
Anlässlich des Internationalen Tags der Immunologie am 29. April, der in diesem Jahr unter dem Motto Neuroimmune Crosstalks steht, stellt das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) verschiedene Arbeitsgruppen vor, die sich in ihrer Forschung mit den Wechselwirkungen zwischen dem Nervensystem und dem Immunsystem beschäftigen. Hier gibt es einen Einblick in die experimentelle Schlaganfallforschung von Prof. Dr. Michael Schuhmann, Inhaber einer Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung.
Beim ischämischen Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns durch eine Unterbrechung der Blutzufuhr, vor allem durch Blutgerinnsel aus dem Herzen oder der Halsschlagader, nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Im Kern des sich entwickelnden Hirninfarkts sterben die empfindlichen Nervenzellen schnell ab, in der Umgebung, der so genannten Penumbra, mit Verzögerung. Je nachdem, welcher Teil des Gehirns betroffen ist, kommt es zu neurologischen Ausfallerscheinungen wie Lähmungen, Sensibilitäts-, Sprach- oder Sehstörungen und vielem mehr. Um die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen und schwere neurologische Schäden zu verhindern, muss das Blutgerinnsel so schnell wie möglich entfernt werden. Das wirksamste Verfahren in der akuten Schlaganfallmedizin ist die kathetergestützte mechanische Entfernung des Blutgerinnsels aus dem verschlossenen Gefäß, die Thrombektomie, gegebenenfalls in Kombination mit einer medikamentösen Auflösung des Blutgerinnsels, der Thrombolyse. Die Erfolgsrate insbesondere der mechanischen Thrombektomie ist hoch. 90 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einem nachgewiesenen Großgefäßverschluss können erfolgreich rekanalisiert werden, etwa 50 Prozent erleiden jedoch trotz erfolgreicher Wiederherstellung des Blutflusses bleibende, teils schwere neurologische Defizite oder versterben.
Was läuft beim Schlaganfall pathologisch ab und lässt sich gegebenenfalls modulieren?
Warum profitieren nicht alle Patientinnen und Patienten von einer raschen Rekanalisation? „Um diese Frage beantworten und das Problem lösen zu können, müssen wir die Mechanismen verstehen, die der Schädigung des Gehirns trotz Wiederherstellung des unterbrochenen Blutflusses, der primären Ursache des Schlaganfalls, zugrunde liegen“, sagt Prof. Dr. Michael Schuhmann, Leiter des Klinischen Labors der Neurologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und Inhaber einer Stiftungsprofessur der Hentschel-Stiftung, in deren Rahmen seine experimentelle Schlaganfallforschung für fünf Jahre gefördert wird. Der studierte Pharmazeut ist bereits seit 15 Jahren in der Schlaganfallforschung aktiv und kombiniert das gesamte Portfolio der Translation, angefangen bei der Arbeit mit Zellkulturen über präklinische in-vivo-Methoden bis hin zur Analyse menschlicher Blutproben. Seine Projekte passen perfekt zum Stiftungsziel: Therapieoptionen beim Schlaganfall verbessern! Und dafür versucht Michael Schuhmann mit einem interdisziplinären Team am UKW herauszufinden, was beim Schlaganfall über die vorübergehende Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn hinaus an Schädigungskaskaden in Gang gesetzt wird, in der Hoffnung, diese zum Wohle der Schlaganfallpatienten beeinflussen zu können.
Blutplättchen und Immunzellen entscheidend für Infarktwachstum
Jetzt kommt das Immunsystem ins Spiel. Bereits während des Gefäßverschlusses beim ischämischen Schlaganfall kommt es zu einer starken Entzündungsreaktion vor allem in den kleineren Gefäßen, die als Umgehungskreislauf die Umgebung des Infarktkerns, die Penumbra, notdürftig mit Blut versorgen, solange das Hauptgefäß noch verschlossen ist. An dieser gefäßbezogenen Entzündungsreaktion sind Thrombozyten, besser bekannt als Blutplättchen, aber auch Immunzellen wie T-Zellen und neutrophile Granulozyten beteiligt. „Sobald das Blutgefäß blockiert ist, reagiert das Endothel, die dünne Zellschicht, die das Innere des Blutgefäßes auskleidet, und Thrombozyten werden aktiviert. Die aktivierten Blutplättchen schlagen Alarm und steuern eine Entzündungsreaktion. Doch statt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen und zu helfen, schädigen die Immunzellen in einer überschießenden Reaktion das Gehirn - auch noch nach der Entfernung des Thrombus, ein Vorgang, der als Ischämie-Reperfusionsschaden auch für andere Organsysteme wie Herz, Niere und Leber beschrieben ist“, erklärt Michael Schuhmann seine Hypothese.
Identifizierung von Signalmolekülen, die zur Thrombo-Inflammation beitragen
In präklinischen Modellen beobachtete das interdisziplinäre Team um Michael Schuhmann in Kooperation mit dem Rudolf-Virchow-Zentrum und dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie am UKW eine enge Zusammenarbeit zwischen Thrombozyten und Immunzellen. Es kommt zu einer durch Thrombozytenaktivierung gesteuerten Entzündungsreaktion – Thrombo-Inflammation, ein in Würzburg geprägter und inzwischen international etablierter Begriff –, die über die Phase des akuten Gefäßverschlusses hinaus in die Rekanalisationsphase hineinreicht und maßgeblich zum Ischämie-Reperfusionsschaden beiträgt. Wesentliche Signalmoleküle konnten bereits identifiziert werden. So konnte die Blockade der thrombozytären Glykoproteinrezeptoren GPIb und GPVI in experimentellen Modellen sowohl die Entzündungsreaktion als auch die Gewebeschädigung signifikant abschwächen und die neurologischen Ausfallerscheinungen mildern. Auch ist es gelungen, mit CD84 ein erstes Signalmolekül zu identifizieren, das die Kommunikation zwischen Thrombozyten und Immunzellen, in diesem Fall T-Zellen steuert.
Neue therapeutische Ansätze
Es stellt sich immer die Frage, inwieweit die experimentellen Befunde auf den Menschen übertragbar sind. Auch hier ist in enger Zusammenarbeit mit der Neuroradiologie am UKW ein Durchbruch gelungen. Die Kollegen konnten während routinemäßiger Thrombektomien mittels Mikrokathetern hinter dem verschlossenen Gefäß kleinste Mengen ischämischen Blutes entnehmen, die im neurologischen Labor näher untersucht wurden. Das Team bestätigte eine ähnliche Thrombozytenaktivierung und Einwanderung von Immunzellen wie im Experiment und belegte damit die Übertragbarkeit der in präklinischen Modellen gewonnenen Erkenntnisse auf den Menschen.
„Aus diesen Untersuchungen ergeben sich völlig neue Perspektiven für eine „Zusatztherapie“ zur reinen Rekanalisation beim akuten Schlaganfall, die unter anderem auf thrombozytäre Moleküle wie GPVI abzielt, um Entzündungsprozesse zu hemmen, und nicht wie bisherige Ansätze auf die Bildung neuer Thromben. Wir haben bereits sehr große Fortschritte im Verständnis dieser Prozesse jenseits der Thrombenbildung gemacht. Aktuelle Untersuchungen zielen auf die genauen Mechanismen der Schädigung der Blut-Hirn-Schranke und letztendlich der Nervenzellen, deren Ausfall die neurologischen Ausfälle verursacht“, so Schuhmann.
Für Michael Schuhmann ist die Idealvorstellung einer komplementären Therapie jedenfalls klar: „Schon im Rettungswagen – also unmittelbar nach dem Gefäßverschluss – mit einer anti-thrombo-inflammatorischen Behandlung zu beginnen, könnte entscheidend dazu beitragen, das Ausmaß der Hirnschädigung vor der Thrombolyse/Thrombektomie zu begrenzen und damit die Erholungschancen mit einem mittelfristig besseren neurologischen Befinden nach Rekanalisation zu optimieren.“
Der Wissenschaftler zeigt sich zuversichtlich, dass seine experimentelle Schlaganfallforschung in absehbarer Zeit in der klinischen Praxis ankommt – und die Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten spürbar verbessert. Damit wäre ein zentrales Ziel der Hentschel-Stiftung erreicht.
Über Prof. Dr. Michael Schuhmann
Nach dem Pharmaziestudium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Approbation als Apotheker begann Michael Schuhmann (Jahrgang 1982) im Jahr 2008 seine Promotion und damit seine neuroimmunologische Grundausbildung in der Arbeitsgruppe von Prof. Heinz Wiendl und Prof. Sven Meuth. Er forschte über die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose, bei der es zu chronischen Entzündungen im Gehirn und Rückenmark kommt. Parallel dazu hatte Schuhmann bereits Kooperationsprojekte mit der Arbeitsgruppe von Prof. Guido Stoll und Prof. Christoph Kleinschnitz in der experimentellen Schlaganfallforschung, der er sich ab 2013 als Postdoc anschloss und sich entsprechend in die in vivo Schlaganfallmodelle einarbeitete. Er erweiterte das Methodenspektrum der AG entscheidend um in-vitro Schlaganfallmodelle und seine immunologische Expertise. Mit der Übernahme der Leitung des neuroimmunologischen und Liquorlabors der Neurologie im Jahr 2016 trieb er neben der klinischen Routine insbesondere die Analytik von pialen Blutproben von Schlaganfallpatienten voran. Schuhmann ist seit 2016 selbständiger wissenschaftlicher Arbeitsgruppenleiter, habilitierte sich 2022 und erhielt 2024 die W2-Professur für Experimentelle Schlaganfallforschung an der Neurologischen Klinik, die für fünf Jahre als Hentschel-Stiftungsprofessur gefördert wird.
Weitere Informationen zum Tag der Immunologie gibt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Text: KL / Wissenschaftskommunikation
