Demenz vom Stigma befreien

Am Uniklinikum Würzburg hat Alexandra Wuttke die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. Sie möchte vor allem die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Demenzforschung in die Praxis bringen, Interventionen zur Stressreduktion für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen entwickeln und im Alltag erproben.

Würzburg. Sie ist mit 34 Jahren eine der jüngsten Professorinnen in der Würzburger Universitätsmedizin. Und sie kümmert sich um die Älteren unserer Gesellschaft - um Menschen mit Demenz. „Seit meinem Psychologie-Studium finde ich ältere Menschen spannend und faszinierend“, erläutert Prof. Dr. Alexandra Wuttke ihren Arbeitsschwerpunkt. „Ich erlebe tagtäglich, welche Ressourcen in ihnen schlummern. Ihre Kräfte und Energien wären so wichtig für einen intergenerationalen Austausch. Schade, dass die Gesellschaft oft eine negative Sicht auf die älteren Menschen hat.“

„Was wir aus der Forschung wissen, müssen wir in den Alltag bringen!“

Ebenso bedauerlich findet sie, dass die Demenz immer noch stigmatisiert wird. Das Wort Demenz verbinden viele mit der Oma im Pflegeheim, die einen nicht mehr erkannt hat, oder dem Opa, der nicht mehr reden konnte. Alle hätten das letzte Stadium im Kopf und dass man gegen eine Demenz machtlos sei. Aber dass es einen jahrzehntelangen Vorlauf gibt, sich die Demenz schleichend entwickelt und sich viele Weichen stellen lassen, um das Fortschreiten zu verlangsamen und die Selbstständigkeit für einen sehr langen Zeitraum zu erhalten, das sei leider nicht in den Köpfen. Und das möchte Alexandra Wuttke ändern: Das Wissen aus der Forschung in die Bevölkerung bringen! Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der frühen Begleitung und Intervention, die sich sowohl an die Menschen mit Demenz als auch ihre Angehörige richtet, damit beide gesund bleiben können. Denn die Diagnose Demenz sei ein Stressor für alle Beteiligten, und in den unterschiedlichen Stadien der Demenz müsse es spezifische Angebote für Menschen mit Demenz und ihr Angehörigen geben, um Stress zu reduzieren und Resilienz zu stärken.

Stiftungsprofessur von Würzburger Universitätsmedizin, Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist

Seit Februar hat die Mutter eines Sohnes eine an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) angesiedelte W1-Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen - zunächst in Teilzeit, da sie derzeit noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz leitet. Die neue Stiftungsprofessur in Würzburg wurde vom Uniklinikum Würzburg, der Julius-Maximilians-Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Hl. Geist im vergangenen Jahr eingerichtet, um an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Anwendung das gesellschaftlich so wichtige Thema der Demenz voranzubringen. Alexandra Wuttke ist von den ersten Arbeitstagen in Würzburg begeistert: „Ich wurde so herzlich begrüßt. Die Infrastruktur zur Demenzforschung ist in Würzburg hervorragend, und es gibt bereits tolle Initiativen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.“

Würzburg bietet immensen Wissensschatz durch Studien und hervorragende Infrastruktur

Die Stiftung Bürgerspital zum hl. Geist bietet seit ihrer Gründung in ihren Senioreneinrichtungen alten Menschen mit all ihren Erkrankungen eine bestmögliche Versorgung unter Wahrung von Autonomie und Würde. Und in ihrem Geriatriezentrum und der dort angesiedelten GesundheitsAkademie50Plus wird schon seit fast 20 Jahren die Therapie und Prävention typischer Alterserkrankungen intensiv verfolgt. Wuttke sieht hier zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten.

Einen immensen Datenschatz für die Frühdiagnose und Prävention bieten zudem die Forschungsergebnisse aus der von der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp finanzierten Kohorten-Studie, in der mehr als 600 Würzburgerinnen und Würzburger ab 75 Jahren innerhalb von zwölf Jahren mehrfach am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des UKW untersucht wurden. Nach der Querschnittsauswertung zu den Risikofaktoren für eine Demenzentwicklung steht jetzt die Längsschnittauswertung aus: Was kann eine Demenzentwicklung vorhersagen?

Auch das Uniklinikum nimmt die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, an und hat die Themen Alterung und Multimorbidität als eines von vier Strategiefeldern definiert. Die Professur von Alexandra Wuttke ist Teil dieser Strategie. „Demenzsensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten erfordert vor allem Empathie“, lehrt sie ihre Studierenden. „Es geht darum, die Bedürfnisse zu verstehen. Menschen mit Demenz sind zum Beispiel nicht aggressiv, weil sie böse sind, sondern weil ein Bedürfnis nicht erfüllt ist. Vielleicht hat eine geschlossene Tür Erinnerungen an Kriegszeiten hervorgerufen und man kann Ängste nehmen, indem man die Tür offenlässt. Natürlich sind Gespräche zeitintensiver als die Gabe einer Pille, aber ein gutes Gespräch spart oft weitere Krisen und Wiederaufnahmen.“

„Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken“

Die interdisziplinäre Verortung ihrer Professur ist der Mannheimerin ganz wichtig. „Wir dürfen nicht in der eigenen Disziplin stecken bleiben. Um alterssensibel zu handeln, müssen wir interdisziplinär denken. Wir müssen die Pflege, die Medizin und die Psychologie zusammenbringen. Demenz und Depression sind die beiden größten Herausforderungen, wenn es um die psychische Gesundheit im Alter geht. Beides beeinflusst sich gegenseitig.“ Ihre geplante Studie, in der sie zusammen mit einem Konsortium aus Versorgung, Wissenschaft und Politik den Übergang von stationärer zur ambulanten Behandlung untersuchen möchte, setzt genau auf diese interdisziplinäre Denkweise.

Wer schlecht hört aber kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Demenzrisiko

Doch woran erkenne ich eine Demenz? Und wie kann ich vorbeugen oder ein Fortschreiten verlangsamen. „Wir wissen heute, dass 40 Prozent des Risikos, an einer Demenz zu erkranken, auf einen veränderbaren Lebensstil zurückgeht“, erklärt Alexandra Wuttke. Eine Rolle spielen zum Beispiel die Bewegung, soziale Kontakte und psychische Gesundheit. „Aber kaum jemand kennt den Faktor, der den größten Einfluss hat: die Hörfähigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Wer schlecht hört und kein Hörgerät trägt, hat ein vielfach höheres Risiko, eine Demenz zu entwickeln.“ Das Tragen eines Hörgerätes könne dieses Risiko ausgleichen. Ein Grund mehr, das Thema Schwerhörigkeit nicht mehr zu tabuisieren. Man sollte sich trauen, Hörgeräte zu tragen, ebenso wie man sich trauen sollte, über Demenz offen zu sprechen.

Nicht korrigieren sondern auf Augenhöhe kommunizieren – das reduziert Stress

Wenn jemand den Verdacht hat, eine Demenz zu haben oder die Angehörigen kognitive Störungen bemerken, ist es ratsam, dieses umgehend in einer Gedächtnisambulanz abklären lassen. Je früher man die Demenz erkennt und behandelt, desto besser kann man die Weichen für die weitere Versorgung stellen. Neben Medikamenten, die den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen können, gibt es vor allem eine große Bandbreite an evidenz-basierten und wirksamen psychosozialen und psychotherapeutischen Maßnahmen, Interventionen und Ansätze, die die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen helfen, die demenzbedingten Veränderungen des Alltags zu bewältigen und Stress zu reduzieren. Wichtig sei es, die Angehörigen mit einzubeziehen, betont Alexandra Wuttke, die sich sehr für die dyadischen Aspekte der Stressregulation interessiert, was verändert sich in den Zweierbeziehungen bei einer Demenz. „Ich empfehle allen, auf Augenhöhe zu bleiben und die Menschen mit Demenz nicht wie ein Kind zu behandeln.“ Die Situation zuhause entspanne sich oft schon durch eine Änderung der Kommunikation. Wer als Mensch mit Demenz ständig korrigiert und verbessert wird, nach dem Motto „das habe ich doch schon dreimal erklärt“, „du hast schon wieder das Falsche geholt“, fühlt sich ertappt und gestresst und zieht sich zurück. „Wir dürfen den älteren Menschen durchaus mehr zutrauen. Eine gut eingestellte Smartwatch oder Aufkleber auf Schränken und Schubladen könnten zum Beispiel bei der Orientierung im Alltag helfen. Menschen mit einer demenziellen Entwicklung und ihre Angehörigen können lernen, trotz der Demenz möglichst lange gut zusammen zu leben. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei bestmöglich zu unterstützen.“

Zur Person:

Alexandra Wuttke hat an der Philipps-Universität in Marburg sowie an der University of Western Australia in Perth und an der Central Queensland University im australischen Rockhampton Psychologie studiert, ihre Promotion zum Thema Psychobiological mechanisms underlying the stress-reducing effects of music listening in daily life hat sie in Marburg mit summa cum laude abgeschlossen und anschließend eine Postgraduierte Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Fachkunde Verhaltenstherapie) absolviert. In der Universitätsmedizin in Mainz hat sie zunächst in der AG „Gesundes Altern und Neurodegeneration, Demenz“ als Post Doc gearbeitet und später die Leitung des Zentrums für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz übernommen. Das ZpGA ist ein interdisziplinäres Netzwerk für Präventionsforschung und innovative Versorgungsmodelle des Landeskrankenhauses (AöR). Im Jahr 2022 hat sie den Irmela-Florin Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation (DGVM) für ihre Arbeit zu aufsuchenden, dyadischen Interventionen für Menschen mit beginnender Demenz und ihre Angehörigen erhalten. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. 

Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.
Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke
Das Bild zeigt die Psychologin Alexandra Wuttke.

Die Psychologin Alexandra Wuttke hat im Februar am Uniklinikum Würzburg die Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. © David Wuttke

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