Neue Professorin - Gewebsersatz aus dem Bioreaktor

Auf Heike Walles' Arbeit richten sich viele Hoffnungen: Die Professorin züchtet erfolgreich aus körpereigenen Zellen neue Gewebe. Das kann sowohl in der Transplantationsmedizin zum Einsatz kommen als auch bei Medikamententests. Walles leitet seit Kurzem an der Universität Würzburg den neu eingerichteten Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin.

Es ist ein häufiges Problem für Mediziner: Unfallopfer, Menschen mit Verbrennungen oder Tumorpatienten sind so schwer verletzt, dass der Körper kaum in der Lage ist, die großflächigen Wunden aus eigener Kraft zu heilen. Ein Transplantat muss deshalb die Lücken schließen.

Geeignetes Material dafür zu bekommen, ist jedoch nicht einfach. Da liegt der Gedanke nahe, den Patienten ein paar Zellen zu entnehmen, im Labor daraus neues Gewebe zu züchten und dieses anschließend zu implantieren. Die Wundheilung verläuft schneller, Abstoßungsreaktionen sind nicht zu befürchten, weil es sich ja im Prinzip um körpereigenes Material handelt.

An solchen Methoden forscht Heike Walles seit vielen Jahren. Vor wenigen Monaten hat sie den Ruf an die Universität Würzburg angenommen; am neu eingerichteten Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin will sie in Zusammenarbeit mit den hiesigen Kliniken daran arbeiten, dass die Technik den Weg aus dem Labor in den Operationssaal findet.

Bioreaktoren, in denen Gewebe heranwachsen

Ihre neuen Räume am Röntgenring hat die Professorin schon bezogen. Jetzt füllen sie sich nach und nach mit den Geräten, die Walles für ihre Arbeit benötigt. Nicht mehr lange, dann werden in den Labors sogenannte Bioreaktoren in großer Zahl stehen, in denen unterschiedliche Gewebearten heranwachsen – von der Haut über Knochen bis zu Lebern. Die Verfahren dafür hat Walles zum Großteil selbst (mit)entwickelt an ihrem bisherigen Arbeitsplatz, dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart.

„Wenn man neues Gewebe züchten will, ist es nicht damit getan, Zellen in einer Petrischale heranwachsen zu lassen“, sagt Heike Walles. Damit das zukünftige Stück Knochen, das neue Band oder die Schicht Haut auch wirklich gut funktionieren, benötigen sie von Anfang an eine ganz spezielle Umgebung. Diese sollte den Bedingungen am späteren Einsatzort möglichst stark ähneln. „Wenn wir also ein Stück Knochen züchten, setzen wir die Zellen einem mechanischen Druck aus, der in Stärke und Richtung permanent variiert – genau so, wie bei einem Knochen im Körper“, sagt Walles.

Funktionelles Gewebe wächst nur in geeigneter Umgebung

Zellen, die sich zu einem Blutgefäß entwickeln sollen, müssen von einer Flüssigkeit umströmt werden, die rhythmisch pulsiert. Ein neues Stück Luftröhre benötigt den regelmäßigen Luftstrom, der kontinuierlich seine Richtung ändert. Darmgewebe bildet erst dann die typische Zottenstruktur aus, wenn es auf ähnliche Weise bewegt wird wie der natürliche Darm beim Transport der Nahrung. „Wir müssen im Bioreaktor die natürlichen physiologischen Bedingungen so gut wie möglich simulieren, um ein funktionelles Gewebe zu erhalten“, erklärt die Professorin das Prinzip.

Heike Walles‘ Werdegang

Heike Walles wusste schon früh, dass sie in die Medizin gehen wollte – allerdings nicht als Ärztin, sondern als Forscherin. Genau deshalb hat sie sich auch gegen das Medizinstudium entschieden und sich stattdessen erst in Freiburg, dann in Gießen für das Fach Biologie eingeschrieben.

„Im Medizinstudium lernt man nicht das Handwerkszeug für wissenschaftliches Arbeiten“, sagt sie. Für ihre Doktorarbeit hat Walles am Max-Planck-Institut in Martinsried an viral bedingten Herzerkrankungen geforscht; danach wechselte sie an die Medizinische Hochschule Hannover – zuerst als Post-Doc, dann als Gruppenleiterin und Juniorprofessorin – und entwickelte Gewebsersatz für Herzklappen und Blutgefäße. 2004 ging sie ans Fraunhofer-Institut in Stuttgart als Leiterin der Abteilung Zellsysteme.

Tissue Engineering für die Krebsforschung

Gewebsersatz für den Einsatz am Patienten zu produzieren, stellt nur einen Bereich der Arbeit von Heike Walles dar. Die Ergebnisse ihrer Forschung lassen sich auch zu anderen Zwecken einsetzen. Eine maßgeschneiderte Krebstherapie ist einer davon.

„Beim Hautkrebs finden wir beispielsweise eine ganze Reihe unterschiedlicher Tumorarten“, sagt die Forscherin. Während die eine an der Hautoberfläche bleibt, wandert die andere in die Tiefe. Die eine bildet einen kompakten Tumor, die andere streut ihre Zellen und bildet schnell Metastasen.

Mittels Tissue Engineering ist Walles in der Lage, die unterschiedlichen Tumore zu erzeugen und zu kultivieren. Damit können die Wissenschaftler den Stoffwechsel der jeweiligen Arten untersuchen, Unterschiede identifizieren und den Medizinern Werkzeuge liefern, die eine bessere Diagnostik ermöglichen. Auch für die Therapie bieten sich neue Möglichkeiten: „Wenn wir den Tumor unter lebensnahen Bedingungen testen, können wir möglicherweise sagen, welche Therapie sich im jeweiligen Fall anbietet.“ Sogenannte Therapieversager könnten auf diese Weise vermieden werden.

Aufgenommen ins BayernFIT-Programm

Mit diesem Projekt ist Heike Walles in das BayernFIT-Programm aufgenommen worden. In den kommenden fünf Jahren stehen ihr insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung, mit denen sie eine Fraunhofer-Projektgruppe „Regenerative Technologien für die Onkologie“ finanzieren wird.

Wenn alles so läuft, wie sie es sich vorstellt, wird es am Ende dieser Zeit – neben neuen Methoden der Krebsbekämpfung – in Würzburg ein neues Fraunhofer-Institut geben. „Das ist zumindest das Ziel, das ich mir für die nächsten zehn Jahre vorgenommen habe“, sagt Walles.

Ersatz für Tierversuche

Tissue Engineering liefert auch für andere Einsatzbereiche Techniken als für die Diagnostik und Therapie von Krankheiten. Ein Beispiel ist die Entwicklung neuer Medikamente. Heike Walles ist es mit ihrer Stuttgarter Arbeitsgruppe gelungen, in einem Bioreaktor zwar keine ganze Leber, aber doch immerhin ein funktionierendes Stück Leber zu produzieren, das in etwa fingergroß ist.

Das Gewebe eignet sich gut als Prüforgan für Medikamente. Statt neue Wirkstoffe an Tieren zu testen, können die Forscher die Substanz in den Blutkreislauf eines solchen Leberstücks geben und anschließend die Folgen beobachten.

Wie reagiert die Leber auf den Wirkstoff? Welche Abbauprodukte entstehen? Welche Nebenwirkungen könnten diese verursachen? Solche Fragen lassen sich mit dieser Technik gut im Labor klären – ohne den Einsatz von Versuchstieren.

Für ihre Arbeit zur Entwicklung eines künstlichen Lebermodells für Medikamententests hat Heike Walles Doktorandin Johanna Schanz im vergangenen Jahr deshalb auch den Tierschutz-Forschungspreis der Bundesregierung erhalten.

Momentan pendelt Heike Walles regelmäßig zwischen Würzburg und Stuttgart – und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Denn die Arbeit ihrer Projektgruppen am Fraunhofer-Institut und an der Universität ergänzen sich ihrer Meinung nach ideal. „Damit eröffnen sich ganz neue Chancen“, sagt sie. Die Doppelbelastung nimmt die Wissenschaftlerin gerne in Kauf. Schließlich habe sie einen Beruf, der ihr „unheimlich viel Spaß“ macht und ihr auch viel gibt.

Kontakt: Prof. Dr. Heike Walles, Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin der Universität Würzburg, T (0931) 31-88828, heike.walles@ uni-wuerzburg.de

(Pressemeldung der Universität Würzburg vom 2.3.2010)