Würzburg. Bereits gegen Ende seines Medizinstudiums entwickelte Lorenz Deserno ein besonderes Interesse an der Hirnforschung bei psychischen Erkrankungen. Spätestens seit seiner Promotion über kognitive Defizite bei Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie ist seine Forschung fest in der biologischen Psychiatrie verankert. Dieses Teilgebiet der Psychiatrie untersucht, wie biologische Veränderungen mit psychischen Erkrankungen zusammenhängen. Prof. Dr. Lorenz Deserno geht zum Beispiel am Zentrum für Psychische Gesundheit (ZEP) des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) der Frage nach, wie sich bestimmte Denk- und Handlungsweisen in den Aktivierungsmustern des Gehirns widerspiegeln und verfolgt dabei einen transdiagnostischen entwicklungspsychiatrischen Ansatz mit dem er unterschiedliche Erkrankungsbilder wie ADHS, Schizophrenie, Alkoholabhängigkeit, Essstörungen sowie zuletzt auch Angststörungen und Depression untersucht und vergleicht. Dazu nutzt er funktionelle Bildgebung und Methoden der sogenannten Computational Psychiatry.
Erforschung menschlichen Verhaltens und kognitiver Prozesse mit Hilfe der Computational Psychiatry
Computational Psychiatry verbindet Erkenntnisse aus der Psychiatrie, den Neurowissenschaften, der Informatik, der Mathematik und den Kognitionswissenschaften, um die komplexen Mechanismen des Gehirns und des Verhaltens bei psychischen Erkrankungen zu beschreiben. Während dieser Ansatz in den letzten Jahren viel Beachtung und Anerkennung gefunden hat, gibt es nur wenige Arbeitsgruppen, die diesen Forschungsansatz in der Entwicklungspsychiatrie anwenden.
Desernos Arbeiten haben beispielsweise zu einem neuen Verständnis des populären Neurotransmitters Dopamin beigetragen. Dieser ist nicht nur an der Verarbeitung von Belohnungen beteiligt, sondern steuert auch die gezielte Planung von Handlungen, um Belohnungen zu erhalten. Weiterhin konnte er mit seinem Team durch spezifische Modellierungen herausfinden, dass inkonsistente Entscheidungen keineswegs als Messfehler anzusehen sind, sondern dass eine altersabhängige Zunahme spezifischer und komplexer kognitiver Prozesse mit einer Abnahme dieser „verrauschten“ inkonsistenten Entscheidungen einhergeht und sogar davon abhängt. Darüber hinaus konzentriert sich sein Team auf die Anwendung in Studiendesigns mit potenzieller klinischer Relevanz, zum Beispiel zur Vorhersage der Wirksamkeit von Psychopharmaka bei ADHS in einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie.
Nachwuchsforschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP) und der Stiftung Nervenheilkunde
Auf der 4. gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP) und der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) wurden seine bisherigen Forschungsleistungen nun mit dem Nachwuchsforschungspreis der DGBP und der Stiftung Nervenheilkunde ausgezeichnet. Deserno teilt sich den mit 5.000 Euro dotierten Preis mit Dr. Frederike Stein von der Philipps-Universität Marburg.
Die Auszeichnung ist für ihn in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: „Sie würdigt meinen bisherigen Werdegang, in dem ich durch die Kombination von wissenschaftlicher und klinischer Tätigkeit meine eigenständige Arbeitsgruppe aufgebaut habe, und sie stärkt mich persönlich in einer entscheidenden Phase meiner Karriere und Etablierung innerhalb der deutschsprachigen biologisch-psychiatrischen Forschungsgemeinschaft. Aus meiner Sicht ist die entwicklungspsychiatrische und neurowissenschaftliche Forschungsperspektive mit Methoden der ‚Computational Psychiatry‘ für die Beantwortung klinisch relevanter Forschungsfragen in der biologisch-psychiatrischen Forschung extrem aufschlussreich“.
Psychische Störungen besser verstehen, diagnostizieren und behandeln
Mit biologisch realistischen Methoden des „Computational Imaging“ und durch mobile Messungen im Alltag will Lorenz Deserno der Entstehung psychiatrischer Symptome weiter auf den Grund gehen. Wie und warum entstehen bestimmte Störungen auf der Ebene von Hirnprozessen, Informationsverarbeitung und Lernen? Welche Faktoren erhöhen das Risiko für psychische Störungen oder schützen davor? Seine Erkenntnisse sollen helfen, bestehende Behandlungen zu verbessern und neue, auch digitale Therapien zu entwickeln.
Werdegang von Lorenz Deserno
Lorenz Deserno wurde 1985 in Frankfurt am Main geboren und studierte von 2005 bis 2012 Humanmedizin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin. In seiner preisgekrönten Doktorarbeit untersuchte er kognitive Defizite bei Schizophrenie mittels funktioneller Bildgebung. Nach seiner Approbation als Arzt arbeitete er zunächst wissenschaftlich an der Charite Universitätsmedizin Berlin und dann am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Dort beschäftigte er sich zunehmend mit impulsivem Verhalten, wie es zum Beispiel bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), bei Substanzmissbrauch und bei Essanfällen mit Kontrollverlust auftritt. Es zeigte sich, dass viele dieser Verhaltensweisen ihre Wurzeln in der Kindheit der Betroffenen haben, was Lorenz Deserno in die Kinder- und Jugendpsychiatrie führte. Seine klinische Weiterbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie begann er 2016 in Leipzig, die er später am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) abschloss. Von 2018 bis 2020 vertiefte er am University College London am Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research seine methodischen Kenntnisse auf dem noch jungen interdisziplinären Gebiet der ‚Computational Psychiatry‘. Im Jahr 2020 nahm Deserno einen Ruf nach Würzburg auf die neu geschaffene W2-Professur für Experimentelle Neurowissenschaften in der Entwicklungspsychiatrie an der Kinder- und Jugendpsychiatrie des UKW an. Deserno hat zwei Kinder (*2019, *2023) für die er jeweils sechs Monate Elternzeit im ersten Lebensjahr nahm.
Text: KL / Wissenschaftskommunikation