Philosophie als Schwester der Medizin

Es ist rund 150 Jahre her, dass das Philosophicum als Teil des Medizinstudiums in Preußen abgeschafft wurde. Das Philosophicum stellte eine Art ärztliche Vorprüfung dar und wurde in der Regel vom Dekan der Philosophischen Fakultät abgenommen. Ersetzt wurde es 1861 durch das Physicum. Damit wurde das Medizinstudium im Geiste der Zeit naturwissenschaftlich geprägt, medizinethische und geisteswissenschaftliche Ausbildungsinhalte rückten in den Hintergrund.

Geschichte des Philosophicums

Durch die historische Entwicklung fehlt heute in Deutschland die Philosophie in der medizinischen Ausbildung und Praxis. Die ärztliche Ausbildung im Abendland beinhaltete seit Hippokrates vor mehr als 2500 Jahren philosophische Lehre und blieb über viele Jahrhunderte fast unverändert. Gelehrte Ärzte hielten eine naturphilosophische Basis bei der Ausübung ihrer Tätigkeit für unverzichtbar.

Sehr anschaulich beschreibt dies der Ausspruch von Tertullian, nach dem die Philosophie die Schwester der Medizin sei (medicina soror philosophiae; De Anima). Nach mehr als zwei Jahrtausenden setzte sich in der westlichen Hemisphäre mit der wachsenden Hinwendung zur wissenschaftlichen Beobachtung naturwissenschaftliches Denken in der Medizin durch. Es entstanden neue Fächer wie Chemie, Botanik und Physiologie. 1861 wurde das Medizinstudium in Preußen reformiert. Das „Tentamen philosophicum“ wurde durch das „Tentamen physicum“ ersetzt, das bis heute als ärztliche Vorprüfung existiert.

Damit kam es zu einer kompletten Neuorientierung mit dem Primat der naturwissenschaftlichen Seite der Medizin. Geisteswissenschaftliche Fächer wurden aus dem Lehrplan herausgenommen. Etwa 100 Jahre später wurden 1970 in Deutschland wiederum mehrere neue Fächer in die Humanmedizin eingeführt: Medizinische Psychologie, Medizinische Soziologie, Allgemeinmedizin, Ökologie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Durch diese historische Entwicklung fehlt heute in Deutschland die Philosophie in der medizinischen Ausbildung und Praxis. Der ärztliche Alltag in Klinik und Praxis hat sich in den letzten Jahren für viele Ärztinnen und Ärzte dramatisch und zu deren Ungunsten verändert: Neben arztfremden Aufgaben, wie dem Verschlüsseln von Diagnosen und Prozeduren, sind zunehmend administrative Aufgaben zu erledigen. Es existiert ein gewaltiger Kostendruck, der das ärztliche Handeln und die ärztliche Unabhängigkeit inzwischen erheblich beeinflusst. Dies hat erwiesenermaßen unmittelbare Auswirkungen auf das ärztliche Befinden.

Neueste Studien, wie erst kürzlich in „Lancet“ veröffentlicht, legen aber nahe, dass die Lebensqualität von Ärztinnen und Ärzten auch für das Outcome der Versorgungsqualität ihrer Patientinnen und Patienten wichtig ist und dass dies im Augenblick noch wenig Berücksichtigung im Klinik- und Praxisbetrieb findet. Diese Probleme können von der eigenen Profession allein nicht mehr gelöst werden. Einen möglichen Zugang zur Ursachenanalyse kann jedoch die Philosophie leisten.

Das heutige Philosophicum

Seminare über ärztliche Ethik werden bereits seit Jahrzehnten in Deutschland angeboten. Ethik stellt einen entscheidenden Bereich der Philosophie dar, lässt aber andere, wesentliche Teilgebiete der Philosophie außen vor, wie beispielsweise die philosophische Erkenntnistheorie, Ästhetik, Logik, Anthropologie, Sprachphilosophie oder Metaphysik. Fragen wie „Tun wir zu viel am Ende des Lebens?“, „Was stellt die Würde des Menschen dar?“ oder „Was begründet ärztliches Tun?“ erfordern häufig eine philosophische Herangehensweise in Ergänzung zu den Naturwissenschaften und der medizinischen Ethik.

Dies ist der Grund dafür, dass an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Sommersemester 2010 wieder ein Philosophicum ins Leben gerufen wurde. Das bestehende Vorurteil, dass Philosophie zu kompliziert und Sache der Fachleute sei, möchte das Philosophicum dabei ausräumen. Es geht vielmehr darum, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Erweiterung ihres Medizinstudiums oder ihrer ärztlichen Tätigkeit Philosophie kennenlernen.

Die angehenden Ärztinnen und Ärzte sollen motiviert werden, über die Welt und die Menschen sowie ihr ärztliches Tun systematisch nachzudenken, in Entsprechung zu der Auffassung des berühmten deutschen Philosophen und Arztes Karl Jaspers, der die Praxis des Arztes als konkrete Philosophie bezeichnet hat. Inhalte des Philosophicums, das als Wahlfach angeboten wird, sind eine allgemeine und verständliche Einführung in die Philosophie und ihre Teilgebiete unter praxisrelevanter ärztlicher Perspektive. Themenbereiche sind unter anderem: Berufsethik, Fehlermanagement in der Medizin aus philosophischer Sicht, die Medientheorie und ihre Bedeutung für Medizinerinnen und Mediziner und der Begriff der Menschenwürde.

Das Philosophicum wurde bisher sehr positiv aufgenommen und stellt eine der wenigen Veranstaltungen unserer Universität dar, die von Studierenden aller Semester sowie Ärztinnen und Ärzten aus Klinik und Praxis (darunter auch Chefärztinnen und Chefärzten sowie niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen) gemeinsam besucht wird. Zusätzlich besteht auch ein starkes Interesse von Studierenden geisteswissenschaftlicher Fächer, wie der Philosophie und Psychologie, an unserer Lehrveranstaltung. Krankenpflegepersonal und Interessierte anderer Fächer sind ebenfalls oft vertreten und bereichern die Diskussion.

Eine einzigartige Gelegenheit, über den Tellerrand der konventionellen Medizin hinaus zu blicken.
cand. med. Michael Kotylar

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