenossen in benachbarten Aquarien können bedrohliche Reize, in diesem Fall ausgelöst durch eine Alarmsubstanz im Wasser, abschwächen. Prof. Dr. Grit Hein, Professorin für Translationale Neurowissenschaften am Uniklinikum Würzburg (UKW), ließ sich von diesem einfachen Versuchsaufbau mit beeindruckendem Ergebnis inspirieren und untersuchte mit ihrem Team, ob der Effekt der bloßen sozialen Anwesenheit auch beim Menschen messbar ist, zunächst in der realen Welt und in einer aktuellen Studie in der virtuellen Welt. 

„Soziale Interaktionen finden heute oft virtuell statt, aber die Auswirkungen von Social Buffering in der virtuellen Welt sind noch wenig bekannt“, erklärt Grit Hein. 

Anwesenheit eines Artgenossen kann autonome Reaktionen auf aversive Reize abschwächen

Zunächst zum Studiensetting in der realen Welt, welches in Vorgängerstudien (Qi Y et al., Proc Biol Sci, 2020 und Qi Y et al., Translational Psychiatry, 2021) verwendet wurde: Die Studienteilnehmerinnen befanden sich in einer schallisolierten Kabine und hörten angsteinflößende Schreie, sowohl allein als auch in Anwesenheit einer realen Person. Neben den emotionalen Bewertungen wurde auch der so genannte Hautleitwert untersucht und damit das autonome Angstmaß bestimmt, also die Aktivität des peripheren Nervensystems - übrigens ein Wert, der nicht beeinflusst werden kann und deshalb auch oft in der Lügendetektion eingesetzt wird. Wenn wir aversiven Reizen ausgesetzt sind, also Reizen, die unangenehm, schmerzhaft, angst- oder stressauslösend sind, werden unsere Schweißdrüsen aktiviert. Die Haut wird feuchter, ihre Leitfähigkeit verändert sich, der Hautleitwert steigt. 
Es zeigte sich, dass die bloße Anwesenheit einer realen Person die autonome Reaktion auf den aversiven Reiz abschwächen und den Hautleitwert senken kann. Wobei die Personen, die eher sozial ängstlich sind, wie erwartet weniger von der Anwesenheit einer realen Person profitierten. Anders in der virtuellen Welt. 

Angst auslösende Geräusche allein oder in Anwesenheit eines virtuellen Charakters mit unterschiedlichem Grad an menschenähnlichen Eigenschaften

Um ein vergleichbares virtuelles Setting zu haben, kooperierte Hein mit dem Team von Prof. Dr. Marc Erich Latoschik am Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktionen (HCI) am Center for Intelligence and Data Science (CAIDAS) der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die schalldichte Kabine wurde in der virtuellen Realität nachgebaut und von den weiblichen und männlichen Statisten aus dem realen Studiensetting wurden Ganzkörperscans angefertigt, so dass auch sie 1:1 in die virtuelle Welt übertragen werden konnten. Und tatsächlich zeigte sich in der Studie der Social Buffering-Effekt in der virtuellen Welt auch bei sozial ängstlicheren Personen. „Total verrückt“, sagt Grit Hein. „Den Testpersonen war bewusst, dass es sich um virtuelle Charaktere handelte, die sie durch die VR-Brille wahrnahmen, und trotzdem wirkten sie beruhigend auf sie, was sich an der Senkung des Hautleitwerts zeigte.“

Unheimlich menschlich: Vermeidung des Uncanny Valley-Effekts 

Das Team frage sich daraufhin: Wie menschlich muss ein virtueller Charakter idealerweise sein, damit er beruhigend wirkt und nicht ins Gegenteil umschlägt? Es gibt Forschungen, unter anderem von der Würzburger HCI-AG, die einen Fall in ein unheimliches Tal beschreiben, wenn ein künstliches Wesen zu menschlich aussieht, den so genannten Uncanny Valley-Effekt. Das heißt: Je menschlicher ein künstliches Wesen aussieht, desto sympathischer finden wir es - bis zu einem gewissen Punkt: Ist es zu menschenähnlich aber eben nicht perfekt genug, kann es unplausibel wirken und so Verwirrung, eine so genannte kognitive Dissonanz, sowie unangenehme oder gar beängstigende Gefühle auslösen. 
Und so kamen in der aktuellen Studie zu der weiblichen und der männlichen Figur noch zwei Charaktere mit unterschiedlichen menschenähnlichen Merkmalen hinzu: eine einfache gesichts- und geschlechtslose, hautfarbene Holzpuppe und eine Punktwolke mit den groben Umrissen eines menschlichen Körpers. Ferner wurden die Studienteilnehmerinnen den Schreien allein, ohne virtuelle Figur, ausgesetzt.

Social Buffering mit Social Framing: Gleichgeschlechtliche virtuelle Figur und Holzpuppe wirken beruhigend, wenn sie als soziale Partner wahrgenommen werden

Zur großen Überraschung des Studienteams zeigte Woody, wie die Holzpuppe intern genannt wurde, einen ähnlich signifikanten Social Buffering Effekt wie die virtuelle Frau, während der männliche Charakter eher den gegenteiligen Effekt hatte. Bei der Wolke gab es kein Social Buffering, die Ergebnisse waren vergleichbar mit einem leeren Raum. Auch das sei ein wichtiges Ergebnis, so Grit Hein. Denn es zeige, dass der Social Buffering-Effekt durch mehr als nur Ablenkung hervorgerufen werde.

Aber: Die Holzfigur mit menschenähnlichen Zügen funktionierte nur mit sozialer Bedeutung. Das heißt: Den Probandinnen wurde vorher gesagt, dass der virtuelle Charakter ein Alarmsignal empfangen könne, wenn es ihnen nicht gut geht. Ohne dieses so genannte Social Framing hatte Woody keine beruhigende Wirkung. „Ein menschenähnlicher Charakter kann also durchaus Stress und Ängste reduzieren, sofern er eine soziale Bedeutung hat“, fasst Grit Hein die Ergebnisse der Studie zusammen, die jetzt in der Fachzeitschrift „Computers in Human Behaviour“ veröffentlicht wurde. Diese Erkenntnisse seien vor allem für psychiatrische Patientengruppen interessant, deren Behandlung durch eine virtuelle Therapie ergänzt werden könnte. In einem nächsten Schritt müsse nun herausgefunden werden, wer bei welchem Krankheitsbild auf welchen Charakter anspricht. 

Nur zu wissen, dass ich die Situation verlassen kann, wie etwa mit einem Notfallknopf oder einem Notausgang, würde nicht ausreichen, das wäre zu abstrakt. „Ich brauche ein Gegenüber, was ich als ‚Rettungsanker‘ sehen kann und was mich nicht bewertet, wie eben Woody“, interpretiert Grit Hein die Ergebnisse. Der männliche Charakter habe bei den ausschließlich weiblichen Probandinnen diese Funktion anscheinend nicht erfüllt, obwohl er genau wie Woody oder der weibliche Charakter eingeführt wurde. 

„Unsere größte Erkenntnis war, dass unsere Angstreaktion nicht von der optischen Detailtreue eines virtuellen Charakters abhängt, sondern davon, ob wir ihn als echten sozialen Partner betrachten“, resümiert Dr. Martin Weiß, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe für Translationale Soziale Neurowissenschaften am UKW und gemeinsam mit Philipp Krop Erstautor der Studie. „Selbst eine stilisierte Figur kann – wenn wir ihr diese Rolle zuschreiben – unsere physiologischen Furchtreaktionen wirksam abpuffern. Das macht virtuelle Interventionen gegen Angst, wie zum Beispiel virtuelle Agenten oder KI-basierte Lösungen, wesentlich einfacher und günstiger zugänglich“, ergänzt Philipp Krop, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CAIDAS.

Relevant für medizinische und gesellschaftliche Apps

Die kooperative Forschung zwischen dem Würzburger Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) und dem Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion (HCI) ist besonders relevant für den boomenden Markt der medizinischen Apps, die oft mit virtuellen Charakteren arbeiten und nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum (Trial and Error) entwickelt werden. Wem folgen wir am liebsten auf dem Weg zu einem gesunden Lebensstil? Wer motiviert uns zu täglichen Übungen? Wem vertrauen wir unsere Ängste und Sorgen an? „Mit unserer Art der Forschung können wir diese medizinischen Anwendungen auf empirische Füße stellen“, sagt Grit Hein. Die Basis ist gelegt, in weiteren Experimenten sollen die Charaktere mit weiteren Eigenschaften aufgeladen werden, etwa mit der Fähigkeit, soziale Signale auszusenden.

Publikation:
Martin Weiß, Philipp Krop, Lukas Treml, Elias Neuser, Mario Botsch, Martin J. Herrmann, Marc Erich Latoschik, Grit Hein. The buffering of autonomic fear responses is moderated by the characteristics of a virtual character. Computers in Human Behavior. Volume 168, 2025, 108657, ISSN 0747-5632, https://doi.org/10.1016/j.chb.2025.108657

Vorgängerstudien in PubMed:
Qi Y, Herrmann MJ, Bell L, Fackler A, Han S, Deckert J, Hein G. The mere physical presence of another person reduces human autonomic responses to aversive sounds. Proc Biol Sci. 2020 Jan 29;287(1919):20192241. doi: 10.1098/rspb.2019.2241. Epub 2020 Jan 22. PMID: 31964306; PMCID: PMC7015327.
Qi Y, Bruch D, Krop P, Herrmann MJ, Latoschik ME, Deckert J, Hein G. Social buffering of human fear is shaped by gender, social concern, and the presence of real vs virtual agents. Transl Psychiatry. 2021 Dec 20;11(1):641. doi: 10.1038/s41398-021-01761-5. PMID: 34930923; PMCID: PMC8688413.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation
 

die Collabe zeigt oben zwei Bilder vom virtuellen Labor, links Vogelperspektive, rechts zwei leere Stühle, unten sind vier Bilder von einzelnen Charakteren, die mit dem Rücken zum Betrachter gewandt sind.
Die Verkörperungen der im Experiment verwendeten virtuellen Figur. Oben Ansichten vom leeren Raum, unten v.l.n.r.: Wolke, Holzfigur, weiblich, männlich. Im ersten Versuch wurden die Probandinnen mit einem neutralen Klang konfrontiert, im zweiten Versuch mit einem aversiven Geräusch. © Weiß, Krop et al., Computers in Human Behavior, 2025.
Zwei Bildausschnitte aus dem VR-Labor nebeneinander, VR-Frau und Holzfigur Woody sitzen mit dem Rücken dem Betrachter zugewandt in der schallisolierten VR-Kabine.
Als die Holzfigur Woody eine soziale Bedeutung erhielt, hatte sie einen ähnlich signifikanten Social Buffering Effekt auf die Probandinnen wie die virtuelle Frau und wirkte beruhigend. © Weiß, Krop et al., Computers in Human Behavior, 2025.

3D-Modell zur Erforschung chronischer Nervenschmerzen nach Gürtelrose

Franziska Karl-Schöller erhält den mit 36.000 Euro dotierten EFIC-Grünenthal-Grant für die Entwicklung eines „Innervierten in vitro Hautmodells für postherpetische Neuralgie“. Mit ihrer Forschung kann die Naturwissenschaftlerin dazu beitragen, die Ursachen chronischer Nervenschmerzen nach überstandener Gürtelrose (PHN für postherpetische Neuralgie) besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln, die langfristig vielen Betroffenen Linderung verschaffen könnten und einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität und Schmerztherapie darstellen.

Preisträgerin im beigefarbenen Anzug mit Urkunde und Trophäe steht auf der Bühne zwischen Vorsitzendem der EFIC-AG für Stipendien und Preise und Global Head of Medical Affairs.
Dr. Franziska Karl-Schöller mit Prof. Thomas Graven-Nielsen (links) und Matias Ferraris (Global Head of Medical Affairs, Grünenthal). @Christophe Meseguer
Die drei Preisträgerinnen auf der Bühne des ESC mit Urkunde und Trophäe
Preisträgerinnen des EFIC-Grünenthal-Grants 2025 v.l.n.r.: Dr. Franziska Karl-Schöller vom UKW, Dr. Ama Kissi aus Belgien und Dr. Maddalena Comini aus Großbritannien. @ Christophe Meseguer
Gruppenbild auf der Bühne mit den drei Preisträgerinnen, die Urkunden und Trophäen in den Händen halten, sowie Vertretern von EFIC und Grünenthal.
Gruppenbild EFIC-Grünenthal-Grant v.l.n.r.: Prof. Thomas Graven-Nielsen (Vorsitzender der EFIC-Arbeitsgruppe für Stipendien und Preise), Dr. Franziska Karl-Schöller, Dr. Ama Kissi, Dr. Maddalena Comini, Matias Ferraris (Global Head of Medical Affairs, Grünenthal), Prof. Luis Garcia (Präsident der European Pain Federation EFIC). @Christophe Meseguer

Würzburg. Weltweit leidet jeder fünfte Mensch an chronischen Schmerzen. Mit Nachwuchsförderung in der Schmerzforschung will die Föderation der Europäischen Schmerzgesellschaften (European Pain Federation, EFIC) gemeinsam mit dem Pharmaunternehmen Grünenthal die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und junge Forscherinnen und Forscher auf ihrem Karriereweg unterstützen. In diesem Jahr darf sich neben Ama Kissi aus Belgien und Maddalena Comini aus Großbritannien auch Franziska Karl-Schöller vom Universitätsklinikum Würzburg (UKW) über den EFIC-Grünenthal-Grant (E-G-G) freuen. Die drei Wissenschaftlerinnen setzten sich unter 51 Bewerbungen durch und stellten ihre Projekte auf dem EFIC® Pain in Europe Kongress im April 2025 in Lyon, Frankreich, vor. 

Erstes dreidimensionales, innerviertes Hautmodell zur Erforschung der Gürtelrose - postherpetische Neuralgie (PHN)

Franziska Karl-Schöller will ein erstes dreidimensionales, innerviertes Hautmodell zur Erforschung der PHN etablieren, das die direkte Interaktion zwischen den mit dem Varizella-Zoster-Virus (VZV) infizierten Nervenzellen und menschlichen Hautzellen realitätsnah simuliert. 

Die PHN ist ein chronisches Schmerzsyndrom, das als Komplikation einer Gürtelrose auftritt. Die Gürtelrose selbst, medizinisch Herpes Zoster genannt, ist eine Viruserkrankung, die durch das VZV verursacht wird - dasselbe Virus, das bei einer Erstinfektion die Windpocken auslöst. Nach der Windpockeninfektion überlebt das Virus in den Spinalganglien, einer Ansammlung von Nervenzellkörpern im peripheren Nervensystem. Wird das Virus Jahre oder Jahrzehnte später reaktiviert, kann es sich entlang der Nerven ausbreiten und den schmerzhaften Hautausschlag bei Gürtelrose verursachen. Warum es trotz abgeheilter Gürtelrose bei 10 bis 15 Prozent der Patienten und Patientinnen zu den anhaltenden chronischen Nervenschmerzen bei PHN kommt, ist noch nicht bekannt. 

Einblicke in zugrundeliegende Mechanismen und Ansätze für Therapien 

Franziska Karl-Schöller aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Nurcan Üçeyler an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW will genau diese Mechanismen untersuchen. Dazu entwickelt sie zunächst ein dreidimensionales in-vitro-Modell aus gesunden menschlichen Hautzellen. Dieses soll dann mit menschlichen sensiblen Nervenzellen, die zuvor mit VZV infiziert wurden, innerviert werden. Sobald die Hautmodelle erfolgreich innerviert sind ist eine umfassende Analyse geplant. Dabei soll die Genexpression zwischen infizierten und nicht infizierten Hautmodellen verglichen werden, um typische mRNA-Signaturen zu identifizieren, die mit dem Schmerz bei PHN in Verbindung gebracht werden können. Vielversprechende Biomarker werden anschließend auf Proteinebene untersucht. 

„Unsere Hoffnung ist es, neue Einblicke in die zugrundeliegenden Mechanismen der PHN zu gewinnen und damit mögliche Ansätze für innovative Therapien zu finden, die den Betroffenen Linderung verschaffen könnten“, erläutert Franziska Karl-Schöller. Unterstützt wird das Forschungsprojekt von Prof. Jochen Bodem vom Institut für Virologie und Immunbiologie des UKW und Prof. Florian Groeber-Becker vom Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien TLZ-RT

Text: Wissenschaftskommunikation / KL 
 

Preisträgerin im beigefarbenen Anzug mit Urkunde und Trophäe steht auf der Bühne zwischen Vorsitzendem der EFIC-AG für Stipendien und Preise und Global Head of Medical Affairs.
Dr. Franziska Karl-Schöller mit Prof. Thomas Graven-Nielsen (links) und Matias Ferraris (Global Head of Medical Affairs, Grünenthal). @Christophe Meseguer
Die drei Preisträgerinnen auf der Bühne des ESC mit Urkunde und Trophäe
Preisträgerinnen des EFIC-Grünenthal-Grants 2025 v.l.n.r.: Dr. Franziska Karl-Schöller vom UKW, Dr. Ama Kissi aus Belgien und Dr. Maddalena Comini aus Großbritannien. @ Christophe Meseguer
Gruppenbild auf der Bühne mit den drei Preisträgerinnen, die Urkunden und Trophäen in den Händen halten, sowie Vertretern von EFIC und Grünenthal.
Gruppenbild EFIC-Grünenthal-Grant v.l.n.r.: Prof. Thomas Graven-Nielsen (Vorsitzender der EFIC-Arbeitsgruppe für Stipendien und Preise), Dr. Franziska Karl-Schöller, Dr. Ama Kissi, Dr. Maddalena Comini, Matias Ferraris (Global Head of Medical Affairs, Grünenthal), Prof. Luis Garcia (Präsident der European Pain Federation EFIC). @Christophe Meseguer

Löst Magnetpartikelbildgebung (MPI) das Röntgen ab?

WÜRZBURGER ERFOLGSGESCHICHTE IN DER MEDIZINISCHEN BILDGEBUNG WIRD FORTGESCHRIEBEN / ERSTMALS MENSCHENGROßER MPI-SCANNER ENTWICKELT UND ERFOLGREICH AM REALISTISCHEN MODELL GETESTET

Um eine zuverlässige, strahlenfreie Bildgebung von Kontrastmitteln ohne Hintergrundrauschen bei peripheren Gefäßeingriffen zu ermöglichen, haben Forscherinnen und Forscher aus der Radiologie des Uniklinikums Würzburg und der Experimentellen Physik der Universität Würzburg erstmals einen menschengroßen MPI-Scanner entwickelt und dessen Leistungsfähigkeit an einem realistischen Modell, der Oberschenkelarterie, getestet. Die jetzt in Nature Communications in Medicine veröffentlichte Studie zeigt, dass es möglich ist, Gefäßeingriffe an den Extremitäten ohne Röntgenstrahlung und ohne jodhaltige Kontrastmittel durchzuführen. Dies ist insbesondere für Patientinnen und Patienten mit Nierenproblemen relevant und reduziert das Strahlenrisiko für Behandelte und Behandelnde.

 

Operateure in OP-Kluft stehen am MPI-Scanner und injizieren Tracer- und Kontrasmittelgemisch in Vene
Viktor Hartung und Dr. Anne Marie Augustin aus der Würzburger Radiologie injizieren eine Mischung aus MPI-Tracer und Röntgenkontrastmittel um gleichzeitig Bilder mit dem MPI-Scanner und der Röntgen-Angiographie aufzunehmen. © Hartung et al. Communication Medicine 2025
Beinkadaver eines menschlichen Körperspenders liegt unter einer blauen Plane im MPI-Scanner.
Scanner-Baugruppe mit Sende- und Empfangsspulen über dem Oberschenkel. © Hartung et al. Communication Medicine 2025

Würzburg. Vor 130 Jahren, im Jahr 1895, legte der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen in Würzburg den Grundstein für die Entwicklung der medizinischen Bildgebung. Bis heute sind Röntgenstrahlen ein unverzichtbares Hilfsmittel in der medizinischen Diagnostik, vor allem bei der Beurteilung von Knochenbrüchen, Zahn- und Kiefererkrankungen, Lungen- oder Herzerkrankungen sowie bei der Behandlung von Arterienverengungen, Aneurysmen oder Gefäßverschlüssen. Bei diesen so genannten endovaskulären Eingriffen dient die Röntgen-Angiographie zur Darstellung der Blutgefäße und zur Echtzeitüberwachung der Positionierung der Instrumente und der Reaktion der Blutgefäße. Dabei kombinieren die Ärztinnen und Ärzte das Röntgenbild mit einem Kontrastmittel, das sie in die Blutgefäße injizieren.  So können sie Erkrankungen der Blutgefäße genau erkennen und direkt behandeln. Neben den Vorteilen sind aber auch Risiken wie Strahlenbelastung und Kontrastmittelreaktionen zu beachten.

MPI-Scanner in menschlicher Größe erstmals erfolgreich an realem Modell getestet

Eine Alternative für risikoärmere endovaskuläre Eingriffe könnte bald die Magnetpartikelbildgebung (Magnetic Particle Imaging, MPI) bieten. Das Verfahren ist speziell auf die Detektion magnetischer Nanopartikel ausgerichtet und ermöglicht eine schnelle und strahlungsfreie Bildgebung ohne Hintergrundrauschen.
Dr. Patrick Vogel vom Lehrstuhl für Experimentelle Physik V der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und sein Team entwickelten erstmals einen MPI-Scanner in Menschengröße. Zusammen mit einer Forschungsgruppe der Universitätsmedizin Würzburg unter Leitung von Dr. Viktor Hartung vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) testeten sie diesen erfolgreich in einem realistischen Modell bei einer Gefäßoperation. Die Ergebnisse wurden in der hochrangigen Fachzeitschrift Nature Communications in Medicine veröffentlicht. 

Endovaskuläre Eingriffe ohne Röntgenstrahlen und jodhaltige Kontrastmittel

„Bisher war MPI eher auf Kleintiere oder die präklinische Forschung beschränkt. Mit dem menschengroßen MPI-Scanner haben wir gezeigt, dass Gefäßeingriffe an den Extremitäten – konkret in der Oberschenkelarterie – ohne Röntgenstrahlung und ohne jodhaltige Kontrastmittel durchgeführt werden können. Die ist insbesondere für Patientinnen und Patienten mit Nierenproblemen relevant und bei Strahlenrisiken. Zudem wird dadurch auch das berufliche Strahlenrisiko für die Operateure deutlich reduziert“, erklärt Viktor Hartung, Leiter der kardiovaskulären und thorakalen Radiologie am Uniklinikum Würzburg sowie Leiter der AG Magnetic Particle Imaging. 

Erhöhte Aussagekraft durch reale Anwendungssituation mit menschlichen Beinen

Um die Leistungsfähigkeit des neuen MPI-Scanners in menschlicher Größe zu testen, wurden drei Beine von frisch eingefrorenen menschlichen Körperspendern aus dem Anatomischen Institut der JMU so präpariert, dass eine kontinuierliche Durchblutung einer der Hauptarterien im Oberschenkel möglich war. Unter konstanter Perfusion, also gleichmäßig und ohne Unterbrechung, injizierten die Forscher eine Mischung aus einem speziellen, für Menschen zugelassenen MPI-Tracer und einem Röntgenkontrastmittel in die Oberschenkelarterie. Gleichzeitig nutzten sie den MPI-Scanner und eine herkömmliche Technik, die so genannte digitale Subtraktionsangiographie (DSA), zur Bildgebung. 

„Die gleichzeitige Bildgebung mit DSA und MPI hat reibungslos funktioniert“, freut sich Patrick Vogel. Der Wissenschaftler beschäftigte sich bereits in seiner Doktorarbeit mit MPI und erhielt dafür 2016 den Wilhelm-Conrad-Röntgen-Wissenschaftspreis der Fakultät für Physik und Astronomie sowie den Nano Innovation Award 2017. Der neue MPI-Scanner ließ sich problemlos in die bestehenden klinischen Abläufe integrieren und lieferte klare und zuverlässige Bilder der Blutgefäße. Bereits geringe Mengen des Tracers, 2 ml Perimag® oder 1,5 ml Resotran®, reichten für eine präzise Darstellung aus. Die Ergebnisse waren in allen drei Modellen konsistent und reproduzierbar. „Das spricht für die Praxisnähe unserer Technik und die Relevanz unserer Ergebnisse im medizinischen Alltag“, kommentiert Patrick Vogel, der zusammen mit Prof. Dr. Thorsten Bley Letztautor der Studie ist.

„MPI hat das Potenzial, die klassische Röntgen-Angiographie zu ergänzen oder in Zukunft sogar teilweise zu ersetzen“

In der Studie wurden zudem Tracer verwendet, die bereits für die Anwendung am Menschen zugelassen sind - das bringe die klinische Umsetzung einen entscheidenden Schritt näher, da langwierige Zulassungsprozesse entfielen, so Thorsten Bley. Der Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie wagt einen Blick in die Zukunft. „MPI hat das Potenzial, die klassische Röntgen-Angiographie zu ergänzen oder in Zukunft sogar teilweise zu ersetzen“. Der nächste Schritt sind erste Messungen am lebenden Menschen.

Text: Wissenschaftskommunikation / KL 

Publikation: Hartung, V., Gruschwitz, P., Augustin, A.M. et al. Magnetic particle imaging angiography of the femoral artery in a human cadaveric perfusion model. Commun Med 5, 75 (2025). https://doi.org/10.1038/s43856-025-00794-x

Operateure in OP-Kluft stehen am MPI-Scanner und injizieren Tracer- und Kontrasmittelgemisch in Vene
Viktor Hartung und Dr. Anne Marie Augustin aus der Würzburger Radiologie injizieren eine Mischung aus MPI-Tracer und Röntgenkontrastmittel um gleichzeitig Bilder mit dem MPI-Scanner und der Röntgen-Angiographie aufzunehmen. © Hartung et al. Communication Medicine 2025
Beinkadaver eines menschlichen Körperspenders liegt unter einer blauen Plane im MPI-Scanner.
Scanner-Baugruppe mit Sende- und Empfangsspulen über dem Oberschenkel. © Hartung et al. Communication Medicine 2025

Dialog zwischen Immunsystem und Nervensystem

Der diesjährige Internationale Tag der Immunologie steht im Zeichen der Neuroimmunologie. Unter dem Motto “Exploring Neuroimmune Crosstalks in Health and Diseases” werden die Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem beleuchtet. Diese komplexen Verbindungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit und der Entstehung von Krankheiten wie etwa Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) oder des peripheren Nervensystems (PNS) außerhalb von Gehirn und Rückenmark betreffen.

Die Neurologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) stellt drei Professuren vor, in denen der Dialog zwischen Nerven- und Immunzellen eine Schlüsselrolle spielt: Die experimentelle Schlaganfallforschung von Michael Schuhmann, die translationale Neurologie von Chi Wang Ip mit Schwerpunkt auf neurodegenerativen Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson und die außerplanmäßige Professur von Kathrin Doppler, die sich auf dem Gebiet der Immunneuropathien hervorgetan hat.

 

Collage aus drei freigestellten Porträts der Forschenden mit kleinen Grafiken von Immunzellen und der Überschrift Tag der Immunologie
Zum Tag der Immunologie am 29.4. 2025 mit dem Motto „Neuroimmune Crosstalks“ geben Chi Wang Ip (links), Kathrin Doppler und Michael Schuhmann Einblicke in drei Forschungsbereiche der Neurologie: Parkinson, Immunneuropathien und Schlaganfall. © UKW mit Canva

Würzburg. Normalerweise bildet unser Immunsystem Antikörper, um fremde Eindringlinge wie Viren oder Bakterien zu bekämpfen. Wenn das Immunsystem jedoch die Fähigkeit verliert, zwischen "selbst" und "fremd" zu unterscheiden, identifiziert es plötzlich körpereigene Zellen und Gewebe als gefährlich und geht mit Autoantikörpern gegen sie vor. Eine, die sich seit Jahren mit dem Dialog zwischen Immun- und Nervensystem beschäftigt, ist die außerplanmäßige Professorin Kathrin Doppler. Das Spezialgebiet der Neurologin am Universitätsklinikums Würzburg (UKW) sind Polyneuropathien, bei denen das fehlgeleitete Immunsystem das periphere Nervensystem angreift. Eine Folge dieser so genannten Immunneuropathien sind Lähmungen, Schmerzen, Taubheitsgefühl, Kribbeln und Muskelschwund. 

Autoimmune Nodopathie: Autoantikörper Caspr zerstört Ranviersche Schnürringe und beeinträchtigt Nervenleitung

Mit Anti-Caspr1 hat Kathrin Doppler gemeinsam mit Claudia Sommer und Luise Appeltshauser vor neun Jahren einen Antikörper entdeckt, der an der Entstehung bestimmter Formen von Immunneuropathien beteiligt ist. Bei Patienten mit Antikörpern gegen Caspr1 war der Aufbau der Ranvierschen Schnürringe - einer Struktur an der Nervenfaser, die dafür sorgt, dass Signale aus dem Gehirn schnell und effizient an ihr Ziel gelangen -zerstört und die Nervenleitung stark beeinträchtigt ist. Inzwischen wurden die Immunneuropathien mit Schnürringantikörper als eigenständige Erkrankung, die sogenannte autoimmune Nodopathie, definiert. Die Wissenschaftlerinnen aus der Würzburger Neurologie forschen weiterhin intensiv an der Erkrankung und haben sich weltweit einen Namen auf diesem Gebiet gemacht. In der Klinischen Forschungsgruppe (KFO 5001) ResolvePAIN untersucht Kathrin Doppler gemeinsam mit Prof. Dr. Carmen Villmann vom Institut für Klinische Neurobiologie, wie und warum Autoantikörper gegen das Oberflächenprotein Caspr2 neuropathische Schmerzen hervorrufen und wie sich diese Schmerzen zurückbilden können. Patientinnen und Patienten mit der Diagnose einer Anti- Caspr2-positiven Enzephalitis, einer entzündlichen Reaktion im Gehirn, und Interesse an einer Studienteilnahme sind herzlich willkommen, gemeinsam mit den Wissenschaftlerinnen die Forschung auf diesem Gebiet voranzutreiben. Die Erkrankung ist zwar selten, aber die Erkenntnisse lassen sich durchaus auf andere antikörperassoziierte Erkrankungen übertragen, die Schmerzen auslösen.

Details zur Forschung von Prof. Dr. Kathrin Doppler gibt es hier

Die Rolle des Immunsystems bei der Parkinson-Krankheit

Neben den klassischen neurologischen Autoimmunerkrankungen wie der chronisch entzündlichen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) oder der Multiplen Sklerose spielt der so genannte Crosstalk zwischen Nervenzellen und Immunsystem auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson eine wichtige Rolle. Einer der wenigen, die auf diesem Gebiet forschen, ist Prof. Dr. Chi Wang Ip, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie.

Lange Zeit galt der M. Parkinson als reine Erkrankung des Nervensystems, bei der die Dopamin produzierenden Nervenzellen im Gehirn absterben, was zu den typischen Symptomen wie Zittern und Muskelsteifheit führt. Doch immer mehr Studien, auch die von Ip und seiner Arbeitsgruppe, deuten darauf hin, dass das Immunsystem an der Entwicklung und möglicherweise sogar an der Entstehung der Parkinson-Krankheit beteiligt ist.

T-Zellen, Mikrogliazellen und das Protein Alpha-Synuclein bei der Parkinson-Krankheit

Ip konnte belegen, dass bei der Parkinson-Krankheit bestimmte Immunzellpopulationen im Gehirn vermehrt und aktiviert sind, insbesondere T-Zellen und Mikrogliazellen. In weiteren Studien verdeutlichte der Neurologe mit seinem Team die Beteiligung des Proteins Alpha-Synuclein (αSyn), das in Nervenzellen vorkommt. Bei der Parkinson-Krankheit ist es aus noch unbekannten Gründen verändert, wodurch das Immunsystem getriggert wird und es zu Entzündungen kommt, welche die Nervenzellen zusätzlich schädigen.

Immunsystem als Biomarker und Therapieansatz

Mit seiner Arbeitsgruppe konzentriert sich Ip auf zwei wichtige Fragen: Kann das Immunsystem als Biomarker sowohl zur Früherkennung der Parkinson-Erkrankung als auch zur Vorhersage des Krankheitsverlaufs genutzt werden? Und lässt sich die Krankheit durch Immunmodulation aufhalten? Gemeinsam mit Kollegen aus der benachbarten Frauenklinik arbeitet Ip beispielsweise daran, eine Immuntoleranz gegen den potentiellen Parkinson-Auslöser Alpha-Synuclein zu entwickeln.

Obwohl noch viele Fragen offen sind, lassen die aktuellen Forschungsansätze auf neue Therapieoptionen hoffen, die über die reine Symptombehandlung hinausgehen. Eine bessere Integration immunologischer Erkenntnisse könnte in Zukunft zu innovativen Behandlungsstrategien führen, die das Leben von Millionen Betroffenen weltweit verbessern.

Ausführliche Informationen zur Forschung von Prof. Dr. Chi Wang Ip finden Sie hier

Wie das Immunsystem Schlaganfälle beeinflusst

Auch Michael Schuhmann, Leiter des Klinischen Labors der Neurologie, ist zuversichtlich, dass seine experimentelle Schlaganfallforschung in absehbarer Zeit in der klinischen Praxis ankommt und die Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten spürbar verbessert. Damit wäre ein zentrales Ziel der Hentschel-Stiftung, die seine Stiftungsprofessur für fünf Jahre fördert, erreicht: die Therapieoptionen beim Schlaganfall zu verbessern!

Doch was hat der Schlaganfall mit dem Immunsystem zu tun? Mehr als man denkt. Schon während des Gefäßverschlusses kommt es beim ischämischen Schlaganfall zu einer starken Entzündungsreaktion vor allem in den kleineren Gefäßen, die als Umgehungskreislauf die Umgebung des Infarktkerns, die Penumbra, notdürftig mit Blut versorgen, solange das Hauptgefäß noch verschlossen ist. 

An dieser gefäßbezogenen Entzündungsreaktion sind Thrombozyten, besser bekannt als Blutplättchen, aber auch Immunzellen wie T-Zellen und neutrophile Granulozyten beteiligt. „Sobald das Blutgefäß blockiert ist, reagiert das Endothel, die dünne Zellschicht, die das Innere des Blutgefäßes auskleidet, und Thrombozyten werden aktiviert. Die aktivierten Blutplättchen schlagen Alarm und steuern eine Entzündungsreaktion. Doch statt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen und zu helfen, schädigen die Immunzellen in einer überschießenden Reaktion das Gehirn - auch noch nach der Entfernung des Thrombus, ein Vorgang, der als Ischämie-Reperfusionsschaden auch für andere Organsysteme wie Herz, Niere und Leber beschrieben ist“, erklärt Michael Schuhmann seine Hypothese.

Identifizierung von Signalmolekülen, die zur Thrombo-Inflammation beitragen

In präklinischen Modellen beobachtete der studierte Pharmazeut gemeinsam mit einem interdisziplinären Team auf dem Campus eine enge Interaktion von Thrombozyten und Immunzellen. Es kommt zu einer durch Thrombozytenaktivierung gesteuerten Entzündungsreaktion, der so genannten Thrombo-Inflammation. Dem Team gelang es bereits wichtige Signalmoleküle zu identifizieren, welche die Kommunikation zwischen Thrombozyten und Immunzellen steuern und in experimentellen Modellen die Gewebeschädigung maßgeblich beeinflussen.
Die experimentellen Befunde sind auch auf den Menschen übertragbar. In kleinsten Mengen ischämischen Blutes, das von Kollegen aus der Neuroradiologie bei routinemäßigen Thrombektomien mittels Mikrokathetern gewonnen wurde, konnte eine vergleichbare Thrombozytenaktivierung sowie die Einwanderung von Immunzellen beobachtet werden. 

Neue therapeutische Ansätze

Aus diesen Untersuchungen ergeben sich völlig neue Perspektiven für eine ergänzende Therapie zur reinen Rekanalisation beim akuten Schlaganfall, die darauf abzielt, Entzündungsprozesse zu hemmen. Für Michael Schuhmann ist die Idealvorstellung einer “Zusatztherapie“ jedenfalls klar: „Bereits im Rettungswagen - also unmittelbar nach dem Gefäßverschluss - mit einer anti-thrombo-inflammatorischen Therapie zu beginnen, könnte entscheidend dazu beitragen, das Ausmaß der Hirnschädigung vor der Thrombolyse/Thrombektomie zu begrenzen und damit die Erholungschancen mit einem mittelfristig besseren neurologischen Befinden nach Rekanalisation zu optimieren“. 

Mehr über Michael Schuhmann und seine Forschung erfahren Sie in der ausführlichen Pressemeldung

Zum Internationalen Tag der Immunologie
Am 29. April wird jedes Jahr auf der ganzen Welt der Tag der Immunologie gefeiert. Der von der European Federation of Immunological Societies (EFIS) ins Leben gerufene Tag soll das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung der Immunologie und immunologischen Forschung als Grundlage für die individuelle Gesundheit und das Wohlbefinden stärken. 
Killerzellen, Fresszellen, Gedächtniszellen oder Helferzellen. Sie alle sind wichtige Kämpfer in unserem Immunsystem, die unseren Körper vor Krankheitserregern wie Bakterien, Viren und Pilzen sowie Giften schützen. Warum wir diesen Abwehrmechanismen nicht erst Aufmerksamkeit schenken sollten, wenn sie uns im Stich lassen, und wie die Immunologie, also die Lehre der Grundlagen dieser Abwehrmechanismen sowie der Störungen und Fehlfunktionen, unsere Gesundheit verbessern kann, verdeutlichten bereits vor zwei Jahren Fachleute aus verschiedenen Disziplinen am UKW und an Instituten der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (siehe Meldung von 2023).
Im Jahr 2025 steht der Internationale Tag der Immunologie unter dem Motto “Exploring Neuroimmune Crosstalks in Health and Diseases”: Wechselwirkungen zwischen Nerven- und Immunsystem in Gesundheit und Krankheit.
Weitere Informationen zum Tag der Immunologie gibt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
 

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Collage aus drei freigestellten Porträts der Forschenden mit kleinen Grafiken von Immunzellen und der Überschrift Tag der Immunologie
Zum Tag der Immunologie am 29.4. 2025 mit dem Motto „Neuroimmune Crosstalks“ geben Chi Wang Ip (links), Kathrin Doppler und Michael Schuhmann Einblicke in drei Forschungsbereiche der Neurologie: Parkinson, Immunneuropathien und Schlaganfall. © UKW mit Canva

Wie das Immunsystem Schlaganfälle beeinflusst

Michael Schuhmann, Inhaber der Hentschel-Stiftungsprofessur „Experimentelle Schlaganfallforschung“ zum Internationalen Tag der Immunologie 2025

Porträtfoto von Michael Schuhmann in der Natur
Prof. Dr. Michael Schuhmann leitet in der Neurologie das klinische Labor und hat eine Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung mit dem Titel "Experimentelle Schlaganfallforschung". © Kim Sammet / UKW

Anlässlich des Internationalen Tags der Immunologie am 29. April, der in diesem Jahr unter dem Motto Neuroimmune Crosstalks steht, stellt das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) verschiedene Arbeitsgruppen vor, die sich in ihrer Forschung mit den Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem beschäftigen. Hier gibt es einen Einblick in die experimentelle Schlaganfallforschung von Prof. Dr. Michael Schuhmann, Inhaber einer Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung.

Beim ischämischen Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns durch eine Unterbrechung der Blutzufuhr, vor allem durch Blutgerinnsel aus dem Herzen oder der Halsschlagader, nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Im Kern des sich entwickelnden Hirninfarkts sterben die empfindlichen Nervenzellen schnell ab, in der Umgebung, der so genannten Penumbra, mit Verzögerung. Je nachdem, welcher Teil des Gehirns betroffen ist, kommt es zu neurologischen Ausfallerscheinungen wie Lähmungen, Sensibilitäts-, Sprach- oder Sehstörungen und vielem mehr. Um die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen und schwere neurologische Schäden zu verhindern, muss das Blutgerinnsel so schnell wie möglich entfernt werden. Das wirksamste Verfahren in der akuten Schlaganfallmedizin ist die kathetergestützte mechanische Entfernung des Blutgerinnsels aus dem verschlossenen Gefäß, die Thrombektomie, gegebenenfalls in Kombination mit einer medikamentösen Auflösung des Blutgerinnsels, der Thrombolyse. Die Erfolgsrate insbesondere der mechanischen Thrombektomie ist hoch. 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einem nachgewiesenen Großgefäßverschluss können erfolgreich rekanalisiert werden, etwa 50 Prozent erleiden jedoch trotz erfolgreicher Wiederherstellung des Blutflusses bleibende, teils schwere neurologische Defizite oder versterben.

Was läuft beim Schlaganfall pathologisch ab und lässt sich gegebenenfalls modulieren?

Warum profitieren nicht alle Patientinnen und Patienten von einer raschen Rekanalisation? „Um diese Frage beantworten und das Problem lösen zu können, müssen wir die Mechanismen verstehen, die der Schädigung des Gehirns trotz Wiederherstellung des unterbrochenen Blutflusses, der primären Ursache des Schlaganfalls, zugrunde liegen“, sagt Prof. Dr. Michael Schuhmann, Leiter des Klinischen Labors der Neurologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und Inhaber einer Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung, in deren Rahmen seine experimentelle Schlaganfallforschung für fünf Jahre gefördert wird. Der studierte Pharmazeut ist bereits seit 15 Jahren in der Schlaganfallforschung aktiv und kombiniert das gesamte Portfolio der Translation, angefangen bei der Arbeit mit Zellkulturen über präklinische in-vivo-Methoden bis hin zur Analyse menschlicher Blutproben. Seine Projekte passen perfekt zum Stiftungsziel: Therapieoptionen beim Schlaganfall verbessern! Und dafür versucht Michael Schuhmann mit einem interdisziplinären Team am UKW herauszufinden, was beim Schlaganfall über die vorübergehende Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn hinaus an Schädigungskaskaden in Gang gesetzt wird, in der Hoffnung, diese zum Wohle der Schlaganfallpatienten beeinflussen zu können. 

Blutplättchen und Immunzellen entscheidend für Infarktwachstum

Jetzt kommt das Immunsystem ins Spiel. Bereits während des Gefäßverschlusses beim ischämischen Schlaganfall kommt es zu einer starken Entzündungsreaktion vor allem in den kleineren Gefäßen, die als Umgehungskreislauf die Umgebung des Infarktkerns, die Penumbra, notdürftig mit Blut versorgen, solange das Hauptgefäß noch verschlossen ist. An dieser gefäßbezogenen Entzündungsreaktion sind Thrombozyten, besser bekannt als Blutplättchen, aber auch Immunzellen wie T-Zellen und neutrophile Granulozyten beteiligt. „Sobald das Blutgefäß blockiert ist, reagiert das Endothel, die dünne Zellschicht, die das Innere des Blutgefäßes auskleidet, und Thrombozyten werden aktiviert. Die aktivierten Blutplättchen schlagen Alarm und steuern eine Entzündungsreaktion. Doch statt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen und zu helfen, schädigen die Immunzellen in einer überschießenden Reaktion das Gehirn - auch noch nach der Entfernung des Thrombus, ein Vorgang, der als Ischämie-Reperfusionsschaden auch für andere Organsysteme wie Herz, Niere und Leber beschrieben ist“, erklärt Michael Schuhmann seine Hypothese. 

Identifizierung von Signalmolekülen, die zur Thrombo-Inflammation beitragen

In präklinischen Modellen beobachtete das interdisziplinäre Team um Michael Schuhmann in Kooperation mit dem Rudolf-Virchow-Zentrum und dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am UKW eine enge Zusammenarbeit zwischen Thrombozyten und Immunzellen. Es kommt zu einer durch Thrombozytenaktivierung gesteuerten Entzündungsreaktion – Thrombo-Inflammation, ein in Würzburg geprägter und inzwischen international etablierter Begriff –, die über die Phase des akuten Gefäßverschlusses hinaus in die Rekanalisationsphase hineinreicht und maßgeblich zum Ischämie-Reperfusionsschaden beiträgt. Wesentliche Signalmoleküle konnten bereits identifiziert werden. So konnte die Blockade der thrombozytären Glykoproteinrezeptoren GPIb und GPVI in experimentellen Modellen sowohl die Entzündungsreaktion als auch die Gewebeschädigung signifikant abschwächen und die neurologischen Ausfallerscheinungen mildern. Auch ist es gelungen, mit CD84 ein erstes Signalmolekül zu identifizieren, das die Kommunikation zwischen Thrombozyten und Immunzellen, in diesem Fall T-Zellen steuert. 

Neue therapeutische Ansätze

Es stellt sich immer die Frage, inwieweit die experimentellen Befunde auf den Menschen übertragbar sind. Auch hier ist in enger Zusammenarbeit mit der Neuroradiologie am UKW ein Durchbruch gelungen. Die Kollegen konnten während routinemäßiger Thrombektomien mittels Mikrokathetern hinter dem verschlossenen Gefäß kleinste Mengen ischämischen Blutes entnehmen, die im neurologischen Labor näher untersucht wurden. Das Team bestätigte eine ähnliche Thrombozytenaktivierung und Einwanderung von Immunzellen wie im Experiment und belegte damit die Übertragbarkeit der in präklinischen Modellen gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen. 

„Aus diesen Untersuchungen ergeben sich völlig neue Perspektiven für eine „Zusatztherapie“ zur reinen Rekanalisation beim akuten Schlaganfall, die unter anderem auf thrombozytäre Moleküle wie GPVI abzielt, um Entzündungsprozesse zu hemmen, und nicht wie bisherige Ansätze auf die Bildung neuer Thromben. Wir haben bereits sehr große Fortschritte im Verständnis dieser Prozesse jenseits der Thrombenbildung gemacht. Aktuelle Untersuchungen zielen auf die genauen Mechanismen der Schädigung der Blut-Hirn-Schranke und letztendlich der Nervenzellen, deren Ausfall die neurologischen Ausfälle verursacht“, so Schuhmann. 

Für Michael Schuhmann ist die Idealvorstellung einer komplementären Therapie jedenfalls klar: „Schon im Rettungswagen – also unmittelbar nach dem Gefäßverschluss – mit einer anti-thrombo-inflammatorischen Behandlung zu beginnen, könnte entscheidend dazu beitragen, das Ausmaß der Hirnschädigung vor der Thrombolyse/Thrombektomie zu begrenzen und damit die Erholungschancen mit einem mittelfristig besseren neurologischen Befinden nach Rekanalisation zu optimieren.“ 

Der Wissenschaftler zeigt sich zuversichtlich, dass seine experimentelle Schlaganfallforschung in absehbarer Zeit in der klinischen Praxis ankommt – und die Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten spürbar verbessert. Damit wäre ein zentrales Ziel der Hentschel-Stiftung erreicht.

Über Prof. Dr. Michael Schuhmann
Nach dem Pharmaziestudium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Approbation als Apotheker begann Michael Schuhmann (Jahrgang 1982) im Jahr 2008 seine Promotion und damit seine neuroimmunologische Grundausbildung in der Arbeitsgruppe von Prof. Heinz Wiendl und Prof. Sven Meuth. Er forschte über die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, bei der es zu chronischen Entzündungen im Gehirn und Rückenmark kommt. Parallel dazu hatte Schuhmann bereits Kooperationsprojekte mit der Arbeitsgruppe von Prof. Guido Stoll und Prof. Christoph Kleinschnitz in der experimentellen Schlaganfallforschung, der er sich ab 2013 als Postdoc anschloss und sich entsprechend in die in vivo Schlaganfallmodelle einarbeitete. Er erweiterte das Methodenspektrum der AG entscheidend um in-vitro Schlaganfallmodelle und seine immunologische Expertise.  Mit der Übernahme der Leitung des neuroimmunologischen und Liquorlabors der Neurologie im Jahr 2016 trieb er neben der klinischen Routine insbesondere die Analytik von pialen Blutproben von Schlaganfallpatienten voran. Schuhmann ist seit 2016 selbständiger wissenschaftlicher Arbeitsgruppenleiter, habilitierte sich 2022 und erhielt 2024 die W2-Professur für Experimentelle Schlaganfallforschung an der Neurologischen Klinik, die für fünf Jahre als Hentschel-Stiftungsprofessur gefördert wird.

Weitere Informationen zum Tag der Immunologie gibt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation
 

Porträtfoto von Michael Schuhmann in der Natur
Prof. Dr. Michael Schuhmann leitet in der Neurologie das klinische Labor und hat eine Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung mit dem Titel "Experimentelle Schlaganfallforschung". © Kim Sammet / UKW

Wenn das Immunsystem die Fähigkeit verliert, zwischen "selbst" und "fremd" zu unterscheiden

Zum Tag der Immunologie 2025: Prof. Kathrin Doppler erforscht Immunneuropathien, bei denen das Immunsystem das periphere Nervensystem angreift

Kathrin Doppler sitzt im weißen Kittel am Mikroskop, im Hintergrund ist eine mit Kreide beschriebene grüne Tafel
Die außerplanmäßige Professorin Dr. Kathrin Doppler erforscht in der Neurologie am UKW Immunneuropathien. © Kim Sammet / UKW

Anlässlich des Internationalen Tags der Immunologie am 29. April, der in diesem Jahr unter dem Motto Neuroimmune Crosstalks steht, stellt das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) verschiedene Arbeitsgruppen vor, die sich in ihrer Forschung mit den Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem beschäftigen. Hier gibt es einen Einblick in die Forschung von apl. Prof. Dr. Kathrin Doppler zu Immunneuropathien. 


Normalerweise bildet das Immunsystem Antikörper, um fremde Eindringlinge wie Viren oder Bakterien zu bekämpfen. Bei Autoimmunerkrankungen identifiziert das Immunsystem jedoch fälschlicherweise körpereigene Zellen und Gewebe als gefährlich und geht mit Autoantikörpern gegen sie vor. Eine, die sich seit Jahren mit dem Dialog zwischen Immun- und Nervensystem beschäftigt, ist Apl. Prof. Dr. Kathrin Doppler, Oberärztin an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Ihr Spezialgebiet sind Immunneuropathien, also Polyneuropathien, bei denen das fehlgeleitete Immunsystem das periphere Nervensystem angreift. Beispiele hierfür sind das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP). Die Schädigung und Degeneration der peripheren Nerven führt zu Symptomen wie Lähmungen, Schmerzen, Taubheitsgefühl, Kribbeln und Muskelschwund. 

„Als Ärztin sehe ich die Patientinnen und Patienten mit den Symptomen. Dann beginnt die Suche: Welche Nerven sind warum geschädigt? Greift ein Antikörper die Nerven an? Oder zerstört eine andere Immunreaktion das Nervengewebe? Oder ist es eine Kombination verschiedener Schädigungsmechanismen?“, sagt Kathrin Doppler, die diese Detektivarbeit als extrem spannend bezeichnet. Früher ging man davon aus, dass die CIDP eine Erkrankung ist, der bei allen Patienten die gleiche Art von fehlgeleiteter Immunantwort zugrunde liegt. Mittlerweile kennt man viele Subtypen, denen sehr wahrscheinlich verschiedene Schädigungsmechanismen zugrunde liegen. Jeder Fall sei anders und in absehbarer Zeit gebe es hoffentlich Medikamente, die eine zielgerichtete Therapie verschiedener Subtypen ermöglichen.

Caspr: Autoantikörper zerstört Ranviersche Schnürringe und beeinträchtigt Nervenleitung

Mit Anti-Caspr1 (Cell Adhesion Molecule of the Peripheral Nervous System) hat Kathrin Doppler gemeinsam mit Claudia Sommer und Luise Appeltshauser bereits vor neun Jahren einen Antikörper entdeckt, der an der Entstehung bestimmter Formen von Immunneuropathien beteiligt ist (siehe Studie in BRAIN). Caspr1 ist am Aufbau der so genannten Ranvierschen Schnürringe beteiligt – einer Struktur an der Nervenfaser, die dafür sorgt, dass Signale aus dem Gehirn schnell und effizient an ihr Ziel gelangen. 
Die Wissenschaftlerinnen konnten zeigen, dass bei Patienten mit Antikörpern gegen Caspr1 der Aufbau der Ranvierschen Schnürringe zerstört wird und die Nervenleitung stark beeinträchtigt ist. Inzwischen wurden die Immunneuropathien mit Schnürringantikörper als eigenständige Erkrankung, die sogenannte autoimmune Nodopathie, definiert. Die Wissenschaftlerinnen aus der Würzburger Neurologie forschen weiterhin intensiv an der Erkrankung und haben sich weltweit einen Namen auf diesem Gebiet gemacht.

KFO 5001 untersucht pathogene Mechanismen von Caspr2-Antikörpern auf die Schmerzentstehung 

Derzeit steht Caspr2, ein anderes Adhäsionsprotein, im Fokus von Dopplers Forschung. In der Projektgruppe 3 der Klinischen Forschungsgruppe (KFO 5001) ResolvePAIN untersucht sie gemeinsam mit Prof. Dr. Carmen Villmann vom Institut für Klinische Neurobiologie, wie und warum Autoantikörper gegen das Oberflächenprotein Caspr2 neuropathische Schmerzen hervorrufen und wie sich diese Schmerzen zurückbilden können. „Manche Patientinnen und Patienten mit Caspr2-Autoantikörpern haben gar keine Schmerzen, andere klagen über brennende Schmerzen in den Füßen, Muskelschmerzen am ganzen Körper bis hin zu Muskelkrämpfen, haben aber keine relevanten Symptome im Gehirn“, so Doppler. Es sei schon länger bekannt, dass Anti-Caspr2 eine entzündliche Reaktion im Gehirn, eine so genannte Enzephalitis auslöst, die oft zu Gedächtnisstörungen und epileptischen Anfällen führt. Kathrin Doppler: „Die Erkrankung ist sehr selten. Daher sind wir froh, wenn sich Patientinnen und Patienten mit der Diagnose einer Anti- Caspr2-positiven Enzephalitis bei uns melden und Interesse an einer Studienteilnahme haben.“ Die Erkrankung ist zwar selten, aber die Erkenntnisse lassen sich durchaus auf andere antikörperassoziierte Erkrankungen übertragen, die Schmerzen auslösen.

Prävention: Wie kann man sich vor Autoimmunerkrankungen schützen? 

„Wir wissen noch zu wenig über die genauen Ursachen, um uns schützen zu können“, sagt Kathrin Doppler. „Autoimmunerkrankungen entstehen genau dann, wenn unser Immunsystem stark ist, aber fehlreguliert und unseren Körper angreift.“ Die Ursachen sind noch weitgehend unbekannt. Einige Erkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) werden durch Infektionen ausgelöst, vor allem durch Durchfallerreger. „Wir können aber nicht alle Erreger vermeiden“, sagt Doppler. Ein gesunder Lebensstil ist immer empfehlenswert und umso wichtiger, wenn man bereits eine Immunneuropathie hat. Dann sollte man alles vermeiden, was die Nerven zusätzlich schädigt, allen voran Alkohol und Diabetes.

Weitere Informationen zum Tag der Immunologie gibt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation
 

Kathrin Doppler sitzt im weißen Kittel am Mikroskop, im Hintergrund ist eine mit Kreide beschriebene grüne Tafel
Die außerplanmäßige Professorin Dr. Kathrin Doppler erforscht in der Neurologie am UKW Immunneuropathien. © Kim Sammet / UKW

Die Rolle des Immunsystems bei Parkinson

Chi Wang Ip, Professor für Translationale Neurologie am UKW, zum Internationalen Tag der Immunologie 2025

Porträtfoto von Chi Wang Ip im weißen Kittel vor grauem Hintergrund
Prof. Dr. Chi Wang Ip, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie, trat im Februar 2025 die Professur für Translationale Neurologie an. Sein Forschungsschwerpunkt ist die neurodegenerative Parkinson-Krankheit. © Daniel Peter / UKW

Anlässlich des Internationalen Tags der Immunologie am 29. April, der in diesem Jahr unter dem Motto Neuroimmune Crosstalks steht, stellt das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) verschiedene Arbeitsgruppen vor, die sich in ihrer Forschung mit den Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem beschäftigen. Hier gibt es einen Einblick in die Parkinson-Forschung von Prof. Dr. Chi Wang Ip, der seit Februar 2025 eine Professur für Translationale Neurologie innehat. Die Rolle des Immunsystems bei der Parkinson-Krankheit wird zunehmend als wichtiger Faktor erkannt. Obwohl noch viele Fragen offen sind, lassen aktuelle Forschungsansätze auf neue Therapieoptionen hoffen, die über die reine Symptombehandlung hinausgehen. Eine bessere Integration immunologischer Erkenntnisse könnte in Zukunft zu innovativen Behandlungsstrategien führen, die das Leben von Millionen Betroffenen weltweit verbessern.

Mit zehn Millionen Betroffenen weltweit und dem demografischen Wandel wird die Parkinson-Krankheit zur Volkskrankheit, sofern sie das nicht schon längst ist, meint Prof. Dr. Chi Wang Ip. Der stellvertretende Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) erforscht seit rund 14 Jahren die neurodegenerative Parkinson-Krankheit, bei der die Dopamin produzierenden Nervenzellen im Gehirn absterben, was zu den typischen Symptomen wie Zittern, Verlangsamung und Muskelsteifheit führt. Im Februar 2025 trat Ip die Professur für Translationale Neurologie an. Die Umsetzung seiner Erkenntnisse aus präklinischen Tiermodellen in therapeutische Strategie, welche in klinischen Studien am Menschen getestet werden, liegt dem Arzt und Wissenschaftler besonders am Herzen.

Immunsystem als Biomarker und Therapieansatz

Mit seiner Arbeitsgruppe konzentriert er sich auf das Immunsystem und zwei wichtige Fragen: Kann das Immunsystem als Biomarker sowohl zur Früherkennung der Parkinson-Krankheit als auch zur Vorhersage des Krankheitsverlaufs genutzt werden? Und lässt sich die Krankheit durch Immunmodulation aufhalten?

Der so genannte Crosstalk zwischen Nervenzellen und Immunsystem bei Morbus Parkinson ist noch ein recht junges Forschungsgebiet, auf dem nur wenige Arbeitsgruppen aktiv sind. Lange Zeit galt die Parkinson-Krankheit als reine Erkrankung des Nervensystems. „Doch immer mehr Studien, auch von uns, deuten darauf hin, dass das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt – möglicherweise sogar bei der Entstehung der Krankheit“, erklärt Chi Wang Ip. Erst Anfang April war er als Referent zum Jahrestreffen des EU-geförderten Forschungsnetzwerks Immuparknet, eingeladen, um seine aktuelle Forschung vorzustellen. 

Bedeutung von T-Zellen und Mikroglia und dem Protein α-Synuclein im Krankheitsverlauf des M. Parkinson

Ip konnte bereits in verschiedenen Arbeiten (https://doi.org/10.1016/j.bbi.2022.01.007; https://doi.org/10.1016/j.bbi.2024.10.039). belegen, dass bei der Parkinson-Krankheit im Gehirn bestimmte Immunzellpopulationen vermehrt und aktiviert sind, insbesondere T-Zellen, die zum erworbenen Immunsystem gehören, und Mikrogliazellen, die als angeborene Immunzellen im zentralen Nervensystem wie Makrophagen agieren, also Fremdstoffe beseitigen und Entzündungsreaktionen vermitteln.

In weiteren Studien verdeutlichte er die Beteiligung des Proteins Alpha Synuclein (αSyn), das auf Nervenzellen exprimiert wird (https://doi.org/10.1186/s40478-017-0416-x). „Jeder von uns trägt dieses Protein in sich, aber bei Parkinson ist es aus noch unbekannten Gründen verändert. Dadurch wird das Immunsystem getriggert, Immunzellen werden überaktiviert, es kommt zu Entzündungen, welche die Nervenzellen zusätzlich schädigen“, erklärt Chi Wang Ip, der zusammen mit Kollegen aus Kanada ein Mausmodell entwickelte, in dem das mutierte menschliche Alpha-Synuclein überexprimiert wird und der Krankheitsverlauf innerhalb von acht Wochen beobachtet werden kann.

Interessanterweise finden die entzündlichen Reaktionen nicht nur im Gehirn statt, sondern auch im Blut und Magen-Darm-Trakt statt, was zeigt, dass der M. Parkinson eine Systemerkrankung ist. In Mausmodellen fand sein Team α-Synuclein auch im Darm, wobei sich die Proteinansammlungen nicht in den Neuronen, sondern in den Makrophagen befanden. Diese Zellen wandern vom Gehirn in den Darm und begünstigen so die Ausbreitung neurologischer Erkrankungen wie die Parkinson-Krankheit (https://doi.org/10.1038/s41467-023-43224-z).

Aufbau einer Immuntoleranz gegenüber potentiellen Parkinson-Trigger α-Synuclein

Gemeinsam mit Kollegen aus der benachbarten Frauenklinik untersucht Ip zum Beispiel, ob und wie man dem Immunsystem suggerieren kann, dass das krankhafte α-Synuclein-Protein nicht schadhaft, sondern in Ordnung ist. „Ähnlich wie beim Fötus, der zu 50 Prozent die Antigene des Vaters trägt und trotzdem nicht von dem mütterlichen Organismus abgestoßen wird, weil das Immunsystem die Information erhält, dass diese Proteine in Ordnung sind, wollen wir dem Immunsystem im Parkinson-Körper sagen: Toleriere dieses Protein, obwohl es schadhaft ist“, erläutert Chi Wang Ip das Konzept. „Wenn es uns gelingt, mit verschiedenen Methoden eine Immuntoleranz herzustellen, bleibt die Entzündung aus und die Schädigung schreitet nicht weiter fort.“

Auch die Tiefe Hirnstimulation wirkt sich auf das Immunsystem aus

In weiteren Projekten versucht Ip in spezifischen Tiermodellen, die Immunzellpopulation, die in das Parkinson-Gehirn einwandert, mit verschiedenen Substanzen so zu verändern, dass ein entzündungshemmendes und neuroregeneratives Milieu entsteht. Die Entzündung selbst sei nicht so hochgradig wie bei Arthritis oder Multipler Sklerose. Deshalb könne man auch mit weniger starken Immuntherapien beginnen. In den USA werden derzeit einige Präparate getestet. Auch bei der Tiefen Hirnstimulation (THS), die gerade die Behandlung von Morbus Parkinson revolutioniert hat und ein Forschungsschwerpunkt der Neurologie am UKW ist, konnten Ip und sein Team einen immunmodulatorischen Effekt beobachten. Bei der THS, im Volksmund auch Hirnschrittmacher genannt, wird ein kleiner Stimulator unter die Haut implantiert, der über ein Kabel mit Elektroden im Gehirn verbunden ist und hochfrequente elektrische Impulse abgibt, wodurch sich unter anderem die Funktion neuronaler Netzwerke normalisiert, die bei der Parkinson-Krankheit aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wie diese technische Methode auch das Immunsystem verändert, muss noch geklärt werden.

Parkinson-Früherkennung über das Immunsystem

„Fakt ist: Wir können die Parkinson-Krankheit noch nicht heilen, aber mit geeigneten Therapien möglicherweise das Fortschreiten der Krankheit verhindern“, so Ip. Umso wichtiger sei die Früherkennung. Und auch diese könnte über das Immunsystem erfolgen. Denn vor allem im Frühstadium der Erkrankung lassen sich die Aktivitäten der Immunzellen erkennen.

Die Realität sieht aber so aus, dass die Patientinnen und Patienten oft erst dann in die Klinik kommen, wenn sie bereits 50 bis 60 Prozent ihrer Dopamin-haltigen Nervenzellen eingebüßt haben und entsprechend ausgeprägte motorische Symptome zeigen. Auch wenn das Gehirn versucht, die Schäden zu kompensieren, sind die Nervenzellen im Gehirn unwiederbringlich verloren.

Kann man sich gegen den M. Parkinson schützen? „Schwierig“, meint Chi Wang Ip. Neben der genetischen Veranlagung und dem Alter, spielen auch Umweltfaktoren, insbesondere Toxine eine große Rolle bei der Entstehung und dem Fortschreiten der Erkrankung. Ein gesunder Lebensstil sei auf jeden Fall immer zuträglich. Und vielleicht gibt es ja eines Tages eine Impfung gegen die Parkinson-Krankheit. Chi Wang Ip arbeitet daran.

Über Prof. Dr. med. Chi Wang Ip
Chi Wang Ip (geb. 1974) studierte Humanmedizin in Hamburg und promovierte über Mikroglia unter angeborener und induzierter Immunsuppression. Seine Facharztausbildung in der Neurologie absolvierte er am Universitätsklinikum Würzburg, wo er gleichzeitig mit der Erforschung des Einflusses unseres Immunsystems auf hereditäre Neuropathien begann. Er verlagerte seine Forschung vom peripheren zum zentralen Nervensystem (ZNS) und konzentrierte sich auf Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson und Dystonie. Seit 2013 leitet Chi Wang Ip am UKW das Labor für translationale Neurologie, seit 2021 ist er stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie. Im Februar 2025 erhielt er die Professur Translationale Neurologie.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Porträtfoto von Chi Wang Ip im weißen Kittel vor grauem Hintergrund
Prof. Dr. Chi Wang Ip, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie, trat im Februar 2025 die Professur für Translationale Neurologie an. Sein Forschungsschwerpunkt ist die neurodegenerative Parkinson-Krankheit. © Daniel Peter / UKW