Aktuelle Pressemitteilungen

Sensibilisierung für Veranlagung und Vorbeugung von Krebs

Universitätsklinikum Würzburg beteiligt sich an europäischer Initiative „PreventNCD“ zur Krebsprävention

 

Im Rahmen der europäischen Initiative „PreventNCD“ will das UKW durch innovative genetische Diagnostik und telemedizinische Beratung Krebserkrankungen frühzeitig erkennen und besser verhindern. Unter der Leitung von Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann wird ein neues, interdisziplinäres Modell entwickelt, das moderne Technologien und die Expertise von „Genetic Counselors“ kombiniert, um die Krebsprävention in Europa zu verbessern.

 

Die vier Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter stehen nebeneinander im Gang des Zentrums für Innere Medizin.
Engagieren sich in der europäischen Joint Action „Prevent Non-Communicable Diseases“ (PreventNCD): Annalisa Musola, Nele Löcher, Marie Schnürer, Matt McCrary und Anke Katharina Bergmann (v.l.n.r.) vom Institut für Klinische Genetik und Genommedizin (KGGM) am UKW. © Robert Wenzl / UKW
Porträts von J. Matt McCrary und Anke K. Bergmann vor Karte von Europa im Umriss und EU-Sternen
Dr. J. Matt McCrary koordiniert die Würzburger Projektbeteiligung an der europäischen Joint Action „Prevent Non-Communicable Diseases“ (PreventNCD). Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann leitet das Projekt. Collage: UKW / privat / Canva

Würzburg. „Wir müssen weg von der Reparaturmedizin hin zur Gesundheiterhaltung.“ Mit diesen Worten stellte Bayerns Gesundheits- und Präventionsministerin Judith Gerlach am 1. Oktober den Masterplan Prävention des Staatsministeriums für Gesundheit, Pflege und Prävention vor. 250 konkrete Maßnahmen wurden im Masterplan festgelegt – von landesweit kostenlosen, niedrigschwelligen Sportangeboten über Qualitätsverbesserung des Schulessens bis hin zu neuen Vorsorgemöglichkeiten. Prävention wird auch am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) großgeschrieben. Seit kurzem ist das UKW offizieller Kooperationspartner der europäischen Joint Action „Prevent Non-Communicable Diseases“ (PreventNCD). In dieser Initiative arbeiten 25 europäische Länder zusammen, um neue Präventionsstrategien und Überwachungssysteme für nicht übertragbare Erkrankungen (NCD) zu entwickeln – mit einem besonderen Fokus auf Krebs. Das Ziel von PreventNCD besteht darin, frühe Risikofaktoren zu identifizieren und eine individuelle, präventive Versorgung zu etablieren, die zur zeitigen Diagnose, besseren Behandlung und idealerweise zur Vermeidung von Krebserkrankungen führt.

Neue innovative Versorgungsmodelle: KI und Genetic Counselors zur Früherkennung genetischer Krebsrisiken 

„Die frühzeitige Identifikation genetischer Risikofaktoren ist entscheidend, um Krebserkrankungen gezielt zu diagnostizieren und die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern“, erklärt Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann, Projektleiterin am UKW. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich darauf, die genetische Beratung und Diagnostik für Krebspatienten bis 35 Jahre zu optimieren. Moderne digitale Tools, die mit künstlicher Intelligenz die medizinischen Unterlagen der Patientinnen und Patienten analysieren, sollen auf genetische Risikofaktoren hinweisen. Wird ein solcher Risikofaktor erkannt, erfolgt eine gezielte Weiterverweisung an spezialisierte genetische Beraterinnen und Berater.

Die Einbindung der sogenannten „Genetic Counselors“ ist ein wesentlicher Bestandteil des Projekts. Sie sind speziell ausgebildet, um Patientinnen und Patienten bei der Interpretation genetischer Informationen zu unterstützen und weitere Schritte der genetischen Beratung, Diagnostik und Einleitung von Präventionsmaßnahmen zu koordinieren. „In Deutschland sind Genetic Counselors noch keine offiziell anerkannte Berufsgruppe, aber ihre Arbeit ist essentiell, um die Fachärztinnen und Fachärzte für Humangenetik zu entlasten und ihnen zu ermöglichen, sich auf komplexere diagnostische und therapeutische Entscheidungen zu konzentrieren“, so Dr. J. Matt McCrary, Koordinator des Projektes. 

Telemedizinische Ansätze für eine breitere Versorgung

Ein weiteres Ziel der Initiative ist es, durch den Einsatz von Telemedizin den Zugang zur genetischen Beratung für Patienten in ländlichen oder abgelegenen Regionen zu verbessern. Telemedizinische Beratung hat sich bereits in anderen Projekten, wie etwa dem OnkoRisk-NET-Projekt, als sehr erfolgreich erwiesen. Anke Katharina Bergmann erklärt: „In OnkoRisk-NET nutzten neun von zehn Patienten ein telemedizinisches Aufklärungsgespräch, während nur 30 bis 40 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine traditionelle Telefonnummer eines Humangenetikers erhielten, den Termin wahrnahmen.“ Auch im EU-Projekt CAN.HEAL arbeiteten Bergmann und McCrary bereits an der Implementierung telemedizinischer Ansätze in die genetische Beratung.

Ziel der Studien und Analysen ist es, administrative Engpässe zu verringern, standardisierte Prozesse zu schaffen und eine genetische Beratung zu entwickeln, die für alle Patientinnen und Patienten in Europa zugänglich ist. Anke Bergmann erklärt: „Durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wollen wir nicht nur die genetische Diagnostik und Beratung verbessern, sondern auch wirksame Präventionsstrategien entwickeln, die europaweit implementiert werden können.“

Frühzeitige Erkennung genetischer Prädispositionen für eine bessere Krebsprävention

Etwa zehn Prozent aller Krebserkrankungen sind genetisch bedingt. Besonders bekannt sind die BRCA1- und BRCA2-Mutationen, die das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs erhöhen. Doch auch andere genetische Prädispositionen, wie das Li-Fraumeni-Syndrom oder Tumore im Kindesalter, erfordern eine frühe Identifikation. Bergmann betont, dass, obwohl in vielen Bereichen der genetischen Früherkennung bereits Fortschritte erzielt wurden, noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist, um das volle Potenzial der genetischen Diagnostik auszuschöpfen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil von PreventNCD ist die Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten und medizinischem Personal in der genetischen Früherkennung. „Wir müssen das Bewusstsein für die Relevanz der genetischen Diagnostik in Kliniken und Praxen wecken und Ärzten die Scheu vor genetischen Untersuchungen nehmen“, erklärt Anke Bergmann. Insbesondere das Gendiagnostikgesetz (GenDG) in Deutschland, das strikte regulatorische Vorgaben für genetische Tests vorsieht, sorgt häufig für Unsicherheiten unter Ärztinnen und Ärzten. Dabei sind genetische Untersuchungen bei Erkrankungen mit nachgewiesener oder vermuteter genetischer Komponente nicht nur erlaubt, sondern in vielen S3-Leitlinien ausdrücklich vorgesehen.

Mit der Beteiligung an der EU-Initiative PreventNCD verfolgt das UKW das Ziel, die Krebsprävention und -behandlung auf ein neues Level zu heben. „Unser Ziel ist es, Patientinnen und Patienten mit genetischer Prädisposition frühzeitig zu identifizieren, die Ursachen zu diagnostizieren und konkrete Maßnahmen für eine verbesserte Therapie und Nachsorge abzuleiten“, so Prof. Bergmann abschließend.

Weitere Informationen

Mit dem Masterplan Prävention, der den Bayerischen Präventionsplan vom 2015 ablöst, bündelt das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention die Kräfte für mehr Gesundheitsbewusstsein, Gesundheitsförderung, Vorsorge und Früherkennung in Bayern. Damit jede und jeder den ganz persönlichen „Masterplan Prävention“ finden kann. Webseite: Vorsorge - Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention

Zum Thema Tumorprädisposition gibt es am UKW im Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCC MF) eine neue in ihrer Interdisziplinarität einzigartige Sprechstunde zwischen Onkologie (Privatdozentin Dr. Barbara Deschler-Baier), Humangenetik (Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann) und Pädiatrie (Prof. Dr. Matthias Eyrich). Zur Webseite des Instituts

Details zu Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann finden Sie in der Pressemeldung vom 14.11.2024 anlässlich ihrer Berufung auf die Professur für Klinische Genetik und Genommedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg.

Details zum neuen Institut für Klinische Genetik und Genommedizin finden Sie in der Pressemeldung vom 30.09.2025.

 

Die vier Mitarbeiterinnen und der Mitarbeiter stehen nebeneinander im Gang des Zentrums für Innere Medizin.
Engagieren sich in der europäischen Joint Action „Prevent Non-Communicable Diseases“ (PreventNCD): Annalisa Musola, Nele Löcher, Marie Schnürer, Matt McCrary und Anke Katharina Bergmann (v.l.n.r.) vom Institut für Klinische Genetik und Genommedizin (KGGM) am UKW. © Robert Wenzl / UKW
Porträts von J. Matt McCrary und Anke K. Bergmann vor Karte von Europa im Umriss und EU-Sternen
Dr. J. Matt McCrary koordiniert die Würzburger Projektbeteiligung an der europäischen Joint Action „Prevent Non-Communicable Diseases“ (PreventNCD). Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann leitet das Projekt. Collage: UKW / privat / Canva

Warum der Energietransport des Herzens bei Hypertropher Kardiomyopathie versagt

OXIDATIVER STRESS SCHALTET KREATINKINASE AN WICHTIGEN STELLEN AUS, SODASS DAS HERZ AUS DEM ENERGIEGLEICHGEWICHT KOMMT

Forschende aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz zeigen in einer internationalen, multizentrischen Studie im Journal Circulation, warum der Energietransport bei der Hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) versagen kann und wie sich durch eine Verringerung der Herzbelastung und des oxidativen Stresses Rhythmusstörungen reduzieren lassen.

 

Hier sieht man die 3D-Struktur der mitochondrialen Kreatinkinase, auch Mt-CK genannt (Proteinstruktur-Code 4Z9M). Es handelt sich um ein Enzym, das aus acht Teilen besteht. Es sorgt dafür, dass die Herzmuskelzellen Energie haben und diese auch wieder speichern können. So können sie weiter schlagen. Die einzelnen Bausteine des Enzyms (Monomere) sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die dunkelblauen Punkte zeigen, wo die Bindungsstellen für die energietragenden Moleküle (ATP, ADP) und Kreatin/Phosphokreatin (Cr/PCr) sind. Die roten Markierungen zeigen drei einzelne Cystein-Stellen (Cys63, Cys67 und Cys90) an, die bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie oxidiert vorgefunden wurden. Wenn man sich das Ganze vergrößert, liegen die Cysteine ungefähr 6,5–14,8 Å (also 0,7–1,5 nm) voneinander entfernt. Das ist zu weit, um stabile (Disulfid-)Brücken zu bilden. Das könnte bedeuten, dass Oxidation bei HCM-Patienten die Mt-CK-Proteinstruktur auf eine Weise verändert, die die Anlagerung des Enzyms an Membranlipide schwächt.
Die Abbildung zeigt die 3D-Struktur der mitochondrialen Kreatinkinase (Mt-CK; Proteinstruktur-Code 4Z9M). Ein oktameres Enzym, das den Energiefluss und -puffer in Herzmuskelzellen ermöglicht und den stetigen Herzschlag erhält. Die einzelnen Bausteine des Enzyms (Monomere) sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die dunkelblauen Punkte markieren die Bindungsstellen für energietragende Moleküle (ATP, ADP) und Kreatin/Phosphokreatin (Cr/PCr). Die roten Markierungen heben drei einzelne Cystein-Stellen (Cys63, Cys67 und Cys90) hervor, die bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie oxidiert vorgefunden wurden. In der vergrößerten Ansicht liegen diese Cysteine etwa 6,5–14,8 Å (ca. 0,7–1,5 nm) voneinander entfernt, was zu weit ist, um stabilisierende (Disulfid-)Brücken zu bilden. Das könnte darauf hindeuten, dass Oxidation in HCM Patienten die Mt-CK Proteinstruktur auf eine Weise beeinträchtigt, die beispielsweise die Anlagerung des Enzyms an Membranlipide schwächt.
Vasco Sequeira im Labor mit weißem Kittel am Mikroskop
Der Wissenschaftler Dr. Vasco Sequeira erforscht am DZHI den oxidativen Stress, der das Herz belastet. © Daniel Peter / UKW
9 Forschende stehen in Freizeitkleidung vor einem Geländer, im Hintergrund ist das Stadtbild von Osaka bei Nacht, Hochhäuser und bunt erleuchtete Straßen
Das Team von der Universitätsmedizin Würzburg zu Besuch bei den Kooperationspartnern in Osaka. © Katrin Streckfuß-Bömeke

Würzburg. Die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) ist die häufigste erblich bedingte Herzerkrankung. Sie führt dazu, dass sich die linke Herzkammer verdickt, der Herzmuskel zu stark kontrahiert und übermäßig hart arbeitet. Diese zusätzliche Belastung strapaziert das Energiesystem der Zellen, die Mitochondrien, und kann das Risiko für gefährliche Herzrhythmusstörungen erhöhen. Eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Energieverbrauch und -produktion (Energiehomöostase) spielt die Kreatinkinase. Das Enzym hilft dem Herzen, Energie schnell zu recyceln, sodass jeder Herzschlag die benötigte Energie erhält. Welche Rolle die Kreatinkinase bei der HCM spielt, untersuchten Mitarbeiter des Departments Translationale Forschung am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) gemeinsam mit nationalen und internationalen Kooperationspartnern. Die Erkenntnisse wurden im Journal Circulation veröffentlicht.

Starke Herzkontraktionen erhöhen Wasserstoffperoxid in Mitochondrien – Kreatinkinase wird ausgeschaltet

„Wir stellten fest, dass eine Überlastung des Herzmuskels dazu führt, dass die Mitochondrien mehr Wasserstoffperoxid produzieren. Dieses reaktive Sauerstoffmolekül kommt in kleinen Mengen normalerweise als Nebenprodukt vor, zu viel davon jedoch kann die Zellen über längere Zeit stressen oder schädigen. Bei der HCM schaltet der sogenannte oxidative Stress die Kreatinkinase an zwei wichtigen Stellen aus: an den Filamenten, wo die Muskelkraft entsteht, und an den Mitochondrien, wo Energie produziert wird“, erläutert Anton Xu, Doktorand am DZHI und Erstautor der Studie. „Das heißt: Wenn die Kreatinkinase ausgeschaltet ist, kann das Herz die Energie nicht dort konstant halten, wo sie am meisten benötigt wird. Das erhöht das Risiko von Herzrhythmusstörungen und verursacht zusätzlichen Stress.“

Mit Myosinhemmern die Kontraktionen verringern und so die Kreatinkinase schützen und Herzrhythmusprobleme reduzieren

Das Team konnte diese Veränderungen in Herzbiopsien von Menschen mit HCM beobachten und sowohl die Ursache als auch die positive Wirkung eines Myosinhemmers in mehreren Labormodellen bestätigen. Myosinhemmer reduzieren die Wechselwirkung zwischen den Eiweißstoffen Aktin und Myosin, was zu einer entspannteren Herzmuskulatur führt. „In unseren Untersuchungen konnten wir zudem zeigen, dass sich unter der Wirkung des Myosinhemmers der Wasserstoffperoxidspiegel senkte, die Kreatinkinase-Funktion erhalten blieb und sich abnormale Herzrhythmen verringerten“, berichtet Dr. Vasco Sequeira, Letztautor der Studie. „Unsere Ergebnisse deuten also darauf hin, dass Behandlungen, die die Arbeitsbelastung des Herzens reduzieren und oxidativen Stress begrenzen, dazu beitragen können, das Energiegleichgewicht wiederherzustellen und die Behandlungsergebnisse bei HCM zu verbessern.“ 

Myosinmotoren des Herzens während jedes Herzschlags in Echtzeit beobachten

Im nächsten Schritt fokussiert sich das Team auf eine fortgeschrittene Form der Kardiomyopathie: die hypertrophe, obstruktive Kardiomyopathie (HOCM). Bei dieser Erkrankung verursacht eine Verengung im Ausflusstrakt der linken Herzkammer einen zusätzlichen Widerstand für das aus dem Herzen fließende Blut. Dadurch muss das Herz bei jedem Schlag noch stärker arbeiten. Zusammen mit Partnern am National Cerebral and Cardiovascular Center in Osaka wollen die Forschenden aus Würzburg realistische Tiermodelle entwickeln. Mithilfe eines speziellen hochauflösenden Röntgensystems können sie dann am japanischen Synchrotron Radiation Research Institute Spring 8 in Harima die winzigen Myosinmotoren des Herzens, also die molekularen Maschinen für die Kontraktion, während jedes Herzschlags in Echtzeit beobachten. 

„Dies gibt uns einen beispiellosen Einblick in die Arbeit des Herzens, Schlag für Schlag, und ermöglicht es uns, zu untersuchen, wie gut die kleinsten Blutgefäße den Herzmuskel mit Blut versorgen und wie effizient diese Zellen Energie produzieren und transportieren“, erzählt Vasco Sequeira begeistert.

Messwerte entwickeln, um Patienten zu identifizieren, die von der Behandlung profitieren

Um die Realität besser abzubilden, wird das Team auch metabolischen Stress untersuchen, beispielsweise die negativen Auswirkungen einer fettreichen Ernährung. Im Anschluss soll ebenfalls geprüft werden, ob die Verringerung der obstruktionsbedingten Belastung des Herzmuskels durch Myosinhemmer den Energietransport des Herzens wiederherstellt, die Energieversorgung stabilisiert und das Risiko von Herzrhythmusstörungen reduziert. 

„Unser Ziel ist es, einfache Messwerte zu entwickeln, die Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, diejenigen Patienten und Patientinnen mit HOCM zu identifizieren, die am ehesten von diesen entlastenden Behandlungen profitieren“, resümiert Prof. Dr. Christoph Maack, Leiter der Translationalen Forschung und Sprecher des DZHI.

Multizentrische Zusammenarbeit und Förderungen

Neben dem Universitätsklinikum Würzburg (UKW) waren folgende Institutionen beteiligt: National Cerebral and Cardiovascular Center (Japan), Monash University und Victor Chang Cardiac Research Institute (Australien), Erasmus MC und Amsterdam UMC (Niederlande), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/DZHK, University of Glasgow (UK) und University of Porto (Portugal) sowie Kooperationspartner in den USA wie die Mississippi State University und die Vanderbilt University.

Die Arbeit wurde durch nationale und internationale Einrichtungen unterstützt, darunter die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und die Japan Society for the Promotion of Science (JSPS). Bristol Myers Squibb leistete Unterstützung im Zusammenhang mit dem in einigen Experimenten verwendeten Myosin-Inhibitor.

Publikation
Anton Xu, David Weissman, Katharina J. Ermer, Edoardo Bertero, Jan M. Federspiel, Felix Stadler, Elisa Grünler, Melina Tangos, Sevasti Zervou, Mark T. Waddingham, James T. Pearson, Jan-Christian Reil, Smita Scholtz, Jan Dudek, Michael Kohlhaas, Alexander G. Nickel, Lucie Carrier, Thomas Eschenhagen, Michelle Michels, Cris Dos Remedios, Sean Lal, Leticia Prates Roma, Nazha Hamdani, Diederik Kuster, Inês Falcão-Pires, Christopher N. Johnson, Craig A. Lygate, Jolanda van der Velden, Christoph Maack, Vasco Sequeira. Hypercontractility and Oxidative Stress Drive Creatine Kinase Dysfunction in Hypertrophic Cardiomyopathy, Circulation (American Heart Associationi), October 2025, https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.125.074120

Hier sieht man die 3D-Struktur der mitochondrialen Kreatinkinase, auch Mt-CK genannt (Proteinstruktur-Code 4Z9M). Es handelt sich um ein Enzym, das aus acht Teilen besteht. Es sorgt dafür, dass die Herzmuskelzellen Energie haben und diese auch wieder speichern können. So können sie weiter schlagen. Die einzelnen Bausteine des Enzyms (Monomere) sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die dunkelblauen Punkte zeigen, wo die Bindungsstellen für die energietragenden Moleküle (ATP, ADP) und Kreatin/Phosphokreatin (Cr/PCr) sind. Die roten Markierungen zeigen drei einzelne Cystein-Stellen (Cys63, Cys67 und Cys90) an, die bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie oxidiert vorgefunden wurden. Wenn man sich das Ganze vergrößert, liegen die Cysteine ungefähr 6,5–14,8 Å (also 0,7–1,5 nm) voneinander entfernt. Das ist zu weit, um stabile (Disulfid-)Brücken zu bilden. Das könnte bedeuten, dass Oxidation bei HCM-Patienten die Mt-CK-Proteinstruktur auf eine Weise verändert, die die Anlagerung des Enzyms an Membranlipide schwächt.
Die Abbildung zeigt die 3D-Struktur der mitochondrialen Kreatinkinase (Mt-CK; Proteinstruktur-Code 4Z9M). Ein oktameres Enzym, das den Energiefluss und -puffer in Herzmuskelzellen ermöglicht und den stetigen Herzschlag erhält. Die einzelnen Bausteine des Enzyms (Monomere) sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die dunkelblauen Punkte markieren die Bindungsstellen für energietragende Moleküle (ATP, ADP) und Kreatin/Phosphokreatin (Cr/PCr). Die roten Markierungen heben drei einzelne Cystein-Stellen (Cys63, Cys67 und Cys90) hervor, die bei Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie oxidiert vorgefunden wurden. In der vergrößerten Ansicht liegen diese Cysteine etwa 6,5–14,8 Å (ca. 0,7–1,5 nm) voneinander entfernt, was zu weit ist, um stabilisierende (Disulfid-)Brücken zu bilden. Das könnte darauf hindeuten, dass Oxidation in HCM Patienten die Mt-CK Proteinstruktur auf eine Weise beeinträchtigt, die beispielsweise die Anlagerung des Enzyms an Membranlipide schwächt.
Vasco Sequeira im Labor mit weißem Kittel am Mikroskop
Der Wissenschaftler Dr. Vasco Sequeira erforscht am DZHI den oxidativen Stress, der das Herz belastet. © Daniel Peter / UKW
9 Forschende stehen in Freizeitkleidung vor einem Geländer, im Hintergrund ist das Stadtbild von Osaka bei Nacht, Hochhäuser und bunt erleuchtete Straßen
Das Team von der Universitätsmedizin Würzburg zu Besuch bei den Kooperationspartnern in Osaka. © Katrin Streckfuß-Bömeke

Claudia Löffler erhält Professur für Integrative Onkologische Medizin

Bei der Integrativen Onkologie werden komplementäre Methoden wie Akupunktur oder Sport auf wissenschaftlicher Basis gezielt mit dem onkologischen Behandlungsplan kombiniert und auf diesen abgestimmt

Claudia Löffler mit Jeans und dunklem Blazer kniet in einem liebevoll angelegten Garten
Claudia Löffler, Fachärztin für Fachärztin für Innere Medizin sowie Hämatologie und Onkologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II am UKW, ist sehr naturverbunden und bietet im Comprehensive Cancer Center auch eine naturheilkundliche Sprechstunde an. © Stefan Bausewein
Porträt von Prof. Dr. Claudia Löffler in weißem Kittel - hinten ist unscharf der Gang im ZIM ZOM zu erkennen.
Prof. Dr. Claudia Löffler trat im Oktober 2025 am Uniklinikum Würzburg die Professur für Integrative Onkologische Medizin an. © Daniel Peter

Würzburg. Claudia Löffler wollte schon immer sinnstiftend arbeiten. Sie studierte Humanmedizin an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg, und arbeitet seit 2009 in der Hämatoonkologie der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). Als frisch gebackene Ärztin stellte sie jedoch schnell fest, dass sie mit dem Handwerkszeug, das sie im Studium mitbekommen hatte, ihrem eigenen Anspruch an den Beruf der Onkologin noch nicht gerecht wurde. Viele Patientinnen und Patienten wollten wissen, was sie selbst zum Behandlungserfolg beitragen können, welche Empfehlungen es gibt, um die Nebenwirkungen zu reduzieren und die Lebensqualität zu erhöhen. Damals hatte sie keine Antworten. Heute hat sie welche - passend zum Erkrankungsbild, zur Therapie und vor allem wissenschaftlich fundiert. 

„Man muss sowohl in der Onkologie als auch in der Komplementärmedizin sattelfest sein, um beide Verfahren sinnvoll aufeinander abstimmen zu können“

Bereits im Jahr 2016 startete Claudia Löffler am Comprehensive Cancer Center Mainfranken (CCC MF) mit einer neuen Sprechstunde für komplementäre Onkologie und integrative Medizin (KOI). Inzwischen leitet sie ein multiprofessionelles Team, das aus einer Ernährungswissenschaftlerin, Sportwissenschaftlerinnen, einer Psychologin sowie integrativmedizinisch spezialisierten Pflegekräften besteht. Sie selbst hat die Zusatzbezeichnungen Palliativmedizin, Ernährungsmedizin, Naturheilverfahren und Sportmedizin sowie Qualifikationen in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Mindful Self-Compassion. 

Doch was bedeuten die Begriffe "komplementär" und "integrativ" in der Krebstherapie, und wie verhalten sie sich zueinander? „Komplementär” steht für ergänzende Behandlungen, die zusätzlich zur konventionellen Medizin angewendet werden. Ob diese Verfahren wirksam und sicher sind, definiert dieser Begriff jedoch nicht. Diese Lücke schließt die Integrative Onkologie. Sie konzentriert sich auf die Linderung von Nebenwirkungen der Therapie oder Spätfolgen der Erkrankung und unterstützt Patientinnen und Patienten dabei, einen gesunden Lebensstil zu etablieren. Löffler verdeutlicht: „Wir wählen dabei Konzepte aus, deren Wirksamkeit entweder durch Evidenz belegt ist oder die zumindest sicher in der Anwendung sind.“ Mit Akupunktur, Pflanzenheilkunde, Ernährungs- und Bewegungsprogrammen sowie Mind-Body-Verfahren lassen sich zahlreiche Beschwerden lindern und die Lebensqualität verbessern. Sogar die Chancen, einen Rückfall zu verhindern, steigen. 

„Integrativ“ steht nicht nur für die Sicherheit und Wirksamkeit der ausgewählten Methoden, sondern auch dafür, dass die Interventionen sowohl auf das jeweilige onkologische Konzept als auch auf die Patientin oder den Patienten und ihre bzw. seine Ressourcen abgestimmt werden – im Sinne einer patienten- und ressourcenorientierten personalisierten Medizin. „Das heißt, man muss sowohl in der Onkologie als auch in der Komplementärmedizin sattelfest sein, um beide Verfahren sinnvoll aufeinander abstimmen zu können und Patientinnen und Patienten die bestmögliche Therapiekombination für ihre individuelle Situation bieten zu können“, sagt Claudia Löffler. 

Die Mutter eines Sohnes ist seit 2018 als Oberärztin im Interdisziplinären Onkologischen Tageszentrum (IOT) für die Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten zuständig. Das IOT ist eine interdisziplinäre Einrichtung der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Zusammenarbeit mit verschiedenen onkologischen Schwerpunkten anderer Kliniken innerhalb des CCC MF. Hier erhalten Krebspatientinnen und -patienten neben ihrer medikamentösen Tumortherapie auch unterstützende Behandlungsmethoden. 

„Die Professur ist ein wichtiges Signal dafür, dass Integrative Medizin nicht mehr als Randgebiet, sondern als wichtiger Teil einer modernen, patientenzentrierten Medizin angesehen wird.“

Im Oktober 2025 trat Claudia Löffler nun die neu geschaffene Professur für Integrative Onkologische Medizin an. Damit erhält ihre Arbeit, die systematische Kombination aus Onkologie und evidenzbasierten komplementären Methoden, den wissenschaftlichen Ritterschlag. „Die Professur ist ein wichtiges Signal dafür, dass Integrative Medizin nicht mehr als Randgebiet, sondern als wichtiger Teil einer modernen, patientenzentrierten Medizin angesehen wird. Die Professur signalisiert, dass es möglich und notwendig ist, ganzheitliche Medizin evidenzbasiert zu etablieren, die Wirksamkeit und Sicherheit der Verfahren in Studien weiter zu erforschen und das Potenzial auch der nächsten Generation in den Gesundheitsberufen frühestmöglich zu vermitteln. Das freut mich sehr“, sagt Claudia Löffler. 

Ein ausführliches Porträt über Prof. Dr. Claudia Löffler finden Sie in unserer Serie #WomenInScience 

Text und Interview von Kirstin Linkamp (Wissenschaftskommunikation) 

Claudia Löffler mit Jeans und dunklem Blazer kniet in einem liebevoll angelegten Garten
Claudia Löffler, Fachärztin für Fachärztin für Innere Medizin sowie Hämatologie und Onkologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II am UKW, ist sehr naturverbunden und bietet im Comprehensive Cancer Center auch eine naturheilkundliche Sprechstunde an. © Stefan Bausewein
Porträt von Prof. Dr. Claudia Löffler in weißem Kittel - hinten ist unscharf der Gang im ZIM ZOM zu erkennen.
Prof. Dr. Claudia Löffler trat im Oktober 2025 am Uniklinikum Würzburg die Professur für Integrative Onkologische Medizin an. © Daniel Peter

Wieder in Verbindung treten

Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Sebastian Walther hat in einer neuen Studie gezeigt, dass sich die sozialen Fähigkeiten von Menschen mit Schizophrenie durch eine Kombination aus Hirnstimulation und sozialkognitivem Gruppentraining gezielt verbessern lassen. In der im Fachjournal Nature Molecular Psychiatry veröffentlichten klinischen Studie wurde untersucht, ob sogenannte Gestendefizite, also die Schwierigkeit, Hand- und Armbewegungen zur Kommunikation einzusetzen, durch die Verbindung von repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) und sozialkognitiver Remediationstherapie (SCRT) behandelt werden können.

Porträtbild von Sebastian Walther im grauen Anzug und hellblauer Krawatte, dunkle Brille - im Hintergrund verschwommen ein Flur mit Säulen zu sehen.
Prof. Dr. Sebastian Walther zeigte, dass sich die sozialen Fähigkeiten von Menschen mit Schizophrenie durch eine Kombination aus Hirnstimulation und sozialkognitivem Gruppentraining gezielt verbessern lassen. © Anna Wenzl / UKW

Würzburg. Gesten sind ein integraler Bestandteil menschlicher Kommunikation und verknüpfen Denken, Emotionen und soziale Verbindungen miteinander. Fehlen sie, leidet nicht nur das Gespräch, sondern auch das Gefühl von gegenseitigem Verständnis. Viele Menschen mit Schizophrenie haben jedoch Schwierigkeiten, solche Bewegungen korrekt auszuführen oder zu verstehen. Dies kann ihre sozialen Kontakte und Alltagsfähigkeit beeinträchtigen. Schizophrenie zählt zu den zentralen Forschungsschwerpunkten von Prof. Dr. Sebastian Walther, dem Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg (UKW). Zusammen mit seinem Team in Bern – bevor Walther im Oktober 2024 Klinikdirektor in Würzburg wurde, war er in Bern stellvertretender Klinikdirektor und Chefarzt der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie – untersuchte er, ob eine Kombination aus repetitiver transkranieller Magnetstimulation und sozialkognitiver Remediationstherapie helfen kann, diese Defizite zu verringern.

Repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) und sozialkognitive Remediationstherapie (SCRT)

Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) handelt es sich um ein nicht-invasives medizinisches Verfahren, bei dem über einen Zeitraum von mehreren Wochen mittels Magnetimpulsen bestimmte Bereiche des Gehirns gezielt angeregt oder gehemmt werden. Die sozialkognitive Remediationstherapie (SCRT) ist eine psychologische Behandlungsmethode, die darauf abzielt, die sozialen Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten zu verbessern. Das Training hilft Menschen, soziale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall besser wahrzunehmen, Gedanken und Gefühle anderer genauer einzuschätzen und dadurch in sozialen Situationen sicherer zu werden.

Insgesamt nahmen 89 Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung an der dreiarmigen, randomisierten, doppelblinden Studie teil. Von diesen erhielten 73 Personen mindestens eine Sitzung. 19 Teilnehmende erfuhren über einen Zeitraum von zwei Wochen zehn Sitzungen mit echter rTMS über den rechten unteren Parietallappen, der an der Steuerung von Gesten beteiligt ist. Diese Sitzungen wurden in Kombination mit 16 SCRT-Gruppensitzungen über einen Zeitraum von acht Wochen durchgeführt. 26 Teilnehmende erhielten eine Schein-rTMS in Kombination mit echter SCRT und 28 Personen eine Schein-SCRT. 

Verbesserung der Gestenfähigkeit und der sozialen und alltagspraktischen Funktionsfähigkeit

Zu den Ergebnissen, die gerade im Fachjournal Nature Molecular Psychiatry veröffentlicht wurden: Insgesamt verbesserten sich die Gestenfähigkeiten aller Teilnehmenden im Laufe der Zeit. Das heißt: Ein soziales Miteinander allein ist bereits förderlich, wie die Kontrollgruppe mit Scheintherapien gezeigt hat. Besonders deutlich war der Effekt jedoch bei den Personen, die die Kombination aus echter rTMS und echter SCRT erhielten. In dieser Gruppe zeigten sich nicht nur Fortschritte bei bestimmten Gestenarten, insbesondere bei neu erlernten, bedeutungslosen Bewegungen, sondern auch eine spürbare Verbesserung der sozialen und alltagspraktischen Funktionsfähigkeit. Die positiven Effekte dieser sicheren und gut verträglichen Methode hielten auch Monate nach Ende der Behandlung an. 

„Die Ergebnisse legen nahe, dass die Kombination aus gezielter Hirnstimulation und sozialem Training ein vielversprechender Ansatz ist, um die Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten von Menschen mit Schizophrenie nachhaltig zu verbessern und ihnen dabei zu helfen, im Alltag besser zurechtzukommen“, fasst Sebastian Walther zusammen. Er betont jedoch, dass es sich hierbei um eine explorative Studie mit relativ kleiner Stichprobe handelt. Die Forschung müsse mit größeren Gruppen, optimierten Simulationstechniken und zusätzlicher bildgebender Kontrolle weitergeführt werden.

Publikation: Walther, S., Maderthaner, L., Chapellier, V. et al. Gesture deficits in psychosis and the combination of group psychotherapy and transcranial magnetic stimulation: A randomized clinical trial. Mol Psychiatry (2025). https://doi.org/10.1038/s41380-025-03303-7

Text: Wissenschaftskommunikation / KL

Porträtbild von Sebastian Walther im grauen Anzug und hellblauer Krawatte, dunkle Brille - im Hintergrund verschwommen ein Flur mit Säulen zu sehen.
Prof. Dr. Sebastian Walther zeigte, dass sich die sozialen Fähigkeiten von Menschen mit Schizophrenie durch eine Kombination aus Hirnstimulation und sozialkognitivem Gruppentraining gezielt verbessern lassen. © Anna Wenzl / UKW

Glaskörperersatz aus intelligentem Biohybrid-Hydrogel

Das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) fördert das Projekt namens „Biohybride Hydrogele als Glaskörperersatz für die vitreoretinale Chirurgie mit erhöhter Wirksamkeit“. Ein innovativer Polymerbaukasten kombiniert Biopolymere und synthetische Polymere und soll Nebenwirkungen nach Glaskörperoperationen reduzieren.

Collage aus den Porträts der beiden Wissenschaftler. Beide schauen in die Kamera, tragen Brille, Bart und helles Hemd. .
Dr. Jörg Teßmar (links) und Dr. Malik Salman Haider entwickeln mithilfe neuer chemischer und materialtechnischer Verfahren einen verbesserten Glaskörperersatz aus intelligentem Biohybrid-Hydrogel. © UKW

Würzburg. Vitreoretinale Erkrankungen sind Augenkrankheiten, die den Glaskörper (lateinisch Vitreum) und die Netzhaut (Retina) betreffen und schwerwiegende Folgen für das Sehvermögen haben. Unbehandelt können zum Beispiel Netzhautablösungen und die sogenannte proliferative diabetische Retinopathie, bei der neue, abnorme Blutgefäße die Netzhaut und den Glaskörper schädigen, zu dauerhaftem Sehverlust führen. Um den Schaden zu begrenzen, muss bei der Behandlung häufig der Glaskörper, also die gelartige Substanz im Inneren des Auges, entfernt und durch ein Ersatzmaterial, den sogenannten Glaskörperersatz, ausgetauscht werden. Derzeit kommen in der Medizin dafür spezielle Gase oder Silikonöl zum Einsatz. Diese Substanzen können jedoch erhebliche Nebenwirkungen haben und die Netzhaut sowie den Sehnerv schädigen. Es kann zu weiteren Sehstörungen, zur Bildung eines Grauen Stars (Katarakt) und zu einer Erhöhung des Augeninnendrucks (Glaukom) kommen. Manchmal ist auch eine weitere Operation notwendig, um das Silikonöl wieder zu entfernen.

Nebenwirkungen überwinden mit intelligenten Biohybrid-Hydrogelen

Die Naturwissenschaftler Dr. Malik Salman Haider, Leiter des Forschungslabors der Universitäts-Augenklinik, und Dr. Jörg Teßmar vom Lehrstuhl für Funktionsmaterialien der Medizin und Zahnheilkunde (FMZ) des Uniklinikums Würzburg (UKW) wollen diese Probleme in ihrem neuen Projekt „Biohybride Hydrogele als Glaskörperersatz für die vitreoretinale Chirurgie mit erhöhter Wirksamkeit“ lösen. Mithilfe neuer chemischer und materialtechnischer Verfahren wollen sie einen verbesserten Glaskörperersatz entwickeln. „Dabei setzen wir auf ein sogenanntes Biohybrid-Hydrogel – ein intelligentes Material, das als Tamponade fungiert und gleichzeitig die Schlüsselfunktionen des natürlichen Glaskörpers im Auge nachahmt“, erklärt Malik Salman Haider. 

Jörg Teßmar führt aus: „Die Stärke dieser Materialien liegt in einem innovativen Polymerbaukasten, der Biopolymere und synthetische Polymere kombiniert. Die natürlichen Komponenten werden voraussichtlich biokompatibel sein und dafür sorgen, dass der Glaskörperersatz gut verträglich ist, während die synthetischen Materialien dazu dienen, wichtige Eigenschaften wie Elastizität, Stabilität und Abbau kontrollierbar zu machen." Darüber hinaus bieten synthetische Polymere die Möglichkeit, bei Bedarf direkt im Auge Medikamente freizusetzen. 

Das Ziel besteht darin, modernste Chemie, Materialforschung und Augenmedizin zusammenzubringen, um bessere Ergebnisse bei Augenoperationen zu erzielen. Der Ansatz könnte darüber hinaus neue Forschungsmöglichkeiten in der Augenheilkunde eröffnen, etwa für die gezielte Freisetzung von Medikamenten oder die Entwicklung neuer Gewebeersatzstoffe – Stichwort Tissue Engineering.

IZKF fördert das Projekt drei Jahre lang mit Stellenfinanzierung 

Das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) fördert das Projekt T-531 über einen Zeitraum von drei Jahren. „Wir danken dem IZKF ganz herzlich für das entgegengebrachte Vertrauen und die finanzielle Unterstützung. Dadurch ist es uns möglich, unser Team zu vergrößern und mithilfe von Biohybrid-Hydrogelen bahnbrechende Lösungen in der vitreoretinalen Chirurgie zu erforschen“, sagt Malik Salman Haider. In den nächsten drei Jahren wird das Team, bestehend aus einem Medizinisch-Technischen Assistenten (MTA) und einem Doktoranden, intensiv daran arbeiten, die ehrgeizigen Ziele des Projekts zu erreichen.

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

Collage aus den Porträts der beiden Wissenschaftler. Beide schauen in die Kamera, tragen Brille, Bart und helles Hemd. .
Dr. Jörg Teßmar (links) und Dr. Malik Salman Haider entwickeln mithilfe neuer chemischer und materialtechnischer Verfahren einen verbesserten Glaskörperersatz aus intelligentem Biohybrid-Hydrogel. © UKW

Female Life Scientists Connect 2025: Frauen gestalten Medizin

Das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) der Universitätsmedizin Würzburg stärkt Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen mit dem Netzwerk-Workshop „Female Life Scientists Connect“ in Fulda

Die Teilnehmerinnen posieren draußen auf einer Hotelterrasse fürs Bild - vorne sitzen sechs Frauen auf zwei Sofas, dahinter gruppieren sich die anderen Frauen.
25 Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen aus den Nachwuchsprogrammen des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung (IZKF) entwickeln im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung „Female Life Scientists Connect“ Strategien für mehr Sichtbarkeit, Wirkungskraft und Chancengleichheit. © Jörg Fuchs / UKW
Die Teilnehmerinnen posieren draußen auf einer Hotelterrasse fürs Bild und winken -  vorne sitzen sechs Frauen auf zwei Sofas, dahinter gruppieren sich die anderen Frauen
Mit dem Netzwerk-Workshop „Female Life Scientists Connect“ stärkt das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) die Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen und schafft ein dauerhaftes Netzwerk wissenschaftlicher Kooperation und gegenseitiger Förderung. © Jörg Fuchs / UKW

Sichtbarkeit, Einfluss und Vernetzung: Diese Schlagworte prägen die Veranstaltung „Female Life Scientists Connect“, die am 16. und 17. Oktober in Fulda stattfindet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Frauen ihre Rollen in der medizinischen Forschung und Klinik stärken können – mit praxisnahen Workshops, Vorträgen und nachhaltigen Impulsen für Karriere und Gleichstellung.

Wissenschaft braucht mehr weibliche Stimmen

Noch immer sind Frauen in Führungspositionen in der medizinischen Forschung unterrepräsentiert. „Female Life Scientists Connect“ setzt hier an: Zwei Tage lang kommen 25 Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen aus den Nachwuchsprogrammen des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung (IZKF) zusammen, um Strategien für mehr Sichtbarkeit, Wirkungskraft und Chancengleichheit zu entwickeln. 

Am ersten Tag berichten erfolgreiche Medizinerinnen und Forscherinnen des Uniklinikums Würzburg unter dem Motto „Frauen gestalten Medizin“ von ihren Karrierewegen – offen, ermutigend und praxisnah. Neben der Endokrinologin Prof. Dr. Stefanie Hahner sprechen die Kinderchirurgin Dr. Sabine Drossard, Prof. Dr. Sophia Danhof, Fachärztin für Innere Medizin und Professorin für Zelluläre Immuntherapie von malignen Erkrankungen, sowie Prof. Dr. Anke Bergmann, Leiterin des Instituts für Klinische Genetik und Genommedizin. Eine virtuelle Keynote zum Gender Care Gap in der Wissenschaft kam von der Genderwissenschaftlerin Dr. Lena Eckert vom institute for critique and practice (icp). Nachmittags bietet Eventmanagerin Sigrun Weber von BITOU einen Workshop zum Thema „Frauennetzwerke stärken – Impulse weitertragen“. 

Netzwerken mit Wirkung

Höhepunkt des zweiten Tages ist der Workshop „Positionierung in Machtarenen – Mikropolitisches Networking und Impression Management in der Medizin“ mit Doris Cornils, Business-Coach, Autorin und Preisträgerin des „Chef*innensache Award“ des Europäischen Sozialfonds (ESF) und der Freien und Hansestadt Hamburg. Darin lernen die Teilnehmerinnen, wie sie sich in komplexen Forschungs- und Klinikstrukturen strategisch positionieren können.

Im Anschluss erhalten alle Teilnehmerinnen die Möglichkeit zu einem individuellen Einzelcoaching, um die Impulse direkt in den eigenen Arbeitsalltag zu übertragen.

Austausch für nachhaltige Förderung

Neben der persönlichen Weiterentwicklung steht auch der Aufbau langfristiger Peer-Netzwerke im Mittelpunkt. „Female Life Scientists Connect“ schafft Räume, in denen Frauen voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen und über Fachgrenzen hinweg verbinden können. Damit entsteht ein dauerhaftes Netzwerk wissenschaftlicher Kooperation und gegenseitiger Förderung.

„Mit ‚Female Life Scientists Connect‘ möchten wir nicht nur inspirieren, sondern auch konkrete Werkzeuge an die Hand geben, damit Frauen in der Medizin ihre Karrierewege selbstbewusst gestalten können“, unterstreicht Initiatorin Stefanie Hahner, die mehrere wissenschaftliche Nachwuchsprogramme im IZKF leitet. Ein Porträt von Stefanie Hahner ist in der UKW-Serie #WomenInScience. 

Mehr als ein Meeting

„Female Life Scientists Connect“ ist mehr als ein Meeting: Es ist ein Impuls für eine gleichberechtigte Zukunft in Medizin und Forschung – und setzt ein klares Zeichen für Gleichstellung und den Ausbau professioneller Netzwerke, nicht nur weiblicher.

Die Teilnehmerinnen posieren draußen auf einer Hotelterrasse fürs Bild - vorne sitzen sechs Frauen auf zwei Sofas, dahinter gruppieren sich die anderen Frauen.
25 Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen aus den Nachwuchsprogrammen des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung (IZKF) entwickeln im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung „Female Life Scientists Connect“ Strategien für mehr Sichtbarkeit, Wirkungskraft und Chancengleichheit. © Jörg Fuchs / UKW
Die Teilnehmerinnen posieren draußen auf einer Hotelterrasse fürs Bild und winken -  vorne sitzen sechs Frauen auf zwei Sofas, dahinter gruppieren sich die anderen Frauen
Mit dem Netzwerk-Workshop „Female Life Scientists Connect“ stärkt das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) die Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Ärztinnen und schafft ein dauerhaftes Netzwerk wissenschaftlicher Kooperation und gegenseitiger Förderung. © Jörg Fuchs / UKW

Wenn Handlungsplanungen und Bewegungen ausgebremst sind

Studie zeigt: Motorische Verlangsamung bei Schizophrenie hängt mit Veränderungen im Motorcortex zusammen / neue Ansätze für gezielte Therapien mit Magnetstimulation

Die Wissenschaftler Stephanie Lefebvre und Sebastian Walther stehen vor einem Bücherregal, Lefebvre hat braune gewellte Haare und einen roten Rollkragenpullover, Sebastian Walther trägt Anzug und helle Krawatte.
Neurowissenschaftlerin Dr. Stéphanie Lefebvre und Prof. Dr. Sebastian Walther, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, untersuchten die funktionelle Organisation des primären motorischen Kortex bei Psychosen und die potenzielle Rolle der Intereffektor-Regionen bei psychomotorischer Verlangsamung. © Dr. Florian Wüthrich / UKW
Die Grafik zeigt zwei Modelle eines Gehirns, bei denen die einzelnen Zonen dem Körper zugeteilt sind, links das alte Modell, rechts das neue.
Der klassische „Homunkulus“ (links) zeigt, wie verschiedene Körperteile im motorischen Bereich des Gehirns angeordnet sind. Das neue Modell (rechts) verdeutlicht, dass bestimmte Zonen für Hand, Fuß und Mund bestehen und dazwischen Bereiche liegen, die Bewegungen des ganzen Körpers miteinander koordinieren. © Gordon, E.M., Chauvin, R.J., Van, A.N. et al. A somato-cognitive action network alternates with effector regions in motor cortex. Nature 617, 351–359 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-05964-2
Die Abbildungen zeigen zwei Hypothesen: Patienten mit psychomotorischer Verlangsamung haben Veränderungen in den Intereffektor-Regionen; Konnektivität der Intereffektor-Regionen hängt mit Verhalten bei Patienten zusammen.
Früher nahm man an, dass der motorische Kortex mehrere eher unspezifische Signale empfängt, die gleichmäßig über die verschiedenen Bereiche verteilt sind. Das neue Modell zeigt dagegen, dass es bestimmte Zwischenregionen („Intereffektoren“) gibt, die gezielt Signale aus verschiedenen Quellen aufnehmen. Diese Regionen helfen dabei, die eigentlichen Bewegungszentren im motorischen Kortex besser miteinander zu koordinieren. ©2023 American Medical Association / JAMA Psychiatry. 2024;81(1):7-8. doi:10.1001/jamapsychiatry.2023.4290

Würzburg. Etwa ein Prozent der Bevölkerung erkrankt im Laufe des Lebens an Schizophrenie, einer schweren psychischen Erkrankung, die durch Störungen des Denkens, der Wahrnehmung, der Gefühle und oft auch des Verhaltens gekennzeichnet ist. Zwar ist Schizophrenie nicht heilbar, jedoch inzwischen gut mit medikamentösen und psychotherapeutischen Therapien behandelbar. Bei etwa 80 Prozent der Betroffenen treten jedoch unabhängig von den Nebenwirkungen der Antipsychotika motorische Störungen auf. Bei jedem zweiten Betroffenen sind die Bewegungen und auch die Gedankengänge verlangsamt. „Alles, was sie tun, ist langsamer, manchmal so stark, dass der Alltag nicht mehr allein bewältigt werden kann“, sagt Prof. Dr. Sebastian Walther, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Würzburg (UKW). Motorische Störungen bei psychiatrischen Erkrankungen zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. 

„Seit mehr als hundert Jahren ging man davon aus, dass jeder Muskel im Körper über einen festen Punkt in der Hirnrinde gesteuert wird. Die Darstellung dieses sogenannten motorischen Homunkulus, bei dem jedem Körperteil ein Bereich in der Hirnrinde zugeordnet wird, ist jedoch zu simpel und unzureichend“, berichtet Sebastian Walther. Vor zwei Jahren fanden US-amerikanische Forscher (Gordon et al., 2023, Nature) mithilfe von hochauflösender Bildgebung heraus, dass sich im Motorcortex spezialisierte Regionen für bestimmte Körperteile mit dazwischenliegenden Bereichen abwechseln. Diese sind nicht für einen einzelnen Muskel zuständig, sondern integrieren die Bewegungsplanung, Koordination und Signale aus dem Körper. Die Steuerung im Gehirn ist demnach kein linearer Aufbau, sondern ein Muster aus „Effektor-Zonen“ und „Integrations-Zonen“.

Kartierung des psychomotorischen Verhaltens im Gehirn

Diese für komplexe Bewegungen zuständigen integrativen Zonen sind höchstwahrscheinlich beteiligt an den Bewegungsauffälligkeiten unserer Patientinnen und Patienten. Sebastian Walther formulierte seine Hypothese bereits kurze Zeit später in der medizinischen Fachzeitschrift JAMA Psychiatry (Walther, Heckers 2024 JAMA Psychiatry). Nun konnte er die funktionelle Organisation des primären motorischen Kortex bei Psychosen und die potenzielle Rolle der Intereffektor-Regionen bei psychomotorischer Verlangsamung in der angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) belegen.

Veränderungen im primären Motorcortex hängen nicht per se mit der Erkrankung Schizophrenie zusammen

Bevor Walther im Oktober 2024 Klinikdirektor in Würzburg wurde, war er stellvertretender Klinikdirektor und Chefarzt der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern. Dort untersuchte er mit seinem Team funktionelle MRT-Bilder von 126 Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter Schizophrenie sowie von 43 gesunden Personen. Zunächst konnte er replizieren, was die US-amerikanischen Kollegen zwei Jahre zuvor publiziert hatten. Im zweiten Schritt bildeten die Forschenden den Kontrast und verglichen die funktionelle Konnektivität des Gehirns von Menschen mit Psychose mit der von gesunden Personen. Im dritten Schritt stellten sie Patienten, bei denen die Psychomotorik verlangsamt war, denen gegenüber, die keine psychomotorischen Einschränkungen hatten. 

„Wir haben gesehen, dass die Veränderungen nicht per se mit der Erkrankung Schizophrenie zusammenhängen, sondern nur bei Patientinnen und Patienten zu finden sind, deren Bewegungen verlangsamt sind. Bei ihnen waren die Regionen innerhalb des motorischen Kortex unterschiedlich verknüpft“, resümiert Sebastian Walther. 

Je stärker die Verlangsamung, desto stärker die Veränderung im primären motorischen Kortex

Mit seinem Team hat er die Gehirnaktivität zehn Minuten lang im Ruhezustand untersucht und dann analysiert, welche Bereiche des Gehirns miteinander kommunizieren und in den gleichen Frequenzen schwingen. „Hier waren die Unterschiede bereits signifikant“, so Walther. Doch wie stark hängen diese Veränderungen mit dem Verhalten zusammen? „Sehr stark“, antwortet er. „Je stärker die Verlangsamung, desto stärker ist auch die Veränderung im primären motorischen Kortex.“ Die tägliche Bewegungsmenge wurde mit einem Fitnesstracker gemessen, die Feinmotorik mit einem Geschicklichkeitstest, bei dem die Patientinnen und Patienten eine Münze zwischen ihren Fingern rotieren ließen. 

TMS: Magnet-Impuls-Training fürs Gehirn

Was bedeuten diese Forschungsergebnisse konkret für Patientinnen und Patienten? Der Leidensdruck ist groß bei denen, deren Bewegungen und Handlungsplanung stark verlangsamt sind. Pharmakologische Behandlungen gibt es bislang nicht. Hoffnung bietet die transkranielle Magnetstimulation (TMS). Sebastian Walther hat diese Methode bereits in einer randomisierten, doppelblinden Studie mit Patientinnen und Patienten mit starker Bewegungsverlangsamung erfolgreich getestet (Walther et al., 2024, JAMA Psychiatry). Bei der TMS werden kurze Magnetimpulse von außen durch den Schädel auf das Gehirn übertragen, um die gestörte Hirnaktivität zu beeinflussen und Netzwerke wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Gruppe, die eine gezielte Magnetstimulation erhielt, wurde deutlich beweglicher und zeigte die größten Verbesserungen, während die anderen Gruppen, die eine Placebo-TMS oder gar keine Behandlung erhielten, kaum Veränderungen zeigten. 

In der Studie wurde allerdings noch der prämotorische Kortex angesteuert, also ein Bereich weiter vorne im Frontallappen, der Bewegungen plant und koordiniert, bevor sie ausgeführt werden. „Mit den neuen Informationen aus der aktuellen PNAS-Publikation würden wir vielleicht genauer innerhalb des primärmotorischen Kortex auf die Intereffektoren zielen“, so Walther. Das wäre ein nächstes Forschungsprojekt. Zur Verstärkung seines Forschungsteams konnte er jetzt die Neurowissenschaftlerin Dr. Stéphanie Lefebvre fürs UKW gewinnen. Die Neurowissenschaftlerin war Postdoc in Walthers Arbeitsgruppe in Bern und ist Letztautorin der aktuellen und wegweisenden PNAS-Publikation.

Aktuelle Publikation: 
S. Walther, F. Wüthrich, A. Pavlidou, N. Nadesalingam, S. Heckers, M.G. Nuoffer, V. Chapellier, K. Stegmayer, L.V. Maderthaner, A. Kyrou, S. von Känel, & S. Lefebvre, Functional organization of the primary motor cortex in psychosis and the potential role of intereffector regions in psychomotor slowing, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (42) e2425388122, https://doi.org/10.1073/pnas.2425388122 (2025).

Weitere im Text erwähnte Publikationen:

Gordon, E.M., Chauvin, R.J., Van, A.N. et al. A somato-cognitive action network alternates with effector regions in motor cortex. Nature 617, 351–359 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-05964-2

Walther S, Heckers S. Mapping Psychomotor Behavior in the Brain. JAMA Psychiatry. 2024 Jan 1;81(1):7-8. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2023.4290. PMID: 37991744

Walther S, Alexaki D, Weiss F, Baumann-Gama D, Kyrou A, Nuoffer MG, Wüthrich F, Lefebvre S, Nadesalingam N. Psychomotor Slowing in Psychosis and Inhibitory Repetitive Transcranial Magnetic Stimulation: A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2024 Jun 1;81(6):563-571. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2024.0026. PMID: 38416468; PMCID: PMC10902782

Text: Wissenschaftskommunikation / KL 

Die Wissenschaftler Stephanie Lefebvre und Sebastian Walther stehen vor einem Bücherregal, Lefebvre hat braune gewellte Haare und einen roten Rollkragenpullover, Sebastian Walther trägt Anzug und helle Krawatte.
Neurowissenschaftlerin Dr. Stéphanie Lefebvre und Prof. Dr. Sebastian Walther, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, untersuchten die funktionelle Organisation des primären motorischen Kortex bei Psychosen und die potenzielle Rolle der Intereffektor-Regionen bei psychomotorischer Verlangsamung. © Dr. Florian Wüthrich / UKW
Die Grafik zeigt zwei Modelle eines Gehirns, bei denen die einzelnen Zonen dem Körper zugeteilt sind, links das alte Modell, rechts das neue.
Der klassische „Homunkulus“ (links) zeigt, wie verschiedene Körperteile im motorischen Bereich des Gehirns angeordnet sind. Das neue Modell (rechts) verdeutlicht, dass bestimmte Zonen für Hand, Fuß und Mund bestehen und dazwischen Bereiche liegen, die Bewegungen des ganzen Körpers miteinander koordinieren. © Gordon, E.M., Chauvin, R.J., Van, A.N. et al. A somato-cognitive action network alternates with effector regions in motor cortex. Nature 617, 351–359 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-05964-2
Die Abbildungen zeigen zwei Hypothesen: Patienten mit psychomotorischer Verlangsamung haben Veränderungen in den Intereffektor-Regionen; Konnektivität der Intereffektor-Regionen hängt mit Verhalten bei Patienten zusammen.
Früher nahm man an, dass der motorische Kortex mehrere eher unspezifische Signale empfängt, die gleichmäßig über die verschiedenen Bereiche verteilt sind. Das neue Modell zeigt dagegen, dass es bestimmte Zwischenregionen („Intereffektoren“) gibt, die gezielt Signale aus verschiedenen Quellen aufnehmen. Diese Regionen helfen dabei, die eigentlichen Bewegungszentren im motorischen Kortex besser miteinander zu koordinieren. ©2023 American Medical Association / JAMA Psychiatry. 2024;81(1):7-8. doi:10.1001/jamapsychiatry.2023.4290