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Mit Pioniergeist und Weitsicht - Universitäts-Kinderklinik Würzburg feiert Geburtstag

Wie Regierung und Universitätsmedizin Würzburg vor 175 Jahren den Grundstein in der „Kunst des Kinderheilens“ setzten

Schwarz weiß Bild der Kinderklinik im Winter - hinten links ist die HNO-Klinik noch im Bau
Kinderklinik: Die Säuglinge waren bereits 1921 in die Chirurgie und Innere des Luitpoldkrankenhauses gezogen. Nachdem im Jahr 1923 die Kinder-, HNO- und Hautklinik offiziell auf dem Campus in Grombühl eröffnet wurden, zogen auch die Kinder ins Luitpoldkrankenhaus - ins heutige Gebäude D4. Auf dem Bild ist die HNO-Klinik noch im Bau. Quelle unbekannt.
Das Bild zeigt Hans Rietschel, der im weißen Kittel einen Säugling untersucht, daneben eine SChwester in Schwestertracht, links schauen drei Studierende in dunklen Anzügen zu.
Lehrszene aus der Kinderklinik. Prof. Dr. Hans Rietschel, der 1927 als Extraordinarius für Kinderheilkunde an die Universität Würzburg berufen wurde, untersucht im Beisein einer Kinderkrankenschwester und Studenten einen Säugling. Das Bild stammt aus einer Festschrift und wurde dem UKW vom Enkel von Hans Rietschel, Dr. Ernst Rietschel, freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Würzburg. Am 1. November 1850 wurde in der heutigen Klinikstraße 3 in Würzburg die erste eigenständige Universitäts-Kinderklinik eröffnet. Während einige behaupten, es sei die erste Universitäts-Kinderklinik der Welt gewesen, halten andere dagegen, dass sie zunächst nur wenige Jahre Bestand hatte. Fest steht, dass sich ihr damaliger Leiter Franz von Rinecker (1811–1883) bereits Jahre zuvor intensiv für die Ars paediatrica, die Kunst des Kinderheilens, eingesetzt hatte. Dank der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurden Kinder nicht mehr als kleine, unvollkommene Erwachsene betrachtet, sondern als eigenständige Wesen mit spezifischen Bedürfnissen, Erkrankungen und Behandlungsmethoden. Zwar gab es in Würzburg bereits im Wintersemester 1818/1819 erste Vorlesungen zum Thema „Therapie von Kinderkrankheiten” durch den damaligen Leiter der Medizinischen Klinik der Universität Würzburg, Johann Lucas Schönlein, doch wurde die Kinderheilkunde erst im Jahr 1844 als eigenständiges Fach an der Universität anerkannt, als Franz von Rinecker die erste formale Professur speziell für Kinderheilkunde erhielt.

Königliches Dekret zur Prüfung von Vorlesungen über Kinderkrankheiten und Einrichtung einer Separatanstalt für Kinder

Die Einrichtung der Pädiatrie als eigenes Lehrfach und die Gründung einer „Separatanstalt für Kinder“ sind vor allem einem für diese Zeit überaus fortschrittlichen und weitsichtigen Vorhaben der Bayerischen Regierung zu verdanken. Am 7. Juli 1841 erreichte den akademischen Senat der Universität Würzburg nämlich ein Dekret des Ministeriums des Innern in München unter König Ludwig I., in dem es hieß, dass es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sei, an den medizinischen Fakultäten Vorlesungen über Kinderkrankheiten zu halten. „Der Grund, warum dergleichen Vorlesungen bisher nicht von größeren Erfolgen begleitet gewesen sind, lag hauptsächlich in dem Mangel einer eigenen klinischen oder poliklinischen Anstalt für kranke Kinder, wodurch allein ein lebhafteres Interesse für diesen speciellen Gegenstand erwirkt, und dem Studierenden das Eigenthümliche des Krankheits-Verlaufes im kindlichen Alter, sowie der ärztlichen Behandlung anschaulich gemacht werden kann.“ Und weiter: „Nachdem seine Majestät der König in Anerkennung der hohen Wichtigkeit dieses Gegenstandes allergnädigst zu befehlen geruht haben, daß allerhöchstdenselben bezüglich der Herstellung von dergleichen klinischen oder poliklinischen Anstalten für kranke Kinder, sowie der hiermit in Verbindung zu setzenden Vorträge über Kinderkrankheiten an den Hochschulen allerunterthänigst Vorschläge gemacht werden, so erhält der königlichen Majestät Senat hiermit den Auftrag, sich in thunlicher Bälde unter näherer Angabe der desfalls etwa teilweise bereits bestehenden Anordnungen darüber zu äußern.“

In ihrer Stellungnahme begrüßte die medizinische Fakultät das Vorhaben und listete die erforderlichen Mittel zur Einrichtung einer stabilen Kinderklinik auf. Es mangelte sowohl an Geldern als auch an Räumen. Gleichzeitig stieg in der Allgemeinen Medizinischen Poliklinik der Anteil der Kinder - 1846/47 lag dieser bereits bei 45 Prozent. Endlich konnte im November 1850 die erste Universitäts-Kinderklinik eröffnet werden. Kurz danach zog auch die ambulante Kinderklinik in das Gebäude des Juliusspitals in der Klinikstraße. Allerdings führten Interessenskonflikte und Machtkämpfe zwischen Juliusspital und Universität dazu, dass Rinecker nur einen geringen Einfluss hatte und die stabile Kinderklinik 1854 wieder ins Hauptgebäude des Juliusspitals zog. Im Jahr 1872 wurde die Kinderheilkunde sogar wieder zwischen der Inneren Medizin und Allgemeinen Poliklinik aufgeteilt. Rinecker wurde schließlich angewiesen, Vorträge über Syphilis und Hautkrankheiten abzuhalten und das Lehrfach für Kinderkrankheiten an seinen ehemaligen Studenten Carl Gerhardt abzugeben. Gerhardt hatte bereits 1861 ein Lehrbuch für Kinderkrankheiten herausgegeben, das er seinem Lehrer, dem „Geheimen Rat Prof. Franz von Rinecker, als Zeichen bleibender Dankbarkeit und Verehrung“ widmete. Gerhardt war Gründungsmitglied der „Section für Pädiatrik“ und Mitherausgeber des ersten deutschen Handbuchs der Kinderkrankheiten im Jahr 1877. 

Einzug ins Luitpoldkrankenhaus und Entwicklung zu einem führenden Zentrum für pädiatrische Versorgung, Forschung und Lehre 

Erst im Jahr 1915 wurde die Kinderheilkunde in Würzburg endgültig von der Inneren Medizin getrennt und Jussuf Ibrahim wurde der erste Extraordinarius für Kinderheilkunde in Würzburg. Weitere acht Jahre später, 82 Jahre nach dem Königlich Bayerischen Dekret, erhielt die Universitäts-Kinderklinik schließlich eigene Räumlichkeiten. Im Januar 1923 zog sie unter der Leitung von Hans Rietschel ins neu erbaute Luitpoldkrankenhaus; die Säuglinge waren schon zwei Jahre zuvor ins Luitpoldkrankenhaus umgezogen. Auf dem Campus in Grombühl entwickelte sich die Kinderklinik im Laufe der Jahre zu einem führenden Zentrum für klinische Versorgung, Forschung und Lehre in der Kinder- und Jugendmedizin. Heute steht sie für moderne, interdisziplinäre Pädiatrie auf höchstem Niveau – mit internationaler Forschung, neuer Infrastruktur und einem breiten medizinischen Angebot. 

Hervorzuheben ist die Aufbauarbeit von Josef Ströder, der 1948 den Lehrstuhl für Kinderheilkunde übernahm und die Leitung der Klinik innehatte. Er organisierte den Wiederaufbau der Klinik, die in der Bombennacht von 1945 komplett zerstört worden war, stockte das Personal auf und initiierte eine Schule für kranke Kinder sowie verschiedene Arbeitsgruppen für die einzelnen Bereiche der modernen Pädiatrie. Sein Nachfolger Helmut Bartels (Direktor von 1981 bis 1999) setzte sich unter anderem für die fächerübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen am Uniklinikum sowie für den Bau einer modernen Intensivstation und die Gründung eines Perinatalzentrums (PNZ) ein. Letzteres ist heute eines der größten und leistungsstärksten in Bayern. Auch Christian P. Speer, der von 1999 bis 2020 Direktor war, lag das Wohl von Früh- und Neugeborenen besonders am Herzen. Für sie richtete er eine Intensivstation und eine Intermediate-Care-Station zwischen Intensivpflege und normaler Station zur Versorgung der Früh- und Neugeborenen in der Frauenklinik ein. Darüber hinaus gründete er ein Stammzelltransplantationszentrum und entwickelte neben einer hochqualifizierten Allgemeinpädiatrie die Schwerpunktbildung einzelner Spezialbereiche in der Kinderheilkunde weiter. 

Im Mai 2020 wurde Prof. Dr. Christoph Härtel zum Direktor der Universitätskinderklinik ernannt. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Erforschung optimaler Bedingungen für die Entwicklung extrem frühgeborener Kinder, insbesondere im Rahmen überregionaler Forschungsnetzwerke. Ein spezieller Fokus bildet dabei die Entwicklung des Immunsystems. Er sei aber kein reiner Neonatologe, sondern in der Kinderheilkunde breit interessiert, betont er. Er arbeitet nicht nur am Erhalt der Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Kompetenzen, sondern auch an der Stärkung der Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie, und intensiviert die Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Neben dem klassischen Dreiklang der Universitätsmedizin aus Klinik, Forschung und Lehre betrachtet Härtel die Gremienarbeit als sein viertes wichtiges Aufgabenfeld: „Als Pädiater müssen wir auch die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Politik und Gesellschaft vertreten.“ 

Podiumsdiskussion zu den Perspektiven der Kinder -und Jugendmedizin und zur Krankenhausreform: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen!

Deshalb möchte Christoph Härtel, der auch Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ) ist, bei der Jubiläumsfeier der Universitäts-Kinderklinik Würzburg am 5. November nicht nur zurückblicken, sondern auch nach vorne schauen. Nach einem historischen Rückblick wird es eine Podiumsdiskussion zu den Perspektiven der Kinder- und Jugendgesundheit mit Beteiligung der Politik, Eltern und Medizin geben. Ein wichtiges Thema wird sein, was wir gemeinsam für ein gutes Aufwachsen von Kindern in Zeiten knapper Ressourcen tun können. Welchen Stellenwert hat Prävention in der Kindheit? Wie können wir eine zukunftssichere Kinder- und Jugendmedizin gewährleisten? Die aktuelle Krankenhausreform plant an den Bedürfnissen von Kindern vorbei. Wenn sie so umgesetzt wird, dann ist eine spezielle Kinder- und Jugendmedizin, wie sie für viele seltene akute und chronische Erkrankungen des Kindesalters erforderlich ist, in der Finanzierung nicht berücksichtigt. Doch Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Sie haben ein Anrecht auf eine kindgerechte, spezialärztliche Behandlung. Das wusste schon König Ludwig I. 

Text: Kirstin Linkamp / Wissenschaftsredaktion

Schwarz weiß Bild der Kinderklinik im Winter - hinten links ist die HNO-Klinik noch im Bau
Kinderklinik: Die Säuglinge waren bereits 1921 in die Chirurgie und Innere des Luitpoldkrankenhauses gezogen. Nachdem im Jahr 1923 die Kinder-, HNO- und Hautklinik offiziell auf dem Campus in Grombühl eröffnet wurden, zogen auch die Kinder ins Luitpoldkrankenhaus - ins heutige Gebäude D4. Auf dem Bild ist die HNO-Klinik noch im Bau. Quelle unbekannt.
Das Bild zeigt Hans Rietschel, der im weißen Kittel einen Säugling untersucht, daneben eine SChwester in Schwestertracht, links schauen drei Studierende in dunklen Anzügen zu.
Lehrszene aus der Kinderklinik. Prof. Dr. Hans Rietschel, der 1927 als Extraordinarius für Kinderheilkunde an die Universität Würzburg berufen wurde, untersucht im Beisein einer Kinderkrankenschwester und Studenten einen Säugling. Das Bild stammt aus einer Festschrift und wurde dem UKW vom Enkel von Hans Rietschel, Dr. Ernst Rietschel, freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Für eine optimale Versorgung krebskranker Kinder: Auftakt der KioNet-Roadshow am Uniklinikum Würzburg

Mit einer bunten Informations- und Mitmachveranstaltung startete gestern an der Würzburger Universitäts-Kinderklinik eine dreitägige Roadshow des Kinderonkologischen Netzwerks Bayern (KioNet). Ziel ist es, auf ausgewählte Aspekte aufmerksam zu machen, die für eine bestmögliche Versorgung von krebskranken Kindern und ihren Familien nötig sind.

Gruppenbild Thomas Eberth (Landrat des Landkreis Würzburg), Prof. Dr. Matthias Eyrich (Leiter des Kinderonkologischen Zentrums am Uniklinikum Würzburg) und Prof. Dr. Markus Metzler
Bei der Begrüßung zur Auftaktveranstaltung zur KioNet-Roadshow sprachen (von links): Thomas Eberth (Landrat des Landkreis Würzburg), Prof. Dr. Matthias Eyrich (Leiter des Kinderonkologischen Zentrums am Uniklinikum Würzburg) und Prof. Dr. Markus Metzler (Sprecher des Kinderonkologischen Netzwerks Bayern). Bild: Helmuth Ziegler / UKW
Infostände
Die Würzburger Universitäts-Kinderklinik stellte bei ihrer KioNet-Veranstaltung mit Infoangeboten und Mitmachaktionen das Thema „Psychosoziale Betreuung“ in den Mittelpunkt. Bild: Helmuth Ziegler / UKW
Akteure des Infotags
Für die Auftaktveranstaltung zur KioNet-Roadshow am Uniklinikum Würzburg kamen Engagierte aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen. Bild: Helmuth Ziegler / UKW

Würzburg. Im Kinderonkologischen Netzwerk Bayern (KioNet, www.kionet-bayern.de) haben sich die kinderonkologischen Abteilungen der Universitätsklinika Augsburg, Erlangen, Regensburg, Würzburg sowie der LMU und TU München zusammengeschlossen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, krebskranken Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien im Freistaat heimatnah eine optimale Versorgung zu ermöglichen. Seit seiner Gründung im Jahr 2018 fördert KioNet den standortübergreifenden Austausch sowie die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen. Mit einer Roadshow wollen die sechs Partnereinrichtungen vom 15. bis 17. Juli 2025 zeitlich gestaffelt Einblicke in verschiedene Aspekte aus der Arbeit des Netzwerks geben. 

Psychosoziale Betreuung als Veranstaltungsschwerpunkt in Würzburg

Zum Auftakt am 15. Juli – dem 2. Bayerischen Kinderkrebstag – lud das von Dr. Lisa Schubert geleitete Psychosoziale Team der Würzburger Universitäts-Kinderklinik Familien mit einem krebskranken Kind sowie alle sonstigen Interessierten zu einer praxisnahen Informationsveranstaltung ein. An Ständen vor und in der Klinik erwartete die Teilnehmenden zwischen 11:00 und 13:30 Uhr zum einen ein buntes, familiengerechtes Mitmachprogramm, unter anderem mit Elementen aus der Bewegungs- und Kreativtherapie. Zum anderen gab es Informationen zum Themenkreis „Psychosoziale Betreuung“. Mit dabei war auch die Elterninitiative Regenbogen für leukämie- und tumorkranke Kinder Würzburg e.V., die seit Jahren das psychosoziale Angebot an der Kinderklinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) finanziell unterstützt.

Wünsche an die Politik

Prof. Dr. Matthias Eyrich, der Leiter des Kinderonkologischen Zentrums am UKW, nutzte seine Begrüßungsansprache zu zwei Wünschen an die Politik. Zum einen sollte die psychosoziale Versorgung in die Regelversorgung überführt werden, um nicht mehr von Spendengeldern abhängig zu sein. Zum anderen müsse eine Kinderpflegezeit eingeführt werden, die es den Eltern ermöglicht, finanziell abgesichert bei ihrem schwer erkrankten Kind zu sein.

Netzwerkarbeit: Das Ganze ist viel mehr als die Summe seiner Teile

Als Vertreter der lokalen Politik dankte Thomas Eberth allen Beteiligten für ihr großes Engagement. Der Landrat des Landkreises Würzburg unterstrich:  „Es braucht genau diesen ganzheitlichen Ansatz, diese Vernetzung, um Halt und Heilung zu geben.“ Auch Prof. Dr. Markus Metzler, Stellvertretender Direktor der Kinderklinik des Uniklinikums Erlangen und Sprecher von KioNet, betonte den Wert der kollegialen, effektiven Zusammenarbeit im bayernweiten Netzwerk: „Als Quintessenz der sieben Jahre seit der Gründung von KioNet lässt sich sagen: Das Ganze ist viel mehr als die Summe seiner Teile.“

Zu den Partnern der Roadshow gehört auch das Bayerische Zentrum für Krebsforschung (BZKF, https://bzkf.de). Der Zusammenschluss der sechs bayerischen Universitätsstandorte feiert am 17. Juli 2025 sein fünfjähriges Bestehen. Das BZKF setzt sich dafür ein, allen an Krebs erkrankten Menschen – unabhängig vom Alter – eine optimale Versorgung sowie den Zugang zu topmodernen Therapien zu ermöglichen. 

Die KioNet-Roadshow endet am Donnerstag dieser Woche mit einer zusammenfassenden Präsentation im Bayerischen Landtag. 

Das gesamte Programm gibt es unter https://bzkf.de/aktuelles/news-detail-pressemitteilungen-1/kionet-roadshow-177.

 

Text: Pressestelle / UKW

Gruppenbild Thomas Eberth (Landrat des Landkreis Würzburg), Prof. Dr. Matthias Eyrich (Leiter des Kinderonkologischen Zentrums am Uniklinikum Würzburg) und Prof. Dr. Markus Metzler
Bei der Begrüßung zur Auftaktveranstaltung zur KioNet-Roadshow sprachen (von links): Thomas Eberth (Landrat des Landkreis Würzburg), Prof. Dr. Matthias Eyrich (Leiter des Kinderonkologischen Zentrums am Uniklinikum Würzburg) und Prof. Dr. Markus Metzler (Sprecher des Kinderonkologischen Netzwerks Bayern). Bild: Helmuth Ziegler / UKW
Infostände
Die Würzburger Universitäts-Kinderklinik stellte bei ihrer KioNet-Veranstaltung mit Infoangeboten und Mitmachaktionen das Thema „Psychosoziale Betreuung“ in den Mittelpunkt. Bild: Helmuth Ziegler / UKW
Akteure des Infotags
Für die Auftaktveranstaltung zur KioNet-Roadshow am Uniklinikum Würzburg kamen Engagierte aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen. Bild: Helmuth Ziegler / UKW

„Neue Horizonte“: Kinderkliniken aus Würzburg und Lübeck richteten Jahreskongress zusammen aus

Podiumsdiskussion: „Nicht über, sondern mit Kindern reden"

Über 2000 Teilnehmende kamen zur 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). Foto: UKW / privat
Über 2000 Teilnehmende kamen zur 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). Foto: UKW / privat

Würzburg/Lübeck. Über 2000 Teilnehmende kamen zur 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) nach Lübeck. Organisiert wurde die Tagung vom 22. bis 24. Mai gemeinsam von Teams aus Ärzten und Pflegenden der beiden Universitäts-Kinderkliniken in Würzburg und Lübeck.

„Die Pflege war in allen Kongress-Symposien aktiv vertreten, was die verschiedenen Perspektiven zu einem gemeinsamen Ganzen vereint“, so Prof. Dr. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Auch weitere Berufsgruppen waren neben der Neugeborenen- und Kinderintensivmedizin breit vertreten, etwa aus den Bereichen Grundlagenwissenschaften, Medizintechnik/-informatik, Seelsorge und Eltern- bzw. Patientenvertretungen.

„Nicht über, sondern mit Kindern reden"

Zu den zentralen Themen der Tagung zählten u.a. intensivmedizinisch betreute akute und chronische Erkrankungen, deren Prävention, Diagnostik und bestmögliche Therapien, interprofessionelle und multidisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Familien als Teil des Teams, neue Fortbildungsformate (, z.B. „Simulationsszenarien auf der Bühne“ oder Podcasts) oder die zukünftigen Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz.

Die Podiumsdiskussion zur Eröffnung war ein besonderes Highlight und bewusst anders gestaltet: Ganz nach dem Motto „Nicht über, sondern mit Kindern reden“, diskutierte Moderatorin Linda Zervakis mit Kindern und jungen Erwachsenen, die teilweise intensivmedizinisch behandelt wurden, die Schwerpunktthemen des diesjährigen Kongresses, die Sorgen und die Zukunftsvisionen der Kinder und Jugendlichen.

Über 2000 Teilnehmende kamen zur 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). Foto: UKW / privat
Über 2000 Teilnehmende kamen zur 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). Foto: UKW / privat

Dem Immunsystem von Neugeborenen auf der Spur

Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Dorothee Viemann vom Uniklinikum Würzburg (UKW) charakterisiert erstmals die immunmetabolischen Anpassungsprozesse von Blutmonozyten nach der Geburt und löst damit das alte Paradigma auf, dass die verminderte Fähigkeit von Neugeborenen zur Energiegewinnung durch Glykolyse die Ursache ihrer Infektanfälligkeit ist. Die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Studie zeigt, dass Neugeborene einen anderen Stoffwechselmechanismus als Erwachsene nutzen, um ihr Immunsystem zu entwickeln. Blutmonozyten von Neugeborenen gewinnen ihre Energie hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung, die für die weitere Differenzierung der Zellfunktionen nach der Geburt notwendig ist. Erst durch die Umweltexposition des Immunsystems wird der Stoffwechsel neonataler Monozyten mit zunehmendem Alter auf den erwachsenen Stoffwechseltyp, die Glykolyse umprogrammiert. Eine vorzeitige Umstellung könnte negative Folgen haben.

Die Illustration zeigt links ein Neugeborenes mit Nabelschnur, rechts eine erwachsene Person, dazwischen Elemente um den Stoffwechsel zu illustrieren: blaues Dreieck oben steht für oxidative Phosphorylierung, das nach rechts immer spitzer wird, rotes Dreieck unten steht für Glykolyse, das nach nach rechts immer breiter wird.
Neugeborene nutzen einen anderen Stoffwechselmechanismus als Erwachsene, um ihr Immunsystem zu entwickeln. Ihre Blutmonozyten gewinnen die Energie hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung, die für die weitere Differenzierung der Zellfunktionen nach der Geburt notwendig ist. Erst durch die Umweltexposition des Immunsystems wird der Stoffwechsel neonataler Monozyten mit zunehmendem Alter auf den erwachsenen Stoffwechseltyp, die Glykolyse umprogrammiert. © UKW mit Canva

Würzburg. Das Immunsystem eines Neugeborenen unterscheidet sich deutlich von dem eines Erwachsenen. Während Erwachsene über ein ausgereiftes, hoch spezialisiertes Immunsystem verfügen, ist das Immunsystem von Neugeborenen vor allem auf die angeborene Immunabwehr angewiesen, die noch nicht die Fähigkeit hat, starke Entzündungsreaktionen einzuleiten. Ob dies ein Nachteil ist oder eine sinnvolle Schutzmaßnahme und beispielsweise das Risiko einer Neugeborenen-Sepsis senkt, ist bislang ungeklärt. Die Sepsis ist weltweit immer noch eine der häufigsten Todesursachen bei Neugeborenen. 

Einen wichtigen Beitrag, um das Sepsisrisiko besser zu verstehen und möglicherweise neue Schutzmaßnahmen für Neugeborene zu entwickeln, hat jetzt Prof. Dr. Dorothee Viemann, Leiterin der Translationalen Pädiatrie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), gemeinsam mit Forschenden der Universitätsmedizin Würzburg, Hannover, Bonn, Braunschweig und Lübeck veröffentlicht. Ihre Studie charakterisiert erstmals die immunmetabolischen Anpassungsprozesse von Blutmonozyten bei gesunden Neugeborenen, Säuglingen und Kindern. Blutmonozyten sind Teil des angeborenen Immunsystems und bilden damit die erste Verteidigungslinie gegen Infektionen.

Stoffwechsel von Immunzellen verändert sich mit dem Alter - von der oxidativen Phosphorylierung zur Glykolyse

In der Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications publiziert wurde, zeigte das Team, dass sich die Stoffwechselaktivität von neugeborenen und erwachsenen angeborenen Immunzellen stark unterscheidet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass die Blutmonozyten von Neugeborenen mehr Energie produzieren als die von Erwachsenen. Blutmonozyten machen bis zu acht Prozent der weißen Blutzellen (Leukozyten) aus und zirkulieren ein bis drei Tage im Blut, bevor sie ins Gewebe einwandern und sich dort weiterentwickeln. 

Um ihre Immunzellen reifen zu lassen nutzen Neugeborene verstärkt die oxidative Phosphorylierung. Dabei wird in den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zellen, aus Nährstoffen Energie gewonnen und das Molekül ATP (Adenosintriphosphat) produziert, das die Zellen für alle wichtigen Funktionen benötigen. Mit zunehmendem Alter wechselt dieser Stoffwechsel allmählich auf die Glykolyse um, eine andere Art der Energiegewinnung, die stärkere Entzündungsreaktionen ermöglicht. 

Stoffwechsel wird durch Umwelt beeinflusst und kann durch ketogene Ernährung nicht zurückgesetzt werden

Die Forschenden entdeckten, dass erst durch den Kontakt mit der Umwelt, insbesondere mit Mikroben wie Bakterien und Viren, das Immunsystem von Neugeborenen trainiert wird. Die Umweltexposition führt dazu, dass sich der Stoffwechsel neonataler Monozyten allmählich verändert und sich dem von Erwachsenen annähert. Interessanterweise konnte eine ketogene Diät, also eine fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung, die den natürlichen Stoffwechselzustand von Neugeborenen nachahmt, den ursprünglichen Stoffwechsel dieser Immunzellen nicht wiederherstellen. Das bedeutet, dass der Stoffwechsel von Monozyten durch die Umwelt beeinflusst wird und nicht einfach durch eine spezielle Ernährung zurückgesetzt werden kann. 

Verminderte glykolytische Aktivität ist nicht für Infektanfälligkeit verantwortlich

Mit ihrer Arbeit lösen die Forschenden ein altes Paradigma ab. Denn bisher wurde postuliert, dass die reduzierte Fähigkeit von Neugeborenen, durch Glykolyse Energie zu gewinnen, die Ursache für verminderte Entzündungsreaktionen und damit verantwortlich für die Infektanfälligkeit von Neugeborenen sei. Die umfassend charakterisierten und identifizierten immunmetabolischen Eigenschaften des angeborenen Immunsystems deuten dagegen darauf hin, dass eine vorzeitige Aktivierung der Glykolyse bei Neugeborenen das Risiko für schwere Sepsisverläufe erhöhen würde, da es inflammatorische Reaktionen schürt aber nicht die notwendige Energie für weitere erforderliche Zelldifferenzierungsvorgänge liefert. Viemann appelliert: „Die Behandlung von Neugeborenen im Sinne einer Förderung glykolytischer Stoffwechselprozesse sollte vermieden werden, um überschießende Entzündungsreaktionen zu verhindern und immunologische Reifungsprozesse nicht zu stören.“

Der nächste Schritt wäre, die Analysemethoden in Geburtskohortenstudien zu integrieren. Auf diese Weise könnte es gelingen, klinische und demographische Faktoren zu ermitteln, die die Stoffwechselaktivität von Neugeborenen signifikant beeinflussen. Spannend wäre es auch, so Viemann, die Untersuchungen auf andere Zelltypen des Immunsystems auszudehnen.

Unterstützung durch Eltern, Technologien und Fördermittel 

„Die umfassende Identifizierung und Charakterisierung immunmetabolischer Eigenschaften des angeborenen Immunsystems war durch die Anwendung neuester Technologien möglich, vor allem aber durch die Bereitschaft der Eltern gesunder Neugeborener, Säuglinge und Kleinkinder, an der Studie teilzunehmen“, sagt Dorothee Viemann. 

Ferner wurde die Arbeit maßgeblich durch Stipendien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt sowie im Rahmen des SFB 1583/1 (DECIDE), TRR 359 (PILOT) und der Exzellenzstrategie der DFG Deutschland - EXC 2155 (RESIST) gefördert.

Publikation: 
Greta Ehlers, Annika Marie Tödtmann, Lisa Holsten, Maike Willers, Julia Heckmann, Jennifer Schöning, Maximilian Richter, Anna Sophie Heinemann, Sabine Pirr, Alexander Heinz, Christian Dopfer, Kristian Händler, Matthias Becker, Johanna Büchel, Achim Wöckel, Constantin von Kaisenberg, Gesine Hansen, Karsten Hiller, Joachim L. Schultze, Christoph Härtel, Wolfgang Kastenmüller, Martin Vaeth, Thomas Ulas & Dorothee Viemann. Oxidative phosphorylation is a key feature of neonatal monocyte immunometabolism promoting myeloid differentiation after birth. Nat Commun 16, 2239 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-57357-w

Text: KL / Wissenschaftskommunikation

 

Die Illustration zeigt links ein Neugeborenes mit Nabelschnur, rechts eine erwachsene Person, dazwischen Elemente um den Stoffwechsel zu illustrieren: blaues Dreieck oben steht für oxidative Phosphorylierung, das nach rechts immer spitzer wird, rotes Dreieck unten steht für Glykolyse, das nach nach rechts immer breiter wird.
Neugeborene nutzen einen anderen Stoffwechselmechanismus als Erwachsene, um ihr Immunsystem zu entwickeln. Ihre Blutmonozyten gewinnen die Energie hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung, die für die weitere Differenzierung der Zellfunktionen nach der Geburt notwendig ist. Erst durch die Umweltexposition des Immunsystems wird der Stoffwechsel neonataler Monozyten mit zunehmendem Alter auf den erwachsenen Stoffwechseltyp, die Glykolyse umprogrammiert. © UKW mit Canva

Schon zweihundert MIAI-Babys

Studienprotokoll in Frontiers in Immunology veröffentlicht

Der Datenschatz der MIAI-Geburtskohorte soll Aufschluss darüber geben, wie sich das Immunsystem von Kindern im ersten Lebensjahr entwickelt und warum manche Kinder anfälliger für schwere Virusinfektionen sind als andere.

 

Baby Fabian liegt zufrieden auf dem Wickeltisch, während die Studienärztin einen Hautabstrich macht.
Fabian ist das zweihundertste MIAI-Baby. Die Geburtskohorte MIAI des Uniklinikums Würzburg untersucht die Entwicklung des Immunsystems gegen Virusinfektionen der Atemwege. MIAI steht für Maturation of Immunity Against Influenza. © Kirstin Linkamp / UKW
Fabian, das 200ste MIAI-Baby wird von der Studienärztin mit dem Stethoskop abhört.
Studienärztin Dr. Janina Marißen untersucht Fabian vier Wochen nach seiner Geburt in der MIAI-Studienambulanz der Kinderklinik. Sie hört Herz und Lunge ab, überprüft den Muskeltonus und sammelt biologische Proben wie zum Beispiel Hautabstriche. © Kirstin Linkamp / UKW
Die Mutter hält den vier Wochen alten Fabian im Arm, sein Vater steht daneben.
Fabians Eltern freuen sich, dass sie mit ihren und Fabians Daten einen wertvollen Beitrag für die Wissenschaft leisten können. Die Ergebnisse von MIAI könnten helfen, die Immunität gegen Atemwegsviren besser zu verstehen und Empfehlungen zu geben, wie Eltern die Entwicklung des Immunsystems frühzeitig fördern können, um schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Fabian ist das zweihundertste MIAI-Baby. Mit ihm hat die MIAI-Studienambulanz des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) einen wichtigen Meilenstein erreicht, um schon einige der Fragestellungen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes anzugehen. Mit den in der MIAI-Geburtskohorte gesammelten Daten, Untersuchungsergebnissen und Bioproben will das Studienteam um Prof. Dr. Dorothee Viemann verstehen, wie Babys im ersten Lebensjahr lernen, sich gegen Viren wie Influenza, RSV oder SARS-CoV-2 zu verteidigen. MIAI steht für Maturation of Immunity Against Influenza - die Entwicklung des Immunsystems gegen Virusinfektionen der Atemwege. Virale Atemwegsinfektionen sind nach wie vor weltweit ein großes Problem und verursachen zahlreiche Erkrankungen und Todesfälle. 

Welche Einflüsse prägen das Immunsystem? 

Nach der Geburt reift das Immunsystem und passt sich der neuen Umwelt an. Wie gut sich unser Immunsystem zur Abwehr solche Virusinfektionen entwickelt, hängt neben genetischen Faktoren vor allem von Umwelteinflüssen ab. Welche Umweltfaktoren die Immunreifung fördern und welche sie stören, ist allerdings bis heute nicht ganz klar. Zudem gilt es zu verstehen, welche Komponenten und Zellen des Immunsystems bei Neugeborenen und Kindern wichtig sind, um schwere Atemwegsinfektionen zu verhindern. Diese Unklarheiten nimmt der Lehrstuhl für Translationale Pädiatrie der Kinderklinik gemeinsam mit der Frauenklinik in der MIAI-Studie genauer unter die Lupe. 

Das MIAI-Team untersucht zum Beispiel, welche Rolle der sozioökonomische Hintergrund, die Anzahl von Familienmitgliedern, Kinderkrippenbesuche, Impfungen, Infektionen und Ernährung bei der frühen Entwicklung von Immunantworten spielen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Bildung des Mikrobioms, also der Gesamtheit der Mikroorganismen im Körper, und der Entwicklung der Immunität gegen diese Virusinfektionen nach der Geburt gibt.

Dazu werden die Kinder direkt nach der Geburt in der Würzburger Frauenklinik sowie nach einem, sechs und zwölf Monaten in der MIAI-Studienambulanz der benachbarten Kinderklinik untersucht. Dabei werden der Gesundheitszustand der Kinder erfragt, verschiedene biologische Proben wie Hautabstriche und Stuhlproben gesammelt, die Babys gemessen und gewogen, Herz und Lunge abgehört und der Muskeltonus überprüft.

MIAI-Kinder liefern wichtigen Beitrag für die Wissenschaft 

Die Pläne und das Design der MIAI-Studie sowie die Charakteristika der ersten 171 MIAI-Babys hat Dorothee Viemann jetzt mit ihrem Team in der Fachzeitschrift Frontiers in Immunology veröffentlicht. Besonders hervorzuheben sei die Akzeptanz des Studiendesigns. „Wir haben eine relativ geringe Abbruchquote von etwa 8 Prozent“, berichtet Studienkoordinatorin Dr. Carina Hartmann, die gerade selbst Mutter eines Sohnes geworden ist. Dazu zählen auch Familien, die aus Würzburg weggezogen sind. „Ohne die Eltern könnten wir die MIAI-Studie nicht durchführen. Und die Eltern sind wirklich sehr engagiert, sie kommen gerne zu uns, jetzt auch schon mit den ersten Geschwisterkindern. Das spricht für die Studie und das Studienteam. Unser Studienteam hat zu jedem Kind ein Gesicht und verfolgt seine Entwicklung mit Spannung und Freude.“

Viele Eltern schätzen den zusätzlichen Blick auf ihr Kind neben den U-Untersuchungen beim niedergelassenen Kinderarzt, die Motive für die Teilnahme an der Studie sind aber vor allem altruistischer Natur. Auch Fabians Eltern machen gerne bei MIAI mit, „weil wir mit unseren und Fabians Daten einen wertvollen Beitrag für die Wissenschaft leisten können“. Denn die Ergebnisse könnten helfen, die Immunität gegen Atemwegsviren besser zu verstehen und Empfehlungen zu geben, wie Eltern die Entwicklung des Immunsystems frühzeitig fördern können, um schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden. 

MIAI-Studie geht weiter – Dank des großen Engagements der Eltern und weiterer Fragestellungen

Viele Erkrankungen werden erst nach der Säuglingszeit sichtbar. Ein frühkindliches Asthma bronchiale ist dafür ein klassisches Beispiel. Häufige Bronchitiden im Laufe des ersten Lebensjahrs können ein Vorläufersymptom für ein Asthma sein, aber nicht bei jedem Kind manifestiert sich tatsächlich diese chronische Atemwegserkrankung. Um solche Zusammenhänge zu verstehen und Faktoren zu identifizieren, die die Entstehung chronisch immunologischer Erkrankungen begünstigen, ist die Nachverfolgung der MIAI-Kinder über das erste Lebensjahr hinaus nun unerlässlich.

Wenn es die finanziellen Möglichkeiten erlauben, würden Prof. Dorothee Viemann und Prof. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik, gesundheitsrelevante Daten gerne bis über das 16. Lebensjahr hinaus sammeln. „In der Pubertät wird im Immunsystems nochmals vieles neugeordnet und reprogrammiert“ erklärt Dorothee Viemann. „Mit diesem Projekt würden wir den Grundstein für wichtige zukünftige Erkenntnisse legen - eine solche Kohorte wäre gerade für die kommende Generation an Forscherinnen und Forschern ein unglaublicher Schatz!“

Studienwebseite mit weiteren Informationen: www.ukw.de/miai.

Publikation:
Carina R. Hartmann, Robin Khan, Jennifer Schöning, Maximilian Richter, Maike Willers, Sabine Pirr, Julia Heckmann, Johannes Dirks, Henner Morbach, Monika Konrad, Elena Fries, Magdalene Winkler, Johanna Büchel, Silvia Seidenspinner, Jonas Fischer, Claudia Vollmuth, Martin Meinhardt, Janina Marissen, Mirco Schmolke, Sibylle Haid, Thomas Pietschmann, Simona Backes, Lars Dölken, Ulrike Löber, Thomas Keil, Peter U. Heuschmann, Achim Wöckel, Sagar, Thomas Ulas, Sofia K. Forslund-Startceva, Christoph Härtel, Dorothee Viemann. A clinical protocol for a German birth cohort study of the Maturation of Immunity Against respiratory viral Infections (MIAI). Frontiers in Immunology, Volume 15 - 2024, https://doi.org/10.3389/fimmu.2024.1443665

Text: Kirstin Linkamp / UKW 

Protein-Kick stärkt Babys Darm

Postnatale Supplementierung mit S100a8/a9-Alarminen verbessert die durch Mangelernährung verursachte Enteropathie

Das Team der Abteilung Translationale Pädiatrie des Uniklinikums Würzburg (UKW) identifiziert in der Fachzeitschrift Nature Communications den Mangel an S100a8/a9 als entscheidenden pathogenetischen Faktor der durch mütterliche Mangelernährung induzierten Enteropathie und zeigt, dass eine einmalige Gabe des Proteins S100a8 direkt nach der Geburt ausreicht, um die Etablierung dieser Darmerkrankung zu verhindern und damit vor dem sonst lebenslang erhöhten Risiko für Darminfektionen und Darmentzündungen zu schützen.

 

Das Bild zeigt eine mikroskopische Aufnahmen von immunfluoreszenzgefärbten Zellen eines Mausdarms.
Immunfluoreszenzfärbung eines Mausdarms. Gefärbt wurden Marophagen (grün) und S100A8/A9 (rot), ein Protein das vor allem in myeloiden Zellen vorkommt. © Julia Heckmann / UKW
Collage aus Porträtbildern von Dorothee Viemann und Julia Heckmann
Prof. Dr. Dorothee Viemann (links) und Julia Heckmann haben Kolleginnen und Kollegen von der Translationalen Pädiatrie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und vom Institut für Biomedizinische Forschung der Universität della Svizzera Italiana welchen Einfluss eine mütterliche Mangelernährung auf die Gesundheit des Kindes, insbesondere auf die Darmentwicklung, hat. © UKW-Collage
Die gelernte Kinderkrankenschwester Sylvia Königer holt die zuvor abgepumpte Muttermilch aus dem Kühlschrank.
In der Würzburger Universitäts-Kinderklinik stellt das Ernährungszentrum für Säuglinge sicher, dass Früh- und Neugeborene rund um die Uhr die Milch der eigenen Mutter erhalten. Die zuvor abgepumpte Muttermilch wird unter strengsten hygienischen Auflagen behandelt, in Flaschen oder Spritzen gefüllt, etikettiert und ausgeliefert. Je nach ärztlicher Anweisung können patientenindividuell Supplemente, wie Fette, Kohlehydrate und Eiweiße, zugesetzt werden. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Weltweit leiden Millionen von Kindern Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Folgen. Dazu gehört auch die sogenannte umweltbedingte Enteropathie („environmental enteropathy“, altgriechisch énteron für Darm und páthos für Leiden). Bisher wurde angenommen, dass diese chronische Darmentzündung durch unhygienische Lebensbedingungen, häufige Aufnahme von Krankheitserregern und ein ungünstiges Darmmikrobiom verursacht wird. Die bei Mangelernährung auftretende Enteropathie führt zu einer verminderten Aufnahmefähigkeit des Darms für Nährstoffe und damit zusätzlichen Verstärkung der Mangelernährung - ein Teufelskreis. 

Prof. Dr. Dorothee Viemann, Leiterin der Translationalen Pädiatrie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), untersuchte mit ihrem Team und einer Schweizer Forschergruppe vom Institut für Biomedizinische Forschung der Universität della Svizzera Italiana, welchen Einfluss eine mütterliche Mangelernährung auf die Gesundheit des Kindes, insbesondere auf die Darmentwicklung, hat. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht. 

Körpereigene Proteine S100A8/A9 kommen in hohen Mengen in Muttermilch vor

„Wir konnten im Mausmodell zeigen, dass eine Mangelernährung der Mutter ausreicht, um beim Neugeborenen schon während der Stillzeit eine Darmentzündung auszulösen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die körpereigenen Proteine S100A8/A9. Diese kommen in der Muttermilch in großen Mengen vor, sind aber bei Mangelernährung der Mutter deutlich reduziert“, berichtet Erstautorin Julia Heckmann. Die Doktorandin hatte bereits ihre Masterarbeit in Biomedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bei der Neonatologin und Immunologin Dorothee Viemann geschrieben und war vor drei Jahren mit ihrer Professorin nach Würzburg gewechselt, um sich auch in ihrer Doktorarbeit mit den Proteinen der S100-Familie und ihrer ambivalenten Funktion zu beschäftigen. Denn die so genannten Alarmin-Proteine, die bei Stress oder Zellschäden als Gefahrensignal freigesetzt werden, tragen dazu bei, entzündungsfördernde Prozesse sowohl zu regulieren als auch zu verstärken. 

Alarmine beeinflussen die Entwicklung der Darmflora und des Immunsystems nach der Geburt 

Dorothee Viemann beschrieb bereits während ihrer Tätigkeit in Hannover die Rolle von S100-Alarminen in der Regulation der körpereigenen Abwehr von Neugeborenen. S100-Alarmine sorgen dafür, dass das Immunsystem von Säuglingen in den Monaten nach der Geburt zunächst ganz bewusst mit angezogener Handbremse läuft. Zum einen, damit sich die körpereigenen Abwehrtruppen nicht in unzählige Scharmützel mit neuen Bakterien und Fremdkörpern verwickeln lassen und dabei starke, lebensgefährliche Entzündungsreaktionen auslösen. Zum anderen, damit sich der Darm mit bestimmten Bakterien besiedeln und das sogenannte Mikrobiom bilden kann. 
„Kindern, die nach der Geburt zu wenig dieser Alarmin-Proteine bilden, fehlt diese Handbremse, weshalb sie ein massiv erhöhtes Risiko für schwere Infektionsverläufe haben. Vor allem bei Frühgeborenen, denen es an S100A8/A9 mangelt, ist das Sepsisrisiko deutlich erhöht“, sagt Dorothee Viemann, die gemeinsam mit dem Direktor der Universitäts-Kinderklinik, Prof. Dr. Christoph Härtel, im Forschungsprojekt PROSPER (Prevention of Sepsis by personalized nutritional S100A8/A9 supplementation to vulnerable neonates) untersucht, ob eine Nahrungsergänzung mit S100A8/A9 Frühgeborene mit niedrigen Alarmin-Spiegeln vor einer Sepsis schützt.

Mehr als 10 Prozent der kindlichen Todesfälle sind auf Darminfektionen zurückzuführen

Doch auch bei Reifgeborenen kann ein Mangel an S100A8/A9 zu chronischen Darmentzündungen und zu einer ungünstigen Keimbesiedlung des Darms führen, wenn eben nicht genügend dieser Alarmine in der Muttermilch vorhanden sind. Dazu kann es kommen, wenn die Mütter z.B. unterernährt oder fehlernährt sind. Die häufigste Form der Unterernährung ist die Protein-Energie-Mangelernährung. Sie führt bei Kindern zu Wachstumsstörungen und macht sie besonders anfällig für Infektionen, insbesondere für Darminfektionen, die für mehr als 10 Prozent der Todesfälle bei Kindern verantwortlich sind.

In ihrer Studie, die von der Bill & Melinda Gates Foundation und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde, legen die Wissenschaftlerinnen den Fokus auf einen Zeitraum, der in der Erforschung umweltbedingter Enteropathien bislang kaum Beachtung fand: die Stillzeit. Das verminderte S100A8/A9 in der Muttermilch mangelernährter Mütter legt den Grundstein für eine lebenslang erhöhte Suszeptibilität, also Empfänglichkeit, für überschießende Darmentzündungen. 

Einmalige Gabe des Proteins S100A8 direkt nach der Geburt schützt vor Darmentzündung

„Unsere aufregendste Entdeckung war, dass eine einmalige Gabe von S100A8 an Neugeborene eine gesunde Darmentwicklung sicherstellt - und zwar lebenslang“, freut sich Julia Heckmann. Eine Nahrungsergänzung mit S100A8 könnte daher eine vielversprechende und einfache Behandlungsmöglichkeit darstellen, um die kindliche Darmentwicklung bei reduzierten S100A8/A9-Spiegeln in der Muttermilch, aber auch generell bei reduzierter oder fehlender Muttermilchzufuhr zu schützen. „Milchersatzprodukte enthalten kein S100A8/A9, sollten aber aufgrund unserer Ergebnisse dringend in Betracht gezogen werden“, rät Dorothee Viemann. 

Präklinische Studie untersucht Wirksamkeit, Sicherheit und Dosierung der Nahrungsergänzung mit S100A8/A9

Ob sich diese Erkenntnisse vom Mausmodell auf den Menschen übertragen lassen, wie wirksam und sicher die Nahrungsergänzung ist und welche Dosierung geeignet ist, untersucht das Team bereits in einer neuen Studie, die vom BMBF gefördert wird. „In der präklinischen Studie wollen wir die Wirkung der Nahrungsergänzung mit S100A8/A9 auf Erkrankungen und das Darmmikrobiom testen, mögliche Nebenwirkungen aufdecken und Dosisempfehlungen für eine klinische Studie geben“, sagt Dorothee Viemann. 

Nachdem der Effekt von S100A8/A9 auf das Immunsystem des Neugeborenen relativ gut verstanden ist, will das Team außerdem untersuchen, wie die Alarmine auf die Epithelzellen der Darmschleimhaut wirken. Die Epithelzellen bilden schließlich die erste Zellschicht im Darm, mit der S100A8/A9 aus der Muttermilch in Kontakt kommt. 

Publikation:
Perruzza, L., Heckmann, J., Rezzonico Jost, T. et al. Postnatal supplementation with alarmins S100a8/a9 ameliorates malnutrition-induced neonate enteropathy in mice. Nat Commun 15, 8623 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-52829-x

Text: Kirstin Linkamp / UKW 
 

Wie ein fehlgeleitetes Immunsystem Gelenkentzündungen nach einem Zeckenstich aufrechterhält

Neue Studie entschlüsselt zentrale Mechanismen hinter antibiotikaresistenter Lyme-Arthritis (ARLA)

Ein Team aus der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) zeigt, wie bestimmte Zellen unseres Immunsystems zuerst die durch einen Zeckenstich ausgelöste Borrelien-Infektion bekämpfen und dann bei manchen Menschen eine Fehlreaktion auslösen, die zu einer chronischen Gelenkentzündung führt. Dieses Wissen hilft nicht nur bei der Diagnose und Behandlung von ARLA, sondern liefert auch Hinweise darauf, wie Infektionen und das Immunsystem bei anderen Krankheiten wie der rheumatoiden Arthritis zusammenwirken.

 

Collage der beiden Porträts von Johannes Dirks und Henner Morbach
Dr. Johannes Dirks (links) und PD Dr. Henner Morbach von der Pädiatrischen Entzündungsmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW) bieten mit ihrer neuen Studie einen Fahrplan, der erklärt, wie T-Zell-Reaktionen, die zur Kontrolle einer Infektion notwendig sind, trotz Antibiotikatherapie eine nachteilige T-Zell-Reaktion auslösen können, was zu einer postinfektiösen, entzündlichen Arthritis führt. © Collage / UKW
Immunfluoreszenzanalyse und Sequenzierungen des T-Zell Rezeptors
Collage mit Abbildungen aus der Originalpublikation zum krankheitsspezifischen T-Zell Rezeptor Motiv: Die Immunfluoreszenzanalyse (MACSimaTM Imaging Platform) der Synovia eines Patienten mit Antibiotika-refraktärer Lyme-Arthritis zeigt Aggregate von B- und aktivierten T-Helfer Zellen (links). Durch Einzelzell-RNA Sequenzierung und Hochdurchsatzsequenzierung des T-Zell Rezeptors der synovialen T-Helfer Zellen konnte ein krankheitsspezifisches T-Zell Rezeptor Motiv identifiziert und mit der Funktion dieser Zellen in Zusammenhang gebracht werden. ©J Clin Invest DOI: 10.1172/JCI179391
Collage mit Fotos von der Wanderröte nach Zeckenstich und geschwollenem Knie, Röntgenbild von Gelenkentzündung und mikroskopischer Aufnahme.
Wie es nach einer Borrelien-Infektion, die durch einen Zeckenstich ausgelöst wird, zu einer chronischen Gelenkentzündung kommt, der sogenannten Antibiotika-refraktären Lyme-Arthritis, kurz ARLA. © Collage / UKW

Würzburg. Die Wanderröte nach einem Zeckenstich ist ein erster Hinweis auf Lyme-Borreliose. Sie ist die häufigste von Zecken übertragene Krankheit in Europa und Nordamerika. Wird sie nicht rechtzeitig mit einem Antibiotikum behandelt, können sich die Borrelia burgdorferi-Bakterien im Körper ausbreiten und langfristige Beschwerden wie Gelenkentzündungen verursachen. In den meisten Fällen kann die sogenannte Lyme-Arthritis mit Antibiotika behandelt werden, aber bei einem kleinen Prozentsatz bessert sich der Zustand trotz Beseitigung der Bakterien nicht. Diese Form der Arthritis wird als antibiotikaresistente Lyme-Arthritis (ALRA) bezeichnet und erfordert häufig eine spezielle Behandlung mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs), die das Immunsystem regulieren. 

Obwohl bekannt ist, dass Immunzellen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser chronischen Entzündung spielen, waren die genauen molekularen Mechanismen der antibiotikaresistenten Verlaufsformen der Lyme-Arthritis bislang unklar. Dr. Johannes Dirks und PD Dr. Henner Morbach von der Pädiatrischen Entzündungsmedizin des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben nun gemeinsam mit einem interdisziplinären Team zentrale Fehlreaktionen des Immunsystems entschlüsselt. Ihre im renommierten Journal of Clinical Investigation veröffentlichte Studie beleuchtet die Rolle des Immunsystems bei der Entstehung chronischer Gelenkentzündungen und liefert wichtige Hinweise für eine genauere Diagnose und effektivere Therapie dieser belastenden Erkrankung. Die Bedeutung der Arbeit wurde gerade durch einen begleitenden Kommentar des Entdeckers der Lyme-Arthritis, Dr. Allen Steere von der Harvard Medical School in Boston, unterstrichen.

Genetische Veranlagung für fehlgeleitete Immunantwort 

Allen Steere beschrieb die Lyme-Arthritis erstmals 1976, nachdem in der Gegend von Lyme, Connecticut, mehrere Fälle bei Kindern aufgetreten waren, die zunächst fälschlicherweise als rheumatische Erkrankungen diagnostiziert worden waren. Nach der Entdeckung von Borrelia burgdorferi im Jahr 1982 konnte die Mehrzahl der Betroffenen erfolgreich mit Antibiotika behandelt werden. Das Nichtansprechen auf die Therapie wurde auf eine genetische Prädisposition für eine fehlgeleitete Immunantwort zurückgeführt. Die Patientinnen und Patienten trugen vermehrt bestimmte HLA-Moleküle (HLA = Human Leukocyte Antigene), die dem Immunsystem ein Borrelien-Antigen so präsentierten, dass sich die Immunreaktion gegen den eigenen Körper richtete, statt die Infektion zu bekämpfen. 

TCR-β-Motiv unterscheidet ARLA von anderen rheumatischen Erkrankungen

Johannes Dirks und das Würzburger Team haben in den Gelenken von ARLA-Patientinnen und -Patienten aus Deutschland eine besondere Art der Immunantwort entdeckt, die durch T-Zell-Rezeptoren (TCR) gesteuert wird. T-Zell-Rezeptoren sind Proteine auf der Oberfläche von T-Zellen, einer Art weißer Blutkörperchen, die eine zentrale Rolle im Immunsystem spielen. Durch bioinformatische Analysen identifizierten die Forschenden ein charakteristisches Muster in den TCR, das ARLA-Patienten von anderen rheumatischen Erkrankungen unterscheidet, das sogenannte TCR-β-Motiv. Die Struktur in der β-Kette des TCR wird von T-Zellen genutzt, um fremde oder veränderte körpereigene Moleküle zu erkennen. 

Unterschiede zwischen Immunantworten in Europa und Nordamerika

Interessanterweise korrelieren die TCR-β-Motive bei den ARLA-Patienten in Deutschland mit spezifischen genetischen Markern, HLA-DRB1*11 oder HLA-DRB1*13. Diese so genannten Allelen unterscheiden sich jedoch von den Varianten nordamerikanischer Patientinnen und Patienten. 
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Immunantwort bei ARLA-Patienten in Europa deutlich von der in Nordamerika unterscheidet, was vermutlich auf die unterschiedlichen Borrelien-Spezies zurückzuführen ist. Die bisherigen Forschungsergebnisse, die vor allem in Nordamerika gewonnen wurden, lassen sich daher nicht direkt auf die europäische Situation übertragen“, erklärt Henner Morbach, Leiter der Studie und Letztautor. 

Spezifische T-Zell-Rezeptoren halten pathogene T-Helferzell-Reaktionen aufrecht

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist die Entdeckung, dass die TCR-gesteuerte Immunantwort zu einer starken Vermehrung von T-peripheren Helferzellen (Tph-Zellen) führt. Tph-Zellen senden entzündungsfördernde Signale aus und scheinen die chronische Entzündung in den Gelenken aufrechtzuerhalten. 

Die Forschung in Deutschland geht weiter: „Durch die Identifizierung der spezifischen T-Zell-Rezeptormotive konnten wir erstmals das Genexpressionsmuster krankheitsspezifischer T-Zellen in den betroffenen Gelenken verfolgen. Diese Erkenntnisse sollen in weiteren Studien vertieft werden, um herauszufinden, gegen welche Strukturen sich die Immunantwort richtet - ob es sich um eine Autoimmunreaktion handelt oder um Bestandteile nicht mehr lebensfähiger Borrelien, die die Entzündung aufrechterhalten“, sagt Johannes Dirks.

Auswirkungen auf Diagnose und Behandlung 

Das Studienteam, Allen Steere und die Fachwelt sind sich einig: Die Studienergebnisse werden weitreichende Auswirkungen auf die Diagnose und Behandlung von ARLA haben. Denn durch die Entdeckung spezifischer Immunmarker könnte es Ärztinnen und Ärzten künftig möglich sein, die Erkrankung früher zu diagnostizieren und von anderen chronischen Gelenkentzündungen zu unterscheiden. Auch die Erkenntnisse über die Rolle der Tph-Zellen und des TCR-β-Motivs bieten neue Ansätze für therapeutische Interventionen. Zukünftige Behandlungen könnten diese spezifischen Immunwege gezielt modulieren, um Entzündungen zu verringern und das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, das überschießende Immunsystem frühzeitig ins Visier der Therapie zu nehmen, statt immer wieder auf Antibiotika zu setzen“, betont Henner Morbach.

Auch über die Lyme-Arthritis hinaus könnte die Forschung wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, wie Infektionen chronische Entzündungen und Autoimmunreaktionen auslösen. Daraus könnten neue Strategien zur Vorbeugung und Behandlung anderer Autoimmunerkrankungen entwickelt werden.

Forschungsförderung

Die Untersuchungen wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert (Morbach 2160/4-1). Henner Morbach wird durch das Advanced Clinician Scientist Programm INTERACT des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (BMBF, 01EO2108), das in das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) des Universitätsklinikums Würzburg integriert ist. Johannes Dirks wird durch das Clinical Leave Program des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) gefördert.


Publikation

Disease-specific T cell receptors maintain pathogenic T helper cell responses in postinfectious Lyme arthritis. Johannes Dirks, Jonas Fischer, Julia Klaussner, Christine Hofmann, Annette Holl-Wieden, Viktoria Buck, Christian Klemann, Hermann J. Girschick, Ignazio Caruana, Florian Erhard, Henner Morbach. J Clin Invest. 2024;134(17):e179391. doi.org/10.1172/JCI179391.
 

Text: Kirstin Linkamp / UKW 

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