„Glemser zählt zu den wenigen Ausnahmepianisten, die sozusagen auch noch aus dem dahinrasenden Zug heraus die Blumen am Wegesrand zu pflücken vermögen“ - schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2003 über den Würzburger Pianisten Bernd Glemser.
So mag es nicht verwunderlich erscheinen, dass es auch kein gewöhnliches Konzert war, dem die Zuhörer am Freitag, den 25. April 2014, im nahezu ausverkauften Großen Saal der Hochschule für Musik Würzburg beiwohnen durften. Es war ein umjubeltes, einprägsames Konzert, das – mag man den Worten einiger Konzertbesucher Glauben schenken – in Würzburg seinesgleichen sucht. Der weltweit renommierte, herausragende Pianist und Würzburger Hochschulprofessor Bernd Glemser hatte sich Ende vergangenen Jahres „spontan und völlig unkompliziert“ dazu bereit erklärt, einen Klavierabend für das Würzburger „Bündnis gegen Depression“ zu geben, so Ursula Berninger, Ideengeberin und Projektleiterin des Konzertes, sowie Mitarbeiterin der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Würzburg, in ihrer Begrüßungsrede.
Bereits vor Beginn des eigentlichen Konzertes erstaunte den aufmerksamen Konzertbesucher die Bandbreite des angereisten Publikums – nicht nur Klassikfans und insbesondere Glemserianer (Zitat U. Berninger) waren auszumachen, vielmehr warteten außerdem eigenen Angaben zufolge eher seltene Konzertgänger und gerade auch zahlreiche junge Hörer gespannt in der Aula der Hochschule für Musik auf den Auftritt des Pianisten. Und vermutlich lag es an eben jener so fruchtbaren Mischung der Besucher, dass sich später im Konzertsaal eine ganz besondere, ehrfürchtig-lautlose und doch zugleich erstaunlich lebhafte Atmosphäre über Allen auszubreiten schien.
Zu Beginn des Konzertabends stand eine Begrüßung durch Ursula Berninger als Konzertorganisatorin, Vertreterin des Würzburger Bündnisses gegen Depression und des Vereins „Der Regenbogen e.V.“. Neben sehr herzlichen Danksagungen an die Leitung der Hochschule für Musik und an weitere unersetzliche Helfer im Vorfeld des Konzertes, im Rahmen von dessen Bewerbung und des Vorverkaufs, erläuterte Frau Berninger den Hintergrund des Benefizkonzertes. Das Würzburger „Bündnis gegen Depression“ – 2004 von Prof. Dr. Armin Schmidtke gegründet – engagiert sich für Früherkennung, Aufklärung und Akzeptanz der Depression in der Öffentlichkeit, ebenso wie für verbesserte Behandlungsangebote depressiv erkrankter Menschen. Hierbei gehe es um verstärkte Kooperation mit und Schulung von Hausärzten, um Multiplikatorenschulungen für Arbeitgeber, Schulen, Hochschulen und Einrichtungen der Altenhilfe, verbesserte Kooperation mit dem Würzburger Selbsthilfenetzwerk sowie um öffentliche Informationsveranstaltungen, so die Projektleiterin in wenigen Worten.
Prof. Dr. Jürgen Deckert, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Würzburg, griff in seinem anschließenden Grußwort diese Aspekte der Bündnisarbeit nochmals genauer auf, erklärte einige grundlegende Fakten und Zusammenhänge der Krankheit Depression in Deutschland und betonte vor allem auch die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung von Depressionen. Er sei „gerührt, berührt“ von dem zahlreichen Erscheinen der Zuhörer, so Prof. Deckert, und ließ seine Rede in einem optimistischen Ausblick auf die Behandlungsentwicklung der Depression und auf eine verminderte Stigmatisierung dieser Krankheit ausklingen. Angesichts des erfolgreichen Konzerts scheint dieser Optimismus durchaus berechtigt zu sein.
Im Anschluss an die beiden Grußworte betrat der Pianist die Bühne und kaum sitzend, schien er mit dem Klavier und der erklingenden Musik eins zu werden. Nach dem ersten Werk, Beethovens Sonate Nr.30 E-Dur op.109, gab es bereits stürmischen Applaus. Auch die nachfolgend zu hörenden Werke von Rachmaninoff, unter anderem sein Prélude gis-Moll op.32,12 und die Corelli-Variationen op.42, standen dem Beethoven in nichts nach. Bernd Glemser ließ aus dem Klavier schillernde und doch bewegend reale neue Welten entstehen, mit brillanter Leichtigkeit und stürmischer Virtuosität. Gerade in den Corelli-Variationen konnte Glemser seine Bandbreite an musikalischer Interpretationsfähigkeit, seine brillante Virtuosität ebenso wie die Prägnanz und Tiefe seiner Spielweise beeindruckend zum Ausdruck bringen. Besonders hervorzuheben sei an dieser Stelle, dass bei Bernd Glemser musikalische Leichtigkeit nie zu Oberflächlichkeit neigt, sondern vielmehr geprägt ist durch Tiefe und spürbare Leidenschaft, durch über-reale und doch greifbare Musikalität. Was macht ein gutes Konzert aus? Es sind sicher die atem- und lautlosen Momente nach dem Ende eines Werkes und vor Einsetzen des Applauses, in denen die Musik bereits verklungen ist und doch noch existent im gesamten Raum durch das gemeinsame Weiterempfinden unzähliger Menschen. Ebenjene Momente durften die Konzertbesucher und Bernd Glemser miterleben, bevor nach Rachmaninoff und vor der Pause rauschender Beifall losbrach und sich das gesamte Publikum in einer kontinuierlichen Welle enthusiastisch erhob.
Was ist das Geheimnis der Anziehungskraft eines Künstlers, neben Virtuosität und musikalischer Tiefe? Vielleicht ist es die Fähigkeit, die Stücke so zu spielen, als wären sie eben erst im Entstehen begriffen. Ausgereift und durchdacht, aber neu geboren. Es ist die Fähigkeit, zugleich zu präsentieren, anzubieten, vor allem aber das Publikum teilhaben zu lassen am musikalischen Prozess. Glemser gelang dies scheinbar mühelos. Im zweiten Teil des Konzertes begeisterte der Pianist mit Werken Frédéric Chopins Jung und Alt, Kenner und „Neulinge“ unter den Hörern. Schillernd-verheißungsvoll und doch schwermütig erdverbunden erklangen beispielsweise einige Mazurken und die Polonaise-Fantaisie As-Dur op.61 des polnisch-französischen Komponisten. Nach einem stillen Ausklingen der letzten Chopin´schen Töne, nach einem gemeinsamen Nachhorchen, das Publikum geradezu in Trance, schwoll erneut ein begeisterter Beifallssturm an und nicht lange dauerte es, bis sich nahezu alle Konzertbesucher erhoben hatten und dem Pianisten mit stehenden Ovationen dankten. Erst nach mehrmaligem Verbeugen ließ sich das Publikum wieder nieder, um der ersten und später einer weiteren Zugabe Bernd Glemsers zu lauschen – dem A-Dur-Intermezzo op.118 von Brahms und dem „Spinnerlied“ aus Mendelssohn-Bartholdys „Lieder ohne Worte“.
„Musik existiert nicht auf dem Papier, sie existiert nur in dem Moment, wo sie gespielt wird.“, sagte Bernd Glemser einst in einem Interview. Das gemeinsame momentane Erleben dieser Musik, das Bestaunen und Überwältigt-Werden, daran hat Glemser mit seinem Charisma gerade auch in diesem Konzert Klassikliebhaber ebenso wie Neulinge gleichermaßen teilhaben lassen. Nein, kein gewöhnliches Konzert war es, sondern ein einprägsamer, berauschender Klavierabend, ein sehr erfolgreiches Benefizkonzert für das Würzburger „Bündnis gegen Depression“. Wie wunderbar, engagierte Projektleiter ebenso wie herausragende und zugleich erstaunlich unkomplizierte Künstler in Würzburg zu wissen. Bleibt nur, auf weitere und immer wieder neue derartige Musikerlebnisse zu hoffen.