Stammzellforschung: Auf die Verpackung kommt es (auch) an

Wie Zellen sich entwickeln und verhalten, wird nicht ausschließlich von Genen gesteuert. Auch deren Struktur und Verpackung spielen eine wichtige Rolle. Wie das genau funktioniert, untersuchen Wissenschaftler der Universität Würzburg in einem neuen Forschungsprojekt am Beispiel von normalen und leukämischen Stammzellen.

Groß war die Freude, als Forscher vor einigen Jahren verkündeten, dass sie das gesamte Erbgut des Menschen entziffert hätten. Und beinahe noch größer waren die Versprechen, die einige damit verbanden: Mit dem Wissen um die Gene sollte es möglich sein, Krankheiten wie Krebs, Aids oder Alzheimer zu behandeln, wenn nicht gar zu verhindern.

Inzwischen ist diese Euphorie einer gewissen Ernüchterung gewichen; mittlerweile hat sich nämlich herausgestellt, dass die Dinge komplizierter sind als anfangs gedacht. Wie sich gezeigt hat, sind nicht alle Antworten auf die Fragen nach der Entstehung von Krankheiten in der DNS-Sequenz zu finden.

Was Epigenetik bedeutet

„Wir wissen jetzt, dass eine weitere Ebene existiert, auf der entwicklungsbiologisch wichtige und krankheitsrelevante Veränderungen im Zellkern gespeichert werden“, erklärt Professor Albrecht Müller, Stammzellforscher an der Universität Würzburg. Epigenetik lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für diese Ebene. „Epigenetik umschreibt vererbbare Eigenschaften von Zellen, die nicht in der Abfolge der einzelnen Bausteine des Erbguts fixiert sind“, sagt Müller.

Welche Eigenschaften das sind? „Es handelt sich dabei in erster Linie um Veränderungen in der Struktur und der Verpackung des Erbguts“, erklärt Müllers Kollege, Dr. Matthias Becker. Wie diese Faktoren die Arbeit der Gene beeinflussen, untersuchen Müller und Becker in einem neuen Forschungsverbund, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden Jahren mit insgesamt sechs Millionen Euro finanziert, von denen etwa 500.000 Euro an die Universität Würzburg gehen.

Die beiden Forscher konzentrieren sich dabei auf einen bestimmten Typ von Stammzellen. Verhalten sich diese Stammzellen normal, sind sie für die Bildung neuer, gesunder Blutzellen verantwortlich. Tragen sie Fehler in ihrem Erbgut, können sie eine Leukämie auslösen.

Ähnlichkeiten zwischen Stamm- und Tumorzelle

„In neuerer Zeit wird es immer offensichtlicher, dass mittels epigenetischer Regulation unterschiedliche Eigenschaften sowohl von Stammzellen als auch von Tumorzellen vermittelt werden“, erklärt Albrecht Müller. Weil sich die Hinweise erhärten, dass es einen Zusammenhang zwischen der Biologie von Stammzellen und der von Tumorzellen gibt, sei die Erforschung epigenetischer Mechanismen in beiden Zelltypen von zunehmender Bedeutung im Kampf gegen Krebs. Dort biete sich möglicherweise auch ein neuer Ansatz für eine Therapie: Denkbar sei es, Krankheiten auf der Ebene der Epigenetik medikamentös zu behandeln.

Chromatin heißt der Stoff, in den das Erbgut im Zellkern verpackt wird. Einen wichtigen Bestandteil dieses Chromatins stellen die sogenannten „Histone“ dar – kleine Eiweißmoleküle, von denen inzwischen fünf Hauptklassen bekannt sind. Müller und sein Team wollen nun untersuchen, wie sich gezielte Veränderungen an diesen Histonen auf die Arbeitsweise der Gene und auf die Funktion der Stammzellen auswirken.

Teil eines deutschlandweiten Forschungsprogramms

Das Projekt ist wichtiger Teil eines neuen, multidisziplinären und deutschlandweiten Schwerpunktprogramms (SPP1463) der DFG: Epigenetische Regulation der normalen Hämatopoese und ihre Störung bei myeloischen Neoplasien. Sein Ziel ist es, zu einem besseren molekularen Verständnis der epigenetischen Mechanismen der Genregulation in gesunden Blutzellen sowie in leukämischen Zellen zu kommen. Dieses Wissen soll direkt in klinische Projekte fließen. Albrecht Müller ist als Mitinitiator an der Koordination des Forschungsverbundes beteiligt.

Kontakt:

Prof. Dr. Albrecht Müller, T: (0931) 201-45848, E-Mail: albrecht.mueller@uni-wuerzburg.de

Dr. Matthias Becker, T: (0931) 201-45851, E-Mail: matthias.becker@uni-wuerzburg.de

 

(einBLICK vom 19.Oktober 2010, Universität Würzburg)