Nachhaltigkeit / Bild: S-Krummer

Nachhaltigkeit in der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie

Das Gesundheitswesen ist vom 125. Deutschen Ärztetag dazu aufgefordert, bis 2030 klimaneutral zu arbeiten. Dies erfordert ein Umdenken in Handlungsabläufen und im Konsumverhalten im Klinikalltag. Jede medizinische Einrichtung trägt die Verantwortung, individuelle neue Wege zu beschreiten, um dieses Ziel zur erreichen, ohne das Patientenwohl zu beeinträchtigen. Unsere Klinik stellt sich dieser Herausforderung aus voller Überzeugung.

Treibhausgase & Co

Das globale Gesundheitssystem ist für etwa vier bis fünf Prozent der Treibhausgasemissionen (THG) verantwortlich und übertrifft damit die Summe der Emissionen aus Flug- und Schiffsverkehr. Die zur Allgemeinanästhesie bisher vorrangig eingesetzten Narkosegase sind halogenierte Kohlenwasserstoffe – damit starke Treibhausgase – und tragen zu etwa fünf Prozent des CO2-Fußabdrucks der Kliniken bei. Neben den Narkosegasen stehen jedoch noch weitere Stellschrauben zur Optimierung im Fokus der Anästhesiologie. Dazu zählen insbesondere die Steigerung der Energieeffizienz in den Operationssälen, ein bewusster Medikamentenverbrauch sowie eine konsequente Mülltrennung.

Nachhaltigkeitsstrategien

Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hat auf diese Herausforderungen reagiert und Anfang 2020 das Forum „Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie“ gegründet. Das ehrgeizige Ziel ist es, die Klimaauswirkungen der Anästhesiologie um bis zu 70 Prozent zu reduzieren. Um dies zu erreichen, ist es erforderlich, dass alle Krankenhäuser bewährte Nachhaltigkeitsstrategien kontinuierlich überprüfen, stets dazulernen und neue Aufgaben und Herausforderungen annehmen.

Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten in der Anästhesiologie

Wechsel bei inhalativen Narkosegasen

Die in Deutschland zur Allgemeinanästhesie verwendeten volativen Anästhetika, also die gasförmigen Substanzen wie Sevofluran, Desfluran, Isofluran und Lachgas haben als halogenierte Kohlenwasserstoffe unterschiedliche Treibhausgaspotenziale. Dabei weisen Lachgas und Desfluran den höchsten CO2-Fußabdruck auf.  Beim Abbau von Lachgas entsteht zudem Stickstoffmonoxid (NO), was zum Abbau der Ozonschicht beiträgt.

Am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) werden Inhalationsnarkosen seit vielen Jahren nahezu ausschließlich mit Sevofluran durchgeführt. Nur in begründeten Ausnahmefällen kommen Desfluran und Lachgas noch zum Einsatz. Zudem werden zur weiteren Optimierung und Ausschöpfung der Nachhaltigkeitsstrategien neuartige Filter bei ausgewählten Narkosegeräten integriert, welche die Narkosegase Sevofluran und Desfluran speichern und diese im Anschluss einem Recyclingprozess zuführen.

Frischgasflüsse minimieren

Eine Reduktion der Umweltbelastung durch volatile Anästhetika kann nicht nur durch die Wahl des Narkosegases, sondern vor allem auch durch die Reduktion des Frischgasflusses erreicht werden. Dabei besteht ein linearer Zusammenhang: Eine Halbierung des Frischgasflusses bewirkt eine Halbierung der freigesetzten Inhalationsanästhetika. Diese Gase gelangen nämlich nahezu vollständig in die Atmosphäre, wenn sie – direkt am Narkosegerät – von der Patientin oder dem Patienten abgesaugt und über ein Abluftsystem in die Außenluft geleitet werden.

Mit dem Einsatz eines Rückatemsystems lässt sich der Frischgasfluss jedoch inzwischen auf unter einen Liter pro Minute senken: Der Patientin oder dem Patienten wird dann lediglich der tatsächlich verbrauchte Sauerstoff zugeführt und das abgeatmete CO2 von Atemkalk, das am Narkosegerät angebracht ist, absorbiert. Nach Gebrauch wird dieser Atemkalk dem Hersteller zum Recycling zurückgesandt. Durch den Verzicht auf Desfluran und Lachgas sowie konsequenter Anwendung von Low- oder Minimal-Flow Anästhesie könnten die CO2- Emissionen insgesamt so um 50 bis 80 Prozent gesenkt werden.

Vermehrt total Intravenöse Anästhesie und Regionalanästhesie

Eine weitere Möglichkeit, den Einsatz von Narkosegasen zu reduzieren, ist der verstärkte Einsatz von total intravenöser Anästhesie und Regionalanästhesien. Zwar ist hierbei mit einem höheren Verbrauch an Einmal-Plastikartikeln und Medikamentenabfall zu rechnen, jedoch würde das THG-Potenzial insgesamt deutlich gesenkt. Dabei muss natürlich dennoch beachtet werden, dass beim Abbau des intravenösen Medikaments Propofol umwelttoxische Abbauprodukte entstehen, die insbesondere Wasserorganismen schädigen können. Deshalb muss bei Propofol eine fachgerechte Entsorgung über den Verbrennungsmüll gewährleistet sein.

Reduktion des Medikamentenverwurfs

Ein effizienter Einsatz von Arzneimitteln ist in jedem Fachbereich sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll. In der Anästhesie werden jedoch bis zu 40 Prozent der Medikamente ungenutzt entsorgt. Ursachen hierfür sind unter anderem die Vorhaltung von Medikamenten für Notfallsituationen, die zeitkritisch zur Verfügung stehen müssen, deren Verfallsdatum aber in einem knappen Zeitfenster liegen. Zudem werden überschüssige Narkosemedikamente nach Beendigung der Operation verworfen. Ein aktuelles Projekt zielt darauf ab, den Medikamentenabfall systematisch zu erfassen, die Ursachen zu analysieren und gezielte Maßnahmen im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (Plan-Do-Check-Act-Zyklus) umzusetzen.

Reduktion des Verbrauchmaterials

Die Treibhausgasemissionen (THG) für Ver- und Entsorgung von Verbrauchsmaterialien lagen nach einer Studie, die drei OP-Einrichtungen in den USA, Kanada und England untersuchte, zwischen 536 und 650 Tonnen CO2 pro Jahr. Dies entsprach einem Anteil von 12 bis 20 Prozent des Gesamtfußabdrucks der Einrichtungen. Auch in Deutschland entstehen zwischen 20 und 30 Prozent des gesamten Klinikmülls im OP-Bereich, wobei ein Viertel direkt der Anästhesie zugeordnet werden kann. Einen Großteil davon macht das Verpackungsmaterial für Einmalinstrumente aus. Ein geringeres Verpackungsvolumen, gekoppelt an eine kontinuierliche Verbesserung der Abfall- und Recyclingstrategien könnte einen wertvollen Beitrag zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks leisten.

Vermittlung des neuen Bewusstseins

Die Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen in allen Lehrveranstaltungen der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist das erklärte Ziel des Projekts. Es soll künftige Ärztinnen und Ärzte auf die Herausforderung einer klimaneutralen Medizin vorbereiten. Ebenso muss das Thema Nachhaltigkeit verstärkt in der Facharztweiterbildung verankert werden, um nachhaltiges Denken und Handeln in der Patientenversorgung fest zu etablieren.

Green Team UKW

Die Nachhaltigkeitsbemühungen in der Anästhesie und Intensivmedizin sind eingebettet in die Nachhaltigkeitsprojekte des Universitätsklinikums (UKW) und erfolgen in enger Abstimmung mit der Stabsstelle Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit ist Teamarbeit und wir sind Teil des Green Teams des UKW!

Publikationen

Schuster M, Richter H, Pecher S, Koch S, Coburn M (2020)
Positionspapier mit konkreten Handlungsempfehlungen*: Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Anästhesiologie & Intensivmedizin 2020 Juli/August; 61:329–339
Zur Publikation 

Schuster M, Richter H, Pecher S, Koch S, Coburn M (2020)
Positionspapier: Beschluss des Engeren Präsidiums der DGAI vom 16.03.2020/des Präsidiums des BDA vom 24.04.2020
Zum Positionspapier als PDF
 
Koch S, Pecher S (2020)
Neue Herausforderungen für die Anästhesie durch den Klimawandel
Der Anästhesist 2020 April: 69:453–462
Zur Publikation

Richter H, Weixler S, Schuster M (2020)
Der CO2-Fußabdruck der Anästhesie. Wie die Wahl volatiler Anästhetika die CO2-Emissionen einer anästhesiologischen Klinik beeinflusst.
Anästhesiologie & Intensivmedizin 2020; 61:154–161
Zur Publikation

Sulbaek Andersen MP, Nielsen OJ, Sherman JD (2023)
Assessing the potential climate impact of anaesthetic gases.
Lancet Planetary Health. 2023 Jul; 7(7): e622-e629
Zur Publikation

Ansprechpersonen


Anja Neuhoff

Biologische Technische Assistentin (BTA)

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