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3D-Glioblastom-Modell verbessert Verständnis molekularer Krankheitsmechanismen

Mateo S. Andrade Mier, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Carmen Villmann mit ihrer Arbeitsgruppe in der Klinischen Neurobiologie entwickelte mit Partnerinnen und Partnern der Universitätsmedizin Würzburg ein neuartiges 3D-Zellkulturmodell, das die natürliche Umgebung von Glioblastomen – aggressiven Hirntumoren – realistisch nachbildet.

Mikrofaser-Gerüst: Mateo S. Andrade Mier und Carmen Villmann betrachten die Gerüste aus Mikrofasern, die den ultraweichen Biotinten und lebenden Zellen Struktur geben. © Daniel Peter / UKW

Das Glioblastom ist der aggressivste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen. Das 3D- Modell ermöglicht es, die Interaktionen zwischen Tumorzellen und gesunden Gehirnzellen wie Neuronen und Astrozyten detailliert zu untersuchen. Durch die Verwendung spezieller Mikrofasergitter und Hydrogele konnten die Wissenschaftler die komplexe Tumorumgebung im Labor simulieren. Das Modell, das ähnliche Eigenschaften wie die in vivo Situation aufweist, dient dazu, die Mechanismen der Tumorresistenz gegenüber Chemotherapien besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu erforschen. Im nächsten Schritt soll das System weiterentwickelt werden, um ausschließlich humane Zelltypen zu integrieren und so noch realistischere Studien zu ermöglichen.

Details zum Forschungsprojekt liefert die Pressemeldung vom 27.02.2025.

 

Mateo S. Andrade Mier, Esra Türker, Jessica Faber, Mike Friedrich, Zan Lamberger, Jeannette Weigelt, Panthipa Suwannakot, Benedikt Gantert, Abhinav Singh, Vanessa Moessler, Annemarie Sodmann, Nicoletta Murenu, Joachim Schenk, Natascha Schaefer, Torsten Blunk, Aldo R. Boccaccini, Tessa C. Lühmann, Jörg Tessmar, Jeremy M. Crook, Eva Tomaskovic-Crook, Paul D. Dalton, Gregor Lang, Robert Blum, Reiner Strick, Silvia Budday, Katrin G. Heinze, Carmen Villmann. 3D In Vitro Glioma-Neuron-Astrocyte Biomimetic Composites Recapitulate Key Molecular Mechanisms Linked to Glioblastoma Multiforme Pathophysiology. Advanced Functional Materials. First published: 23 January 2025https://doi.org/10.1002/adfm.202419211

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Mikrofaser-Gerüst: Mateo S. Andrade Mier und Carmen Villmann betrachten die Gerüste aus Mikrofasern, die den ultraweichen Biotinten und lebenden Zellen Struktur geben. © Daniel Peter / UKW
Fehlfunktion glyzinerger Synapsen durch Autoantikörper

Das sogenannte Stiff Person Syndrom ist eine seltene neurologische Erkrankung, bei der Betroffene unter starken Muskelverkrampfungen, Steifheit und einer übersteigerten Schreckreaktion leiden. Die Erkrankung steht in Verbindung mit bestimmten Autoantikörpern – also Abwehrstoffen des eigenen Immunsystems, die sich fälschlicherweise gegen körpereigene Strukturen richten.

anti-Glyzinrezeptor Autoantikörper bedingen weniger Ausschüttung des Neurotransmitters Glyzin von der Präsynapse und somit eine Fehlfunktion postsynaptischer Rezeptoren. (Links) Situation an der Synapse im gesunden Zustand, (rechts) Veränderungen unter Krankheitsbedingungen. Rotes Kreuz markiert die prä- und postsynaptischen Fehlfunktionen der Rezeptoren, an welche die Autoantikörper binden.

In einer kürzlich in Neurology - Neuroimmunology and Neuroinflammation erschienenen Publikation untersuchte Dr. Anna-Lena Wiessler vom Institut für Klinische Neurobiologie die Bindung, wie diese Autoantikörper auf bestimmte Schaltzellen im Nervensystem wirken. Dazu analysierte sie so genannte Glycinrezeptoren, die eine hemmende Wirkung auf die Erregung der Nervenzellen haben und sich an den Enden der Nervenzellen, also an den Synapsen befinden. 

Mittels hochauflösender Mikroskopie und elektrophysiologischen Messungen zur Funktion des Rezeptors konnte sie zeigen, dass es als Folge der Bindung von Autoantikörpern an präsynaptische Glyzinrezeptoren zu einer Fehlfunktion der inhibitorischen Ionenkanäle kommt. Das heißt, dass die „Bremssignale“ im Nervensystem nicht mehr richtig funktionieren, was vermutlich zu den typischen Symptomen des Stiff Person Syndroms beiträgt. Damit wurde ein neuer Pathomechanismus der Autoantikörper gegen diese Ionenkanäle auf molekularer Ebene aufgeklärt.

 

Anna-Lena Wiessler, Fang Zheng, Christian Werner, Margarita Habib, Erdem Tuzun, Christian Alzheimer, Claudia Sommer, Carmen Villmann. Impaired presynaptic function contributes significantly tot he pathology of glycine receptor autoantibodies. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm. 2025 Mar;12(2):e200364. doi: 10.1212/NXI.0000000000200364

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anti-Glyzinrezeptor Autoantikörper bedingen weniger Ausschüttung des Neurotransmitters Glyzin von der Präsynapse und somit eine Fehlfunktion postsynaptischer Rezeptoren. (Links) Situation an der Synapse im gesunden Zustand, (rechts) Veränderungen unter Krankheitsbedingungen. Rotes Kreuz markiert die prä- und postsynaptischen Fehlfunktionen der Rezeptoren, an welche die Autoantikörper binden.
Korrektur des gestörten Wachstums von axonalen Fortsätzen motorischer Nervenzellen bei spinaler Muskelatrophie

Die proximale spinale Muskelatrophie ist die häufigste Form einer Motoneuron-Erkrankung bei Kindern. Ein fehlendes Protein namens SMN führt zu Problemen in Nervenzellen, die Muskeln steuern. Ohne SMN können die Nerven in den Axonen – den „Verbindungen“ zu den Muskeln – wichtige RNA-Moleküle nicht richtig transportieren und nutzen. Dies stört das Wachstum der Axone, schädigt die Verbindung zu den Muskeln und lässt Nervenzellen absterben.

Das Bild zeigt die Atrophie von axonalen Wachstumskegeln (3. Bild von links) bei Motoneuronen aus einem Mausmodell für spinale Muskelatrophie (Smn-/-;SMN2tg/tg), und wie die Expression von Ptbp2 diese Atrophie aufhebt (4. Bild von links) und die Struktur auf ähnliches Niveau wie bei Motoneuronen aus gesunden Mäusen wiederherstellt (1. Bild links). Quelle: Saeede et. Al. Front Mol Neurosci. 2024. doi: 10.3389/fnmol.2024.1393779

Trotz neuer Therapieentwicklungen, zu denen auch das Institut für Klinische Neurobiologie beigetragen hat, sind die Mechanismen, die für die Degeneration der axonalen Fortsätze und für die Denervation der Muskelfasern verantwortlich sind, noch weitgehend unbekannt.

In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass in einem Mausmodell für spinale Muskelatrophie die Expression des RNA-bindenden Proteins Ptbp2 in den axonalen Fortsätzen von Motoneuronen reduziert ist. Dieses Protein ist wichtig für das Wachstum und die Funktion dieser „Verbindungen“ zwischen Nervenzellen und Muskeln. Wird Ptbp2 wieder zugeführt, können die gestörten Prozesse repariert werden: Die Axone wachsen wieder normal in die Länge, und auch die fehlerhafte Entwicklung der Kontaktstellen, an denen die Nervenzellen Signale weiterleiten, wird verbessert.

Die Ergebnisse zeigen, dass SMN und Ptbp2 gemeinsam die Produktion von Proteinen in den Axonen steuern, die für die Funktion der Nervenzellen entscheidend sind. Daraus könnten sich neue Ansätze für die Behandlung der spinalen Muskelatrophie ergeben.

Publikation:
Salehi Saeede, Zare Abdolhossein, Gandhi Gayatri, Sendtner Michael, Briese Michael. Ptbp2 re-expression rescues axon growth defects in Smn-deficient motoneurons. Front Mol Neurosci. 2024 Aug 23;17:1393779. doi: 10.3389/fnmol.2024.1393779. PMID: 39246602; PMCID: PMC11377325.

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BDNF steuert Anpassungsfähigkeit in neuronalen Netzwerken der Motorik

Neurotrophine, insbesondere der aus dem Gehirn stammende neurotrophe Faktor (BDNF für brain derived neurotrophic factor), sind wichtige Moleküle, die das Wachstum, das Überleben und die Anpassungsfähigkeit von Nervenzellen fördern. BDNF spielt eine entscheidende Rolle in Bereichen des Gehirns, die mit der Bewegung und Koordination zu tun haben, insbesondere im Striatum und in der Substantia nigra – beides Hirnstrukturen, die für die Parkinson-Krankheit von Bedeutung sind.

Das Bild zeigt die Verteilung von TrkB (Tropomyosin-Rezeptor-Kinase B), dem Rezeptor von BDNF, der in striatalen Neuronen im Gehirn eines Patienten mit M. Parkinson (unten) nicht an die Zelloberfläche gelangt, im Gegensatz zu einem Patienten mit ungestörter Motorik (oben). Die Aktivierung des TrkB durch BDNF ist notwendig, damit das Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen stärken kann. Quelle: Biomedicines 2024, 12(8), 1761; https://doi.org/10.3390/biomedicines12081761

Ist zu wenig BDNF vorhanden, kann das Striatum degenerieren und die Verzweigungen der Nervenzellen werden geschädigt. BDNF hilft auch, die Kommunikation zwischen den Nervenzellen zu verstärken, was für Lernprozesse und das Gedächtnis wichtig ist, insbesondere im Zusammenhang mit Bewegung. Bei der Parkinson-Krankheit sterben bestimmte Nervenzellen ab, die Signale von der Substantia nigra zum Striatum übertragen. Durch dieses Absterben wird die Anpassungsfähigkeit des Striatums gestört, was zu Problemen bei Bewegungen führt. Denn das Gleichgewicht in den Nervenbahnen, die Bewegungen steuern, ist gestört. Da BDNF Nervenzellen schützt und dafür sorgt, dass sie miteinander gut zusammenarbeiten, könnte es eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten wie Parkinson spielen, bei denen Nervenzellen geschädigt werden.

Eine Arbeitsgruppe am Institut für Klinische Neurobiologie konnte zeigen, dass die Oberflächenexpressions des Rezeptors für BDNF in striatalen Nervenzellen stark von Dopamin aus der Substantia nigra abhängt. Auf diese Weise beeinflusst Dopamin, wie empfindlich diese Nervenzellen auf BDNF reagieren, das von kortikalen Neuronen freigesetzt wird. Diese Steuerung könnte erklären, wie die elektrische Tiefenhirnstimulation – eine Therapie, die bei Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird – diese motorischen Netzwerke im Gehirn beeinflusst und verbessert.

Publikation:
Daniel Wolf, Maurilyn Ayon-Olivas, Michael Sendtner. BDNF-Regulated Modulation of Striatal Circuits and Implications for Parkinson's Disease and Dystonia. Biomedicines. 2024 Aug 5;12(8):1761. doi: 10.3390/biomedicines12081761. PMID: 39200225; PMCID: PMC11351984.

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Das Bild zeigt die Verteilung von TrkB (Tropomyosin-Rezeptor-Kinase B), dem Rezeptor von BDNF, der in striatalen Neuronen im Gehirn eines Patienten mit M. Parkinson (unten) nicht an die Zelloberfläche gelangt, im Gegensatz zu einem Patienten mit ungestörter Motorik (oben). Die Aktivierung des TrkB durch BDNF ist notwendig, damit das Gehirn neue Verbindungen zwischen Nervenzellen stärken kann. Quelle: Biomedicines 2024, 12(8), 1761; https://doi.org/10.3390/biomedicines12081761
Unkonventioneller Mechanismus, um mutierte Proteine aus Nervenzellen auszuschleusen

Bei der familiären Form der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) spielen fehlgefaltete Proteine wie die mutierte Form des Enzyms Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) eine zentrale Rolle. Diese Fehlfaltung führt zu einer Kette pathologischer Prozesse, die die Nervenzellen schädigen.

Das Bild zeigt die Anreicherung des mutierten Sod1 Proteins in Nervenzellfortsätzen von Motoneuronen, in denen das Plekhg5 Protein fehlt. Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).

In einer kürzlich in Nature Communications veröffentlichten Studie konnte ein Team des Instituts für Klinische Neurobiologie zeigen, dass SOD1 in axonalen Fortsätzen, also in den langen Ausläufern von Nervenzellen, über einen unkonventionellen Mechanismus aus der Zelle ausgeschleust werden. Verantwortlich dafür ist das Protein Plekhg5. Das SOD1 Protein wird zunächst in Autophagosomen angereichert, und dann in Abhängigkeit von Plekhg5 aus der Zelle ausgeschleust. Autophagie ist ein Prozess, bei dem Zellen Abfall oder beschädigte Teile verpacken und abbauen. Ohne Plekhg5 sammelt sich Sod1 in den Nervenzellen an, vor allem an den Kontaktstellen zwischen den Zellen (Synapsen).

Interessanterweise zeigten Mäuse ohne Plekhg5 einerseits früher Krankheitssymptome, überlebten aber andererseits länger, weil weniger des mutierten, toxischen Sod1 freigesetzt wurde und dadurch das Immunsystem weniger aktiviert wurde. Zusammenfassend zeigt die Studie, dass zwei Proteine, die mit Erkrankungen des Motoneurons in Verbindung stehen, auf unerwartete Weise zusammenarbeiten und dass eine Veränderung dieses Mechanismus den Krankheitsverlauf beeinflussen kann.

Publikation
Hutchings AJ, Hambrecht B, Veh A, Giridhar NJ, Zare A, Angerer C, Ohnesorge T, Schenke M, Selvaraj BT, Chandran S, Sterneckert J, Petri S, Seeger B, Briese M, Stigloher C, Bischler T, Hermann A, Damme M, Sendtner M, Lüningschrör P. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun. 2024 Oct 4;15(1):8622. doi: 10.1038/s41467-024-52875-5. PMID: 39366938; PMCID: PMC11452647.

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Das Bild zeigt die Anreicherung des mutierten Sod1 Proteins in Nervenzellfortsätzen von Motoneuronen, in denen das Plekhg5 Protein fehlt. Quelle: Hutchings, AJ., Hambrecht, B., Veh, A. et al. Plekhg5 controls the unconventional secretion of Sod1 by presynaptic secretory autophagy. Nat Commun 15, 8622 (2024).
Wie die Proteinsynthese in axonalen Fortsätzen von motorischen Nervenzellen reguliert wird

Motoneuronen, also die Nervenzellen, die unsere Muskeln steuern, brauchen eine sehr genaue Kontrolle darüber, wann und wo in der Zelle neue Proteine hergestellt werden, um das Wachstum von Axonen (lange Fortsätze der Nervenzellen) und die Herstellung sowie Aufrechterhaltung neuromuskulärer Verbindungen zu ermöglichen.

Wenn diese Proteinsynthese gestört ist, kann es zu Motoneuronerkrankungen kommen. Prof. Dr. Michael Sendtner, Direktor des Instituts für Klinische Neurobiologie, hat mit seinem Team die Mechanismen, welche die Proteinsynthese in Axonen regulieren, untersucht. 

In der in der Fachzeitschrift Nature Communications publizierten Arbeit „hnRNP R promotes O-GlcNAcylation of eIF4G and facilitates axonal protein synthesis“ konnte gezeigt werden, dass die Proteinsynthese durch das hnRNP-R-Protein geregelt ist. Das Proetin ist Teil des Translationsinitiationskomplexes und interagiert dort mit einem Enzym, das einen Glycosidrest auf den Initiationsfaktor eIF4G überträgt. Dieser Übertragungsmechanismus ist bei Erkrankungen wie der spinalen Muskelatrophie gestört. 

 

Abdolhossein Zare, Saeede Salehi, Jakob Bader, Cornelius Schneider, Utz Fischer, Alexander Veh, Panagiota Arampatzi, Matthias Mann, Michael Briese, Michael Sendtner. hnRNP R promotes O-GlcNAcylation of eIF4G and facilitates axonal protein synthesis. Nature Communications. 2024 Aug 28;15(1):7430. doi: 10.1038/s41467-024-51678-y.

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Wie entsteht „Freezing“?

In einem in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Reviews Neuroscience“ erschienenen Kurzartikel beschreibt Prof. Philip Tovote „The Origins of Freezing“.

Die „Freezing“-Reaktion ist ein evolutionär konservierter, in Tieren und Menschen kurzzeitig auftretender Zustand, der durch Bedrohungen ausgelöst wird. Freezing hat als Maß für Furcht, aber auch für assoziatives Furchtlernen eine enorme Bedeutung in den Verhalts- und Neurowissenschaften, jedoch führt die unpräzise Verwendung des Begriffs für viele verschiedene Verhaltenszustände oftmals zu Ungenauigkeiten und Missverständnissen in der Forschung. Durch die Erinnerung an die erstmalige Beschreibung von Freezing trägt der Artikel zu einem differenzierten Konzept dieser wichtigen Messgröße bei. 

 

Philip Tovote. The origins of freezing. Nat Rev Neurosci. 2024 Sep 10. doi: 10.1038/s41583-024-00857-3. Epub ahead of print. PMID: 39256592.

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