paper place Archiv Allgemeinmedizin

Planetarische Gesundheitserziehung in der medizinischen Ausbildung in Deutschland

Die multiplen ökologischen Krisen unserer Zeit, etwa Klimawandel, Umweltverschmutzung und Biodiversitätsverlust, haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit. Um angehende Ärztinnen und Ärzte auf diese Herausforderungen vorzubereiten, gewinnt die Planetary Health Education (PHE) zunehmend an Bedeutung. Doch wie weit diese Inhalte in der medizinischen Ausbildung in Deutschland bereits verankert sind, war bislang unklar.

Im Rahmen des PlanetMedEd-Projekts wurden strukturierte Interviews sowie eine bundesweite Online-Befragung an allen 39 medizinischen Fakultäten durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: Zwar bieten 90 % der Fakultäten PHE-Aktivitäten an, doch handelt es sich in der Mehrheit um freiwillige Wahlangebote. Pflichtveranstaltungen bleiben die Ausnahme. Besonders transformativ wirkende Lernziele wie Kommunikationskompetenz, Nachhaltigkeit oder interdisziplinäre Zusammenarbeit, fanden sich überwiegend in Wahlveranstaltungen mit aktiver Studierendenbeteiligung.

Die Studie verdeutlicht, dass trotz gestiegener Aktivität eine systematische, verpflichtende Integration von Planetary Health in die medizinischen Curricula bislang fehlt. Um die Gesundheitsversorgung zukunftsfähig zu gestalten, braucht es verbindliche Vorgaben, interdisziplinäre Kooperationen und innovative Lehrformate, die nicht nur Wissen, sondern auch Werte und Handlungskompetenzen vermitteln.

 

Fabio Grieco; Sandra Parisi; Anne Simmenroth; Michael Eichinger; Janina Zirkel; Sarah König; Jana Jünger; Eva Geck; Eva-Maria Schwienhorst-Stich. Planetary Health Education in Undergraduate Medical Education in Germany: Results from Structured Interviews and an Online Survey within the National PlanetMedEd Project. Front. Med. 2025, 11. https://doi.org/10.3389/fmed.2024.1507515

Zur Publikation

Tabakentwöhnung stärker in allgemeinmedizinische Lehre integrieren

Die Vermittlung effektiver Tabakentwöhnungskompetenzen ist ein wichtiger Bestandteil der ärztlichen Ausbildung. Das Institut für Allgemeinmedizin des UKW entwickelte ein longitudinales Lehrkonzept auf Basis des 5A-Modells, um Medizinstudierende frühzeitig und praxisnah für die Beratung zur Tabakentwöhnung zu qualifizieren.

Das Wort "Stop" gelegt aus gerauchten Zigaretten

Die 2025 veröffentlichte Studie zeigt, dass die Umsetzung im Rahmen des Hausarztpraktikums erfolgreich ist, insbesondere wenn Hausärztinnen und -ärzte sowie reale Gespräche mit Patientinnen und Patienten in die Lehre integriert werden. Studierende, die mit echten Personen Beratungsgespräche führten, berichteten von einem gestärkten Vertrauen in ihre kommunikativen Fähigkeiten und einer positiveren Haltung gegenüber präventivmedizinischer Beratung.

Die Ergebnisse unterstreichen den Mehrwert authentischer Lerngelegenheiten und legen nahe, Tabakentwöhnung als praktisches Thema stärker in die allgemeinmedizinische Lehre zu integrieren.

 

Jessica Ruck; Elena Tiedemann; Jessica Sudmann; Andrea Kübler; Anne Simmenroth. Evaluating the longitudinal effectiveness of a smoking cessation counselling course based on the 5A model for medical students in family medicine placement.  GMS J Med Educ 2025, 42(1). 

Zur Publikation

Das Wort "Stop" gelegt aus gerauchten Zigaretten
Verbleibende Symptome bei nicht hospitalisierten Patienten mit COVID-19

Viele nicht-hospitalisierte COVID-19-Patientinnen und Patienten berichten auch Monate nach der Infektion über anhaltende körperliche und psychische Beschwerden.

Die im BMC Primary Care veröffentlichte prospektive Erhebungsstudie, durchgeführt im April/Mai 2021 in Deutschland, untersuchte typische Post-COVID-Symptome und deren Auswirkungen auf den Alltag über sechs Monate hinweg. Sie war Teil der internationalen CALIP-Studie in elf europäischen Ländern – u. a. Schweden, Niederlande, Italien, Spanien und Ungarn – und wurde in Deutschland mit erweitertem Fokus auf die mentale Gesundheit ausgewertet. 

Nach zwölf Wochen litten noch 48,3 Prozent der Teilnehmenden an Symptomen wie Fatigue oder Konzentrationsstörungen. Ein Drittel war im Alltag eingeschränkt, jede fünfte Person zeigte psychische Belastungen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung früher psychosozialer Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung zur Prävention langfristiger Folgen.

 

Jörn Rohde, René Bundschuh, Yvonne Kaußner und Anne Simmenroth. Lingering Symptoms in Non-Hospitalized Patients with COVID-19 - a Prospective Survey Study of Symptom Expression and Effects on Mental Health in Germany. BMC Prim Care 2025, 26 (1), 94. https://doi.org/10.1186/s12875-025-02784-3.

Zur Publikation

Antibiotikaeinsatz bei Harnwegsinfektionen in der bayerischen ambulanten Versorgung

Um Antibiotikaresistenzen und Nebenwirkungen zu vermeiden, empfehlen die deutschen Leitlinien bei der Behandlung von Harnwegsinfektionen Fosfomycin, Nitrofurantoin, Pivmecillinam und Nitroxolin als Erstlinien-Therapie und raten von Breitbandantibiotika wie Fluorchinolonen und Cephalosporinen ab.

Eine retrospektive Analyse von 1,7 Millionen Antibiotikaverschreibungen für Harnwegsinfektionen in Bayern (2013–2019) zeigt positive Entwicklungen in Richtung leitliniengerechter Behandlungsstrategien. Während der Anteil von Fluorchinolonen aufgrund bekannter Nebenwirkungen erheblich sank, stieg die Verschreibung von Fosfomycin und Pivmecillinam deutlich an. Diese Trends wurden besonders bei weiblichen Patientinnen beobachtet.

Die Gynäkologie zeigte die höchste Adhärenz an Leitlinienempfehlungen, gefolgt von der Allgemeinmedizin und Urologie. Dennoch ergab die Analyse, dass ältere Patientinnen seltener mit Fosfomycin behandelt wurden, was auf Potenziale für Optimierungen hinweist. Mehrfache Antibiotikaverschreibungen innerhalb eines Behandlungsverlaufs waren häufig mit einem Wechsel der Substanzgruppe verbunden.

Die Ergebnisse betonen die Notwendigkeit weiterer Schulungen für Fachärztinnen und Fachärzte, um den Einsatz von Breitbandantibiotika zu minimieren und Resistenzen vorzubeugen. Leitliniengetreue Verschreibungsmuster könnten nicht nur die Patientensicherheit erhöhen, sondern auch langfristig die öffentliche Gesundheit stärken.

 

Thomas Hanslmeier, Sahera Alsaiad, Susann Hueber, Peter K. Kurotschka, Roman Gerlach, Ildikó Gágyor, Yvonne Kaußner. Prescription of antibiotics for urinary tract infections in outpatient care in Bavaria: An analysis of routine data. PLoS One. October 25, 2024. e0312620. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0312620

Zur Publikation

Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf die Wahl der Allgemeinmedizin als Fachgebiet

Der wachsende Mangel an Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern stellt eine europaweite Herausforderung dar, insbesondere in ländlichen Gebieten.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Faktoren zu verstehen, die die Facharztwahl von Medizinstudierenden beeinflussen, und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um sie für die Allgemeinmedizin zu begeistern. Neben den Erfahrungen im Medizinstudium, ländlichen Praktika oder den Besonderheiten der Allgemeinmedizin spielen auch Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle bei der Facharztentscheidung der Studierenden. Das Institut für Allgemeinmedizin untersuchte daher die Persönlichkeitsmerkmale von Medizinstudierenden basierend auf dem Big-Five-Modell, das Persönlichkeit anhand der Dimensionen Offenheit für Erfahrungen (z. B. wie neugierig oder kreativ jemand ist), Gewissenhaftigkeit (z. B. wie organisiert oder pflichtbewusst jemand ist), Extraversion (z. B. wie kontaktfreudig oder gesellig jemand ist), Verträglichkeit (z. B. wie freundlich oder kooperativ jemand ist) und Neurotizismus (z. B. wie emotional anfällig oder gestresst jemand ist) misst.

Die Ergebnisse zeigen, dass höhere Werte bei Verträglichkeit und Neurotizismus mit einem gesteigerten Interesse an der Allgemeinmedizin korrelieren, während Offenheit und Gewissenhaftigkeit negative Zusammenhänge aufwiesen. Also freundliche, hilfsbereite und emotional sensible Persönlichkeiten sind offener für die Allgemeinmedizin, kreative, neugierige und strukturierte Persönlichkeiten sind offener für andere Fachrichtungen. 

Die Studie identifizierte auch, dass das generelle Interesse an der Allgemeinmedizin ein bedeutender Prädiktor für die spätere Wahl dieses Fachgebiets ist. Alter und Studiensemester hatten ebenfalls einen Einfluss auf das Interesse, während das Geschlecht keine signifikante Rolle spielte. Die Ergebnisse legen nahe, dass Persönlichkeitsanalysen in der Studienberatung eingesetzt werden könnten, um Studierende gezielt zu unterstützen und mehr Nachwuchs für die Allgemeinmedizin zu gewinnen. 

 

Maike Krauthausen, Tobias Leutritz, Martin J. Koch, Pamina E. Hagen, Sarah König & Anne Simmenroth. Personality and interest in general practice: results from an online survey among medical students. BMC Primary Care 25, 415 (2024). https://doi.org/10.1186/s12875-024-02682-0

Zur Publikation

ELKGE: Entwicklung eines Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung in hausärztlichen Praxen

Im Rahmen des Projekts ELKGE wurde ein „Leitfaden zur klimasensiblen Gesundheitsberatung“ entwickelt, der Hausärztinnen und Hausärzte befähigen soll, die gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels in ihrer täglichen Praxis zu thematisieren.

Blühende Pfalnzen auf einer Wiese als Titelbild des Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis
Titelbild des Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis

Schwerpunkte des Leitfadens sind die Beratung zu hitzebedingten Gesundheitsrisiken, durch den Klimawandel verstärkten Infektionskrankheiten sowie psychischen Belastungen.

Die Entwicklung basierte auf einer umfassenden Literaturrecherche und qualitativen Fokusgruppen mit Hausärztinnen und Hausärzten. Diese identifizierten spezifischen Inhalte wie Beratungsbeispiele, Formulierungshilfen, Checklisten und visuelles Material als besonders hilfreich. Gleichzeitig wurden Hindernisse wie Zeitmangel und Unsicherheiten in der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten erkannt. Der Leitfaden wurde in Pilotphasen getestet, evaluiert und auf Basis der Rückmeldungen weiter optimiert.

Die von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Studie unterstreicht die Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte als wichtige Multiplikatoren für klimarelevante Gesundheitsthemen. Der Leitfaden soll eine niedrigschwellige Integration solcher Themen ermöglichen und langfristig zu präventiven Ansätzen in der hausärztlichen Versorgung beitragen. Er ist kostenlos online verfügbar und könnte ein Modell für ähnliche Initiativen in anderen Ländern sein.

 

Heike Hansen, Claudia Mews, Susann Schubert, Eva-Maria Schwienhorst-Stich, Janina Zirkel, Anne Simmenroth & Martin Scherer. Entwicklung eines Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für hausärztliche Praxen (ELKGE). Zeitschrift für Allgemeinmedizin (2024). doi.org/10.1007/s44266-024-00321-6

Zum Leitfaden
Zum Projekt
Zur Publikation

Blühende Pfalnzen auf einer Wiese als Titelbild des Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis
Titelbild des Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis
Welche Faktoren hängen mit der Berufswahl von Medizinstudierenden in verschiedenen Fachgebieten zusammen?

Angesichts des Mangels und der ungleichen Verteilung von Ärztinnen und Ärzten auf die verschiedenen Fachgebiete, untersucht die Studie welche Faktoren die Facharztwahl von Medizinstudierenden beeinflussen, darunter Persönlichkeit, Ausbildung, berufsbezogene Motive und Wichtigkeit verschiedener Aspekte bei der Facharztwahl.

Dazu führten sie eine Querschnittsbefragung von 683 Studierenden aus drei verschiedenen Phasen des sechsjährigen Medizinstudiums durch, 70 Prozent der Befragten waren Frauen. Die am häufigsten gewählten Fachrichtungen waren Innere Medizin, Chirurgie und Allgemeinmedizin. Auch Anästhesiologie, Kinder- und Jugendmedizin sowie Gynäkologie stießen auf Interesse. Das Interesse an einer Fachrichtung wurde vor allem durch die Erfahrungen in bestimmen Fächern, z.B. während klinischer Praktika, beeinflusst. Geregelte Arbeitszeiten und Work-Life-Balance waren für alle Studierenden wichtig, jedoch weniger für diejenigen, die sich für die Chirurgie als Zielgebiet entschieden. Die Bereitschaft, in einem Krankenhaus zu arbeiten, war stark mit der Präferenz von Anästhesiologie und Chirurgie verbunden, während der Wunsch in ländlichen Gebieten und ambulant tätig zu sein mit dem Interesse an der Allgemeinmedizin assoziiert waren. Ein Interesse an der Allgemeinmedizin ging zudem häufiger mit einer Berufsausbildung vor Studienbeginn und positiven Vorerfahrungen mit dem Fach einher. Die Ergebnisse verdeutlichen die Komplexität der Entscheidungsprozesse und sollen dazu beitragen, die Vielfalt und Verteilung der medizinischen Fachrichtungen zu fördern. Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige und gerechte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die sowohl den individuellen als auch den gesellschaftlichen Bedürfnissen entspricht.

 

Tobias Leutritz, Maike Krauthausen, Anne Simmenroth & Sarah König. Factors associated with medical students’ career choice in different specialties: a multiple cross-sectional questionnaire study at a German medical school. BMC Med Educ 24, 798 (2024). doi:10.1186/s12909-024-05751-1

Zur Publikation