Individualisierte Behandlung bei begrenzter Lebenserwartung
Seit Anfang Oktober 2009 gibt es am Universitätsklinikum Würzburg eine Palliativstation. Im ersten, erfolgreichen „Betriebsjahr“ konnte das Team viele Erfahrungen bei der Arbeit mit unheilbaren Patienten sammeln.
Die Patienten auf einer Palliativstation leiden in aller Regel an nichtheilbaren, weit fortgeschrittenen und weiter voranschreitenden Erkrankungen. Die Behandlung zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität. „Eine unserer Hauptaufgaben ist Entlastung und Entschleunigung“, sagt die ärztliche Leiterin der Einrichtung, Dr. Birgitt van Oorschot. „Dazu gehört das frühzeitige Erkennen, Einschätzen und Behandeln von Schmerzen, aber auch das Lindern psychischer, seelischer und sozialer Probleme.“
Fachübergreifende Zusammenarbeit
Für diese vielschichtigen Aufgaben kann sich Dr. van Oorschot auf ein 21-köpfiges Team aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, Physio-, Kunst- und Musiktherapeutinnen, Seelsorgern, einer Diätassistentin sowie ehrenamtlichen Mitarbeitern stützen. „Interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit ist – wie in vielen Medizinbereichen auch in der Palliativmedizin der Schlüssel zum Erfolg“, weiß die aus der Strahlentherapie stammende van Oorschot. Die ihr auf der Station und im Konsildienst zur Seite gestellten Ärzte decken über ihre Ausbildung weitere Fachbereiche ab, wie Hämatoonkologie, Innere Medizin und Chirurgie. Hinzu kommt das Wissen der Experten aus anderen Kliniken des Uniklinikums, die bei Bedarf konsultiert werden können.
Rund 90 Prozent der im ersten Jahr auf der Palliativstation behandelten Patienten hatten eine Tumorerkrankung. Dementsprechend ist das Interdisziplinäre Zentrum Palliativmedizin eng mit dem Comprehensive Cancer Center Mainfranken verbunden. Bei dem integrativen Krebsforschungs- und -behandlungszentrum geht es darum, Tumor-Patienten durch die enge Zusammenarbeit diverser Fachdisziplinen eine optimale Betreuung nach dem aktuellen Stand des Wissens anzubieten. Dies geschieht hauptsächlich in Tumorkonferenzen, bei denen Experten aus verschiedenen Kliniken zusammentreffen, um das individuell bestmögliche therapeutische Verfahren für Krebspatienten festzulegen.
Geriatrische und internistisches Wissen gefragt
Im Schnitt waren die Patienten in den ersten zwölf Monaten der Palliativstation 67 Jahre alt – wobei die Spannweite von 24 bis 98 Jahre reichte. „Bei diesen Patienten ist viel internistisches und geriatrisches Know-how gefragt“, berichtet die Stationsärztin Sigrid Rettig. „Wichtige Hinweise geben dabei die Physiotherapie, die uns zeigt, welche körperlichen Ressourcen der Kranke hat und die Ernährungsberatung, denn Gewichtsverlust ist bei vielen Palliativpatienten ein bedeutender Faktor“, verdeutlicht die Internistin.
Schon das Zuhören erleichtert
Ein Grundzug der palliativmedizinischen Behandlung ist die psychische Annäherung an die Kranken. „Dazu gehört ein zuwendungsvolles, genaues Zuhören der Ärzte und Pflegekräfte beim Patientengespräch – ohne den ansonsten oft herrschenden Zeitdruck. Dadurch werden zum einen wichtige Beschwerden herausgefunden, zum anderen tragen die Aufmerksamkeit und die insgesamt ‚entschleunigten’ Abläufe sehr zur Erleichterung unserer Kranken bei“, weiß Schwester Petra Warmuth, die die Pflege auf der Palliativstation leitet. Generell ist Entspannung im Palliativzentrum der Uniklinik ein Schlüsselbegriff. Allein die Entscheidung, hierher gekommen zu sein, entspanne die Kranken – ein Gefühl, dass sich bei vielen schon beim Betreten des Gebäudes C6 an der Josef-Schneider-Straße einstelle, wie Schwester Petra beobachtet hat.
Im Schnitt neun Tage auf der Station
In den ersten zwölf Monaten ihres Bestehens waren die neun Betten der Palliativstation zur gut 80 Prozent ausgelastet. Die mittlere Verweildauer betrug knapp neun Tage – allerdings bei einer weiten Spreizung im Einzelfall: Manche Patienten starben innerhalb von 24 Stunden, andere blieben mehrere Wochen. Die stationäre Aufnahme setzt eine medizinische Indikation und eine ärztliche Einweisung voraus. Dementsprechend kommen die Patienten des Palliativzentrums zum einen krankenhausintern über den Konsildienst aus anderen Stationen des Klinikums. Zum anderen werden sie von Hausärzten oder anderen Kliniken der Region überwiesen.
Schwerkranke früher überweisen
„Generell würden wir uns nach den Erfahrungen des ersten Jahres wünschen, dass die einweisenden Ärzte die lebensbedrohlich Erkrankten noch früher zu uns schicken würden. Schließlich gibt es in aktuellen Studien mit Krebskranken Hinweise darauf, dass die Palliativmedizin nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern darüber hinaus auch lebensverlängernd wirken kann. Und viele unserer Patienten wollen eher mehr lebenswerte Zeit als eine Lebensverlängerung mit zunehmenden Einschränkungen “, sagt Birgitt van Oorschot.
Unterstützung bei der Rückkehr nach Hause
Eine Palliativstation, wie die an der Uniklinik Würzburg, darf nicht mit einem stationären Hospiz verwechselt werden. Nach einer erfolgreichen Schmerztherapie und der Stabilisierung von Körper, Geist und Seele ist eines der Ziele der spezialisierten Palliativmedizin die Entlassung der Patienten in ein ambulantes Umfeld. So konnten von den 276 Patienten, die zwischen Anfang Oktober 2009 und Ende September 2010 im Palliativzentrum der Uniklinik Würzburg stationär behandelt wurden, 61 % entlassen werden. Dass die Menschen auch zu Hause eine adäquate Gesamtsituation vorfinden, darum kümmert sich Marion Baulig-Busch: „Wir helfen bei therapeutischen, organisatorischen und finanziellen Fragen genauso, wie bei familiären Konflikten“, erläutert die Palliative Care Schwester. „Außer den Patienten muss auch ihr privates Umfeld lernen, mit der Grenzsituation einer nichtheilbaren Krankheit umzugehen. Für die Mitbetreuung der Angehörigen ist mehr Zeit und Energie aufzubringen, als man zunächst meint.“
Das Palliativzentrum arbeitet im Netzwerk Palliativmedizin Region Würzburg mit allen Leistungsträgern zusammen. Eine gemeinsame Forderung des Netzwerks ist die Gründung eines stationären Hospizes für Würzburg und die Region.
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Sie und 17 weitere Mitarbeiter kümmern sich am Interdisziplinären Zentrum Palliativmedizin an der Uniklinik Würzburg um Schwerstkranke: die Palliative Care Schwester Marion Baulig-Busch, die Stationsärztin Sigrid Rettig, die Leitende Ärztin Dr. Birgitt van Oorschot und die pflegerische Stationsleiterin Petra Warmuth (v.l.n.r.).
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Im Bewegungsraum der Palliativstation des Würzburger Uniklinikums: die pflegerische Stationsleiterin Petra Warmuth, die Leitende Ärztin Dr. Birgitt van Oorschot und die Stationsärztin Sigrid Rettig.
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Im Raum der Stille der Palliativstation des Würzburger Uniklinikums: die Palliative Care Schwester Marion Baulig-Busch, die Leitende Ärztin Dr. Birgitt van Oorschot, die pflegerische Stationsleiterin Petra Warmuth und die Stationsärztin Sigrid Rettig (v.l.n.r.).