Laut UNESCO machen Frauen nur ein Drittel der Forschenden weltweit aus. Doch ohne mehr Frauen in wissenschaftlichen Bereichen werde die Welt weiterhin von und für Männer gestaltet, und das Potenzial von Mädchen und Frauen ungenutzt bleiben, mahnt UN-Generalsekretär António Guterres. Es sei an der Zeit zu erkennen, dass eine größere Vielfalt zu mehr Innovation führt.
Vor einem Jahr, am 11. Februar 2022, hat das Uniklinikum Würzburg an dem von UNESCO und UN ins Leben gerufenen Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft die Serie #WomenInScience gestartet. Inzwischen haben zwölf forschende Frauen aus den verschiedenen Fachbereichen des Uniklinikums ihren Werdegang, ihre Herausforderungen und Erfahrungen sowie ihre Ideen, Wünsche und Forderungen für mehr Diversität in der Wissenschaft vorgestellt. Denn vor allem in der Medizin nimmt der Frauenanteil vom Studium bis zu Führungspositionen dramatisch ab. „So eine Liquid Pipeline, einen Riesenrohrbruch, können wir uns nicht mehr leisten“, sagt die Radiologin Bettina Baeßler. Die ausführlichen Porträts finden Sie hier: www.ukw.de/forschung-lehre/women-in-science/.
„Je mehr Männer und Frauen zeigen, dass es gleichverteilt geht, desto besser“Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich das Aufbrechen der klassischen Rollen in Familien „Papa arbeitet, Mama bleibt daheim“ und des Klischees „der Mann hat die prestigeträchtige Arbeit, die Frau die unterstützende“. „Je mehr Männer und Frauen zeigen, dass es gleichverteilt geht, desto besser!“ meint Anne Saulin. Die Physikerin, Psychologin und zweifache Mutter hat mit ihrem Mann sehr gute Erfahrungen mit der gerechten Verteilung gemacht. Sie und viele andere Kolleginnen sind sich jedoch einig: Um den Publikationsdruck herauszunehmen sei eine flexible Einteilung der zeitlichen und finanziellen Ressourcen während der Elternzeit sinnvoll. Anne Saulin, die in der AG Translationale soziale Neurowissenschaften Motivationen für prosoziales Verhalten mit dem Fokus Empathie erforscht, verweist auf spannende Studien, die zeigen, dass das weibliche Gehirn, und in geringerem Maße auch das männliche, im Rahmen der Elternschaft eine faszinierende Transformation durchläuft. „Mit einigem Abstand nach der Geburt haben Frauen quasi ein „Superhirn“. Das ist doch für die Forschung genau richtig!“
Flexible Arbeitszeitmodelle und bessere Rahmenbedingungen
Flexible Arbeitszeitmodelle lautet der Wunsch vieler Frauen. „Wir müssen uns von der Präsenzkultur verabschieden“, fordert Franziska Jundt, Oberärztin in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II. Nicht nur Corona, auch sie und ihr Mann haben gezeigt, dass es geht. Als die Universitätsprofessorin für Hämatologie und Internistische Onkologie vor zehn Jahren mit ihrer Familie nach Würzburg kam, konnte sie ein Modell verhandeln, das für alle Beteiligten neu war: Sie erhielt die Möglichkeit, an zwei Nachmittagen ihre drei Kinder zu betreuen. Abends und am Wochenende holte sie die Arbeit nach und war im Notfall selbstverständlich auch nachmittags per Telefon erreichbar. Ihr Mann, von Haus aus Ingenieur, hatte das gleiche Modell mit seinem Arbeitgeber verhandeln können und übernahm an zwei weiteren Nachmittagen die Familienarbeit.
„Und warum nicht auch einmal eine frei gewordene Oberarztstelle mit zwei Frauen besetzen, die in Teilzeit arbeiten? Oder sechs Männer, die aufgrund der Familie oder Weiterbildungen reduzieren möchten, könnten sich fünf Stellen teilen“, schlägt Bettina Baeßler vor. Die Mutter von zwei Kindern leitet die Kardiovaskuläre Bildgebung am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und hier den neu geschaffenen Schwerpunkt Künstliche Intelligenz.
„Wertschätzung ist wichtiger als weitere monetäre Anreize“
„Ein Halbtagsjob heißt nicht halbe Leistung“, erinnert Anna Frey. Die Kardiologin und Mutter von zwei Kindern erforscht nebenbei die Herz-Hirn-Interaktion Herz und Entzündungsvorgänge nach dem Herzinfarkt. „Menschen, die gewohnt sind, ihren komplexen Alltag zu strukturieren, und das sind vor allem berufstätige Mütter, sind auch im Beruf strukturiert.“ Durch fokussiertes Arbeiten werde die „fehlende“ Zeit mit Leichtigkeit kompensiert. Unterm Strich sei die Wertschätzung viel wichtiger als weitere monetäre Anreize.
Mehr Festanstellungen und weniger Wettbewerb
Außerdem sollte und müsste es wesentlich mehr Festanstellungen in der Wissenschaft geben. „Denn wie soll man verlässlich planen, wenn man nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat?“, fragt Sabrina Prommersberger. Viele Frauen seien durch ihr Sicherheitsbedürfnis gehemmt und entscheiden sich lieber für einen unbefristeten Arbeitsvertrag als für einen spannenden Beruf. Die Biologin, deren Forschungsfokus auf der CAR-T-Zelltherapie liegt, wünscht sich zudem weniger Konkurrenz und mehr Kooperation. Anne Saulin pflichtet ihr bei: Es sollte um Inhalte gehen und nicht um Erfolge einzelner Personen. Prommersberger: Frauen sind auf keinen Fall schlechter in der Wissenschaft, sie können sich nur oft schlechter verkaufen.
Sich von dem Gedanken zu befreien, als Klinikerin alles selbst machen zu wollen und zu können, rät Claudia Sommer. Die leitende Oberärztin der Neurologischen Klinik und Schmerzforscherin wurde gerade im Research.com-Ranking unter die besten 100 weiblichen Wissenschaftlerinnen in Deutschland und unter den besten 1000 weltweit gelistet. „Hier in der Universitätsmedizin Würzburg gibt es zum Beispiel hervorragende Grundlagenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die viele Techniken wesentlich besser beherrschen und mir in kniffligen Fragen zur Seite stehen.“
Mehr Netzwerken und Seilschaften aufbauen
Generell können Frauen von Männern lernen, sich zum Beispiel untereinander mehr vernetzen und austauschen. „Das machen die Männer seit Jahrzehnten regelmäßig und äußerst erfolgreich. Wir Frauen denken immer, uns fehlt die Zeit, aber eben diese Zeit ist auch enorm wichtig“, weiß Franziska Jundt. Martina Prelog, Immunologin und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Kinder- und Poliklinik verweist noch auf die Art des Netzwerkens, damit es zum Erfolg führt: „Männer bilden eher Seilschaften und haben in ihren Netzwerken erfahrene „Bergführer“, um an den Gipfel zu kommen. Frauen stecken oft in formalen Netzwerken fest, die sich an starren Normen und formalen Anforderungen orientieren. Frauenverbünden fehlen oft Mitglieder, die bereits Entscheidungspositionen innehaben und Netzwerkmitglieder nach oben begleiten oder einen Multiplikationsfaktor darstellen.“ Sie empfiehlt zudem, sich früh in Fachgesellschaften und Initiativen zu engagieren.
Arbeit und Leben schließen sich nicht aus
Und warum Arbeit und Leben trennen? Viele sähen work und life dichotom, als würde sich arbeiten und leben ausschließen. Martina Prelog sieht ihren Beruf als Teil ihres Lebens. „Mir gefällt das Domänenmodell: Familie, Freunde, Hobbies, Arbeit sind alles Lebensdomänen, die ineinandergreifen und sich gegenseitig inspirieren.“ Die zweifache Mutter wünscht sich zudem mehr Individualität. „Versucht Euch nicht zu stark anzupassen oder in bestimmte Schemata pressen zu lassen, nur weil einige Menschen Unangepasstheit nicht vertragen. Zwängt Euch nicht in diese neue Art des Korsetts. Etwas mehr Individualität würde den Frauen guttun.
Franziska Jundts Tipp an forschende Frauen: „Durchhalten, mehr einfordern, sich von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen lassen, immer wieder aufstehen und weitermachen!“ Frauen müssen zudem klarer kommunizieren, was sie möchten.
Rollenbilder und leise Potentiale
Auch Rollenmodelle und Vorbilder, die demonstrieren, dass es durchaus möglich ist, Mutter zu sein und sich wissenschaftlich zu etablieren, können helfen. Nina Schukraft, Biologin und Doktorandin am Institut für Klinische Neurobiologie, vermisst eine frühe Konfrontation mit Rollenbildern. „Praktika für Schülerinnen an Universitäten und Kliniken sollten besser gefördert und beworben werden, um Mädchen echte Einblicke in die Wissenschaft zu gewähren.
Ungemein wichtig seien neben Vorbildern, Mentorinnen und Mentoren, aber auch die Förderung durch Personen in Entscheiderpositionen. Bettina Baeßler erinnert daran, auch die leisen Potentiale zu fördern, also die Menschen, die eher introvertiert sind. Dazu zählen häufig Frauen. Diese gilt es zu sehen, zu heben und zu entdecken.
In den Kindergärten sind die Köpfe der Zukunft
Die Förderung von jungen Menschen liegt auch Astrid Schmieder sehr am Herzen. Die leitende Oberärztin in der Hautklinik und Mutter von zwei kleinen Jungen fordert: „Wir, als Gesellschaft in Deutschland und Europa, sollten die Ausbildung reformieren und weiterentwickeln – zukunftsorientiert gestalten und nicht am Bildungswesen sparen. In den Kindergärten und Schulen finden sich schließlich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure und Politikerinnen und Politiker der Zukunft – hoffnungsvoll, mutig, kreativ und empathisch.“