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Hochgradiger Hörverlust verzögert Lautbildung bereits bei Säuglingen

Bisher gibt es nur wenige Erkenntnisse darüber, wie sich die Sprache bei Babys mit starkem Hörverlust in den ersten Lebensmonaten entwickelt. In einem interdisziplinären Kooperationsprojekt mehrerer Kliniken am UKW wurden die melodisch-rhythmischen Eigenschaften der Gurrlaute von Säuglingen mit hochgradigem Hörverlust im Alter von zwei bis vier Monaten untersucht und mit denen gesunder Säuglinge verglichen.

Das Bild zeigt ein liegendes Baby, das in die Kamera schaut - neben ihm ein Lautaufnahmegerät
Digitale Lautaufnahmen liefern die Basis für den frühzeitigen Nachweis von Entwicklungsauffälligkeiten. Am ZVES wurden die dafür geeigneten Methoden entwickelt und implementiert. © Kathleen Wermke /UKW
Hier ist ein Beispiel für eine kommentierte Gurrsequenz in PRAAT. Im oberen Teil des PRAAT-Fensters sieht man die Schwankungen der aufgezeichneten Töne. Der mittlere Teil zeigt das Frequenzspektrogramm (Frequenzbereich linear 0–4 kHz). Unten sieht man die Annotationsvariablen der einzelnen Ereignisse. Die Reihenfolge besteht aus Pausen und drei Gurrlauten, die durch Einatmungsintervalle getrennt sind. Der gelb markierte Gurrlaut enthält keine supraglottische Aktivität (Vocant).
Beispiel einer kommentierten Gurrsequenz in PRAAT. Der obere Teil des PRAAT-Ausgabefensters zeigt die Amplitude der aufgezeichneten Sequenz. Der mittlere Teil zeigt das Frequenzspektrogramm (Frequenzbereich linear 0–4 kHz). Der untere Bereich des Ausgabefensters zeigt die Annotationsvariablen der einzelnen Ereignisse. Hier besteht die Sequenz aus Pausen (p) und drei Gurrlauten (c), die durch Einatmungsintervalle (i) voneinander getrennt sind. Im Gegensatz zu den beiden anderen Gurrlauten enthält der gelb markierte Gurrlaut keine supraglottische Aktivität (Vocant).

Die in „Scientific Reports” veröffentlichte Publikation beschreibt Teilergebnisse des Gesamtprojektes und basiert auf der Analyse von mehr als 2.300 Lauten, die im Rahmen der Dissertation von Sarah Arnold ausgewertet wurden. Die Analysen erfolgten mit speziellen Methoden, die am Zentrum für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen (ZVES) der Poliklinik für Kieferorthopädie entwickelt wurden. Dies ermöglichte erstmals den Nachweis von Auffälligkeiten in einer sehr frühen Phase der Sprachentwicklung, lange bevor Silben oder Wörter erzeugt werden können.

Die Forschenden untersuchten, wie sich die Tonhöhe der Laute im Verlauf änderte und ob die Melodie eines Lauts einfach (ein Bogen) oder komplex (mehrere Bögen) war. Außerdem betrachteten sie bei den Gurrlauten die Aktivität des Kehlkopfs der Babys, also wie die Töne gebildet wurden. Mithilfe spezieller Tonanalysen prüften sie auch, ob die Babys beim Gurren zusätzlich Mund- und Zungenbewegungen, also artikulatorische Aktivität, nutzten. Für die statistische Auswertung kamen mathematische Modelle zum Einsatz, die verschiedene Einflussfaktoren wie Alter und Geschlecht berücksichtigten. Dabei zeigte sich: Mit zunehmendem Alter wurden die Laute aller Babys komplexer, wobei das Geschlecht keine Rolle spielte.

Allerdings hatte der eingeschränkte Hörsinn einen deutlichen Einfluss: Babys mit starkem Hörverlust zeigten eine deutlich geringere melodisch-rhythmische Komplexität und weniger artikulatorische Aktivität in ihren Lauten, das heißt, sie produzierten einfachere Melodien. Eine stark eingeschränkte auditive Rückkopplung wirkt sich insbesondere auf das Wechselspiel zwischen laryngealer und präartikulatorischer Aktivität, also zwischen Kehlkopf und Mund, aus. Ein fehlendes oder vermindertes Hörfeedback kann somit bereits sehr früh die Sprachentwicklung beeinflussen.

Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines funktionierenden Hörsystems für die ersten Phasen der Sprachentwicklung. Zugleich wird deutlich, wie wichtig weitere objektive Studien zur prälingualen Lautbildung bei Kindern mit einem medizinischen Risiko für den Spracherwerb sind. Sie tragen dazu bei, Entwicklungsverzögerungen besser zu verstehen und bereits im Säuglingsalter nachzuweisen.

Kathleen Wermke, Sarah Arnold, Wafaa Shehata-Dieler, Mario Cebulla, Johannes Wirbelauer & Philip J. Schluter. Melodic and articulatory development is delayed in deaf infants aged 2–4 months. Sci Rep 15, 31357 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-025-16820-w

Das Bild zeigt ein liegendes Baby, das in die Kamera schaut - neben ihm ein Lautaufnahmegerät
Digitale Lautaufnahmen liefern die Basis für den frühzeitigen Nachweis von Entwicklungsauffälligkeiten. Am ZVES wurden die dafür geeigneten Methoden entwickelt und implementiert. © Kathleen Wermke /UKW
Hier ist ein Beispiel für eine kommentierte Gurrsequenz in PRAAT. Im oberen Teil des PRAAT-Fensters sieht man die Schwankungen der aufgezeichneten Töne. Der mittlere Teil zeigt das Frequenzspektrogramm (Frequenzbereich linear 0–4 kHz). Unten sieht man die Annotationsvariablen der einzelnen Ereignisse. Die Reihenfolge besteht aus Pausen und drei Gurrlauten, die durch Einatmungsintervalle getrennt sind. Der gelb markierte Gurrlaut enthält keine supraglottische Aktivität (Vocant).
Beispiel einer kommentierten Gurrsequenz in PRAAT. Der obere Teil des PRAAT-Ausgabefensters zeigt die Amplitude der aufgezeichneten Sequenz. Der mittlere Teil zeigt das Frequenzspektrogramm (Frequenzbereich linear 0–4 kHz). Der untere Bereich des Ausgabefensters zeigt die Annotationsvariablen der einzelnen Ereignisse. Hier besteht die Sequenz aus Pausen (p) und drei Gurrlauten (c), die durch Einatmungsintervalle (i) voneinander getrennt sind. Im Gegensatz zu den beiden anderen Gurrlauten enthält der gelb markierte Gurrlaut keine supraglottische Aktivität (Vocant).