Aktuelle Pressemitteilungen

Anerkennung dessen, was war und sein kann

Würzburger Humanbiologe Maik Luu in Junges Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen

Maik Luu mit grauem Jacket, schwarzer Krawatte und violettem Hemd lehnt an einer Spiegelfassade und lächelt in die Kamera.
Der Humanbiologe Dr. Maik Luu vom Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie es Uniklinikums Würzburg wurde in das Junge Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen. © Daniel Peter / UKW

Würzburg. „Die Aufnahme in das Junge Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist eine große Ehre und eine Anerkennung dessen, was bisher war und was in Zukunft sein kann“, sagt Maik Luu vom Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Der promovierte Humanbiologe vom Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie wurde jetzt zusammen mit vier weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das Junge Kolleg der Gelehrtengemeinschaft mit Sitz in München aufgenommen. Die im Jahr 1759 gegründete Bayerische Akademie der Wissenschaften (BAdW) ist nicht nur eine der ältesten, sondern auch eine der größten Akademien in Deutschland, die sich als außeruniversitäre Forschungseinrichtung von internationalem Rang versteht. In ihr arbeiten führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen an großen, oft langfristig angelegten Forschungsvorhaben. Seit 15 Jahren fördert die BAdW mit ihrem Jungen Kolleg explizit auch den herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchs in Bayern, indem sie Freiräume für die Forschung und ein Forum für den Austausch bietet. Ein entscheidendes Kriterium für die Aufnahme in das Junge Kolleg ist der innovative und kreative Charakter des Forschungsvorhabens.

Mit Stoffwechselprodukten des Mikrobioms das Immunsystem auf Trab bringen

Maik Luu erforscht mit seinem Team in Würzburg, wie sich Stoffwechselprodukte des Mikrobioms nutzen lassen, um gentechnisch veränderte Immunzellen, so genannte CAR-T-Zellen, in der Krebstherapie noch effektiver zu machen. Die mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestatteten T-Zellen haben die Behandlung von Blutkrebs bereits revolutioniert, stoßen aber bei soliden Tumoren noch an ihre Grenzen. Das will Maik Luu ändern, der bereits in seiner Doktorarbeit an der Philipps-Universität Marburg untersuchte, wie das Immunsystem auf verschiedene Bakterien der Darmflora und deren Stoffwechselprodukte reagiert. Das Junge Kolleg, das vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst finanziert wird, unterstützt seine Forschung mit einem frei verwendbaren Stipendium in Höhe von 1.000 Euro monatlich für drei Jahre.

Wissenschaftlicher Dialog und fachübergreifender Austausch

Neben der finanziellen Förderung freut sich Maik Luu auf den wissenschaftlichen Dialog und den interdisziplinären Austausch, sowohl mit den Kollegiatinnen und Kollegiaten untereinander als auch mit den etablierten Mitgliedern der Akademie. „In meinem Fall geht es zum Beispiel um ethische Fragen, wie weit die Gentherapie gehen kann und darf, aber auch um den Zugang zur Therapie für eine größere Patientengruppe“, berichtet Maik Luu. Gesellschaftliche Themen sollen aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Außerdem sei er gespannt, wie es den anderen Kollegiatinnen und Kollegiaten auf ihrem Karriereweg geht. Welche Ängste und Sorgen haben sie? Wie führen sie ihre Teams? Gibt es ein Erfolgsgeheimnis? Mit Maik Luu wurden eine Chemikerin und ein Chemiker, eine Juristin und ein Theologe in das Junge Kolleg aufgenommen. Sie sind verpflichtet, pro Förderperiode einen Vortrag über ihr Forschungsprojekt zu halten, ein interdisziplinäres Kolloquium zu organisieren und Diskussionsabende zu aktuellen Themen zu veranstalten.

Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sind für die Dauer der Förderung außerordentliche Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und nehmen an den Sitzungen der Gelehrtengemeinschaft teil. Die Dauer der Mitgliedschaft im Jungen Kolleg beträgt in der Regel drei Jahre, kann aber um bis zu drei Jahre verlängert werden. Bei Berufung auf eine Professur oder Übernahme einer anderen unbefristeten Stelle endet die Mitgliedschaft vorzeitig. 

Maik Luu hat bereits eine Tenure-Track-Professur für Translationale Medizin. Bewährt er sich, wird die Juniorprofessur in eine unbefristete Lebenszeitprofessur umgewandelt. 

Allein die Möglichkeit, sich und seine Forschung in der Akademie vorzustellen, war für ihn eine große Ehre. Maik Luu: „Wer hätte gedacht, dass der kleine Junge aus Eschweiler, dessen Eltern einst als Boatpeople nach Deutschland kamen, vor einer Jury aus arrivierten Gelehrten sprechen darf und dann auch noch aufgenommen wird. Das ist ein großer Erfolg für mich persönlich, aber auch für mein Team. Es zeigt, dass wir mit unserer Forschung auf dem richtigen Weg sind.“

Hier geht es Pressemeldung der BAdW.
Hier geht es zur Pressemeldung anlässlich der Juniorprofessur von Dr. Maik Luu.
Hier geht es zur jüngsten Pressemeldung anlässlich des Emerging Investigators EHA-EBMT Joint Fellowship Awards in the Field of Cell Therapy and Immunotherapy.
 

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Maik Luu mit grauem Jacket, schwarzer Krawatte und violettem Hemd lehnt an einer Spiegelfassade und lächelt in die Kamera.
Der Humanbiologe Dr. Maik Luu vom Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie es Uniklinikums Würzburg wurde in das Junge Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen. © Daniel Peter / UKW

Hochrisikomerkmale beim Multiplen Myelom

KOMBINATION AUS FISH UND SKY92 VERBESSERT DIAGNOSTIK

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Kortüm, Inhaber des Lehrstuhls für Translationale Myelomforschung am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), zeigt, dass eine Kombination von zwei diagnostischen Methoden (FISH und SKY92) hilft, Hochrisikopatientinnen und -patienten mit Multiplem Myelom zu identifizieren. Die in der Fachzeitschrift HemaSpere veröffentlichte Studie ebnet den Weg für gezieltere und wirksamere Behandlungspläne.

 

Die vier Mediziner in weißen Kitteln nebeneinander im Büro von Hermann Einsele.
Vertreter des Studienteams im Würzburger Myelomzentrum v.l.n.r.: Hermann Einsele, Martin Kortüm, Leo Rasche und Erstautor Xiang Zhou. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Das Multiple Myelom ist nach der Leukämie die zweithäufigste Blutkrebserkrankung, bei der verschiedene bösartige Tumorherde im Knochenmark entstehen. In Deutschland erkranken jährlich etwa 7.000 Menschen an dieser Krebsform, die bislang nicht dauerhaft geheilt werden kann. Durch neue Therapiemöglichkeiten hat sich die Prognose für viele Patientinnen und Patienten verbessert. Bei einem Hochrisiko-MM (HR-MM) schreitet die Erkrankung jedoch schneller voran und die Überlebenschancen sind trotz moderner Behandlungsmethoden deutlich schlechter. Umso wichtiger ist eine frühe und genaue Risikoeinschätzung. Denn klinische Studien konnten zeigen, dass eine risikoadaptierte Therapie die Prognose verbessern kann.

Klinische und genetische Hochrisikomerkmale beim Multiplen Myelom

Es gibt klinische Hochrisikomerkmale wie die extramedulläre Erkrankung oder die Plasmazellleukämie, wenn sich die Myelomzellen außerhalb des Knochenmarks ausbreiten oder im Blut zirkulieren. Darüber hinaus gibt es genetische Faktoren, die auf ein hohes Risiko hinweisen. Um Veränderungen im Erbgut der Krebszelle zu erkennen, darunter die Chromosomenveränderungen del(17p), t(4;14) und +1q21, wird die zytogenetische Analyse mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) eingesetzt. Zusätzlich kann eine Genexpressionsanalyse tiefere biologische Einblicke in die Erkrankung geben. Der SKY92-Biomarker besteht aus 92 Genen, deren Aktivität in bösartigen Myelom-Plasmazellen die Aggressivität des Myeloms bestimmen. 

FISH und SKY92: Zwei Methoden zur Risikoeinschätzung kombiniert

Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Kortüm, Inhaber des Lehrstuhls für Translationale Myelomforschung am Uniklinikum Würzburg (UKW), kombinierte in ihrer in der Fachzeitschrift HemaSpere publizierten Studie die diagnostischen Methoden FISH und SKY92 und analysierte, wie effektiv diese Kombination im klinischen Alltag ist, um Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko zu identifizieren. Dazu untersuchten sie das Knochenmark von 258 Patientinnen und Patienten mit Multiplem Myelom, davon 109 mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom (NDMM) und 149 mit rezidiviertem/refraktärem Multiplem Myelom (RRMM). 

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Kombination von FISH und SKY92 eine genauere Risikoeinschätzung ermöglicht. SKY92 hilft bei der Identifizierung von Hochrisikoerkrankungen, die mit FISH nicht erkannt werden, sowie bei der Identifizierung von Patienten mit Ultra-Hochrisiko-Merkmalen“, sagt Dr. Xiang Zhou, Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik II des UKW unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Einsele und Erstautor der Studie. 

„Unsere Erkenntnisse könnten in Zukunft dazu beitragen, die Behandlung besser auf das individuelle Risiko abzustimmen“, ergänzt Martin Kortüm. „Wenn wir ein erhöhtes Risiko frühzeitig kennen, könnten wir zum Beispiel aggressivere Therapien früher einsetzen oder neue Behandlungsansätze in Studien testen.“

Das Myelomzentrum am UKW ist eines der europaweit führenden Zentren für die Behandlung des Multiplen Myeloms und derzeit der einzige Anbieter des innovativen SKY92-Tests in Deutschland. „Die Anwendung ist allerdings noch experimentell“, erklärt Martin Kortüm. „Wir planen aber weitere Schritte, um unseren Patientinnen und Patienten diesen Test auch in der Regelversorgung anbieten zu können.“

www.ukw.de/myelomzentrum

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Publikation: 
Xiang Zhou, Annika Hofmann, Benedict Engel, Cornelia Vogt, Silvia Nerreter, Yoko Tamamushi, Friederike Schmitt, Maria Leberzammer, Emilia Stanojkovska, Marietta Truger, Xianghui Xiao, Christine Riedhammer, Maximilian J Steinhardt, Mara John, Julia Mersi, Seungbin Han, Umair Munawar, Johannes M Waldschmidt, Claudia Haferlach, Hermann Einsele, Leo Rasche, K Martin Kortüm. Combining SKY92 gene expression profiling and FISH (according to R2-ISS) defines ultra-high-risk Multiple Myeloma. Hemasphere. 2025 Jan 23;9(1):e70078. doi: 10.1002/hem3.70078. PMID: 39850647; PMCID: PMC11754766.
 

Die vier Mediziner in weißen Kitteln nebeneinander im Büro von Hermann Einsele.
Vertreter des Studienteams im Würzburger Myelomzentrum v.l.n.r.: Hermann Einsele, Martin Kortüm, Leo Rasche und Erstautor Xiang Zhou. © Kirstin Linkamp / UKW

3D-Modell zur Untersuchung von Glioblastomen

RESISTENZEN DES HIRNTUMORS GEGEN CHEMOTHERAPIEN BESSER VERSTEHEN

Mit der Etablierung eines 3D-Zellkulturmodells, das die natürliche Umgebung des Hirntumors und die Wechselwirkungen zwischen den Zellen realistisch nachbildet, lieferte Prof. Dr. Carmen Villmann mit ihrer Arbeitsgruppe in der Klinischen Neurobiologie sowie Partnerinnen und Partnern der Universitätsmedizin Würzburg und des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs SFB TRR 225 „Von den Grundlagen der Biofabrikation zu funktionalen Gewebemodellen“ einen wichtigen Baustein in der translationalen Forschung, um die Mechanismen des Tumorwachstums und seiner Eindämmung besser zu verstehen.

 

Andrade Mier hält einen Träger mit den Gerüsten hoch, die Forschenden im Kittel sind unscharf im Hintergrund zu sehen.
Mateo S. Andrade Mier und Carmen Villmann betrachten die Gerüste aus Mikrofasern, die den ultraweichen Biotinten und lebenden Zellen Struktur geben. © Daniel Peter / UKW
Carmen Villmann und Mateo Andrade Mier sitzen vor einem Mikroskop, Carmen Villmann gestikuliert mit Händen.
Mateo S. Andrade Mier ist Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Carmen Villmann am Institut für Klinische Neurobiologie am Uniklinikum Würzburg. © Daniel Peter / UKW
Hinterköpfe von Carmen Villmann und Mateo Andrade Mier sind vor einem PC-Monitor zu sehen, der eine mikroskopische Aufnahme der eingefärbten Zell-Zell-Kontakte zeigt.
Carmen Villmann und Mateo S. Andrade Mier analysieren nach 3D Rekonstruktion die Zell-Zell-Kontakte der Tumorzellen mit den umgebenden Neuronen. © Daniel Peter / UKW
Collage aus drei Bildern - oben groß das Gerüst, unten der Vergleich mit einem 1 Cent-Geldstück, rechts eine mikroskopische Aufnahme.
Darstellung der Dimensionen des 3D-Modells. Die Mikrofasergerüste sind im Durchmesser kleiner als eine 1-Cent-Münze. In diesen Gerüsten wachsen die Tumoren im Hydrogel zusammen mit Neuronen und Astrozyten. Der Blick ins Mikroskop verrät die tatsächlichen Interaktionen der Zelltypen (gelb: Neuronen, pink: Tumorzellen). © Carmen Villmann und Daniel Peter / UKW

Würzburg. Das Glioblastom ist der aggressivste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen und eine der herausforderndsten Krebserkrankungen der Neurologie und Neurochirurgie. Denn Glioblastome wachsen schnell und infiltrieren das umliegende Hirngewebe, was eine vollständige chirurgische Entfernung nahezu unmöglich macht. Zudem sind diese Tumoren sehr resistent gegen Therapeutika. Glioblastome sind bisher nicht heilbar. Die mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt etwa 18 Monate.

Um zu verstehen, warum beispielsweise Chemotherapeutika nicht wirken und wie diese Resistenzen überwunden werden können, entwickelte die Klinische Neurobiologie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) ein translationales 3D-Zellkultursystem, an dem die Interaktionen von Hirntumorzellen (Glioblastom) mit gesunden Gehirnzellen untersucht werden können. Das 3D-Modell basiert auf Neuronen (Nervenzellen), Astrozyten (spezialisierte Gliazellen des zentralen Nervensystems) und Tumorzellen der Maus.

Mechanismen des Tumorwachstums und dessen Eindämmung besser verstehen

„Wir konnten zeigen, dass dieses Glioblastom-Modell die Mikroumgebung des Tumors und die Zell-Zell-Interaktionen, wie wir sie von in vivo Xenograft-Modellen kennen, sehr gut simuliert. Das heißt, unser 3D-Modell bildet die natürliche Umgebung und die Wechselwirkungen zwischen den Zellen realistisch ab, ähnlich wie bei Experimenten mit lebenden Organismen. Mit dem Modell können wir Chemotherapeutika und deren Wirkmechanismus auf das Tumorwachstum untersuchen und manipulieren“, erklärt Mateo S. Andrade Mier. Der Doktorand veröffentlichte sein Forschungsprojekt jetzt als Erstautor in der Fachzeitschrift Advanced Functional Materials.

Prof. Dr. Carmen Villmann, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Klinische Neurobiologie, erläutert die Relevanz: „Mit der Etablierung eines 3D-Zellkulturmodells, das ähnliche Eigenschaften wie die in vivo Situation aufweist, haben wir einen wichtigen Baustein für die translationale Forschung geliefert, um die Mechanismen des Tumorwachstums und dessen Eindämmung besser zu verstehen.“

Spezielle Gerüste aus Mikrofasern wurden mit verschiedenen Zelltypen besiedelt

Auch wenn 3D hier einfach klingt, war das Druckverfahren aufgrund der Ultraweichheit des natürlichen Hirngewebes eine Herausforderung für sich, so Carmen Villmann. Denn derartige ultraweiche Biotinten oder Hydrogele würden sich wie Wasser an der Oberfläche ausbreiten und ließen sich nur schwer formen (siehe Info-Kasten). Um dieses Problem zu lösen, verwendete das interdisziplinäre Team zur Verstärkung des Modells spezielle Gerüste aus Mikrofasern, die mittels Biofabrikation in verschiedenen Formen gedruckt werden können und biokompatibel sind. Die Gerüste wurden mit verschiedenen Zelltypen besiedelt, was Langzeitstudien über mehrere Wochen ermöglichte.

In einem nächsten Schritt soll das 3D-Modell des Glioblastoms in ein rein humanes Modell unter Verwendung von induzierten pluripotenten Stammzellen, humanen Astrozyten, Mikrogliazellen und humanen Glioblastomzellen überführt werden. Dieses Modell kann dann verwendet werden, um die Resistenz dieser Tumoren gegenüber Therapeutika weiter zu untersuchen.

Sonderforschungsbereich SFB TRR 225: Von den Grundlagen der Biofabrikation zu funktionalen Gewebemodellen

Das Projekt ist Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs SFB TRR 225 „Von den Grundlagen der Biofabrikation zu funktionalen Gewebemodellen“, in dem Teams aus der Universitätsmedizin in Würzburg, Erlangen und Bayreuth Material-, Grundlagen- und klinische Wissenschaften zusammenführen. Ziel ist es, eigene Hydrogele zu entwickeln und zu charakterisieren sowie mit neuen Methoden Gewebemodelle zu etablieren, die für translationale Ansätze genutzt werden können. Für das 3D-System erstellten PD Dr. Jörg Tessmar und seine Arbeitsgruppe vom Würzburger Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde (FMZ) das Hydrogel, welche auf Hyaluronsäure basiert, einer wesentlichen Komponente der extrazellulären Matrix im Gehirn. Die Physikerin Prof. Dr. Katrin Heinze und ihr Team vom Rudolf-Virchow-Zentrum (RVZ) trugen mit ihren exzellenten bildgebenden Möglichkeiten wesentlich zur Charakterisierung der Zell-Matrix und Zell-Zell-Interaktionen bei. Prof. Dr. Silvia Budday von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) übernahm zusammen mit Dr. Gregor Lang vom FMZ die wesentlichen Untersuchungen auf der Seite der Biomaterialien und der Biofabrikation.

Was ist 3D-Bioprinting
3D-Bioprinting ist eine innovative Technologie, bei der lebende Zellen mit Hilfe spezieller Biotinten und Hydrogele in präzise Gewebestrukturen gedruckt werden. So bieten Hydrogele mit ihren wasserreichen Polymeren eine ideale biochemische Umgebung, die das Zellwachstum fördert. Biotinten sind eine Mischung aus lebenden Zellen und Hydrogel-Materialien. Sie müssen flüssig genug sein, um durch die Druckdüse zu fließen, aber nach dem Druck stabil bleiben. In der medizinischen Forschung wird 3D-Bioprinting eingesetzt, um realistische Modelle menschlicher Gewebe und Organe für Medikamententests, Krankheitsstudien und regenerative Therapien herzustellen. Insbesondere in der Krebsforschung ermöglicht 3D-Bioprinting die Nachbildung der Tumormikroumgebung, um personalisierte Therapieansätze zu entwickeln. Die Technologie bietet eine vielversprechende Alternative zu Tierversuchen und klassischen Zellkulturen, da sie biologisch relevantere Ergebnisse liefert.

Publikation
Mateo S. Andrade Mier, Esra Türker, Jessica Faber, Mike Friedrich, Zan Lamberger, Jeannette Weigelt, Panthipa Suwannakot, Benedikt Gantert, Abhinav Singh, Vanessa Moessler, Annemarie Sodmann, Nicoletta Murenu, Joachim Schenk, Natascha Schaefer, Torsten Blunk, Aldo R. Boccaccini, Tessa C. Lühmann, Jörg Tessmar, Jeremy M. Crook, Eva Tomaskovic-Crook, Paul D. Dalton, Gregor Lang, Robert Blum, Reiner Strick, Silvia Budday, Katrin G. Heinze, Carmen Villmann. 3D In Vitro Glioma-Neuron-Astrocyte Biomimetic Composites Recapitulate Key Molecular Mechanisms Linked to Glioblastoma Multiforme Pathophysiology. Advanced Functional Materials. First published: 23 January 2025, doi.org/10.1002/adfm.202419211

Text: KL / Wissenschaftsredaktion
 

Andrade Mier hält einen Träger mit den Gerüsten hoch, die Forschenden im Kittel sind unscharf im Hintergrund zu sehen.
Mateo S. Andrade Mier und Carmen Villmann betrachten die Gerüste aus Mikrofasern, die den ultraweichen Biotinten und lebenden Zellen Struktur geben. © Daniel Peter / UKW
Carmen Villmann und Mateo Andrade Mier sitzen vor einem Mikroskop, Carmen Villmann gestikuliert mit Händen.
Mateo S. Andrade Mier ist Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Carmen Villmann am Institut für Klinische Neurobiologie am Uniklinikum Würzburg. © Daniel Peter / UKW
Hinterköpfe von Carmen Villmann und Mateo Andrade Mier sind vor einem PC-Monitor zu sehen, der eine mikroskopische Aufnahme der eingefärbten Zell-Zell-Kontakte zeigt.
Carmen Villmann und Mateo S. Andrade Mier analysieren nach 3D Rekonstruktion die Zell-Zell-Kontakte der Tumorzellen mit den umgebenden Neuronen. © Daniel Peter / UKW
Collage aus drei Bildern - oben groß das Gerüst, unten der Vergleich mit einem 1 Cent-Geldstück, rechts eine mikroskopische Aufnahme.
Darstellung der Dimensionen des 3D-Modells. Die Mikrofasergerüste sind im Durchmesser kleiner als eine 1-Cent-Münze. In diesen Gerüsten wachsen die Tumoren im Hydrogel zusammen mit Neuronen und Astrozyten. Der Blick ins Mikroskop verrät die tatsächlichen Interaktionen der Zelltypen (gelb: Neuronen, pink: Tumorzellen). © Carmen Villmann und Daniel Peter / UKW

Eisenmangel und Blutarmut: Ein Teufelskreis fürs Herz

Eine im European Heart Journal veröffentlichte gemeinsame Studie des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz am Universitätsklinikum Würzburg und der Atherothrombosis Research Unit des Mount Sinai Hospitals in New York zeigt, dass bei Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz eine gestörte Struktur und Funktion des Herzmuskels, Blutarmut (Anämie) und eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit eng mit Eisenmangel verknüpft sind. Anämie erwies sich als Marker für eine signifikante Verringerung des Eisengehaltes in den Herzmuskelzellen. Die Studie legt nahe, dass dem sympathischen Nervensystem eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Gleichgewichts zwischen zellulärem und zirkulierendem Eisen zukommt und dass viele günstige therapeutische Effekte von SGLT2-Hemmern wie Empagliflozin wesentlich auf ihre sympathikolytische Wirkung zurückzuführen sind.

Forschende stehen in einem Büro vor einem Regal mit Bechern in der Hand.
Bild von links nach rechts: Juan J Badimon, Georg Ertl, Christiane Angermann, Carlos G Santos-Gallego, Juan Antonio Requena-Ibanez. © privat
Bild vom mehrstöckigen modernen Gebäude des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz
Das Uniklinikum Würzburg mit dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und der Medizinischen Klinik und Poliklinik I war wesentlich beteiligt an den Studien zum Sodium-Glukose-Transporter 2 (SGLT-2)-Hemmer bei Herzinsuffizienz, zur Wirkung der Gliflozine auf den Eisenstoffwechsel und aktuell zu den Effekten auf das sympathische Nervensystem. © Daniel Oppelt / UKW

Würzburg. Herzinsuffizienz ist eine Systemerkrankung. Sie geht mit zahlreichen Symptomen und Begleiterkrankungen wie Muskelschwäche und Blutarmut (Anämie) einher. Eine gemeinsame Studie des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und der Atherothrombosis Research Unit des Mount Sinai Hospitals in New York zeigte nun, dass eine Anämie* bei Herzinsuffizienz ein Marker für einen gestörten Eisenstoffwechsel sein kann. Dabei kann nicht mehr genügend Eisen in Gewebe wie das blutbildende System, die Skelettmuskulatur oder den Herzmuskel aufgenommen werden. Die Forschenden um Prof. Christiane Angermann und Prof. Juan J. Badimon beleuchten in ihrer im European Heart Journal veröffentlichten Untersuchung, dass dieser durch konventionelle Blutuntersuchungen nicht nachweisbare Mangelzustand der Zellen mit einer vermehrten Aktivität des sympathischen Nervensystems zusammenhängen könnte. Das sympathische Nervensystem spielt somit eine Schlüsselrolle im Krankheitsverlauf der Herzinsuffizienz. Die Studie zeigt auch, dass die komplexen Vorteile einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren (Gliflozinen) mit sympathikolytischen Effekten dieser Substanzklasse in Verbindung stehen könnten. Durch Verminderung der sympathischen Aktivität wird die Eisenaufnahme in verschiedene Gewebe zumindest teilweise wieder hergestellt. 

Eisen – Motor des Lebens

Eisen ist essentiell für die Bildung von Enzymen, Fetten und Proteinen sowie für viele Prozesse der Energiegewinnung, des Sauerstofftransports und der Sauerstoffspeicherung. Besonders wichtig ist Eisen für Zellen mit hoher Teilungsaktivität wie zum Beispiel blutbildende und Immunzellen und für Zellen mit hohem Energiebedarf wie Herz- und Skelettmuskelzellen. In der neuen Analyse der EMPATROPISM-FE-Studie konnte mittels Kernspintomographie signifikant weniger Eisen im Herzmuskel von Patientinnen und Patienten mit Anämie im Vergleich zu Patientinnen und Patienten ohne Anämie nachgewiesen werden. Gleichzeitig zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen Eisengehalt, Stresshormonspiegeln, schlechterer Pumpfunktion und maximaler körperlicher Belastbarkeit. Umgekehrt korrelierte ein höherer Eisengehalt im Herzmuskel mit mehr Hämoglobin und besserer Leistungsfähigkeit. Zusammengenommen unterstützen die Ergebnisse das Konzept, dass es ein übergreifendes Regulationsprinzip für die zelluläre Eisenaufnahme/-verfügbarkeit in verschiedenen Geweben wie Herzmuskel, Skelettmuskel und blutbildendem System gibt, das zentral über das sympathische Nervensystem gesteuert wird. 

Neues Wirkprinzip von SGLT2-Hemmern entdeckt: Empagliflozin zeigt positive Effekte auf Stresshormone, Eisenverfügbarkeit in Zellen und Herzfunktion 

In früheren klinischen Studien konnten SGLT2-Hemmer die Morbidität und Mortalität bei Herzinsuffizienz senken und die Lebensqualität verbessern. In der aktuellen Analyse der EMPATROPISM-FE-Studie reduzierte eine sechsmonatige Behandlung mit Empagliflozin im Vergleich zu Placebo bei Patientinnen und Patienten mit und ohne Anämie das Stresshormon Noradrenalin im Blut, was mit einer verbesserten Eisenaufnahme in die Zellen einherging. Dabei nahmen Herzfunktion, Blutbildung und körperliche Belastbarkeit zu, während sich das im Blut messbare zirkulierende Eisen drastisch verminderte. Die enge Beziehung zwischen Eisen im Herzmuskel und Noradrenalin im Blut deutet darauf hin, dass therapeutische Effekte auf Wechselwirkungen zwischen dem sympathischen Nervensystem und SGLT2-Regulierung viele der günstigen Wirkungen von SGLT2-Hemmer erklären könnten. 

„Unsere Analyse legt nahe, dass Sympathikolyse ein zentraler Wirkmechanismus von SGLT2-Hemmern ist“, sagt Prof. Dr. Christiane Angermann, Seniorprofessorin am DZHI und Leiterin der Studie. „Diese neuen Ergebnisse liefern gute Argumente dafür, SGLT2-Hemmer und Eisenersatztherapie bei Patienten mit Herzinsuffizienz und möglichem Eisenmangel zu kombinieren, unabhängig vom Bestehen einer Anämie, um damit den therapeutischen Gewinn zu optimieren.“ 

Die grundsätzliche Bedeutung der Studie unterstreicht auch das Editorial von Samira Lakhal-Littleton im European Heart Journal mit dem Titel „Anaemia, neurohormonal activation, and myocardial iron depletion in heart failure: can this vicious circle be broken?“

*definiert gemäß WHO als ein Hämoglobinwert von < 13 [12] g% bei Männern [Frauen]

Publikationen
Christiane E Angermann, Susanne Sehner, Louisa M S Gerhardt, Carlos G Santos-Gallego, Juan Antonio Requena-Ibanez, Tanja Zeller, Christoph Maack, Javier Sanz, Stefan Frantz, Georg Ertl, Juan J Badimon, Anaemia predicts iron homoeostasis dysregulation and modulates the response to empagliflozin in heart failure with reduced ejection fraction: the EMPATROPISM-FE trial, European Heart Journal, 2025; ehae917, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae917
Samira Lakhal-Littleton, Anaemia, neurohormonal activation, and myocardial iron depletion in heart failure: can this vicious circle be broken?, European Heart Journal, 2025; ehae798, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehae798
 

Forschende stehen in einem Büro vor einem Regal mit Bechern in der Hand.
Bild von links nach rechts: Juan J Badimon, Georg Ertl, Christiane Angermann, Carlos G Santos-Gallego, Juan Antonio Requena-Ibanez. © privat
Bild vom mehrstöckigen modernen Gebäude des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz
Das Uniklinikum Würzburg mit dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und der Medizinischen Klinik und Poliklinik I war wesentlich beteiligt an den Studien zum Sodium-Glukose-Transporter 2 (SGLT-2)-Hemmer bei Herzinsuffizienz, zur Wirkung der Gliflozine auf den Eisenstoffwechsel und aktuell zu den Effekten auf das sympathische Nervensystem. © Daniel Oppelt / UKW

MARBLE analysiert Hirnaktivitäten

Verwenden zwei Gehirne bei der Lösung ähnlicher Aufgaben gleiche oder unterschiedliche Denkstrategien? Das computergestützte Werkzeug MARBLE liefert die Antwort, indem es gemeinsame Strukturen im Denken erkennen kann ohne die einzigartige Sprache des einzelnen Gehirns zu ignorieren. Dazu zerlegt MARBLE die Signale der Gehirnzellen in charakteristische Aktivitätsmuster und analysiert ihre Bewegung in Raum und Zeit. Die technische Innovation, die vor allem Menschen mit motorischen Beeinträchtigen eine bessere Kontrolle über Interventionen oder Prothesen ermöglichen könnte, präsentieren die Entwickler, darunter Robert Peach vom Uniklinikum Würzburg, im renommierten Journal Nature Methods.

Porträt von Robert Peach in der Bibliothek
Robert Peach, Physiker und Computational Neuroscientist aus der Neurologischen Klinik, entwickelte mit ehemaligen Kollegen aus London und Lausanne MARBLE – ein computergestütztes Werkzeug, das Signale der Gehirnzellen in charakteristische Aktivitätsmuster zerlegt und ihre Bewegung in Raum und Zeit analysiert. © Kirstin Linkamp / UKW
Graphical Abstract aus 5 Bildern, die in Nature Methods erschienen sind.
Darstellung und Entschlüsselung der neuronalen Aktivität im Gehirn eines Affen während er seinen Arm bewegt: a) Bewegung der Hand in sieben verschiedene Richtungen; b) Aktivitätsmuster einzelner Nervenzellen im prämotorischen Kortex für drei dieser Bewegungen, der schattierte Bereich zeigt die analysierten Spuren nach dem GO-Hinweis für den Affen; c) Darstellung der neuronalen Daten als ein Vektorfeld, das die Veränderungen der Feuerraten über die Zeit zeigt; d) vereinfachte Darstellung der neuronalen Daten in einer einzigen Sitzung; MARBLE zeigt eine latente, kreisförmige Anordnung der Daten in zirkulärer und zeitlicher Ordnung, die die räumlichen Bewegungen widerspiegelt; e) präzise lineare Dekodierung der Handbewegungen aus den latenten Repräsentationen. © Gosztolai & Peach et al. et al. MARBLE: interpretable representations of neural population dynamics using geometric deep learning. Nat Methods (2025). https://doi.org/10.1038/s41592-024-02582-2

Würzburg. Stellen Sie sich eine zerknitterte Zeitung vor. Im dreidimensionalen Raum nimmt sie viel mehr Platz ein, aber die gleichen Informationen und Nachrichten befinden sich immer noch auf einer niederdimensionalen Struktur, der Zeitung selbst. Um besser lesen zu können, muss die flache Form der Zeitung wiederhergestellt werden. Ähnliches macht MARBLE mit den neuronalen Aktivitätsmustern im Gehirn. Die KI-Methode reduziert diese komplexen, hochdimensionalen Datensätze auf einfache Strukturen, so genannte Mannigfaltigkeiten. MARBLE steht für MAnifold Representational Basic Learning. 

Robert Peach, Physiker und Computational Neuroscientist in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW), und Adam Gosztolai, Mathematiker an der Medizinischen Universität Wien, entwickelten MARBLE gemeinsam mit ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten vom Imperial College in London und der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz. Ihre technische Innovation, die das alltägliche Leben auf vielfältige Weise verbessern könnte, stellen Gosztolai und Peach als Erstautoren in der renommierten Fachzeitschrift Nature Methods vor. 

MARBLE erkennt und interpretiert neuronale Hirnaktivitäten 

Hinter der Entwicklung des computergestützten Werkzeugs MARBLE steht eine zentrale Frage: Verwenden zwei Gehirne bei der Lösung ähnlicher Aufgaben gleiche oder unterschiedliche Denkstrategien? Statt alle Neuronen einzeln zu untersuchen, betrachtet MARBLE nur Ausschnitte der Aktivität und vergleicht sie zwischen verschiedenen Spezies und Aufgaben. Dazu zerlegt MARBLE die neuronalen Signale in charakteristische Aktivitätsmuster, die Robert Peach „Puzzleteile“ nennt. Um mit den geschwungenen Strukturen umzugehen, die bei komplexen, nichtlinearen Hirnprozessen häufig auftreten, verwenden die Wissenschaftler ein spezialisiertes geometrisches Deep-Learning-Netzwerk, das die Puzzleteile in ihrer Dynamik, also ihrer Bewegung in Raum und Zeit, erkennt und in eine verständliche Form bringt. 

Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Individuen finden, ohne sie in ein starres Schema zu pressen

Die Forscher testeten MARBLE an künstlichen neuronalen Netzen, simulierten Systemen und echten Hirndaten von Primaten und Nagetieren. Dabei fanden sie wiederkehrende Muster, die mit Denkprozessen wie Entscheidungsfindung oder Anpassung an neue Situationen zusammenhängen. „Das heißt, wenn verschiedene Tiere die gleiche Strategie anwenden, teilen sie sich diese Puzzleteile, betten sie aber in ihre eigene, individuell gekrümmte Struktur ein“, erklärt Robert Peach. Und das sei der entscheidende Vorteil gegenüber bisherigen Methoden. MARBLE kann eine gemeinsame Struktur im Denken erkennen, ohne die einzigartige „Sprache“ jedes Gehirns zu ignorieren. 

Während herkömmliche Methoden oft nur statische Muster betrachten oder Daten über viele Experimente hinweg mitteln, erkennt MARBLE zeitliche Veränderungen in den Signalen und kann so feine Unterschiede zwischen den Denkstrategien erkennen. Peach: „Unser Ansatz arbeitet mit nur wenigen Vorgaben von außen und ohne feste Verhaltensregeln, so dass die Analyse objektiver bleibt.“

Präzisere Steuerung von Prothesen und anderen Hilfsmitteln

Vor allem Menschen mit motorischen Einschränkungen könnten von dieser technischen Innovation profitieren. Denn wenn man besser versteht, wie das Gehirn im Laufe der Zeit arbeitet, lassen sich fortschrittlichere Gehirn-Computer-Schnittstellen entwickeln, die eine präzisere Steuerung von Prothesen und anderen Hilfsmitteln ermöglichen. Dieses Ziel verfolgt unter anderem der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte transregionale Sonderforschungsbereich (SFB) TRR 295 ReTune, in dem sich das UKW gemeinsam mit der Charité - Universitätsmedizin Berlin mit spezifischen Aspekten von Störungen motorischer Netzwerke beschäftigt. Daher wurde auch die Forschung von Robert Peach im Rahmen von ReTune gefördert. Prof. Dr. Jens Volkmann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie am UKW, ist stellvertretender Sprecher des TRR, der im vergangenen Sommer in die zweite Förderphase ging. 

Fortschritte in Gesundheitsversorgung, Barrierefreiheit und Mensch-Computer-Interaktion

Darüber hinaus hilft das Forschungsprojekt, besser zu verstehen, wie das gesunde Gehirn Aufmerksamkeit steuert und Neues lernt. Diese Erkenntnisse könnten neue Ansätze für die kognitive Leistungssteigerung oder die Rehabilitation nach Schlaganfällen inspirieren. Selbst alltägliche Technologien – wie digitale Assistenten oder tragbare Geräte – könnten von Algorithmen profitieren, die sich daran orientieren, wie das Gehirn komplexe Aufgaben in Echtzeit bewältigt. Robert Peach fasst zusammen: „Wenn wir lernen, die verborgenen Muster hinter neuronalen Prozessen zu entschlüsseln, können wir Werkzeuge entwickeln, die natürlicher mit unserem Geist und Körper interagieren – mit möglichen Fortschritten in Gesundheitsversorgung, Barrierefreiheit und der Mensch-Computer-Interaktion.“

Im nächsten Schritt will das Team MARBLE auf komplexere Datensätze und verschiedene Spezies anwenden und eng mit klinischen Partnern zusammenarbeiten, um das Potenzial für die Behandlung von Bewegungsstörungen zu erforschen. Außerdem sollen die zugrundeliegenden mathematischen Methoden weiterentwickelt und verfeinert werden, um genauere Einblicke in die dynamischen Prozesse des Gehirns zu gewinnen.

Das Forschungsprojekt wurde gefördert von der DFG im Rahmen von ReTune sowie vom Engineering and Physical Sciences Research Council (EPSRC), dem Human Frontiers Science Programme und dem schweizerischen Blue Brain Project.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Publikation: 
Gosztolai, A., Peach, R.L., Arnaudon, A. et al. MARBLE: interpretable representations of neural population dynamics using geometric deep learning. Nat Methods (2025). https://doi.org/10.1038/s41592-024-02582-2

Research Briefing: www.nature.com/articles/s41592-024-02581-3
 

Porträt von Robert Peach in der Bibliothek
Robert Peach, Physiker und Computational Neuroscientist aus der Neurologischen Klinik, entwickelte mit ehemaligen Kollegen aus London und Lausanne MARBLE – ein computergestütztes Werkzeug, das Signale der Gehirnzellen in charakteristische Aktivitätsmuster zerlegt und ihre Bewegung in Raum und Zeit analysiert. © Kirstin Linkamp / UKW
Graphical Abstract aus 5 Bildern, die in Nature Methods erschienen sind.
Darstellung und Entschlüsselung der neuronalen Aktivität im Gehirn eines Affen während er seinen Arm bewegt: a) Bewegung der Hand in sieben verschiedene Richtungen; b) Aktivitätsmuster einzelner Nervenzellen im prämotorischen Kortex für drei dieser Bewegungen, der schattierte Bereich zeigt die analysierten Spuren nach dem GO-Hinweis für den Affen; c) Darstellung der neuronalen Daten als ein Vektorfeld, das die Veränderungen der Feuerraten über die Zeit zeigt; d) vereinfachte Darstellung der neuronalen Daten in einer einzigen Sitzung; MARBLE zeigt eine latente, kreisförmige Anordnung der Daten in zirkulärer und zeitlicher Ordnung, die die räumlichen Bewegungen widerspiegelt; e) präzise lineare Dekodierung der Handbewegungen aus den latenten Repräsentationen. © Gosztolai & Peach et al. et al. MARBLE: interpretable representations of neural population dynamics using geometric deep learning. Nat Methods (2025). https://doi.org/10.1038/s41592-024-02582-2

Simples Protokoll mit bahnbrechendem Effekt für Immuntherapien

Auf dem EBMT-EHA 7th European CAR-T-cell Meeting Mitte Februar in Straßburg wurde Sarah Staudt aus der Arbeitsgruppe von Juniorprofessor Dr. Maik Luu vom Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) für ihre Studie zum Einfluss des Mikrobioms auf den Erfolg von Immuntherapien ausgezeichnet. Ihre Daten zeigen, wie das Postbiotikum Pentanoat den Stoffwechsel und die Funktion von Immunzellen beeinflusst. Pentanoat wird in den Zellstoffwechsel eingebaut und entfaltet dort eine spezifische Wirkung, die dazu führt, dass T-Zellen länger aktiv bleiben, was besonders für CAR-T-Zelltherapien bei Krebserkrankungen wichtig ist.

Maik Luu mit Urkunde auf der Bühne zwischen Anna Sureda und Maria Themeli
Umrahmt von den Organisatorinnen des EBMT-EHA 7th European CAR-T-cell Meetings in Straßburg Anna Sureda (links) und Maria Themeli (rechts) und stellvertretend für sein Team nimmt Maik Luu den Emerging Investigators EHA-EBMT Joint Fellowship Award entgegen. Foto mit freundlicher Genehmigung der EHA und EBMT
Maik Luu am Rednerpult, im Hintergrund auf großer Leinwand eine Folie seines Vortrags
Prof. Dr. Maik Luu vom Uniklinikum Würzburg präsentiert beim EBMT-EHA 7th European CAR-T-cell Meeting im französischen Straßburg die Forschung seiner Arbeitsgruppe zum Einfluss des Mikrobioms auf den Erfolg von Immuntherapien. © Carmen Sanges / UKW
Wie Stoffwechselprodukte von Darmbakterien in die CAR-T-Zelle eindringen und es dort zu einer epigenetischen Modulation kommt.
Das Postbiotikum Pentanoat wird in den Zellstoffwechsel eingebaut und entfaltet dort eine spezifische Wirkung, die dazu führt, dass T-Zellen länger aktiv bleiben, was besonders für CAR-T-Zelltherapien bei Krebserkrankungen wichtig ist. © Maik Luu / UKW

Würzburg. Im Februar 2022 erhielt Maik Luu als Erstautor einer Studie, die ihn damals von Marburg nach Würzburg führte, den Emerging Investigators EHA-EBMT Joint Fellowship Award in the Field of Cell Therapy and Immunotherapy. Der Preis ist eine gemeinsame Auszeichnung der European Hematology Association (EHA) und der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) für aufstrebende Nachwuchsforschende, die in der präklinischen oder klinischen Entwicklung von CAR-T-Zelltherapien oder anderen immun- und zellbasierten Therapien tätig sind. 

Drei Jahre später, am 8. Februar 2025, erhielt seine Doktorandin Sarah Staudt beim EBMT-EHA 7th European CAR T-cell Meeting im französischen Straßburg den gleichen mit 10.000 Euro dotierten Preis. Als Erstautorin leitete die Naturwissenschaftlerin am Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) eine vielversprechende Studie, deren Ergebnisse ihr Arbeitsgruppenleiter, Juniorprofessor Dr. Maik Luu, als Seniorautor auf Europas größtem CAR-T-Zell-Treffen in Straßburg vorstellte. Sie fanden heraus, dass das Stoffwechselprodukt Pentanoat das Immunsystem stärken kann, indem das Postbiotikum den Zellstoffwechsel und die Genregulation beeinflusst - was neue Wege für effektivere Immuntherapien eröffnen könnte. 

„Es ist eine große Ehre für unser junges Labor, dass wir uns gegen so viele ebenso gute Kolleginnen und Kollegen durchsetzen konnten. Und es ist ein schönes Signal, dass die Community sieht, wie wichtig unsere Arbeit ist und wie viel man in Zukunft daraus machen kann“, sagt Maik Luu. Gleichzeitig bedankt er sich bei den zahlreichen Kooperationspartnerinnen und -partnern für die tolle Teamarbeit und vor allem bei Sarah Staudt, die alles mitbringt, was man sich als Nachwuchswissenschaftlerin wünscht: Intelligenz, Fleiß, Selbstständigkeit und Ausdauer. 

Postbiotikum korreliert mit Überleben nach CAR-T-Zelltherapie

Im Fokus der Arbeitsgruppe von Maik Luu steht das Darmmikrobiom und die Frage, welche Rolle die Mikroorganismen beziehungsweise konkret die Stoffwechselprodukte der Darmbakterien für den Erfolg von Immuntherapien mit Antikörpern oder speziellen Abwehrzellen spielen. Dazu analysierten sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Regensburg Stuhlproben von Patientinnen und Patienten vor der Gabe einer CAR-T-Zelltherapie und verglichen sie mit dem Therapieansprechen. „Tatsächlich korreliert Pentanoat, eine kurzkettige Fettsäure, mit dem Überleben der Patientinnen und Patienten. Mehr Pentanoat im Stuhl bedeutet also ein besseres Ansprechen auf die CAR-T-Zelltherapie“, erklärt Sarah Staudt. Im nächsten Schritt untersuchte das Team, wie sich das Stoffwechselprodukt Pentanoat nutzen lässt, um die CAR-T-Zellen gezielt zu verbessern. Im in vivo-System der Maus konnte bestätigt werden, dass eine Reprogrammierung der CAR-T-Zellen langfristig zu einer besseren Tumorkontrolle führt.

Stoffwechselprodukte des Darmbakteriums werden von Immunzellen verstoffwechselt, was sie aktiver und fitter macht

„Obwohl das Protokoll, also der Einbau des Pentanoats in den Energiestoffwechsel der T-Zelle, so einfach ist, war der Effekt bahnbrechend“, kommentiert Maik Luu. Und natürlich wollte das Team wissen, warum dieses so genannte Postbiotikum eine solche Wirkung auf das Immunsystem hat. Was macht das Pentanoat in der Zelle? „Diese kleinen Substanzen machen tausend Dinge in der Zelle. Es ist nicht ein Mechanismus, sondern es sind viele, die gleichzeitig wirken“, sagt Luu. 

Die wichtigsten Ergebnisse: Es findet eine epigenetische Modulation statt. Pentanoat verändert zelluläre Prozesse und genetische Kontrollmechanismen. Zum einen wird die T-Zelle zytotoxischer, kann also Krebszellen effektiver bekämpfen, zum anderen wird die Zelle metabolisch aktiver, also fitter. Das, so Luu, sei wohl der interessanteste Punkt der Untersuchungen. Denn sie konnten zeigen, dass Stoffwechselprodukte des Bakteriums von Immunzellen verstoffwechselt werden und auch dort in einen Stoffwechsel gelangen, der wiederum die Zelle neu programmiert. Sarah Staudt erklärt: „Um zu überprüfen, wo die Pentanoat-Atome im Zellstoffwechsel landen, haben wir sie mit schweren Isotopen markiert und massenspektrometrisch verfolgt. Dabei zeigte sich, dass Pentanoat in den Citratzyklus aufgenommen wird, also in den zentralen Stoffwechselweg in den Mitochondrien, der die Zelle mit Energie versorgt. Die Substanz verändert den Stoffwechsel nicht nur indirekt, sondern greift direkt in die biochemischen Abläufe ein. Das führte dazu, dass die T-Zellen weniger erschöpft waren und in einen aktiveren, jüngeren Zustand zurückkehrten“. 

Diese Verbindung zwischen Mikroben und menschlichen Immunzellen könnte den jungen Forschenden zufolge genutzt werden, um die Wirksamkeit von Immuntherapien zu verbessern. „Es gibt wohlgemerkt Trilliarden von Bakterien mit noch mehr Stoffwechselprodukten“, erinnert Maik Luu. Die Substanz Pentanoat, mache neben ihren Bruder- und Schwestermolekülen vielleicht nur einen Bruchteil der Postbiotika aus, aber die Studie zeige, dass die Menge nicht unbedingt den Unterschied macht und Pentanoat durchaus ein prädiktiver Biomarker sein kann, der sich kostengünstig und sicher für therapeutische Zwecke nutzen ließe.

Preprint des Papers „Metabolization of microbial postbiotic pentanoate drives anti-cancer CAR T cells“:
Sarah Staudt, Fabian Nikolka, Markus Perl, Julia Franz, Noémi Leblay, Xiaoli-Kat Yuan, M Larrayoz, Teresa Lozano, Linda Warmuth, Matthias A. Fante, Aistė Skorupskaitė, Teng Fei, Maria Bromberg, Patxi San Martin-Uriz, Juan Roberto Rodriguez-Madoz, Kai Ziegler-Martin, Nazdar Adil Gholam, Pascal Benz, Phuc-Huu Tran, Fabian Freitag, Zeno Riester, Christoph Stein-Thoeringer, Michael Schmitt, Karin Kleigrewe, Justus Weber, Kira Mangold, Patrick Ho, Hermann Einsele, Felipe Prosper, Wilfried Ellmeier, Dirk Busch, Alexander Visekruna, John Slingerland, Roni Shouval, Karsten Hiller, Juan José Lasarte, José Ángel Martinez-Climent, Patrick Pausch, Paola Neri, Marcel van den Brink, Hendrik Poeck, Michael Hudecek, Maik Luu. Metabolization of microbial postbiotic pentanoate drives anti-cancer CAR T cells. bioRxiv 2024.08.19.608538; doi: doi.org/10.1101/2024.08.19.608538

Zur CAR-T-Zelltherapie 
Bei der zellulären Immuntherapie wird den weißen Blutkörperchen unseres Immunsystems, den T-Zellen, auf die Sprünge geholfen. Dazu werden die T-Zellen gentechnologisch verändert und im Labor mit einem künstlichen auf die entsprechende Krebsart zugeschnittenen Rezeptor ausgestattet, dem Chimären Antigen Rezeptor, kurz CAR. Anschließend werden die „scharf gestellten“ T-Zellen als lebendes Medikament der Patientin oder dem Patienten zurückgegeben. Mithilfe des spezifischen Oberflächenmarkers können die CAR-T-Zellen die Tumorzellen im Körper aufspüren und zerstören.
 

Maik Luu mit Urkunde auf der Bühne zwischen Anna Sureda und Maria Themeli
Umrahmt von den Organisatorinnen des EBMT-EHA 7th European CAR-T-cell Meetings in Straßburg Anna Sureda (links) und Maria Themeli (rechts) und stellvertretend für sein Team nimmt Maik Luu den Emerging Investigators EHA-EBMT Joint Fellowship Award entgegen. Foto mit freundlicher Genehmigung der EHA und EBMT
Maik Luu am Rednerpult, im Hintergrund auf großer Leinwand eine Folie seines Vortrags
Prof. Dr. Maik Luu vom Uniklinikum Würzburg präsentiert beim EBMT-EHA 7th European CAR-T-cell Meeting im französischen Straßburg die Forschung seiner Arbeitsgruppe zum Einfluss des Mikrobioms auf den Erfolg von Immuntherapien. © Carmen Sanges / UKW
Wie Stoffwechselprodukte von Darmbakterien in die CAR-T-Zelle eindringen und es dort zu einer epigenetischen Modulation kommt.
Das Postbiotikum Pentanoat wird in den Zellstoffwechsel eingebaut und entfaltet dort eine spezifische Wirkung, die dazu führt, dass T-Zellen länger aktiv bleiben, was besonders für CAR-T-Zelltherapien bei Krebserkrankungen wichtig ist. © Maik Luu / UKW

Akademischer Chirurg mit Vorbildfunktion

Prof. Dr. Nicolas Schlegel erhält neu geschaffenen Lehrstuhl für Experimentelle Viszeralchirurgie am Uniklinikum Würzburg

Nicolas Schlegel steht im weißen Arztkittel mit verschränkten Armen in der Magistrale des Zentrums für Operative Medizin
Prof. Dr. Nicolas Schlegel ist Inhaber des neu geschaffenen Lehrstuhls für Experimentelle Viszeralchirurgie am Uniklinikum Würzburg © Ulrich Bender

Würzburg. Die Viszeralchirurgie begeisterte Prof. Dr. Nicolas Schlegel von Anfang an. „Die Vielfalt und Komplexität der Chirurgie zwischen Hals und Enddarm ist absolut faszinierend. Die größte Motivation war aber die Möglichkeit, den Patientinnen und Patienten mit einem einzigen Eingriff in kurzer Zeit zu helfen“, schwärmt Nicolas Schlegel. Seine Leidenschaft gilt aber nicht nur der Patientenversorgung. Auch die Forschung liegt dem 45-jährigen Oberarzt am Herzen: „Ich möchte als Kliniker die Forschung aktiv mitgestalten, also ein akademischer Chirurg sein!“ Professor Christoph-Thomas Germer, Direktor der Klinik für Chirurgie I, unterstützte diesen Wunsch von Anfang an. Und somit wurde im Jahr 2019 am Uniklinikum Würzburg (UKW) eine deutschlandweit einmalige W3-Professur für Experimentelle Viszeralchirurgie eingerichtet, die Schlegel als Clinician Scientist im Tenure-Track-Verfahren besetzte. Der Brückenbauer zwischen Chirurgie und translationaler Forschung hat sich bewährt. Die Universitätsmedizin Würzburg hat nun einen Lehrstuhl für Experimentelle Viszeralchirurgie eingerichtet, den Nicolas Schlegel seit Dezember 2024 leitet.

Zweitgrößtes Chirurgisches Studienzentrum in Deutschland

Eine der wichtigsten Einrichtungen im Rahmen seiner Tenure-Track-Professur war sicherlich die Gründung des Chirurgische Studienzentrums. „Damit haben wir eine Struktur geschaffen, die es uns ermöglicht, mit einem eigenen Studienteam systematisch Patientinnen und Patienten in große überregionale klinische Studien einzuschließen, aber auch eigene Studien durchzuführen“, sagt Nicolas Schlegel. „Vor fünf Jahren haben wir nur 22 Patientinnen und Patienten für chirurgische Studien rekrutiert, im vergangenen Jahr waren es bereits 360. Damit sind wir das nach Heidelberg das zweitgrößte chirurgische Studienzentrum in Deutschland.“ Das Rückgrat des Studienzentrums, das von Oberarzt PD Dr. Matthias Kelm geleitet wird, bilden zwei Study Nurses und drei Studienärztinnen, die sich eine Stelle teilen. Viele der Studien sind klassisch technisch orientiert, etwa ob man beim Verschluss der Bauchnaht ein Netz einlegen sollte, um einen Narbenbruch zu verhindern. „Traditionsgemäß wurden in der Chirurgie immer nur Erfahrungen weitergegeben, aber wenig systematisch überprüft, weil auch die Infrastruktur fehlte. Die haben wir jetzt“, so Schlegel, der für die übergeordnete Koordination des Studienzentrums zuständig ist.

Zwei Tage Forschung, drei Tage Klinik und allgegenwärtig Lehre

Wie sieht der Alltag eines Experimentellen Viszeralchirurgen aus? „Zwei Tage pro Woche widme ich mich der Forschung, drei Tage pro Woche stehe ich im OP, und die Lehre ist natürlich allgegenwärtig“, berichtet Schlegel. „Allerdings musste ich zugunsten der Forschung mein chirurgisches Spektrum einschränken und mich auf das konzentrieren, worin ich spezialisiert bin und was ich in höchster Qualität leisten kann: die endokrinologische Chirurgie. Das heißt, ich operiere vor allem Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen.“ In der Grundlagenforschung ist Nicolas Schlegel mit insgesamt drei persönlichen Schwerpunkten breiter aufgestellt: chronisch entzündliche Darmerkrankungen, kolorektale Karzinome sowie Veränderungen nach bariatrischer Chirurgie. In der klinischen Forschung beschäftigt er sich mit der Endokrinen Chirurgie und Aspekten aus der perioperativen Medizin.

Stabilisierung der Darmbarriere als wichtiges Ziel

Im größten Projekt wird die Fehlregulation der Darmbarriere bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen untersucht. Dies geschieht unter anderem an Organoid-Modellen. „Wir sammeln hierfür bei Operationen anfallendes Restgewebe, das uns Patientinnen und Patienten spenden und züchten daraus Darmepithelstrukturen“, erklärt Nicolas Schlegel. „Viele Aspekte der Darmbarriere sind bereits verstanden, aber wir müssen noch Angriffspunkte validieren, damit schädliche Bakterien und Krankheitserreger nicht durch die Zellschicht des Darms ins Körperinnere eindringen und Entzündungen auslösen.“
Die Organoid-Technologie kommt auch in der Tumorforschung zum Einsatz. Nicolas Schlegel leitet den vom Bayerischen Zentrum für Krebsforschung (BZKF) geförderten Leuchtturm „Präklinische Modelle“, um Proof-of-Concept-Studien für alle Forschenden im BZKF-Netzwerk zu beschleunigen. Organoidmodelle reduzieren Tierversuche. Doch ganz ohne Tierversuche geht es nicht. So hält das UKW verschiedene chirurgische Tiermodelle vor, zum Beispiel für die Adipositaschirurgie. Hier wird seit Jahren erfolgreich ein Roux-en-Magen-Bypass zur Gewichtsreduktion eingesetzt. Die Prozesse, die nach der Veränderung der Magen-Darm-Passage ablaufen, wie Appetitregulation, metabolische Verbesserung des Stoffwechsels, Veränderung des Mikrobioms etc. sind jedoch noch nicht vollständig verstanden. „Wenn wir aber verstehen, was nach dem chirurgischen Eingriff passiert, können wir vielleicht auch molekulare Ziele entwickeln und diese in eine medikamentöse Therapie umsetzen, um die Patientinnen und Patienten auf die Operation vorzubereiten“, sagt Nicolas Schlegel.

Präkonditionierung sei das Stichwort, was Nicolas Schlegel zur Prähabilitation führt. Auch das gehört zur Viszeralchirurgie: den Körper optimal auf die Operation vorbereiten, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, Schäden zu minimieren und die Genesung zu fördern. Hier zeigen die so genannten Fast-Track-Programme bereits Erfolge: Die Operierten sind schneller wieder fit, früher zu Hause, und es gibt weniger Komplikationen.

Den Patienten von der Zelle bis zur Naht verstehen

Als Brückenbauer müsse er von jedem Bereich mindestens so viel verstehen, dass er die Kolleginnen und Kollegen aus der Grundlagenforschung, der klinischen Forschung und der Chirurgie zusammenbringen, ihre Fragen verstehen oder formulieren helfen kann, um das Fach weiterzuentwickeln. Denn die Forschung des Lehrstuhls ist so vielfältig wie die Viszeralchirurgie selbst: Sie reicht von molekularen Zusammenhängen über technische Aspekte bis hin zu der Frage, wie der Körper auf den chirurgischen Eingriff reagiert und wie das Zugangstrauma minimalisiert werden kann. „Chirurgie bedeutet nicht einfach, zwei Enden zusammenzunähen und zu hoffen, dass es heilt“, sagt Schlegel, der die Forschungsprojekte supervidiert. „Wir müssen den Patienten von der Zelle bis zur Naht verstehen. Wir müssen verstehen, wie die Zelle und das Gewebe auf unsere Eingriffe reagiert. Erst dann können wir präventiv oder therapeutisch eingreifen.“

Diese Denkweise möchte er auch dem Nachwuchs vermitteln. Hier habe er eine Vorbildfunktion. „Die Chirurginnen und Chirurginnen von morgen sollen molekulare Grundlagen verstehen, Studien beurteilen können, und lernen, dass sich Forschung und Chirurgie durchaus miteinander verbinden lassen“, bemerkt Schlegel, der derzeit vier naturwissenschaftliche und zwölf medizinische Doktorandinnen und Doktoranden betreut. Generell habe das UKW eine ideale Größe, in der sich die grundlagenwissenschaftlichen und klinischen Fächer und Bereiche begegnen und zusammenarbeiten können. Damit das so bleibt und gegebenenfalls noch besser wird, engagiert sich Nicolas Schlegel in verschiedenen Gremien.

Werdegang von Nicolas Schlegel

Nicolas Schlegel wurde 1979 in Lörrach geboren, wuchs in Donaueschingen auf und kam im Sommersemester 2000 zum Medizinstudium nach Würzburg. Nach dem Physikum begann er seine Doktorarbeit in der Neuroanatomie und gab als Tutor Präparierkurse am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg. Nach dem Staatsexamen im Jahr 2006 arbeitete Nicolas Schlegel zunächst als wissenschaftlicher Assistent in der Grundlagenforschung, unterrichtete Studierende in Anatomie und schuf so den Grundstein für seine heutige Tätigkeit. Im Jahr 2009 wurde er Assistenzarzt an der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Kinderchirurgie des UKW, wo er 2015 die Facharztprüfung ablegte. Ein Jahr später übernahm er die Leitung des Schwerpunktes Endokrine Chirurgie, 2018 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt, im Jahr darauf erhielt er den Ruf auf die W3-Professur für Experimentelle Viszeralchirurgie und im Dezember 2024 auf den gleichnamigen Lehrstuhl. Nicolas Schlegel ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie bei Kitzingen.

Details zum Lehrstuhl Experimentelle Viszeralchirurgie und zum Team finden Sie hier

Text: KL /Wissenschaftsredaktion

Nicolas Schlegel steht im weißen Arztkittel mit verschränkten Armen in der Magistrale des Zentrums für Operative Medizin
Prof. Dr. Nicolas Schlegel ist Inhaber des neu geschaffenen Lehrstuhls für Experimentelle Viszeralchirurgie am Uniklinikum Würzburg © Ulrich Bender